Bericht vom Kontaktstudium in Bethel 2002/2003, Christoph Fleischer, Dortmund 2003

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Kontaktstudium an der Kirchlichen Hochschule Bethel im Wintersemester 2002/2003. Ein Bericht. Christoph Fleischer.

Vorbemerkung.

Im Folgenden berichte ich über das Kontaktstudium, dass ich an der kirchlichen Hochschule Bethel im Wintersemester 2002/03 absolvierte. Mein Vorlesungsplan bestand aus 6 Vorlesungen, 2 Übungen und 2 Hauptseminaren. Insgesamt kann man sagen, dass es gar nicht so sehr darauf ankam, einen bestimmten Schwerpunkt zu vertiefen, obwohl ich das zunächst im Bereich Diakonie beabsichtigte, sondern in der ganzen Bandbreite des theologischen Fächerkanons zu hören und zu lernen. Insgesamt würde ich meinen persönlichen Schwerpunkt nun nach erfolgter Studienzeit als den eines praktischen Theologen bezeichnen. Der Ort der praktischen Theologie liegt eben im Bereich der Universitätstheologie in der Reflektion der kirchlichen Praxis, so dass es gar nicht abwegig ist, inhaltliche Ansätze aus allen sonstigen Fachrichtungen in die Praktische Theologie zu integrieren, soweit das von Nutzen ist. Das trifft auf die exegetischen Fächer des Alten Testaments und Neuen Testaments ebenso zu, wie für die Systematische Theologie und die Kirchengeschichte. So könnte denn auch das Ergebnis des Kontaktstudiums sein, dass ich erneut stärker darauf achten werden, in allen Bereichen des pfarramtlichen Handelns die Sachverhalte der Theologie stärker ins Gespräch zu bringen bzw. als Richtschnur vorauszusetzen, als bisher, bzw. dort, wo ich es bislang schon getan habe, dies noch reflektierter zu tun.

Bevor ich auf die Darstellung der Inhalte komme, noch einige Informationen zum leben an der Kirchlichen Hochschule Bethel. Da ich von den Voraussetzungen meiner eigenen Universitätsausbildung her, als ordentlicher Student eingeschrieben war und nicht als Gasthörer, nahm ich an den Angelegenheiten der Hochschule Anteil z.B. an der Vollversammlung der Studierendenschaft. Ich war außerhalb Bielefelds in Spenge untergebracht, nahm daher an der Mensaverpflegung teil und verbrachte meine Pausen im Hörsaalgebäude, den Präsenzbibliotheken oder auf Spaziergängen in Bethel. Auch mit Studentinnen und Studenten ergab sich so mancher Kontakt. Wenn ich mal auf das Auto verzichtete, war ich meistens früh genug vor 10 Uhr in der Hochschule, so dass ich die Andachten besuchen konnte. Insgesamt vier Mal trug ich mich selber in die Andachtsliste ein, einmal war es eine Dialog – Andacht. Ich konnte so meine pastorale Übung ein wenig behalten. Außerdem war es für mich gerade eine schöne Erfahrung, dass das Hochschulleben durch diese geistliche Begleitung besser zusammenhielt, denn Studierende wie Hochschullehrer trugen sich in die Andachtsliste ein. Erst zum Ende des Semesters ließt das Interesse etwas nach. Sehr schön war auch der sogenannte Theoball. In der Nacht vor dem ersten Advent feierte die ganze Hochschule den Übergang in das neue Kirchenjahr so, als wäre es Silvester. Nach einer einstündigen Kabarettvorführung, wobei natürlich die Lehrenden nachgespielt wurden gab es Tanz und Disko. Um 24 Uhr spielte noch einmal der kleine Posaunenchor, wie schon im Theaterstück und alle sangen zur Begrüßung der Adventszeit: Tochter Zion. Das Thema des Theoballs hatte einen durchaus ernsten Hintergrund: „Bethels letzte Tage“. Es war in der Tat im Gespräch, die Hochschule in Bethel solle in 2 – 3 Jahren geschlossen werden. Professor Jäger informierte in seinen Vorlesungen immer ein wenig darüber. Erst als es gelungen war, den Leitbildprozess zum Abschluss zu bringen, war die Existenz der Betheler Ki Ho über 2005 hinaus gesichert. In diesem Semester wurde auch mangels Interesse das Frühstücksangebot in der Mensa „Remter“ aufgegeben. Weiterhin wird das Mensagebäude im nächsten Semester ganz geschlossen und die Mensa in einen anderen Raum umziehen. Ich denke, das ist alles für die Kirchliche Hochschule kein Problem, da die Studierendenzahl in den einzelnen Seminaren recht niedrig ist, meist unter 20, und daher die z.Zt. vorgehaltenen Räume einfach noch zu groß. Trotzdem ist die Schließung des Remter für die eingefleischten Fans der Kirchlichen Hochschule ein Einschnitt, deutet es doch auch auf eine mögliches Ende der Hochschule hin, das jetzt erst einmal abgewendet ist.

Bewusst habe ich diese Beobachtungen an den Anfang gestellt, zu denen noch die Semester – Anfangs und – Schlussgottesdienste und das Adventsliederspiel des Ki – Ho – Posaunenchores in der Vorlesungspause am Mittwoch zu zählen sind. Ergänzend ist zu berichten, dass ich an zwei Habilitationsvorlesungen, einer Gastvorlesung und einer Probevorlesung teilgenommen habe und so auch diesen Bereich des Hochschullebens gut miterleben konnte. Für mich persönlich haben solche theologischen Vorträge ohnehin immer einen besonderen Reiz, da die Referenten dabei gern eine wichtige Erkenntnis ihrer Forschungsarbeit mitteilen: Dr. Udo Krolzik verband seine Umhabilitation von Hamburg nach Bethel mit einer Verbindung aus historischen Erkenntnissen über die Entstehung von Diakonie und der Mitteilung der heutigen Situation und stellte sich damit als neue Lehrkraft an der Kirchlichen Hochschule vor. Im Hauptberuf ist er Geschäftführer des Ev. Johanneswerks in Bielefeld. Dr. Dirk Stanitzke hielt seine neutestamentliche Probevorlesung über den Begriff des „diakonos“ den er als Vermittler deutete. Damit zog er eine deutlich korrigierende Linie zum Verständnis der Diakonie, der wieder mehr vermittelnde als eine dienende Funktion zukomme. Dr. Schmid hielt seine Antrittsvorlesung im Fach Kirchengeschichte. Sehr interessant konnte er im Bereich der frühen Kirche zeigen, dass sich erst mit der Verbreitung der neutestamentlichen Schriften die Form des Buches (Kodex) gegenüber der einer Rolle (z.B. Tora) durchsetzte. Das Urchristentum nutzte also zu seiner Verbreitung ein für die damalige Zeit fortschrittliches Kommunikationsmittel. Die Gastvorlesung des Vertreters der Paderborner katholischen Hochschule Prof. Fuhs (Das Bildungsprogramm des Sprüchebuches) zeigte auf, dass die Abfasser des Sprüchebuches damit ein bestimmtes Bildungsprogramm verbanden: Sprüche 1,1 – 4: „1 Dieses Buch enthält in Sprüche gefasste Ratschläge fürs Leben von Salomo, dem Sohn Davids und König von Israel. 2 Sie zeigen uns, was Weisheit und echte Bildung ist, damit wir merken können, wo mit Einsicht über etwas geredet wird. 3 Mit ihrer Hilfe kommen wir zu einer guten Bildung und lernen, wie wir unser Leben richtig führen und immer auf dem geraden Weg bleiben. 4 So können wir auch junge und unerfahrene Menschen zu Klugheit und Besonnenheit führen.“

Und dies war auch der Alltag an der kirchlichen Hochschule. Die Gespräche am Rande, teilweise mit jungen, aber auch mit einige älteren Studierenden, wohl teilweise im Gasthörerstatus waren mir ebenso wichtig wie die Lehrveranstaltungen. Auffallend war an der Hochschule der hohe Anteil ausländischer Studierenden, mehr als 10 % der Studierendenschaft. Die größte Gruppe unter ihnen waren Koreaner, teilweise mit Frau und Kinder hierher gekommen. Es war immer wieder erstaunlich zu sehen, mit welchem Engagement sie sich der ungeheuren Leistung unterzogen, die für sie fremdsprachigen Vorlesungen zu hören. Zum Erwerb des Doktortitels etwa, müssen einige von ihnen noch Griechisch, Latein und Hebräisch lernen.

Und nun zur Arbeit in den Seminaren und Vorlesungen. Im folgenden möchte ich die Lehrveranstaltungen vorstellen, und zwar im Ablauf der Woche. Dies hat seinen Grund darin, dass für mich persönlich die erste Vorlesung und die letzte Vorlesung jedes Mal die Wochenhöhepunkte waren, sodass ich nun bei der Schilderung meines Lernweges mit dem ersten Höhepunkt beginne und dem letzten aufhöre.

Vorlesung. Pastoraltheologie. Professorin C. Dahlgrün.

Resümierend müsste man festhalten: Wenn auch Frau Prof. Dahlgrün nicht an Ermutigung sparte, so hat sie dennoch insgesamt ein sehr dunkles Bild vom Pfarrerberuf gezeichnet. Dabei und darin war sie durchaus gründlich. Den Begriff des „Amtes“ hat sie auf das Pfarrersein bezogen und sich dabei auf die Geschichte der Kirche und auf das Neue Testament berufen. Auch wenn in der evangelischen Konfession jeder Christ und jede Christin Zeuge Jesu Christi für die Welt ist, steht doch die Person, die das besondere Amt der Verkündigung hat der Gemeinde auch gegenüber, und zwar schon in den Frühzeiten der Kirche. Aus zunächst geistgewirkten Funktionen wuchsen feste Aufgaben. Die Amtsträger waren aber immer Teil der Gemeinde. Auch Frauen hatten solche Ämter im Anfang der Kirche schon inne. Nach der priesterlichen Prägung des Pfarramtes seit dem Wechsel des Christentums in die staatskirchliche Rolle, kam mit der Reformation wieder der ursprüngliche Charakter einer besonderen Funktion innerhalb der Gemeinde zum Tragen. Doch dadurch, dass Martin Luther die Heilige Schrift als eigentliche Offenbarungsquelle betonte, rückte er gleichzeitig die Pastoren als deren Fachleute in eine besondere Position. Sie trugen nun das Amt der Verkündigung. Innerhalb des landesherrlichen Kirchenregiments waren sie indirekt sogar Staatsdiener. Im Folgenden skizzierte Frau Prof. Dahlgrün den Ausbildungsweg ins Pfarramt über Studium und Vikariat. Eine besondere Bedeutung erhält die Ordination, die faktisch keine Priesterweihe ist, aber durch den Vollzug der Handlung, besonders mit der Form der Handauflegung, offensichtlich mehr als eine Beauftragung zum Verkündigungsamt darstellt. Interessant ist auch, dass sich diese Form bei den Pfarrereinführungen wiederholt. Im Zusammenhang mit der Erläuterung des Dienstrechtes zeigte sie, dass die EKD noch kürzlich die Bedeutung des Pfarrhauses herausgestellt hat und dass wohl auch an der Wahrnehmung der Residenzpflicht in einer recht verstandenen Pfarrerrolle kein Weg vorbei führe. Zum Thema Rolle? Wie solle man diese nun gerade nennen: Amt, Dienst, Beruf, Profession, Rolle oder anders. Der traditionelle Begriff des Amtes hat immer noch seinen guten Wert, auch der Begriff des Dienstes. Besser als Beruf und Rolle scheint nach Isolde Karle der Begriff Profession, der Pfarrerinnen und Pfarrer dann in der Dienstausübung den Ärzten vergleichbar erscheinen lässt. Ein besonderer Teil widmete sich Frauen im Amt. Im Vergleich zu den männlichen Kollegen scheinen sie über eine bessere kommunikative Kompetenz zu verfügen. Für die Teilzeit – Ausübung des Pfarrerberufs ist Frau Prof. Dahlgrün nur sozusagen im Notfall und für eine kurze Zeit. Auf keinen Fall gehören ihrer Meinung nach Ehepartner als Kollegen in die gleiche Gemeinde. Teildienstbeschäftigte sind finanziell ohnehin schlechter gestellt.

