Rudolf Bultmann: Entmythologisierung, Referat von Christoph Fleischer, Dortmund 2003

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Über: Die Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung als Aufgabe.“ Bericht über den Aufsatz von Rudolf Bultmann aus dem Jahre 1941 erschienen in: Rudolf Bultmann. Neues Testament und Mythologie. Neu hrg. Von E. Jüngel 1985

Einleitung: Der Aufsatz sollte die Pfarrer der BK provozieren, da die Gefahr einer neuen Orthodoxie bestand. Von Asmusssen und Iwand wurde er abgelehnt, von Bonhoeffer dagegen begrüßt. Als der Aufsatz von E. Wolf herausgegeben wurde (Beiträge… Kaiser Verlag, enthielt er noch einen weiteren Aufsatz, nämlich: Die Frage der natürlichen Offenbarung (R. Bultmann. Neues Testament und christliche Existenz. Hrg. Von A. Lindemann. S. 181 – 206). Titel insgesamt: „Offenbarung und Heilsgeschehen“. München 1941.

I. Die Entmythologisierung der neutestamentlichen Verkündigung als Aufgabe.

A Das Problem. Dieser Abschnitt hat 2 Teile:

  1. Das mythische Weltbild und das mythische Heilsgeschehen im Neuen Testament. Das Weltbild der Bibel ist das der drei Ebenen: Himmel, Erde und Unterwelt. Die Darstellung des Heilsgeschehens entspricht diesen Weltbild: Präexistenes Gotteswesen auf der Erde, Tod am Kreuz sowie die Auferstehung und Erhöhung in den Himmel. Wer zur Gemeinde gehört ist mit dem (himmlischen) Herrn verbunden, hat den Geist und die Gotteskindschaft und wartet auf dessen Wiederkunft zur Vollendung des Heilswerkes.
  2. Die Unmöglichkeit der Repristierung des mythischen Weltbildes. Die christliche Verkündigung kann das mythische Weltbild heute nicht mehr als wahr anerkennen, denn sonst müsste der Glaubende „ein Weltbild bejahen, dass er sonst im seinem Leben verneint“. Der mit dem mythischen Weltbild einhergehende Geister- und Dämonenglaube ist ebenfalls erledigt. „Man kann nicht elektrisches Licht benutzen.. und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben.“ Gleiches gilt für die mythische Eschatologie mit ihrem End – Denken. Der moderne Mensch versteht sich entweder ganz als Natur oder als Geist, der sich in seinem Selbst von der Natur abhebt. Die neutestamentliche Rede vom Geist ist davon unterschieden. Sakramentales Denken ist weitestgehend unmöglich. Der Tod ist keine Strafe, sondern ein natürlicher Vorgang. Der stelltretende Opfertod genauso schwierig wie die Auferstehung: „die Vorstellung von einem als Himmelswesen präexistierenden Christus und ebenso die korrelative Vorstellung von der eigenen Versetzung in eine himmlische Lichterwelt, … ist für ihn (den modernen Menschen) nichtssagend“.

B Die Aufgabe. Dieser Abschnitt besteht aus fünf Teilen.

  1. Nicht Auswahl und Abstriche. Die Aufgabe der Entmythologisierung ist nicht teilbar, weil die mythische Vorstellung das gesamte Heilsgeschehen betrifft.
  2. Die Aufgabe der Entmythologisierung als gestellt durch das Wesen des Mythos. „Im Mythos findet der Glaube Ausdruck, dass die bekannte und verfügbare Welt, … Grund und Ziel nicht in sich selber hat.. und dass der Mensch nicht Herr seines selbst ist..“ Damit ist die Kritik am Mythos immanent. Es geht im NT faktisch um das Existenzverständnis und um dessen Wahrheit im Glauben.
  3. Die Aufgabe der Entmythologisierung als gestellt durch das Neue Testament selbst. Die einzelnen mythischen Vorstellungen im NT sind gegeneinander nicht ausgeglichen, z.T. sogar widersprüchlich. Das gleiche gilt für den anthropologischen Widerspruch: der Mensch ist einerseits determiniert und erlebt Schuld als Verhängnis, andererseits ist er zur Entscheidung gerufen und hat ein Sündenbewusstsein. Die Entmythologisierung beginnt im NT selbst!
  4. Frühere Versuche der Entmythologisierung. Im 19. JH wurde der Mythos eliminiert, in der älteren Kirchengeschichte überwiegend allegorisiert. Bei der liberalen Eliminierung des Mythos verschwand das Kerygma ebenfalls bzw. wurde auf religiöse und ethische Grundformeln reduziert. Ein Fortschritt stellt die religionsgeschichtliche Schule dar: „Das wesentliche ist das religiöse Leben, dessen Höhepunkt eine Mystik ist, die sich mit Christus, in dem Gott symbolhaft Gestalt gewonnen hat, eins weiß.“ (27). Die christliche Religion zielt auf eine Art Entweltlichung im Kult (aber ohne Weltflucht). Doch auch dabei fehlt der kerygmatische Charakter.
  5. Die Forderung einer existenzialen Interpretation des mythologischen Begrifflichkeit. Die jüdische Apokalyptik und der gnostische Erlösermythos, die dem NT die Sprache liefern, sind sich in der Ansicht der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen einig (wozu der Mensch nicht von selbst in der Lage ist). Die Frage, die sich nun stellt ist, „ob dem Menschen im Neuen Testament ein Verständnis seiner selbst entgegengebracht wird, das eine echte Entscheidungsfrage für ihn bedeutet.“(29).

