Die Notwendigkeit der Rede von Gott – Notiz zum Begriff des Glaubens bei Ludwig Wittgenstein, Christoph Fleischer, Werl 2009

Print Friendly, PDF & Email

Ludwig Wittgenstein schreibt in der Wiener Ausgabe des „The Big Typescript“ (Band 11 der Wiener Ausgabe, Springer Verlag Wien 2000, hier: Zweitausendeins. S. 264-268: „Abschnitt 84 Glauben. Gründe des Glaubens.“

Wittgenstein geht wie gewöhnlich vom umgangssprachlichen Gebrauch des Wortes „Glauben“ aus und untersucht diesen auf logische Konsequenzen hin. Damit macht er in unterschiedlicher Hinsicht deutlich, was mit dem Wort „Glauben“ sprachlich gemeint ist.
Unter Glauben wird im Allgemeinen verstanden, dass jemand aufgrund seiner eigenen Erfahrung handelt, dass er sozusagen aus der Erinnerung Schlüsse zieht. Voraussetzung ist die sog. Introspection:
„Introspection nennt man einen Prozess des Aufrufens von Erinnerungen, das Vorstellen möglicher Situationen und der Gefühle, die man hätte, etc.. Introspection nennt man einen Prozeß/Vorgang/ des Schauens im Gegensatz zum Sehen.“ (Wittgenstein lässt hier manchmal mehrere Formulierungsmöglichkeiten nebeneinander gelten und trennt diese durch einen Querstrich.)
Er nennt dies auch konstruieren: „Man konstruiert hier nach dem Schema: „Woher weißt du, dass jemand im anderen Zimmer ist?“ – „Ich habe ihn drinnen singen gehört.““
Er versucht sich an einem anderen Beispiel, nämlich der Zahnschmerzen, wobei dies m. E: nicht einleuchtet, sondern zu einer Tautologie führt: „Ist, dass ich Zahnschmerzen habe ein Grund zur Annahme, dass ich Zahnschmerzen habe?“
Immerhin weist er damit hin, dass er einen Grund geben müssen, um zu glauben, beispielsweise dafür, sich an einer heißen Herdplatte zu verbrennen.
„Was für einen Grund habe ich, anzunehmen, dass mein Finger, wenn er den Tisch berühren, einen Widerstand spüren wird? Was für einen Grund, zu glauben, dass dieser Bleistift sich nicht schmerzlos durch meine Hand stecken lässt? Wenn ich dies frage, melden sich hundert Gründe, die einander gar nicht zu Wort kommen lassen wollen.“
Dass eben dieser Gedanke zugleich die Erfahrung von Wirklichkeit einschließt, zeigt gleich der nächste Satz: „Glaube ich, dass wenn ich auf eine Türe zugehe, ausdrücklich, dass sie sich öffnen lassen wird, – dass dahinter ein Zimmer und nicht ein Abgrund sein wird, etc.? Setzen wir statt des Glaubens den Ausdruck des Glaubens.“
Dies wird nun verallgemeinert: „Was heißt es, etwas aus einem bestimmten Grunde glauben? Entspricht es, wenn wir statt des Glaubens des Ausdruck des Glaubens setzen, dem, dass Einer/man/ den Grund sagt, ehe er/man/ das Begründete sagt?“
Der Glaube wird nun also damit in Verbindung gebracht, dass er im Zusammenhend mit Erfahrungen gebracht wird, den Gründen für den Glauben. Diese Gründe stammen aus Beobachtungen wie ein erneute Bespiel einer Schmerzerfahrung verdeutlicht.
Zusammenfassend nun: „Man möchte sagen: Wir schließen nur dann aus der früheren Erfahrung auf die zukünftige, wenn wir die Vorgänge verstehen (im Besitz der richtigen Hypothese sind). Wenn wir den richtigen, tatsächlichen Mechanismus zwischen den beiden beobachteten Rädern annehmen. Aber denken wir doch nur: Was ist denn das/unser/ Kriterium dafür, dass unser Annahme die richtige ist? – Das Bild und die Daten überzeugen uns und führen uns nicht wieder weiter – zu anderen Gründen.“
Hier wird wieder mal deutlich, dass Wittgenstein streng logisch argumentiert. Eine konsequente Fortführung der Beobachtungen würde einen anderen Begriff als den des Glaubens nach sich ziehen. Der Glaube tritt also dann zutage, wenn eine andere Möglichkeit der Begründung ausscheidet. Damit ist ganz deutlich, dass zum Begriff des Glaubens eine andere Wirklichkeitsdeutung führt, als zur anderen Form von Deutung, etwa eines Beweises oder eine Schlusses. Um dies deutlich zu markieren sagt er etwas weiter unten: „Denn wohlgemerkt: Gründe sind hier nicht Sätze, aus denen das Geglaubte folgt.“
Etwas zu glauben geschieht nicht aufgrund einer bewiesenen Tatsache, sondern einer Annahme: „Wenn man nun fragt, wie kann aber eine frühere Erfahrung ein Grund zur Annahme sein, es werde später das und das eintreffen, – so ist die Antwort: welchen allgemeinen Begriff vom Grund zu solch einer Annahme habe wir denn? Diese Art Angabe über die Vergangenheit nennen wir eben Grund zur Annahme, es werde eben das in Zukunft geschehen. – Und wenn man sich wundert, dass wir ein solches Sprachspiel/Spiel/ spielen, dann berufe ich mich auf die Wirkung einer vergangenen Erfahrung (dass ein gebranntes Kind das Feuer fürchtet).“