Welche Erwartungen sind an Pfarrerinnen und Pfarrer zu stellen? Immer stärker kommt das Wirkungsfeld der Religion in den Blick: Gottes Wort ins Leben übersetzen, bescheiden und einfach leben, schweigen und beten können, Zeit haben, Lesen und nicht aufhören zu fragen, das Leben kennen, den Erwartungen gerecht werden, Entscheidungen treffen, dennoch nicht pfarrerzentriert agieren.

Im zweiten Teil kam die Kirche und das Verhältnis zur Pfarrerschaft in den Blick. Soll Kirche Gemeinde der Heiligen sein, dann führen Pfarrerinnen und Pfarrer ins Heilige und sind „Geistliche“. Die Kirchentheorien werden diesem notwendigen Anspruch nicht immer gerecht. Kirche scheint es oft nur um Bestandswahrung zu gehen, dies durch Theorie, durch Entfaltung der Volkskirche in der Gegenwart oder durch Besinnung auf historische Einsichten. Die Volkskirche scheint ja noch gut zu existieren, sofern sie sich der Bedürfnisbefriedigung auch distanzierter Kirchenmitglieder nicht verschließt. Der Weg zum Management und Controlling scheint nicht weit. Stattdessen rückte Frau Prof. Dahlgrün im Folgenden die Person des Pfarrers und der Pfarrerin in den Vordergrund. Schon an Literaturzitaten wird deutlich, dass dies wohl eine schwache Seite dieses Berufes ist. Wer so mit seiner Person für die Sache einsteht, scheint um so angreifbarer zu sein. Das Pfarrhaus und die Familie sowie das Freizeitverhalten sind in diese herausgehobene Stellung einbezogen. Ohne eine gute Form der eigenen Spiritualität sind ihrer Meinung nach Konflikte vorprogrammiert. Diese schilderte sie dann im Zusammenhang mit den sogenannten Problemfeldern: Umgang mit Macht, Sexualität, Aggression, Glaubenszweifel, Überforderung oder Überlastung, Geld und Politik. Zu den Bereichen pfarramtlichen Handelns gehören: Leitungshandeln, Verkündigung, Bildung und sakramentales Handeln. Mit diesem Begriff brach die Vorlesung sozusagen ab.

Überblicksvorlesung. Reformatorische Theologie. Eine Einführung. Prof. A. Jäger.

Auffallend war zunächst der Ort der Vorlesung: SB 2, ein Hörsaal im Studentenheim Burse mit einem großen ovalen Tisch in der Mitte. Die Studierenden sitzen, so es geht im Kreis, weitere Stühle mit Schreibbrettern sind an den Wänden rundum. Diesen Raum, so hörte ich, hatte Prof. Jäger in seiner Rektoratszeit einrichten lassen. Herr Jäger begrüßte die Runde der Studierenden oft mit aktuellen Beobachtungen oder Zitaten einer Zeitungslektüre. Er stellte so, wenn auch meist nicht inhaltlich verknüpft, so doch formal immer einen aktuellen Bezug her. Die Geschichte der reformatorischen Theologie war für ihn eine Befreiungsgeschichte, die Reformation eine Befreiungsbewegung und die reformatorische Theologie eine Befreiungstheologie. Doch die christliche Freiheit ist keine absolute Freiheit, sondern eine Freiheit in und durch eine ausschließliche Bindung: Das ist die christliche Freiheit: Der Glaube allein. Die Vorlesung folgte einigen theologischen Hauptwerken der Reformationszeit. Im Mittelpunkt stand die Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Sie begründete die Paradoxie der Freiheit des Christen, ein freier Herr über alle Dinge und gleichzeitig ein dienstbarer Knecht aller Dinge zu sein. In Anlehnung an Gedanken der Mystik zeigt Luther, dass Gott selbst durch den Glauben im Menschen Rechtfertigung wirkt: Gott ist Richter. – Du bist angeklagt. – Der Richter spricht dich frei.

Es zeigte sich, dass Freiheit nicht als Autonomie verstanden wird, sondern als Freispruch durch Gott, als Handeln Gottes, nicht als freie Entscheidung des Einzelnen. In der Unterscheidung Gott als Vater und Sohn in der Trinität liegt für Luther die Begründung in der Aufteilung der christlichen Lebenserfahrung in zwei Reiche, letztlich der Welt und der Kirche. Prof. Jäger skizzierte diese folgenschwere Unterscheidung für das Neuluthertum und dessen Obrigkeitsdenken. Am Beispiel des Alternativmodells von Karl Barth „Christengemeinde und Bürgergemeinde“ zeigte er auch die Möglichkeiten dieses Denkens für einen Leitbildprozess in kirchlichen Unternehmungen, ja kirchlichen Institutionen auf. Von der Freiheitsschrift aus, wurden immer wieder Themen der reformatorischen Theologie behandelt. Das Kernstück ist die Rechtfertigungslehre: Die Gültigkeit des Gesetzes ist ja nicht aufgehoben. Aber es wird erstens gesagt, dass der Mensch sie nicht erfüllen kann, und 2. das Gott diesen Anspruch selbst einlöst: Glaube und Liebe erfüllen das Gesetz: Justitia passiva – Gerechtigkeit als Geschenk. In der Christologie folgt für Luther daraus das zweifache Amt Christi als König und Priester, von Calvin dann auf die Zahl drei mit der Definition des Prophetischen erweitert. Das besondere daran ist nun zunächst bei Luther, dass Christus diese seine Würde den Christen mitteilt und sie damit alle zu Königen und Priestern macht: ein geistliches Königtum, Freiheit und Vollmacht, und ein allgemeines Priestertum. Mit dieser Wendung zum „Pro me“ leitet Luther zur Begründung der Ethik als Ethik der Freiheit über. Äußerlich gesehen ist das Leben eine Peregrinatio, eine Pilgerschaft mit täglichen Schritten zur Vollendung, zum ewigen Leben. Menschsein ist Arbeit. Die Ethik kann nicht in Gesetzen begründet sein, sondern im Empfangen des Wortes. In jeder Predigt wird das Gesetz im theologischen Sinn und das Evangelium weitergegeben. Aus der doppelten Zuwendung Gottes im Zorn und in der Gnade erfolgt aus Reue der Empfang des Heils. Daraus folgt im Alltag doch immer, dass das Zusammenleben mit anderen Menschen an erster Stelle steht: Dort geht der Glaube mit Lust und Liebe ans Werk. Daraus folgt auch das Verständnis des Dienstes: Die guten Werke tue ich umsonst, als Weiterverschenken der empfangenen Freiheit Gottes. Das schließt im Großen das rechte Verhältnis zur Obrigkeit ein, damit ist jeder Christ ein politischer Mensch. Das Kriterium der guten Werke ist nur noch die Nächstenliebe. Ökonomie beruhte für Luther noch auf dem Prinzip des Schenkens, wohl auf Gegenseitigkeit.

Vielleicht ist in diesem kleinen Bericht über diese Vorlesung deutlich geworden, dass ein Blick auf die Grundzüge der reformatorischen Theologie immer auch spannend und aktuell war, natürlich auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass von dort aus Entwicklungen angestoßen wurden. Prof. Jäger schilderte dann noch andere reformatorische Grundautoren und deren Verhältnis zueinander: Zwingli, Müntzer und Calvin. Einen breiten Raum nahm dann noch die Entfaltung der Anthropologie bei Erasmus, Luther und Zwingli ein und deren Folgen für die Gotteslehre. Luther war der Entdecker des verborgenen Gottes neben dem Gott der Offenbarung. Zwinglis Gottesverständnis lag in der Nähe des summum bonum, des höchsten Guten. Luther wies die Beschreibung des freien Willens des Erasmus zurück, als einer der der Gnade Gottes zum Heil mitzuwirken im Stande sei. Der Mensch ist für Luther im Bild gesprochen ein Esel, der entweder vom Teufel oder von Christus geritten wird. Einen Synergismus lehnte er strikt ab. Dabei ist schon für Luther die Erwählung Gottes immer die Erwählung zur Gnade. „Mensch sein heißt existieren zwischen Gott und Gott“ (Ebeling). Auf der Ebene theologischer Ausarbeitung zeigte Luther die begrenzte Wirkung der Vernunft und damit den begrenzten Einfluss der Philosophie auf die Theologie auf, eine Fragestellung, die auch noch in anderen Bereichen der Theologie begegnet. Die gedankliche Schwierigkeit dieser Prädestinationslehre (Vorherbestimmung), die aber letztlich im absoluten Vorrang der Gotteslehre begründet ist, löste Calvin in die sogenannte doppelte Prädestinationslehre auf: wer das Wort empfängt und glaubt ist zum Heil, die anderen zum Unheil vorherbestimmt. Nach Max Webers These über die Entstehung des Kapitalismus hat dieser Zug reformatorischer Theologie mit zur Begründung kapitalistischer Wirtschaftsform beigetragen: Wirtschaftlicher Erfolg mit gleichzeitigem Konsumverzicht führte zur Ansammlung von Produktivkapital.