II Der Vollzug der Entmythologisierung in Grundzügen.

A Das christliche Seinsverständnis. Dieser Abschnitt teilt sich in zwei Teile.

  1. Das menschliche Sein außerhalb des Glaubens. Dieser Abschnitt ist kurz, aber grundlegend. Er beginnt mit Überlegungen über den Begriff der „Welt“ im NT. Die materielle Welt steht außer Frage: Sie ist eingeschlossen die leibliche menschliche Existenz Gottes Schöpfung. Es geht also um die Bewertung der Welt hinsichtlich ihrer Vergänglichkeit und Sterblichkeit. Daraufhin führt z.B. bei Paulus die Begriffskette „Sünde“ – „Fleisch“ – „Sorgen“. Diese Haltung ist der natürlichen Existenz in ihrer Todverfallenheit gegenüber unangemessen, daher leben die Menschen in der „Knechtschaft der Angst“.
  2. Das menschliche Sein im Glauben. Diese wird von der Gnade charakterisiert, die die Menschen von ihrer Vergangenheit befreien. Glaube ist demnach des Gegenteil des Sorgens, ist Vertrauen und „Hingabe an Gott“ in Gehorsam. Die Beteilung am Weltlichen erfolgt nun in der Form des „als ob nicht“. Diese Form der Entweltlichung ist ein eschatologisches Existieren. Schon in der Bibel wird die Zukunftserwartung entmythologisiert, da sie inhaltlich gegenwartsbestimmt ist. Das Leben im Glauben ist Indikativ und Imperativ zugleich, da es einerseits eine Bestimmung ist, andererseits aber in den konkreten Lebenssituation zu bewähren ist. Das außerweltliche Sein der Glaubenden ist als innerweltliche Gegebenheit gemeint, aber nicht als Zustandbeschreiung wie in der Gnosis, sondern als „Unterwegssein“. Damit stellt sich natürlich die Frage, ob der Begriff „Geist“ überhaupt angemessen entmythologisiert werden kann. Bei Paulus beschreibt das Wort Geist nämlich genau diese Haltung des „Glaubens, die durch ihre Gelöstheit von der Welt zugleich offen macht für das menschliche Miteinander.“ (38).

B Das Heilsgeschehen.

  1. Christliches Seinsverständnis ohne Christus. Glaube meint im NT zuerst Glauben an Christus und das Christusgeschehen. Die Möglichkeit eines mythologischen Restes besteht. Die eigentliche Entdeckung des Christentums ist „die Geschichtlichkeit des Daseins“. Hiermit ist nach Dilthey sofort die Frage nach der Hermeneutik gestellt (das Wort H. fällt hier aber noch nicht). Das Leben ist geschichtlich, d.h. partikular, enthält dennoch immer übergeschichtliche Wahrheiten. Die zeitgenössische Philosophie z.B. Heidegger scheint ähnlich zu argumentieren und rekurriert damit auf Erkenntnissse des NT: „der Mensch, geschichtlich existierend in der Sorge um sich selbst auf dem Grunde der Angst, jeweils im Augenblick der Entscheidung zwischen der Vergangenheit und der Zukunft, ob er sich verlieren will an die Welt des Vorhandenen, .., oder ob er seine Eigentlichkeil gewinnen will .. in der rückhaltlosen Freigabe für die Zukunft.“(41). In der zeitgenössischen Philosophie wird dann statt „Glaube“ das Wort Hingabe gebraucht (Kamlah). Glaube als natürliche Hingabe verstanden, gelingt philosophisch auch ohne Offenbarung. Ist Glaube dies aber wirklich? Glaube ist eine natürliche Haltung, insofern sie dem Menschen naturgemäß möglich ist, sondern ein natürliches Verhalten darstellt. „Der Glaube ist.. die Haltung echter Menschlichkeit“ (43). Aber: Ist der Mensch wirklich in der Lage diese seine „Natur“ zu verwirklichen? Die Philosophie lehrt dies durch Bildung: „Werde, der du bist.“ Das NT sieht das Leben des Menschen unter dem Zustand der Verfallenheit. Die Selbstrechtfertigung des Menschen ist daher nur möglich, wenn die Verfallenheit von außen überwunden wird. Solange sich der Mensch im Zustand der Eigenmächtigkeit befindet, ist er dazu nicht in der Lage. Zwischen der Auffassung der Philosophie und des NT ist eine Entscheidung nötig, bewiesen werden kann beides nicht. Die Bibel redet in diesem Zusammenhang von der Sünde um zu zeigen, dass sie der Mensch seiner Eigenmächtigkeit nicht bewusst ist. Er kann zur Haltung der Hingabe nur gelangen, „wenn er von sich selbst befreit wird“. Diese Freigabe durch die sogenannte Vergebung der Sünde ist der Sinn des Christusgeschehens: „Das in Christus sich ereignende Geschehen ist also die Offenbarung der Liebe Gottes, die den Menschen von sich selbst befreit zu sich selbst, indem sie ihn zu einem Leben der Hingabe im Glauben und in der Liebe befreit.“ Liebe ist nur im Zustand des Geliebtseins möglich. Dies ist eine Tat Gottes. (Damit scheint Bultmann, wie er selbst sieht, aber wieder in den Mythos und seine Sprache zurückzukommen.) Um zu klären, wie dies unmythisch gedacht werden kann, folgt nun zuletzt das Kapitel:

