Mit Albert Schweitzer undogmatisch an Jesus glauben – Christoph Fleischer, Werl 2010

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Eine Notiz zu: Albert Schweitzer: Geschichte der Leben Jesu Forschung, Band 2, Siebenstern-Verlag München und Hamburg 1966, Schlußbetrachtung, S. 620- 630.

Wenn ich an mein neutestamentliches Proseminar zurückdenke, dann erinnere ich mich, dass Albert Schweitzers Buch „Die Geschichte der Leben Jesu Forschung“ eine Wende in der Exegese einläutete. Die Suche nach dem historischen Jesus als dem Gegengewicht zur kirchlichen Dogmatik und Institution, als ein direkter, wissenschaftlich geprüfter Zugang zum Glauben wird damit offiziell als beendet angesehen: „Der Jesus, der als Messias auftrat, die Sittlichkeit des Gottesreiches verkündete, das Himmelreich auf Erden gründete und starb, um seinem Werke die Weihe zu geben, hat nie existiert.“ (S. 620). Doch diese Erkenntnis hatte ja nicht den Sinn, die Suche nach einem freiheitlichen Element im kirchlichen Denken aufzugeben. Im Grunde war ja auch die historische-kritische Exegese nicht zu Ende, sondern begann nun, sich um die Texte als Quellen der urgemeindlichen Verkündigung zu kümmern. Aus der Frage nach dem historischen Jesus wurde die Literaturgeschichte des Neuen Testaments. Doch war es das, worauf Albert Schweitzer eigentlich hatte hinweisen wollen? Ging es ihm nicht gerade darum, sich von der Vorstellung zu trennen, „daß wir mit geschichtlicher Erkenntnis ein neues lebenskräftiges Christentum aufbauen und geistige Kräfte in der Welt entbinden können…“ (S. 621)? Nicht nur die Metaphysik Jesu, die er dem Judentum entnimmt, sondern jede solcher Religions-Ideologien erschwert das, was Albert Schweitzer heute als „eine Übertragung des Urgedankens jener Weltanschauung in unsere Begriffe“ (S. 623) bezeichnet. Wenn nun diese historische Methode nicht in der Lage ist, dem gegenwärtigen Glauben den Geist Jesu zu vermitteln, so soll damit kein Rückgang zu hergebrachter Dogmatik erfolgen: „Die konservative Dogmatik vermochte, wie die alte, auf die sie zurückgeht, mit dem historischen Jesus nichts anzufangen, weil sie die großen sittlichen Ideale, die in seiner Eschatologie nach Leben und Tat ringen, ebenfalls viel zu wenig zur Geltung kommen ließ.“ (S. 625). Die einzige Aussage, auf die es Albert Schweitzer nun anlegt und die im Grunde doch so etwas Ähnliches ist wie ein Fazit der „Leben-Jesu-Forschung“ ist, dass Menschen ihr eignes Leben in engem Zusammenhang sehen mit dem Schicksal der Welt, im Sinn einer Eschatologie, einer Überwindung und Weiterentwicklung. So können wir uns vom Geist Jesu tragen lassen, und doch gleichzeitig darum wissen, dass wir seine historische Gestalt nicht erfassen können. Verbunden mit dem historischen Judentum zur Zeit Jesu ist dessen Verkündigung ein Beispiel angewandter Eschatologie. Es geht gerade nicht darum, aus Jesus eine „Offenbarung“ oder ein „Symbol“ zu machen. Albert Schweitzer stellt also fest: „Eine Zeit hat also nur so viel wirkliche und lebendige Beziehung zu Jesus, als sie in dem Material ihrer Vorstellungen ethisch-eschatologisch denkt und in ihrer Weltanschauung die Äquivalente des bei ihm im Vordergrunde stehenden Wollens und Hoffens aufzuweisen hat, d. h. von den Gedanken beherrscht ist, die denen entsprechen, die sich in Jesu Begriff vom Reich Gottes zusammenfinden.“ (S. 625/626). Diesen Ansatz kann man ohne die idealistischen Schnörkel eigentlich nur mit dem Begriff „Verantwortungsethik“ umschreiben, wie man sie bei Dietrich Bonhoeffer („Ethik“) und bei Hans Jonas findet. Das ist die Verkündigung der Bibel, die uns einlädt, uns als die „Kinder des Reiches Gottes“ (S. 628) zu verstehen und damit „sittliche Kräfte für unsere Zeit werden“ (S. 628). Albert Schweitzer bezeichnet unsere Beziehung zu Jesus damit zusätzlich als „mystisch“: „Keine Persönlichkeit der Vergangenheit kann durch geschichtliche Betrachtung oder durch Erwägungen über ihre autoritative Bedeutung lebendig in die Gegenwart hineingestellt werden. Eine Beziehung zu ihr gewinnen wir erst, wenn wir in der Erkenntnis eines gemeinsamen Wollens mit ihr zusammengeführt werden, eine Klärung, Bereicherung und Belebung unseres Willens in dem ihrigen erfahren und uns selbst in ihr wiederfinden.“ (S. 629). Die Exegeten haben hier wahrscheinlich nur den ersten Satz gehört und gelesen, Albert Schweitzer dagegen legt den Schwerpunkt auf diese un mittelbare Einheit mit Jesu Eschatologie: „Sofern wir untereinander und mit ihm eines Willens sind, das Reich Gottes über alles zu stellen, um diesem Glauben und Hoffen zu dienen, ist Gemeinschaft zwischen ihm und uns und den Menschen aller Geschlechter, die denselben Gedanken lebten und leben.“ (S. 629). Hier sollte man genau sehen, dass es auch darum geht, mit Jesus und untereinander eines Willens zu sein, was nun zusätzlich zur Verantwortungsethik schon eine Kommunikation über diesen Willen einschließt und daher auf Diskursethik hinausläuft. Auch wenn Albert Schweitzer in seinem berühmten Schlusssatz dieses Buches von Jesus, der in die Nachfolge ruft, auf die dialektische Theologie hinzuweisen scheint, kann hier kein Axiom der Behauptung oder des Gehorsams herausgelesen werden. Die Nachfolge Jesu ist eben keine Gefolgschaft einer Autorität, sondern die selbstständige Hineinnahme Jesu in die Gegenwart: „Jesus stellt uns vor die Aufgaben, die er in unserer Zeit lösen muß.“ (S. 630). Und nur, wer sich von dort aus auf die Gegenwart einlässt, wird „erfahren, wer er ist“ (S. 630). Die Möglichkeit einer neuen Metaphysik ist so absolut ausgeschlossen. Albert Schweitzer geht über den kategorischen Imperativ Kants hinaus, der jeden Menschen in die Verpflichtung zu Gestaltung der Allgemeinheit hineinstellt, indem er die Erfahrung des Reiches Gottes als Gegenwart und als Zukunft voraussetzt. Jesus ist der Messias. Das Reich Gottes hat begonnen. Die Kirche wird sich auf Jesus verständigen und von Jesus her verstehen, nicht weniger aber auch nicht mehr.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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