Für mich persönlich war es wichtig zu sehen, dass Prof. Jäger die Grundgedanken der systematischen Theologie mit Fragen der Wirtschaftsethik in Kirche und Gesellschaft in Verbindung bringt. Er hat als erster die allgemeine Wirtschaftsethik auf diakonische Unternehmen angewandt: „Diakonie als christliches Unternehmen.“ Gütersloh 1986, 4. Auflage 1993. Wenn in Bethel nun, wie aktuell zu lesen war, ein berufsbegleitender Studiengang für Diakoniewissenschaft eingerichtet wird, wird dazu das Konzept von Prof. Alfred Jäger sicherlich maßgeblich sein. Ich schreibe dies allerdings im Bewußtssein, dass es an der kirchlichen Hochschule ebenfalls einige Lehrende gibt, die dem Ansatz der Unternehmensberatung auf die Kirche bezogen kritisch gegenüberstehen, wie es ja in der Pastoraltheologie – Vorlesung von Frau Prof. Dahlgrün deutlich wurde. Herr Prof. Jäger hat in seinem Beratungskonzept aber einen ausgesprochen theologischen Schwerpunkt. Wenn die Grundentscheidungen der Theologie in einem christlichen Unternehmen oder in einer Gemeinde praktischen Ausdruck finden, dann findet sich in dieser Einrichtung auch eine christliche Unternehmensidentität (Corporate Identity). Dass die auch die Grundzüge des reformatorischen Freiheitsbegriffes sein können, hat Prof. Jäger in dieser Vorlesung eindrücklich gezeigt.

Überblicksvorlesung. Der Mensch in der Sicht der theologischen Anthropologie und Ethik. Prof. J. von Lüpke (Kirchliche Hochschule Wuppertal).

Diese Vorlesung wurde im Rahmen des Kooperationsvertrages der Kirchlichen Hochschule Bethel mit der Kirchlichen Hochschule Wuppertal von Prof. von Lüpke gehalten. Es ist nicht leicht, diese Arbeit so knapp zusammenzufassen, wie die Vorlesung über reformatorische Theologie. Andererseits möchte ich im Rahmen des Berichtes auf eine referierende Zusammenfassung verzichten. Die Frage einer christlichen Lehre vom Menschen wurde dafür in zu vielen Bezügen referiert, die man unmöglich nur kurz schildern kann. Biblische Texte wie die Schöpfungsgeschichte nach Genesis 1und 2 und die Geschichte von Kain und Abel wurden genauso gut herangezogen wie Texte der lutherischen Konkordienformel und den Confessiones von Augustin zur Gottebenbildlichkeit, Luthers Anthropologie in der Auslegung des Magnificats, aber ebenso Texte von Aristoteles, Goethe und Nietzsche. In Auseinandersetzung mit letzteren erörterte Prof. von Lüpke zuletzt als Zusammenfassung die christliche Freiheit im Prozess als Loslösung, Die Sehnsucht nach dem uneingeschränkten Ja, Freiheit im Widerspruch, Die seelische Balance und das Gegengewicht des Wortes Gottes in Kritik und Zuspruch. Zunächst ging es natürlich um den Ort der Anthropologie im Rahmen der christlichen Theologie. Exemplarisch stand dafür Ernst Troeltsch vor Augen, der in Anlehnung an Schleiermachers „frommem Selbstbewusstsein“ die Stellung der Anthropologie am Beispiel des christlichen Seelenbegriffes erläuterte. Für Prof. von Lüpke dagegen steht die Anthropologie nicht am Anfang der Theologie, sondern zwischen Dogmatik und Ethik, da der Mensch immer auch ein Wesen ist, das sich zu verhalten hat. Dies hat nach der Theologie Karl Barths im rechten Sinn in der Dogmatik, das heißt in der Gotteslehre begründet zu sein: „Der Mensch bedarf der Vergebung, des Lebens von Gott her.“ Aus der Urgeschichte der Bibel zeigt sich: Er wird als Mensch das, was er als Ebenbild Gottes ist. Das Wort Gottes gilt jeden Augenblick neu. Dabei zeigen sich vier Bestimmungen: als Geschöpf ist der Mensch Gottes Ebenbild, in der Welt ist er ein Wesen in Beziehungen, in Beziehung zu Gott steht er im Widerspruch, das Verhältnis zu seinesgleichen und zu sich selbst ist ebenfalls widersprüchlich. Die Selbstverfehlung des Menschen (Sündenfall, Kain und Abel) ist gleichzusetzen mit dem Verfehlen seiner Geschöpflichkeit, die in der Formula Concordiae von der eigentlichen Erbsünde noch einmal unterschieden wird. Dennoch ist für Prof. von Lüpke die Gottebenbildlichkeit lehrbildend: „Den Menschen als Ebenbild Gottes zu erkennen, bedeutet seine ganzheitliche Annahme im Geist der Liebe.“ Die Erbsünde ist der Zustand der Eigenbemächtigung des Menschen, sie ist zugleich auch ein Verlust an Beziehung, wenn auch die Gottebenbildlichkeit bestehen bleibt. Aus Augustins Beobachtung, dass der Mensch mit dem „Herzen“ Gottes Wort vernimmt, kommt er später auf die Bestimmung des Herzens als Mitte des christlich verstandenen Menschen. Die Bestimmung der Vernunft ist dagegen theologisch immer kritisch: Die Vernunft kennt nicht das zugrunde liegende Wort Gottes und ist außerdem zweideutig, ist gut, geschöpflich, aber auch unter der Macht des Teufels (nach Martin Luther). Gott handelt durch die Rechtfertigung des Menschen (dazu Gerhard Ebeling, 3 Bände über die Disputatio de homine). Die Geschöpflichkeit des Menschen in Bezug auf seine Leiblichkeit zeichnete er nun aus im Hinblick auf die ethischen Grundfragen, die zur Zeit in der Debatte um die Bioethik gestellt werden. „Eine Person hat einen Körper nur indem sie Leib ist.“ Die Entstehung des Leibes ist ein Kommunikationsprozess. Jede verdinglichende Sicht ist abzulehnen. Leib und Seele wirken in der Sprache zusammen. Jeder Mensch ist Autor, Sprache und Kommunikation ist demnach auch leibgebunden. Der Theologe Hamann brachte in Königsberg als Zeitgenosse gegen Kant gerade dieses ins Spiel, dass Denken auf Sprache beruht und also immer etwas mit Kommunikation zu tun hat. Menschliche Vernunft ist, auch auf dem Hintergrund der Geschöpflichkeit allein ver – „Antwort“ – liche Vernunft.

Übung. Texte zur aktuellen bioethischen Diskussion. Prof. J. von Lüpke.

Diese Übung stand, wie es schon der Titel sagt, ganz im Zeichen der Bioethik. Ich persönlich habe gerade in dieser Zeit erfahren, dass ich durch die gründliche Beschäftigung mit einem Thema, nicht nur eine fundierte Position gewinne, sondern möglicherweise auch eine andere. Ich möchte zunächst einmal schlicht aufführen, welche Literatur wir gelesen haben:

Im Geist der Liebe mit dem Leben umgehen. Argumentationshilfe für aktuelle medizin- und bioethische Fragen. Ein Beitrag der Kammer für öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland. EKD Texte 71, Hannover 2002.
Verantwortung für das Leben. Eine evangelische Denkschrift zu Fragen der Biomedizin. Erarbeitet von Ulrich Körtner in Zusammenarbeit mit Michael Bünker. Evangelische Kirche A. und H. B. in Österreich. Wien 2001. veröffentlicht in epd Dokumentation 4/2002
Salzburger Erklärung zur sogenannten Bioethik. Internationales Symposion feministische Ethik, Salzburg 2002. veröffentlicht im Internet.
Reinhard Merkel. Rechte für Embryonen? Die Menschenwürde lässt sich nicht allein auf die biologische Zugehörigkeit zur Menschheit gründen. In: Biopolitik. Die Positionen. C. Geyer (Hg.). Frankfurt 2001. S. 51 – 64
Robert Spaemann. Gezeugt, nicht gemacht. Die verbrauchende Embryonenforschung ist ein Anschlag auf die Menschenwürde. Ebd. S. 41 – 50
Robert Spaemann. Wer jemand ist, ist es immer. Es sind nicht die Gesetze, die den Beginn eines Menschenlebens bestimmen. Ebd. S. 73 – 81
Wolfram Höfling. Wider die Verdinglichung. Auch „überzählige“ Embryonen sind vom Grundgesetz geschützt. Ebd. S. 240 – 246
Der Geist ist aus der Flasche. P. Meinert. Neue Westfälische. 28. 11. 2002.
„…Wenig niedriger als Gott.“ Das christliche Verständnis vom Menschen in den Herausforderungen unserer Zeit. Kundgebung der 9. Synode der EKD, Nov. 2002.
Thesenreihe zu dieser Kundgebung als Beschluß der EKD Synode. Beides auch in der epd Dokumentation 48/2002
Referat zum Schwerpunktthema der EKD Synode „Was ist der Mensch?“ von Dr. Renate Köcher. In Kopie (wir haben es nicht behandelt)
Jürgen Habermas Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik? Frankfurt 2001.
Cownerie mit dem Klon. Der raelianische Rummel verwirrt die Köpfe. Ein Plädoyer für Liberalität und Realismus in der Bio – Ethik. Von Volker Gerhardt. Tagesspiegel vom 7.1.2003.
Kinder der Technik. Visite bei Fortpflanzungsmedizinern: Wie Ärzte Paaren helfen, bei denen der Nachwuchs ausbleibt oder von Krankheiten bedroht sind. Adelheid Müller – Lissner. Tagesspiegel vom 8.1.2003.
Wer wagt, verliert. Diese Woche tagt der Nationale Ethikrat zur Klon – Frage – und muss Antworten geben. Ein Plädoyer gegen den biotechnischen Wahn. Von Julian Nida – Rümelin. Tagesspiegel vom 12. 1. 2003. (diese Artikel vom Tagesspiegel wurden nicht behandelt, zeigen jedoch den Stand der Tagesaktualität des Themas im Januar 2003)
„Menschen machen nach unserem Bild“. Ein 15 – minütiger Videofilm für den Unterricht vom FWU/Matthias Film.
Lexikon der Bioethik. 3 Bände. Gütersloh 1998.
Alle Grenzen werden fallen. Ray Kurzweil. Aus dem amerikanischen von M. Bischof. Erschienen in der FAZ (wann?)
Jürgen Habermas. Glauben und Wissen. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Frankfurt 2001.
Darf der Mensch einen Menschen nach eigenem Bilde schaffen. Reproduktionsmedizin ist mit der angeblichen Geburt eines Klonbabys zum ambivalenten Thema geworden: Die evangelische Kirche appelliert an die Verantwortung von Eltern und Ärzten. Wolfgang Huber. FAZ vom 11. 1. 2003
Mae – Wan Ho. Das Geschäft mit den Genen. Kreuzlingen/ München 1999. (Über diese gegenüber der Gesamten Gentechnologie kritischem Buch habe ich ein Referat gehalten. Ich habe es zufällig in einem modernen Antiquariat entdeckt.)
Die Hilflosigkeit der Moralphilosophie angesichts des Klonierens. Christian Thiesin: Die Zukunft des Wissens. Konstanz 1999 S. 408 – 415
Argumentieren angesichts der Gentechnik. Christopher Frey. In: Wege zum Menschen. Nov./Dez. 2002, S. 453 – 485.
Die Reihenfolge der Liste zeigt den Ablauf dieses Gesprächsgangs. Nur einige kurze Beobachtungen möchte ich noch nennen: Wir haben uns schwer getan, besonders zu Beginn. Für mich gab es dennoch schon bald einige klare Essentials:

Das Leben eines Menschen ist unantastbar, das menschliche Leben auch. Die Differenzierung der EKD – Schrift in dieser Frage trägt eher zur Verwirrung als zur Klarheit bei.