2. Das Christusgeschehen.

  1. Das Problem der Entmythologisierung des Christusgeschehens. Im Christusgeschehen sind Mythos und Geschichte miteinander verschlungen: Jesus von Nazareth, der präexistente Christus. Soll die Rede von der Präexistenz nun die Bedeutsamkeit der Person Jesu für den Glauben herausstellen? Dies ist allerdings die Sprache der Rückperspektive. Bultmann stellt dagegen: „Seine Gestalt ist nicht aus dem innerweltlichen Zusammenhang seiner Bedeutsamkeit heraus zu begreifen“.
  2. Das Kreuz. Im Kreuzesereignis wird nicht nur der Mythos beschrieben, sondern ein geschichtliches Ereignis „in kosmische Dimensionen emporgehoben“. In diesem Ereignis ist „das Gericht über uns selbst, die den Mächten der Welt verfallenen Menschen, vollzogen“. Das Kreuz ist ein Heilsgeschehen, weil es im Glauben bedeutet, sich mit Christus kreuzigen zu lassen. Es ist eschatologisch und wird im Glauben zur Gegenwart. Dies geschieht in den Sakramenten wie im konkreten Lebensvollzug. Wie ist diesem Ereingis solche Bedeutung anzusehen? Nur durch die Auferstehung, daher: „Kreuz und Auferstehung gehören zu einer Einheit zusammen“.
  3. Die Auferstehung. Ist sie ein mythisches Ereignis und besagt die Bedeutsamkeit der Kreuzigung? Kreuz und Auferstehung sind eine Einheit. Die Auferstehung ist somit nicht das beglaubigende Mirakel (obwohl dies im NT teilweise so gesehen wird). Die Auferstehung ist selbst Gegenstand des Glaubens, weil sie ein eschatologisches Ereignis ist: „In Christus werden alle lebendig gemacht werden“. Im konkreten Lebensvollzug zeigt sich, ob wir Christen sind, das heißt lebendig mit Christus. „Der Auferstehungsglaube ist nichts anderes als der Glaube an das Kreuz als Heilsereignis“. Das gilt dann umgekehrt auch für den Kreuzesglauben, der nicht ohne Auferstehungsglauben möglich ist. Osterglaube ist: „Der verstehende Glaube an das Wort der Verkündigung“ (61). Das Osterereignis ist: „Die Entstehung des Glaubens an den Auferstandenen.“ (61). Der Osterglaube der Jünger ist Teil des eschatologischen Geschehens. Darauf folgend gehört das Wort, die Verkündigung der Kirche ebenfalls zum eschatologischen Geschehen der Auferstehung.

Schluss: In der Rede von Gott gibt es einen mythologischen Rest, der aber nicht eigentlich mythologisch verstanden wird. Das Heilsgeschehen ist ein Geschehen in Raum und Zeit. Gottes Handeln vollzieht sich in einem konkreten Menschen. So ist das Wort Gottes: „die Verkündigung der Person und des Schicksals Jesu von Nazareth in ihrer heilgeschichtlichen Bedeutsamkeit“ mit dem Anspruch, dabei vom „Wort Gottes“ zu reden. (64). Ein historisches Phänomen ist zugleich eschatologisches Geschehen, was sich fortsetzt. „Die Jenseitigkeit Gottes ist nicht zum Diesseits gemacht, wie im Mythos, sondern die Paradoxie der Gegenwart des jenseitigen Gottes in der Geschichte wird behauptet.“ (64).

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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