Ich verstehe dies nun im wissenschaftlichen Zusammenhang so, dass es auch Verfahren gibt, die vorläufig nicht mit einem Beweis abgeschlossen werden können, die aber aufgrund bestimmter Erfahrungen die Vermutung nahelegen, es könne zu einem Beweis kommen. So dass sich die Fortsetzung etwa einer Versuchsreihe auch ohne endgültige Beweise nahelegt. Für den Bereich der Religion, auf die Wittgenstein hier nicht zu sprechen kommt, ist dann nahezulegen, dass sich der Weg des Beweises per definitionem ausschließt, sodass der Vorgang des Glaubens ausreicht, von dieser Erfahrung der Wirklichkeit zu reden, die ganz wie oben beschrieben, sich aus Annahmen herleitet, die Erfahrungen von Wirklichkeit sind, da sie subjektive bezeugt werden können. Um einen Grund zur Annahme etwa der Wirklichkeit Gottes zu haben ist nicht ein Beweis notwendig, sondern die Bezeugung anderer, dass diese Dimension von Wirklichkeit subjektiv erfahrbar ist. Es ist keine andere Wirklichkeit, sondern es ist eine unbeweisbare Gestalt derselben Wirklichkeit. Diese Gestalt beruht auf der Prämisse dessen, dass eine Dimension der Wirklichkeit darin besteht, dass sie schlechthin unbeweisbar ist.
Folgerichtig schreibt Wittgenstein: „Aber eben nicht, als ob man sagen könnte/wir sagen wollen/: Für´s Glauben genügt eben weniger, als für das Wissen, – Denn hier handelt es sich nicht um eine Annäherung an das logische Folgen.“
Der Grund, der für das Glauben ausreicht ist im Folgenden als ein „guter Grund“ benannt. Die Beispiele sind allesamt aus dem Bereich der menschlichen Umgangsweise, aus der Erfahrung. Die Ebene der Nichtbeweisbarkeit, also der reinen Möglichkeit im Hinblick auf eine Wahrscheinlichkeit ist aus der Erfahrung genommen, die aufgrund des Begriffes des Glaubens offensichtlich sogar notwendigerweise ohne einen Beweis auskommen muss, da sich sonst eine andere logische Konsequenz daraus entwickeln würde.
Zum Schluss endet die Argumentation Wittgenstein sogar in einem logischen Beweis für die notwendige Unbeweisbarkeit der Erfahrungswelt, die einem Glauben zugrundeliegt. Sie macht aber zugleich deutlich, dass der Umgang mit einem Begriff des Glaubens immer eine wenig nach der Möglichkeit der Beweisbarkeit fragt, weil dies eben der entsprechende Umgang mit Erfahrung wäre, im Falle des Glaubens aber eben ausdrücklich nicht ist. „Wenn man sagt „die Furcht ist begründet“, so ist nicht wieder begründet, dass wir das als guten Grund zur Furcht ansehen. Oder vielmehr: es kann hier nicht wieder von einer Begründung die Rede sein. Wenn der Grund, etwas zu glauben, eine erfahrungsmäßige Beziehung wäre, so müsste man weiter fragen „und warum ist das ein Grund gerade für diesen Glauben“. Und so ginge es weiter.“
Wittgenstein, der genauso Mathematiker wie Philosoph war, orientiert sich am Umgang mit Sprache und wählt Beispiele aus dem allgemeinen Sprachgebrauch, um darin auf Logik und auf das Denken hinzuweisen. Es geht in diesem Abschnitt ausdrücklich nicht um Religion, sondern um den Begriff des Glaubens allgemein in sprachlicher Hinsicht. Wittgenstein ist um des allgemeinen Verständnisses von Sprache um sprachliche Klarheit bemüht.
Diese Argumentation Wittgensteins ist hilfreich für den Umgang mit der Welt der Religion und dem Begriff des Glaubens. Sie zeigt: Glauben und Beweisbarkeit müssen sich gegenseitig ausschließen, sind aber einander verwandt. Es gibt Gründe für den Glauben aus dem Umgang mit vergangener Erfahrung, die zu einer Annahme führen, die auf das Verhalten eines Menschen einwirken kann. Sobald der Begriff des Glaubens von der diesem Vorgang innewohnende Unschärfe abweicht und eine Form der logischen Vergewisserung einführt, wird er unklar und dem Beweis gegenüber nicht mehr abgrenzbar. Wer etwa meint, die Wirklichkeit Gottes beweisen zu wollen, ist schon rein sprachlich auf dem Weg des Irrtums. Allerdings zeigt dieser logische Weg umgekehrt sogar die Notwendigkeit der Rede von Gott auf, als einer Dimension die unbeweisbar ist, sich darum aber trotzdem in Erfahrung, im Denken, Reden und Handeln der Menschen niederschlägt. Der Beweis der Notwendigkeit der Rede von Gott ist aber kein Beweis der Existenz Gottes. Er zeigt lediglich auf, wie der Vorgang des Transzendierens sprachlich funktioniert, was dann an Beispielen der religiösen Tradition und Sprachwelt zu verdeutlichen ist. Das ist Aufgabe der Theologie.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.