Der Begriff der Person beruht aus christlicher Sicht auf einer Zuschreibung der menschlichen Würde und des Menschseins. Die Würde einer Person ist nicht in ihren Qualitäten begründet, sondern in ihrer von Gott gegeben Bestimmung. Daher können auch Embryonen unter dieser Personensicht behandelt werden, auch wenn sie sich nicht selbst vertreten können.

Die Entstehung des menschlichen Lebens ist ein Prozess, der jedoch mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle die besondere menschliche Qualität erhält, und nur deswegen interessieren diese Zellen ja auch die Forschung.

Mögliche Eingriffe an der genetischen Ausstattung eines Menschen, vielleicht auch nur die Tatsache der persönlichen Herkunft aus einem genetischen Selektionsprozess, können die Selbstbestimmung eines Menschen in Frage stellen, der nach Habermas „Autor der eigenen Lebensgeschichte“ ist.

Abgesehen davon stehen solche eugenischen Selektionen, auch wenn sie in der besten Absicht geschehen, mögliche Genkrankheiten verhindern zu wollen, unter dem Verdikt der Rampe von Auschwitz, das heißt der Auslese lebenswerten und lebensunwerten menschlichen Lebens.

Das vielleicht ein wenig unter einer bestimmten globalen Idee verzeichnete Buch von Mae – Wan Hoe trägt trotzdem so viele Bedenken gegen jedwede gentechnischen Verfahren vor, dass nun für mich diese „Technik“ noch zu sehr unter dem Verdacht steht, eine Zeitbombe darzustellen. Was kann bei genetischen Rekombinationen unter dem Einfluss sogenannter Gentherapie entstehen? Wie kann man sicher ausschließen, dass aus völlig harmlosen Viren neue Epidemien entstehen, wenn sie gentechnologisch angewandt und so ja zwangläufig in der menschlichen Gesellschaft freigesetzt werden?

Gerade diese Fragen zeigen, was uns zum Teil die Diskussion doch erschwert hat: Wir sind oft nur sehr mühsam zu ethischen und anthropologischen Fragen vorgestoßen, weil sich uns die Sachproblematik und damit die biologischen und biotechnischen Sachfragen in den Weg stellten. Der Artikel von Kurzweyl zeigt ja, dass die Biotechnik zur Zeit mit hohen Erwartungen gehandelt wird. Die Frage ist z.B. bei der In – Vitro – Fertilisation schlicht: Ist es nicht eine Frage ärztlicher Verantwortung nur solche Embryos in den Mutterleib einzupflanzen, die nach bestimmten Kriterien genetisch in Ordnung sind, um das Risiko einer spätere Abtreibung bei diesem komplizierten Verfahren schon zu Beginn zu vermindern? Doch mit der positiven Entscheidung dieser Frage geschieht Prägimplantationsdiagnostik (PID) und eigentlich dann auch schon Selektion, ob man will oder nicht. Es ist dann schon konsequent, wie Bischof Huber es tut, den Paaren, die es betrifft, von der künstliche Befruchtung insgesamt abzuraten. Trotzdem: auch im Reagenzglas beginnt menschliches Leben, und vielleicht aus der Rückschau dann nach neun Monaten, hat das Leben eines Menschen angefangen.

Übung. Liturgie und Kunst. Frau Prof. C. Dahlgrün und Herr Prof. F. Vouga.

Die Rückschau auf diese Übung nötigt mich zu einem essayistischen Stil. Worin sich Frau Prof. Dahlgrün und Herr Prof. Vouga einig waren, so denke ich, ist die Ablehnung der Postmoderne im Raum des kirchlichen Lebens. Damit verbinden sie: nivellierende Mischung von Formen statt verdeutlichende oder kritische Kreativität, Anpassung an den Zeitgeist statt bewusste Betonung der Glaubensthemen, Neuauflage bestehender Kunst unter subjektivistischen Vorzeichen anstelle neuer und gekonnter Ausprägung professioneller Kreativität. Doch eigentlich waren sie sich ja nicht einig. Es ging nicht um das Thema maskulin oder feministisch, sondern wie es teilweise schien, um konfessionelle Prägungen durch Luthertum (Dahlgrün) oder reformiertes Bekenntnis calvinistischer Prägung (Vouga). Doch ihre Ausarbeitung über die Entstehung der Kirchenmusik zur Reformationszeit und die Rolle von Luther und Calvin zeigte, dass sie sich darin eigentlich ziemlich einig waren. Calvin war entgegen landläufiger Meinung kein Purist, sondern der Erfinder des vierstimmigen Gemeindegesangs. Luther ging natürlich noch weiter und schrieb nicht nur Lieder zu weltlichen Melodien, sondern begrüßte ausdrücklich auch instrumentale, nicht wortgebundene Musik im Gottesdienst. Doch welcher Streit der Theologen soll in dieser Übung ehrlich ausgetragen, aber nicht vertieft werden? Ich möchte einmal vorsichtig die Behauptung wagen, dass der grundsätzliche Dissens darin besteht, dass Herr Prof. Vouga für die fortgesetzte Bedeutung der Moderne eintritt, für deren ausgereifte Ausprägung er das Grundverständnis und die Gestaltungsmöglichkeiten des reformierten Bekenntnisses hält, was unter anderem in der eindrucksvollen Ausgestaltung des Semesterabschlussgottesdienstes deutlich wurde. Frau Prof. Dahlgrün dagegen wies ja gerade auf die zur Zeit ablaufende Diskussion über Theologie und Film hin, wobei sie dann in der Form inhaltlicher Kritik zeigte, dass die filmischen Ausdrucksmöglichkeiten denen des Wortes (vielleicht der Predigt) nicht gerecht werden. Immerhin war sie es, die durch die Eingabe der Filme Teorema von Paolo Pasolini und Terminator II. auf diese Filmtheologie hinwies. Während sie die Verbindung von Liturgie mit Kultur nicht grundsätzlich ausschließt, zeigt sie doch, dass die Auswahl der Medien hierbei ein großes Gewicht hat. Sie sieht das Feld der Kultur als direkte Konkurrenz für die Sinndeutungspotentiale des christlichen Glaubens an, in dem Sinn: wer sein Leben durch einen Kinobesuch besser versteht, denkt nicht mehr daran, in die Kirche zu gehen. Für mich hatte diese Diskussion eine bestärkende Funktion: kurze Filmausschnitte im Gottesdienst zur Ausgestaltung der Predigt halte ich für denkbar. Die Aufnahme aktueller Alltags – Kultur im Bereich von Unterricht und Jugendarbeit ist sinnvoll und mache ich längst. Gewiss: Die Beispiele aus der profanen Kultur werden im Gottesdienst nicht eigentlich inszeniert, sondern nur zitiert. Dies ist auch dem Kunstwerk gegenüber Verfremdung und nicht immer sinnvoll.

Zunächst begann das Seminar mit einer gründlichen exegetischen Arbeit über den Christushymnus aus Philipper 2. Auch dieses ist ein Stück Poetik, die sich daran erkennen lässt, dass sich die Frage nach dem Inhalt immer ein wenig unscharf zeigt. Die Aussage lässt sich innerhalb einer Bandbreite von Möglichkeiten interpretieren. Ob derjenige, der sich in menschlicher Gestalt zeigt, in diesem Text schon als präexistent denkbar ist, muss und will offen bleiben. Es heißt in der Übersetzung des Texten von Prof. Vouga: „Welcher in Gestalt Gottes lebend, nicht als Raub verstand er das Gott – Gleich – Sein, sondern er entäußerte sich….“. Der Weg Christi beginnt in der Wirklichkeit Gottes, doch wie diese zu denken ist, sagt der Text nicht. Der Text zeigt eine dichterische Deutung von Erniedrigung und Erhöhung. Ich habe diesen Text in die Fassung eines neu formulierten Pfingstliedes hineininterpretiert, wobei mir selbst beim Schreiben des Textes deutlich war, dass die Poetik die Koexistenz von Bedeutungsebenen zulässt. [1]

Ein weiterer Text, der im Seminar eine Rolle spielte, war ein Ausschnitt aus der Erzählung des Markusevangeliums, die Geschichte von der Verkündigung am leeren Grab. Zuvor hörten wir als Beispiel moderner sakraler Musik die Vertonung der Markuspassion von Claudio Ambrosini, seinerzeit aufgeführt zum heiligen Jahr im Vatikan (2000). So mit dem Text konfrontiert, erschien die Ausgestaltung seiner Passion durchaus textgemäß, wenn auch dies zumal beim Hören von CD nicht im Ablauf des Stückes immer gut nachvollziehbar war. Die biblischen Erzählungen sind seit Jahrhunderten der Gegenstand von Kunst – und Musikschaffen. Das Stück von Abrosini zeigte, dass dieses auch noch unter modernen Vorzeichen gelingen kann. Sagt nicht auch schon die Bibel z.B. Kolosser 3, 16 mit seiner Parallele im Epheserbrief (Epheser 5, 19): „Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; [a] mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen.(a) (Eph. 5,19)“?

Die Beschäftigung mit bildhafter Kunst wurde durch einen Ausstellungsbesuch in der Kunsthalle Bielefeld präsent: Edvard Munch in Deutschland 1912. Ist es wirklich nur der neue Symbolismus der die Menschen in wahren Massen in solche Ausstellungen treibt? Beim erneuten Besuch der Ausstellung nach der Diskussion meinte ich erkennen zu können, dass die Ausstellung ganz betont die lebensgeschichtlichen Bezüge der Bilder Munchs in den Mittelpunkt stellte. Der revolutionäre Charakter seiner Formgebung als Wegbereiter des Expressionismus ist für das aktuelle Publikum unwichtig. Immerhin hat er das Bild „der Schrei“ aus eigener Hand fünfzigmal kopiert und damit alle bisherigen Gesetze der Kunst gesprengt. Bei einem bildenden Künstler stehen die Bezüge zur Lebensgeschichte plastisch vor Augen. Die Bilder verkörpern eine Auseinandersetzung mit den Lebensereignissen und seine bewusste Annahme. Hierdurch wird eigentlich deutlich was Habermas meint, wenn er den Menschen als „Autor seiner Lebensgeschichte“ bezeichnet. In dieser Hinsicht sind Liturgie und Kunst durchaus auch eine Konkurrenz, zumindest im Bereich der kulturell inszenierten Ausstellungs- Kunst.

Dass die Auseinandersetzung mit moderner Kunst dagegen völlig dem Subjektivismus anheim gegeben sein kann, zeigte die Videokopie des Theaterstückes „Die Kunst“ von Jasmina Reza, wobei aber die Aufführung selbst gleichwohl zu einem gekonnten künstlerischen Beitrag zu rechnen ist. In seinem abschließenden Bericht über die Bedeutung der Kommunikation unter dem Stichwort Konversation zeigte Prof. Vouga, dass auch die Liturgie vielleicht noch deutlicher als die Kunst die Einzelnen zur Interpretationsarbeit animiert: „Die Form der Konversation kennzeichnet auch die Verkündigung in der Predigt oder den Unterricht in der Katechese. Denn ihr Sinn besteht nicht einfach darin, biblische Aussagen und Lehrinhalte zu vermitteln. Ihr Auftrag ist vielmehr, selbstkritische und verantwortliche Subjekte zu einer doppelten Arbeit der Interpretation zu veranlassen: das Evangelium von den Fragen, den Schwierigkeiten, den Freuden und den Entscheidungen ihres Alltags her zu verstehen, und das alltägliche Leben vom Evangelium her zu deuten, zu verstehen und zu gestalten. Diese wechselseitige Aufgabe der Auslegung kennzeichnet das geistige Leben des Glaubenden, der seinen Alltag vor Gott lebt, der sein Vertrauen in seine Vorsehung vertraut, der den Sinn seiner Begegnungen, seiner Erfahrungen, seiner Handlungen und seiner Fehler in seinem Wort findet. Und das Hören des Wortes wird dadurch zum Ereignis, dass ein Gespräch, ein Roman, eine Musik oder ein Film die Bedeutung einer bisher dunklen oder verborgenen Wahrheit plötzlich beleuchtet.“

Hauptseminar: Neutestamentliche Jesuserzählungen. Prof. A. Lindemann.

Dieses Hauptseminar war für mich eine Herausforderung, allein schon deshalb, weil ich im Griechischen nicht mehr sattelfest bin. Trotzdem ging es dann doch ganz gut. Sicherlich hätte mir auch eine Aufbesserung der Sprachen insgesamt gut getan, aber dann hätte ich sonst nicht mehr viel anderes tun können. Herr Prof. Lindemann, seinerseits Herausgeber der Theologischen Rundschau und Verfasser eines Literaturberichts über die Erforschung der Evangelien hatte sich und uns zur Aufgabe gestellt, den „Erzähl – Ansatz“ praktisch zu erforschen und zu probieren. Dabei kamen keine Methoden in Betracht, die etwa reine Wortstatistik o. ä. betreiben, aber auch nicht zuerst die traditionellen historisch kritischen Methoden (soweit sie nicht unumgänglich sind, wie Übersetzung, Textkritik, Gliederung, synoptischer Vergleich). Im Laufe der Arbeit stellte sich heraus, dass die Ausgabe des griechischen Neuen Testaments von Nestle – Aland in der 27. Auflage für diese Arbeit geradezu hervorragend geeignet ist, wenn man davon absieht, dass sie die Abschnitte zwischen den einzelnen Kapiteln zu stark hervorhebt. Folgt man den Methoden der Erzähltheorie, dann wird der Text als Ganzes gelesen und kein Textteil etwa als zu jung ausgetrennt. Ein ausführliche Gliederung wird angefertigt, die besonders die handelnden Personen und ihre Tätigkeiten in den Blick nimmt. Weiterhin ist es nötig, die erzählte Zeit, der Zeitablauf in der Vorstellung, die die Geschichte ausdrückt, von der Erzählzeit auf der Ebene des Textes zu unterscheinen. Es wird gezeigt, mit welchen Ereignissen, meist durch Verben ausgedrückt, sich eine Anfangssituation in eine Endsituation verändert. Dabei ist es gerade im Hinblick auf das Markusevangelium interessant, mit welchen Mitteln sich der Evangelist selbst ins Gespräch bringt. Es ist die Ebene, mit der normalerweise der Schriftsteller/Erzähler das Geschehen kommentiert, mit der er Rückverweise einfügt oder auf zukünftige, in der Erzählung folgende Ereignisse verweist. Dazu sind in den Evangelien ausdrückliche oder implizite Zitate aus dem alten Testament meist in der Form der Septuaginta (griechische Übersetzung) zu lesen. Die Verweise im Text, die Parallelstellen bei anderen Evangelisten und die alttestamentlichen Zitate stehen im griechischen Neuen Testament von Nestle – Aland am Rand.

Wir haben uns an der Geschichte der Sturmstillung (Markus 4, 35 – 41) recht lange aufgehalten, um dort die verschiedenen Aspekte der Erzähltechnik aufzuzeigen. Es war für mich eine richtige Freude, dass ich eine Textanalyse mit der von mir erstellten Tabelle versucht habe, die einigermaßen auf Zustimmung gestoßen ist. Ich konnte allerdings auf die meisten Beobachtungen zu diesem Zeitpunkt zurückgreifen, die in der Arbeit des Seminars schon genannt waren. Interessant war auch zu sehen, wie die Erzählung in Form einer Predigt aufgegriffen wurde (Literatur: Helmut Siegel). Während der erste Text eine Erzählung über Jesus war, stellten wir uns nun einer Erzählung in der Verkündigung Jesu, dem Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus (Lukas 16, 19 – 31). Gerade aufgrund der erzähltheoretischen Ansätze kamen auch die religionsgeschichtlichen Fakten in den Blick, denn wir fragten uns, wie denn diese Geschichte ganz genau das Totenreich denkt. Während wir an oben und unten dachten, Himmel = „Abrahams Schoß“ und Hölle = „Hades“, zeigte dann die genaue Textanalyse, dass hier beide Bereiche auf einer Ebene zu denken sind, gleichwohl von einer tiefen Kluft getrennt. Was diese Kluft genau darstellt, haben wir letztlich nicht ergründen können. Es ist ein ausgesprochen rätselhafter Begriff. Jedenfalls konnten wir im Henochbuch eine Bestätigung für die Vorstellung des Totenreichs finden, die hier gemeint sein muss. Interessant ist auch, dass bei allen Qualen, die der reiche Mann im Totenreich erleidet, er von Anfang bis Ende der Geschichte als Sohn Abrahams angesehen wird. Das eine schließt das andere nicht aus, Gottes Kindschaft, aber ungute Zukunft als Folge des Umgangs mit Reichtum.

Angestoßen durch die Beobachtung, dass die Einfügung oder deutliche Anspielung von Textbezügen zum Alten Testament von den biblischen Verfassern als Interpretamente eingesetzt werden, haben wir uns dann vorgenommen, diese Zitate besonders der Psalmen in der Passionsgeschichte des Markus zu untersuchen. Ohne einen genauen Bezug zu nennen, heißt es sogar in Markus 25, 49b : „So muss die Schrift erfüllt werden.“ Das dies aber dann auch geschehen ist, zeigt das Markusevangelium an einigen Stellen. Hier war dann auch der synoptische Vergleich interessant, der zeigte, dass bei Matthäus diese Tendenz durch weitere Hinzufügung von Zitaten verstärkt worden ist. Bei Matthäus an der gleichen Stelle: „Aber das alles ist geschehen, damit erfüllt würden die Schriften der Propheten.“ (Matthäus 26, 56) In einigen Passagen konnte sogar der Eindruck entstehen, als seien die Erzählelemente eher von den Schriftzitaten als von der faktischen Historie vorgegeben, z. B. bei der Kreuzigung. Daher kam die Frage auf: Mit welchem Ziel sind wohl die Texte der Evangelien entstanden, die als Erzählung des Lebens Jesu aufgefasst werden können, aber zugleich mit biblischen Deutungsmustern durchwoben sind. Die Evangelien sind in der letzten Zeit von einigen Forschern mit antiken Biografien verglichen worden. Dabei sind etliche Gemeinsamkeiten, aber auch einige Unterschiede deutlich geworden. Besonders Markus kann lediglich als biografische Erzählung aufgefasst werden, da eine Kindheitsgeschichte fehlt, während Matthäus und Lukas als Biographie Jesu bezeichnet werden können. Sie enthalten allerdings keine hochwertige Literatursprache, sondern sind eher an die Allgemeinheit gerichtet, wofür ist in der Antike noch keine Parallele gibt. Man kann sagen, mit der Abfassung der Evangelien öffnet sich das Medium Buch dem einfachen Volk. Auffallend ist allerdings der Episoden – Stil, der bewirkt, dass die einzelnen Abschnitte als Perikopen für sich gelesen werden können, etwa in den Gottesdiensten, und genauso aber auch im gesamten Textzusammenhang, etwa als Lektüre für die theologisch Gebildeten. Die Frage nach dem historischen Jesus verblasste bei dieser Betrachtungsweise, wenn auch keineswegs in Abrede gestellt wurde, dass die Traditionen der Evangelisten in einzelnen Passagen zuverlässige Zeugenberichte enthalten können.

Überblicksvorlesung: Genesis 1 – 11. Urgeschichte. Prof. F. Crüsemann.

Da eine andere alttestamentliche Vorlesung entfallen musste, kündigte Prof. Crüsemann seine Genesisvorlesung nun als Überblicksvorlesung an. Die Auslegung der Textabschnitte wurde durch Exkurse unterbrochen, die jeweils entweder theologisch oder historisch auf gesamtbiblische Bezüge eingingen z.B. die „Pentateuch – Quellen – Theorie“, „Mann und Frau im AT“, „Gottesbezeichnungen und Gottesnamen“, „Rein und Unrein“, „Sünde und Gewalt“, „Israel und Kanaan“, „Israel und die Völker“. Diese Vorlesung war nicht ganz zu Unrecht die bestbesuchteste Veranstaltung des ganzen Semesters.

Ich kann in diesem Bricht nur einige Beobachtungen nennen. Diese Vorlesung zeigte mir, dass mein erstes theologisches Examen nun 20 Jahre her ist, der Beginn des Studiums sogar mehr als 25 Jahre, und dass sich in dieser Zeit doch einiges geändert hat, besonders hier im Alten Testament. Grundsätzlich: die hebräische Bibel wird als Einheit gelesen. Die Erkenntnisse der Quellenscheidung des Textes in Jahwist, Elohist und Priesterschrift, die das ganze 20. Jahrhundert bestimmt hatten (nach Wellhausen), haben sich als überholt erwiesen. Sie leisten zwar noch Interpretationshilfe in einigen Texten, die stark von Textdoppelungen geprägt sind. Von einer durchgängigen Aufteilung der Tora in zwei oder sogar drei parallel laufende Texte kann nicht die Rede sein. Der Text gibt einen Sinn auf der Ebene der Endgestalt, Weglassungen, Kombinationen und deutliche Bezüge lassen eine Interpretation des gesamten Textes in allen Fällen zu. Das zeigt z.B. die Beobachtung des Wortes „gut“: Gott sah, dass die Schöpfung gut war. Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist. Die Menschen erwarben die Erkenntnis von gut und böse. Die Gebilde der Planungen des menschlichen Herzens sind böse.

Im folgenden zitiere ich einfach einige Gedanken Prof. Crüsemanns aus der Zusammenfassung:
Grundzüge der biblischen Anthropologie in der Urgeschichte:

Die Menschen sind von Gott mit einer ungeheuren Freiheit ausgestattet, sie sind Bild Gottes. Sie haben eine hohe Verantwortung für dien Erde.
Die Menschen füllen die Freiheit zum Teil falsch. Gewalt kommt auf, das Grundproblem. Die Menschen bringen durch ihre Pläne Böses hervor.
Sie haben die Möglichkeit sich zu entscheiden. Ihr Handeln wird durch die Gewalt verdorben. Gottes Handeln hört trotzdem nicht auf. Nicht alle Menschen sind Sünder, aber sie haben mit den Folgen ihres Tun zu kämpfen, besonders der Gewalt.
Der besondere Umgang mit Gott und seinem Namen wird auch schon in diesem Teil der Bibel deutlich, denn im zweiten Kapitel wird die allgemeine Gottesbezeichnung Elohim mit dem Gottesnamen gleichgesetzt, indem er zweimal doppelt gebraucht wird. Prof. Crüsemann überträgt den Gottesnamen grundsätzlich mit „Adonai“ (Herr), sagt also nicht „Jahwe“. Sodann schildert er die Beobachtung einer interessanten Polarität: Gott ist allmächtig, denn alles was es gibt, wird auf ihn zurückgeführt. Er ist mächtig, denn er kann die Fluten schicken und die Menschen vernichten, auch die Völker verstreuen. Aber genauso gut gibt es so kleine Tätigkeiten Gottes in seinem Handeln, die bei genauer Beobachtung schmunzeln lassen: Gott näht den ersten Menschen Kleidung, geht im Garten Eden spazieren, macht die Tür der Arche zu. Dieses Gottesbild, hoch und niedrig zugleich, wird von anderen Bibelstellen bestätigt: „Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum und bei denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind…“ (Jesaja 57, 15).

Gottes Sein ist im Werden: Manche Züge der Urgeschichte lassen sich nur erklären, wenn man das Handeln Gottes als einen Lernprozess deutet, einer Geschichte. Zuerst ist die Welt gut, dann zeigt sich, dass sie kein Mittel gegen die Gewalt hat. Nach der Flut werden dafür Bund Recht und Gebote eingesetzt. Außerdem ist Gott als Schöpfer nicht auf die Beziehung zum Menschen zu reduzieren.

Außerdem will Gott von Anfang an die Vielfalt, was schon an den Geschöpfen deutlich wird. Hierzu zeigte er eine interessante Interpretation der Turmbaugeschichte auf. Die Geschichte sagt: Wenn die Menschen eine Sprache haben, dann bauen sie eine Stadt. Dies hänge damit zusammen, dass die Assyrer die fronarbeitenden Ausländer, die ihre Städte bauten zwangen, eine einheitliche Sprache zu sprechen. Die Zerstörung des Turm bewirkt nun erneut eine Zerstreuung der Menschen und damit eine Wiederherstellung der ursprünglichen Vielfalt. Der Text spricht nicht für einen theologischen Zentralismus, sondern dagegen. Auch in der Pfingstgeschichte wird die Vielfalt der Sprachen ja nicht in eine Einheitssprache aufgehoben, sondern es wird gesagt, dass sie sich trotzdem verstehen.

Ich kann es jetzt nur bei diesen zusammenfassenden Beobachtungen bewenden lassen. Der eindrückliche Umgang Crüsemanns mit dem hebräischen Text lässt sich nicht zusammenfassen.

Hauptseminar: Paul Tillich. Lebenstheologie. Systematische Theologie Band III. Prof. A. Jäger. Prof. E. Mechels.

Ich gebe zu, dass mir die dialektische Theologie, oder besser gesagt, die Begründung der Theologie aus der Dogmatik und aus dem Bekenntnis in den letzten Jahren immer schwerer gefallen ist. Nur die Grundentscheidung dialektischer Theologie seit Barths Römerbriefkommentar ist mir noch wichtig geblieben. War es nicht sogar der Philosoph Habermas, der an die Bestimmung des Denkens aus der Distanz des Glaubens nach Sören Kierkegaard erinnert hat (im Zusammenhang mit der Bioethik), so, als müsse das Denken einen Punkt außerhalb des eigenen Systems haben, um begründbar zu sein. Tillich galt uns Studenten der siebziger Jahre zwar als moderner Theologe, der allerdings zu sehr auf die von uns so genannte Vermittlungstheologie in der Nachfolge Schleiermachers gesetzt hat. „Was uns unbedingt angeht“ – reicht das zur Grundbeschreibung der Aufgabe von Theologie? Das Seminar von Prof. Jäger zu dem erst später Prof. Mechels hinzukam, belehrte mich eines Besseren. Wir lasen ja auch nicht den ersten, sondern den dritten Band der systematischen Theologie. Dieser Text hat wirklich keine einfache Sprache und ist als „Gute Nacht Lektüre“ nicht geeignet. Ich musste mich durchbeißen und habe trotzdem bis zur letzten Zeile durchgehalten. Das System hat mir den Atem genommen. Was von der Grundbestimmung her als Vermittlungstheologie klingt, ist eine Theologie, die es mit den Grundaussagen der modernen Psychologie ernst meint. Der Begründer der Frankfurter Schule hat diese systematische Theologie in Amerika geschrieben. Da stehen keine großen Botschaften des religiösen Sozialismus drin, aber wer aufmerksam hinsieht, findet sie besonders auf den Seiten, in denen es um Reich Gottes und das Ziel der Geschichte geht zwischen fast allen Zeilen. Formal klingt es erst hölzern: das Leben zwischen Essenz und Existenz ist der Entfremdung unterworfen und will die Wiedervereinigung dieser Gegensätze des Seins, will Sinn schaffen, wo Sinn verloren ist. Es gibt auch für uns Christen nur die eine Wirklichkeit des Lebens. Tillich macht damit ernst und beginnt seine Lebenstheologie mit der anorganischen Dimension, als wolle er ein Chemiebuch schreiben. Mit Bibelzitaten ist er sparsam. Mit theologischer Fachsprache ebenfalls. Manches ist etwas zu starr am Modell der Naturphilosophie Schellings orientiert, aber er findet die Übergänge, spricht ganz konkret über den Heiligen Geist und die Kirche. Er macht ernst mit dem Erleben des göttlichen Geistes, das für ihn in Formen der Ekstase beginnt. Und die Ethik: ganz einfach: die Liebe nach dem Modell der Agape: „Die Begegnung mit einer anderen Person schließt die unbedingte Forderung ein, den anderen als Person anzuerkennen.“ (S.58) Natürlich erleben wir die Klarheit der religiösen Erfahrung nur wie im Nebel. Unsere Existenz ist von Zweideutigkeiten bestimmt. Er rezipiert natürlich auch die darwinistische Vorstellung vom Kampf ums Leben, was man heute nicht mehr ganz so begeistert nachsprechen kann. Dennoch, auch die Existenz des Todes ist dem Leben eigen. Er beschreibt eine Lehre der Kultur zwischen Sprache, Erkennen und technischer Gestaltung. Gesellschaftliche Prozesse und religiöse Erfahrung verschwimmen oft ineinander und sind nicht immer zu trennen. Religion, das ist die Wirklichkeit des einen Gottes in unserer einzigen Lebenswirklichkeit. Wie soll man da trennen zwischen Kultur und Religion? Da kann göttlicher Geist genauso in der Kultur zu erfahren sein, wie er in kirchlicher Institution unter dämonsicher Verzerrung verborgen liegen kann.

Verdinglichung, das ist eine große Gefahr. Wie viele Texte lesen sich auch unter aktuellen Fragestellungen, denke man nur an die Verdinglichung des Menschen in der Gentechnologie. Das Leben ist trotz allem in ständiger Bewegung über sich hinaus, und gerade darin wirken göttliche Kräfte: „Die Polarität von Freiheit und Schicksal schafft dem Leben die Möglichkeit, sich selbst zu transzendieren, und diese Möglichkeit kann zu Wirklichkeit werden.“ (S. 107) Wir konnten ihm schon soweit folgen, dass wir sein Festhalten an der Religion für christlichen Absolutheitsanspruch hielten. Doch dabei schreibt er nur Theologie als Philosoph, und damit ist Religion eben ein entscheidender Faktor: „Das religiöse Element der Kultur ist die Unerschöpfliche Tiefe jeden echten Werks. Man kann es als die Substanz der Kultur oder den Grund nennen aus dem die Kultur lebt.“ (S. 117) Auch wenn sich seine Sprache gar nicht kirchlich gibt, so ist die Sache absolut kirchlich und religiös engagiert und überzeugt. Religion ist nicht selbst die Antwort, aber sie ist das einzige Paket, in dem die Antwort nach dem Sinn des Lebens verpackt ist. Der Glaube geht der Liebe voran, aber die Liebe ist „teilnehmende Erkenntnis, die den Erkennenden und den Erkannten in jedem Akt liebender Erkenntnis verwandelt.“ (S.163) Die Erfahrung, die dies für den Glauben begründet ist die Erfahrung, dass in Jesus Christus das Neue Sein erschienen, und daher das Ziel der Selbsttranszendierung möglich geworden ist. Glaube ist ein Prozess der Verwandlung. Ich verstehe dann auch seine Bestimmung des Reiches Gottes letztlich nicht mehr wie auf einer Zeitschiene, sondern als stetiger und trotzdem unverfügbar Einbruch des Ewigen in unsere Gegenwart. Das Reich Gottes ist ein latent vorhandener Raum, der uns in der Erfahrung des Glaubens geöffnet ist. Diese Erfahrung wird uns in der Geistgemeinschaft ermöglicht, die wir in der Kirche erfahren können, aber auch außerhalb, wenn diese dämonisch entstellt ist. Gerade auf dem Hintergrund meiner Exegese der Jesuserzählung finde ich die Wiedergewinnung dieses Begriffes durch Tillich grandios: dämonisch. Dämonie, das ist demnach eine Art Verweigerungshaltung der Erfahrung des göttlichen Geistes genauso wie der eigenen Selbsttranszendierung gegenüber. Tillich verkündigt den Glauben als eine Haltung, die sich selten mit einem Status Quo abfinden kann und die Widerstandkräfte weckt. Die Deutung der Geschichte ( der 5. Teil) fällt gegenüber dem 4. Teil fast ein wenig ab. Hier wandert die Präsenz des Geistes in die politische Existenz aus. Ich persönlich hätte mir das Reich Gottes durchaus auch etwas religiöser gewünscht, wenn ich auch zugebe, dass es alle Lebensbereiche einschließen muss. Ich bin mir auch nicht sicher, ob Tillich ernstlich meinen kann, dass sich das Reich Gottes irgendwie immer revolutionär mit Gewalt verwirklichen wird, wobei er zugesteht, dass die Demokratie ein organisierter Herrschaftswechsel ohne Gewalt darstellt und darin die Revolution beerbt. Immerhin ist jeder Einzelne in das Ziel der Geschichte integriert: Die christliche Lehre von der tragischen Universalität der Entfremdung bedeutet, dass jedes menschliche Wesen sich gegen sein Telos, gegen das ewige Leben stellt, während es zugleich nach ihm strebt. Das Schlüsselwort heißt für ihn in Aufnahme schellingschen Denkens: Essentifikation, Erfüllung der Essenz in der Existenz, Rückkehr des Seins zu sich selbst im Neuen Sein: christlich gesprochen heißt das: Der ganze Mensch nimmt am ewigen Leben teil und findet darin seine Erfüllung.

Sicherlich verändert sich das theologische Reden unter dem Anspruch der Ontologie. Aus der Sicht Praktischer Theologie könnten man sagen, der Adressatenbezug geht beinahe verloren. Doch Tillich formuliert einen Anspruch, dem sich jedes theologische Denken zu stellen hat! Zu oft wird der Wirklichkeitsbezug nur indirekt vorausgesetzt. Tillich sagt im ersten Teil dazu: „Da die Erkenntnis ein Akt ist, der selbst am Sein, oder genauer gesagt an einer ontischen Beziehung teilhat, so muss jede Analyse des Erkenntnisaktes auf eine Seinsauslegung bezogen werden.“ (S. 27, 1. Teil). Über die Analyse der Wirklichkeit nach Tillich ließe sich nachdenken. Ich vermute, dass sich einiges weiterentwickelt hat. Aber Theologie ohne expliziten Wirklichkeitsbezug senkrecht von oben dürfte es nach Tillich eigentlich nicht mehr geben.

Überblicksvorlesung: Christen und Juden in der Kirchengeschichte. Prof. H. Zschoch (Kirchliche Hochschule Wuppertal)

Die Einteilung der Vorlesung entsprach insofern dem Thema, dass Prof. Zschoch mit der Darstellung des Verhältnisses von Christen und Juden nach dem 2. Weltkrieg begann, etwa durch das 2. Vaticanum und durch den Synodalbeschluss der rheinischen Landeskirche aus dem Jahr 1980 dem in einigem Abstand auch Beschlüsse anderer Landeskirchen gefolgt sind. Damit begann die Darstellung des Themas mit der Öffnung der aktuellen Fragestellung und endete mit dem Bedenken des Verhältnissen von Christen und Juden zur Zeit des Nationalsozialismus, und damit dem Gedenken der Katastrophe, in die dieses Verhältnis geraten ist. Es ist schon daraus deutlich, dass immer wieder die Frage im Hintergrund stand: Wie konnte es zu Auschwitz bzw. zum Holocaust kommen und besonders im engeren Sinn: Worin ist das historische Verhältnis der Kirche zum Judentum daran beteiligt? Dieser Erzählfaden der Kirchengeschichte wurde in einen Überblick der Hauptlinien kirchengeschichtlicher Epochen eingezeichnet, was den Überblickscharakter der Vorlesung ausmachte. Für Examenssemester wäre sie ein gutes kirchengeschichtliches Kompendium gewesen. „Wäre“ deshalb, weil die Teilnehmerzahl so klein war, dass sicherlich nicht viele solcher Studierenden an der Vorlesung teilnahmen, was wirklich schade war: Die Vorlesung war klar strukturiert, konnte die Beziehungen zwischen kirchengeschichtlichen Ereignissen und Strömungen aufzeigen. Dazu informierte Prof. Zschoch an konkreten Beispielen des Verhältnisses zum Judentum über einige Hauptakteure der Kirchengeschichte.

Da das Christentum aus dem Judentum hervorgegangen ist, anfangs noch untrennbar damit verbunden, hat es danach auch eine Geschichte der Auseinandersetzung und des Dialogs mit dem Judentum gegeben. Schon bald muss man diese als das Verhältnis ungleicher Partner ansehen, denn eine Weltreligion im eigentlichen Sinn ist nur das Christentum geworden. Von ganz krassen Ausgrenzungen der jüdisch – religiösen Traditionen abgesehen, wie bei Marcion, lebten Christentum und Judentum unberührt nebeneinander her. Die konstantinische Wende brachte erst auch antijüdische Tendenzen hervor. Doch dies war nie als grundsätzliche Auseinandersetzung gedacht. Die Existenz des Judentum war ein bleibender Beleg für den religiösen Ursprung des christlichen Glaubens. Der ältere Bruder wird dem jüngeren dienen (Augustin). Erst im Mittelalter kommt es im Zusammenhang mit der Kreuzzugsstimmung zu regelrechten Judenverfolgungen. Im 13. und vierzehnten Jahrhundert werden Juden aus Frankreich und England ganz ausgewiesen, während in Spanien Taufzwang ausgeübt wird. Weit verbreitet ist das Verbot öffentlicher Ämter und der Ausschluss aus den Zünften. Im Mittelalter entstehen antijüdische Legenden: Hostienfrevel, Brunnenvergiftung (Pest) und Ritualmord. In der Reformation und Neuzeit, hier als geschlossene Epoche behandelt, ist die Stimmung zunächst nicht mehr so ablehnend wie später. Allerdings taucht zum Beispiel eine Spätschrift von Martin Luther auf: „Von den Juden und ihren Lügen“, in der sowohl mittelalterliche Vorurteile bestätigt werden, als auch drastische Maßnahmen gefordert werden. Schon das Verbrennen der Synagoge ist hier angedeutet, und entsprechend wurde dieser Luthertext wohl auch in der Zeit des Nationalsozialismus im „Stürmer“ veröffentlicht. Im Pietismus kommt es fast zu einer Gegenbewegung. Das man nach Römer 11 die Judenbekehrung für ein Zeichen der Endzeit hielt, wollte man dies nun auch systematisch herbeiführen. Die Herrnhuter Brüdergemeine führte neben dem Sonntag nun auch den Sabbat als arbeitsfreien Tag ein. Gedanken der Aufklärung kamen sowohl im Christentum als auch im Judentum auf (Baruch Spinoza). Im 19. Jahrhundert gab es eine Tendenz zur Assimilation. Im Rahmen der deutschen Nationalbewegung des Bürgertums, die 1848 in die niedergeschlagene Revolution mündete, kamen antijüdische Polemiken wieder auf. Jetzt erst gab es wieder öffentliche Krawalle gegen Juden. Dieses verband sich mit den neuen Rassegedanken, die völlig unsinnig auf das Judentum angewandt wurden, das ja eigentlich eine Religion und kein Volk war. Der Antisemitismus radikalisierte sich in einer kleinen Minderheit, wobei die nationale Stimmung in Deutschland insgesamt auch einen antijüdischen Zug hatte. Zunächst im außerkirchlichen Raum entstanden, allerdings unter Beteiligung des Hofpredigers von Berlin Stöcker, kam es nach dem 1. Weltkrieg zur Entstehung sogenannter deutschchristlicher Gruppen. Erst der Aufstieg der NSDAP bis zur Machtergreifung ermöglichte die totale Judenverfolgung im dritten Reich. Als bei der rechtlichen Gleichschaltung der Kirche mit dem NS Staat der sogenannte Arierparagraph auch in der Kirche auf Pfarrer angewandt werden sollte, die nach NS – Kriterien als Juden galten, bildete sich der Pfarrernotbund und die bekennende Kirche. Die deutschchristliche Richtung gewann aber 1933 auch die meisten Kirchenwahlen.
Reminiszenzen aus der Schlussbemerkung von Prof. Zschoch: „Gegen die organisierte Judenvernichtung erhebt sich keine kirchliche Stimme. Allein das Büro Grüber ermöglich sogar im Kontakt mit Eichmann gezielt die Rettung einigen „Juden – Christen“. Hier bricht die Vorlesung ab. Die Judenvernichtung lässt die Geschichtserzählung stocken. Auch das Miteinander wird damit vernichtet. Es ist nicht so, dass die Geschichte konsequent auf dieses Ende zugeht, aber in Verbindung mit dem irrational Bösen. Das Bekenntnis zu Christus ist ein mit Schuld und Scham beladenes Bekenntnis. Es muss am Anfang des 21. Jahrhunderts neu geschrieben werden. Er beendete die Vorlesung mit folgenden zwei Zitaten: Lukas 15, 31f: „Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, das ist dein. Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.“ Wobei mit dem Wort zum älteren Bruder das Judentum gemeint ist., dessen Erwählung bleibt. Dies bestätigt auch Paulus, Römer 11, 33.36: „O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! – Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.“

Überblicksvorlesung. Paulus. Prof. F. Vouga.

Diese Vorlesung hatte einen ganz anderen Charakter als sonst üblich. Während sonst Vorträge gehalten werden, und dann Informations- und Verständnisfragen zugelassen werden, entwickelt Prof. Vouga seine Vorlesung im Dialog. Die von ihm ausgesuchten Textabschnitte werden gelesen und im Plenum diskutiert. Da es mir viel Freude gemacht hat, dabei mitzudiskutieren, habe ich mir recht wenig Notizen machen können. Interessant war, dass die Ergebnisse auf vorbereiteten Blättern standen, die Prof. Vouga kopiert hatte und am Ende der Sitzung verteilen ließ. Er hatte also die Ergebnisse schon klar, und wir dachten, wir hätten sie gerade erst erarbeitet. Natürlich ließ er uns immer eine bestimmte Auswahl von Texten lesen und die Deutung der Verse, konnte nur aus dem direkten Zusammenhang selbst erschlossen werden. Sein Prinzip ist: Jeder Text erklärt seine Begriffe selbst. Andere Begriffsdefinitionen sind nicht zulässig.

Prof. Vouga kam bei der Beobachtung der paulinischen Theologie immer wieder auf eine Grundbestimmung zurück, die wir in der Lektüre des Galaterbriefes gefunden haben. Ich zitiere: „Das paulinische Evangelium, nach welchem der Mensch durch den Glauben, und nicht aus Gesetzeswerken den Sinn und den Ursprung seiner Existenz findet, bedeutet die Entdeckung des Individuums als anerkennte und geliebte Person und als Sitz des geistigen Lebens. Die Rechtfertigung aus den Gesetzeswerken setzt voraus, dass die Identität des Menschen durch seine Eigenschaften und durch seine Leistungen definiert wird. Ist der Mensch aus Gesetzeswerken gerechtfertigt, dann wird er durch seine Zugehörigkeit zu abstrakten Klassen definiert: Er ist entweder Jude oder Nichtjude, usw.. Die Unterscheidung zwischen der Person und ihren Eigenschaften ist eine theologische These. Die Person kann sich nur deswegen als Individuum und unabhängig von Klassifizierungen und von ihren Eigenschaften verstehen, weil sich Gott in Christus als den Gott offenbart, der jeden Menschen bedingungslos und ohne Rücksicht auf Eigenschaften und Leistungen rechtfertigt, anerkennt und liebt. Die durch die Gnade Gottes ermöglichte Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft der Einzelnen, die durch den Glauben in die neue Schöpfung verwandelt worden sind, ergibt sich aus der persönlichen Entscheidung, sich taufen zu lassen. Durch diese Entscheidung konstituiert sich der Einzelne als individuelles Subjekt.“

Die Ausführung dieser Grundthesen gab genügend Hinweise auf die Auseinandersetzung des Paulus mit seinen Gegnern, etwa um die Beschneidung. Sie war genauso gut eben die Beschreibung seiner eigenen Offenbarung, in der ihm Christus erschienen ist. Es war immer wieder wichtig zu sehen, dass Paulus diese Erkenntnis als Offenbarungserkenntnis nicht hinterfragen ließ. Da er keine Kenntnis des lebendigen Jesus gehabt hat, ist damit klar, dass es eben um die Anerkennung des Gekreuzigten als Christus geht. Genau aus dieser Offenbarung erschloss sich Paulus sowohl die Theologie als auch der Auftrag, nun zu den Heiden zu gehen. Die Briefe erhalten genügend Hinweise darauf, mit welchen Prinzipien er eine regelrechte Missionsgesellschaft eröffnete und unterhielt. Den Römerbrief verdanken wir letztlich allein dieser Voraussetzung. Um dort eine „Zweigstelle“ zu eröffnen, die dann als Kontaktpunkt dienen konnte, gab er den Römern gegenüber das Ziel „Spanien“ an und er erhoffte sich dann auch von dieser Gemeinde die Ausstattung mit entsprechenden Mitteln und Kontakten. Er hatte eine große Mitarbeiterschaft. Zur äußeren Absicherung des Unternehmens hat er mit der Jerusalemer Urgemeinde die Erwirtschaftung einer Kollekte vereinbart, die er in regelmäßigen Abständen dort auch ablieferte. Dabei konzentrierte sich diese Mission auf die Städte, von denen aus dann von selbst weitere Ausbreitung erfolgte. Hierzu noch ein Zitat: „Das apostolische Selbstverständnis des Paulus ist durch das Dreieck definiert, das Gott als handelndes Subjekt, die Menschheit und die Pluralität der Völker als Adressat des Evangeliums und der Dienst des Apostels bilden. Dieses Dreieck prägt sowohl das Verhältnis des Apostels zu sich selbst als auch sein Verhältnis zu den Gemeinden und den Völkern. Die kritische Reflektion über das Verhältnis des Apostels zum Evangelium und zu den Gemeinden begründet eine Ethik der Kommunikation, die eine Unterscheidung zwischen der Wahrheit des Evangeliums und der Religion voraussetzt: Die christliche Verkündigung ist weder die Vermittlung noch die Verwaltung des Heiligen in einer profanen Welt, sondern eine Veränderungskraft des alltäglichen Lebens.“ Im 1. Korintherbrief entfaltet Paulus ein Handbuch der christlichen Ethik und ein Handbuch des christlichen Gottesdienstes. Der Feier des Gottesdienst entspricht eine gleichberechtigte Gemeinschaft von Männern und Frauen, von Herren und Sklaven, von Juden und Griechen. Die Gemeinschaft wird mit der Metapher des Leibes verdeutlicht. Die Begründung der Ethik ist im Grunde noch genauso wie es das Evangelium ausdrückt: „Die Freiheit des Glaubens ist durch einen Herrschaftswechsel begründet: Die Christen sind mit Christus der Sünde gestorben, um in einem neuen Leben zu wandeln, weil und wie Christus von den Toten auferweckt worden ist. Sie sind von der Macht der Sünde befreit worden, um der Gerechtigkeit zu dienen. Anders formuliert: Sie bekommen ihre Identität von der Ewigkeit, so dass sie in dieser vergänglichen Welt frei sind: Sie verfügen über alles, als ob sie es nicht hätten.“

Abschluss.

Persönlich hatte ich während dieses Kurz – Studiums eigentlich durchgängig das Gefühl, nach einer Auszeit in der Praxis zur Theologie zurückgekehrt zu sein. Sicherlich ist die praktische Arbeit im Pfarramt auch eine „theologische Existenz“. Warum aber führt sie dann zur Zeit immer häufiger in „Burn – Out“ Krisen? Die „Pastoraltheologie“ von Prof.in Dahlgrün gab hin und wieder Hinweise, die zur Beantwortung dieser Frage dienen könnten, obwohl sie zum Teil auch nur die Erscheinungen der Krise pfarramtlicher Arbeit beschrieb. Ich denke, dass der Glaube selbst in einer Sinnkrise ist. Letztlich hat ja etwa Prof. Zschoch mit dem Thema seiner Vorlesung gezeigt: Es gibt nach der Katastrophe des Holocaust kein ungebrochenes Zurück mehr in unsere christliche Tradition. Sicherlich, auch die Kreuzespredigt zeigt, dass Gott noch dann existiert, wenn wir ihn nicht wahrnehmen, als „deus absconditus“ (s. reformatorische Theologie). Doch Glauben weckt Gott nur als der Offenbare (s. Paulus). Die Frage ist also: Wo können wir Gott wahrnehmen? Wir haben anzuerkennen, dass Gott auch in der säkularen Welt erfahrbar ist, auch in Politik, Kultur und Wissenschaft, während er in der Kirche dämonisch verdunkelt sein kann. Gott ist da, wo sich Auferstehung ereignet, die Menschen so miteinander verbinden, dass Glaube und Liebe dasselbe sind (Tillich). Doch damit ist die Frage nach der Wahrnehmung der Gegenwart Gottes noch nicht endgültig beantwortet. Ich möchte an dieser Frage weiterarbeiten und dafür zunächst einmal die Anregungen nutzen, die das Jahr der Bibel bietet. Für mich jedenfalls war es mal wieder eine Schlüsselerfahrung, dass die Beschäftigung mit biblischen Texten auch ein Weg zur eigenen Glaubenserfahrung ist, weil die Bibel Glaubenserfahrungen überliefert, mitteilt oder erzählt. Nach dem Muster der Analogie wäre die Frage nun: Wie können wir das, was wir erfahren und was wir Glauben nennen können, überliefern, mitteilen und erzählen? Ich meine, Glaube wächst aus der Sprache, die den Mut hat, Gott zu loben. Sicherlich wird niemand phantasielos die katastrophalen Zustände unserer Zeit einfach negieren, aber trotzdem könnten wir als Gemeinde versuchen, uns einfach wieder mehr davon mitzuteilen, wie wir selbst in unserem Lebensalltag die Gegenwart Gottes wahrnehmen. Mit welchen Verben lässt sich das Handeln Gottes in unserem Leben beschreiben? –

Persönlich habe ich den Mut gewonnen, mich auch weiterhin der theologischen Debatte auszusetzen und werde darum berufsbegleitend mit einer der kirchlichen Hochschulen Bethel oder Wuppertal in Kontakt bleiben.

Lasst uns Jesu Kirche sein,
Die auf seinen Spuren wandelt,
Mit den Menschen ganz allein
Nur im Geist der Liebe handelt.
Lasst uns lieben allezeit.
Jesus gibt uns Einigkeit.

Da wir sind in Jesu Bund,
Zeigt er uns die rechten Wege.
Dadurch auch zu jeder Stund‘
Stehen wir in seiner Pflege.
Jesus Christus ganz allein
Darf uns Ziel und Vorbild sein.

Jesus, er war Gottes Sohn,
Und er gab uns Gottes Worte
Und zugleich als Mensch gebor´n
Lebte er an unserm Orte.
Jesus übte hier Verzicht,
Gottes Glanz im Angesicht

Sein Weg wurd´ den ander´n gleich;
Menschlichkeit war nun sein Wesen.
Ganz ein Mensch in seinem Reich,
Gottes Worte neu zu lesen.
Jesus kam in uns´re Not,
Blieb nicht fern von Angst und Tod.

Durch der Römer harte Hand
Musste er am Kreuze sterben.
Gottes Sohn in seinem Land
Konnte keine Herrschaft erben.
Jesus war im Tod allein,
Schien jetzt ohne Reich zu sein.

Doch im kalten Todesland
Ist er länger nicht geblieben.
Gott hielt weiter seine Hand
Hat den Tod damit vertrieben.
War erst unten, ist jetzt hoch,
Jesus lebt als Christus noch!

Jesu Name aufgestellt;
Damit hielt ihn Gott lebendig;
So ist er die Macht der Welt
Und regiert uns alle ständig.
Weist in Schranken jede Macht.
Jesus hat uns Heil gebracht.

Jesus hat uns so vereint,
In ihm Gottes Reich zu sehen.
In ihm sind wir stets geeint
Um das Ziel nun zu verstehen.
Ruhm allein gilt Jesus Christ.
Weil er Herr der Erde ist.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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