Ökonomisierung der Diakonie? Christoph Fleischer – Rezension

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Zu: Von der „Barmherzigkeit“ zum „Sozial-Markt“. Zur Ökonomisierung der sozialdiakonischen Dienste, Hrsg. v. Heinrich Bedford-Strohm u.a., Jahrbuch Sozialer Protestantismus Band 2, Gütersloher Verlagshaus 2008 ISBN 978-3-579-08051-2, 29,95 Euro

Was mit Ökonomisierung gemeint sein könnte, zeigt exemplarisch ein Zitat aus dem Beitrag der ehemaligen Mutterhausleiterin von Kaiserswerth Cornelia Coenen-Marx:

„Der Gesundheits- und Pflegebereich folgt einerseits zunehmend den Gesetzen von Markt und Wettbewerb, ist aber andererseits durch die Sektorgrenze der Versicherungsleistungen, die scharfe Unterscheidung von ambulanten und stationären Diensten und die Heimgesetzgebung extrem reguliert. Ökonomisierung und staatliche Kontrolle lassen wenig Raum für die Entwicklung eigenständiger Profile, insbesondere dann, wenn sie nicht unmittelbaren Nuten versprechen.“

Schon an diesem Zitat wird erschreckend deutlich, dass die meisten Autoren dieses Bandes, die den Begriff der Ökonomisierung verwenden, wenig Wert darauf legen zu überprüfen, ob die wissenschaftliche Ökonomie nicht dazu auch einmal zu befragen wäre. Die Regulierung eines Marktes ist kein Argument gegen die Beobachtung, dass sich die wesentlichen Vollzüge der „diakonischen Unternehmen“ nach ökonomischen Gesetzen vollziehen. Der Begriff Ökonomisierung trägt zu einer Unschärfe bei, die der Sachlage nicht angemessen ist. Steffen Fleßa (Greifswald) repräsentiert sozusagen den advocatus diaboli, stellt gleich im ersten Satz die Beziehung zur Ökonomik her und zeigt auch in seiner Argumentation, dass die Berücksichtigung wirtschaftswissenschaftlicher Kriterien der Arbeit in den diakonischen Unternehmen immer noch dienlich ist: „Diakonische Sozialleistungsunternehmen produzieren Dienstleistungen, die eine spezifische soziale Notlage lösen und zumindest entschärfen sollen.“ Der Autor zeigt hier, dass ein Bezug zu einer modernen Auffassung von Management keinesfalls der Verlust des diakonischen Profils verbunden ist. Folgerichtig kommt dieser Artikel ohne das Wort Ökonomisierung aus.

Dies gilt ebenso für den Artikel von Friedrich Vogelbusch über die nötige Transparenz gemeinnütziger Unternehmen, die von öffentlichen Mitteln oder von Spenden abhängig sind. Gerade durch die Notwendigkeit überhaupt Geld zu verwalten und zu erwirtschaften, wird die unabweisbare Realität des Ökonomischen im sozialen Bereich deutlich. Die Qualitätsanforderungen der Geldgeber und die Entsprechung der Finanzierung zu den satzungsgemäßen Aufgaben wirkt direkt in die Verantwortung diakonischer Einrichtungen hinein. Warum dies auch gegenüber den in hohem Maße nötigen Kirchensteuermitteln gilt, wird hier noch nicht einmal erwähnt. Interessant ist, dass es im Zusammenhang der Verwaltung von Geld auch direkt um wirtschaftliche Fragestellungen geht, z. B. in der Frage danach, in welcher Gestalt die Rechnungslegung einer Institution erfolgt (Kameralistik oder doppelte Buchführung). Spenden und öffentliche Gelder fließen nur, wenn sie sachgerecht eingesetzt werden und wenn die Arbeit der Einrichtung auch den dargestellten Aufgaben in voller Qualität entspricht.

Hilfreicher wäre es also den Begriff Ökonomisierung durch den der Ökonomie zu ersetzen. Und das Wort Ökonomisierung schnell wieder zu vergessen. Und um so wichtiger ist es gerade im Hinblick auf die Qualität, die im Interesse des eigentlichen Klientels sozial hilfebedürftiger Menschen ist, die Probleme des Marktes zu benennen, die eben einer immerwährenden Regulierung bedürfen. Dies kann bei einem Sozialmarkt kaum anders sein, da dieser ja sozusagen in einer sozialen Marktwirtschaft das Korrektiv zum großen Markt darstellt. Der Bezug des Sozialmarktes zur Gesamtwirtschaft ist ja gerade darin zu sehen, dass er im Sinne der Subsidiarität öffentliche soziale Aufgaben verwaltet, deren Wahrnehmung aus kirchlicher Sicht zur Aufgabe der christlichen Gemeinde gehören. Die Aufgaben sind ökonomisch hervorgerufen, staatlich geboten und werden, aus diakonischer Sicht im Auftrag des Evangeliums verwaltet.

Doch gerade diese binnenkirchliche Fragestellung scheint der eigentliche Grund für die Ökonomisierungsdebatte zu sein. Die Frage ist nach Tragott Jähnichen: Ist die Diakonie „nur“ eine (wichtige) Funktion von Kirche oder ist sie nicht auch eine eigenständige Gestalt von Kirche?

Heinrich Bedford-Strohm zeigt gerade die Bedeutung der Diakonie auf im Hinblick auf eine „öffentliche Theologie“, die der Kirche zeigt, dass sie gerade darin im Dienst Jesu Christi steht, indem sie etwas die Option für dir Armen praktisch verwirklicht. Er beruft sich auf Johann Hinrich Wichern und stellt fest: „Die Kirche hat nicht Diakonie, die Kirche ist Diakonie.“ Dass genau von daher dem wirtschaftlichen Denken eine dienende Funktion zukommt, ist ja eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Gäbe es eine Alternative zwischen dem Sozialmarkt und den Schicksalen der Betroffenen, dann hätte sich die Diakonie wohl für das Zweitere zu entscheiden.

Auch Franz Segbers stellt fest, dass die Diakonie sich nicht nur vom Wettbewerb her definieren darf, sondern auch von den politischen Rahmenbedingungen her, auf die sie Einfluss nehmen muss. Der alte Begriff der Dienstgemeinschaft ist neu zu füllen, statt ihn aufzugeben. Die Frage ist nur, ob Segbers die Diakonie als politische Instanz versteht, anstelle ihr auch zu zeigen, wie sie Öffentlichkeit herstellen sollte für die Schicksale der Betroffenen. Dies wird besonders an Menschen deutlich, die unter „HartzIV“ leiden müssen.

Uwe Becker macht in seinem Artikel deutlich, dass indirekt auch immer die ökonomischen Rahmenbedingungen eine Rolle spielen, wenn es um konkrete Schicksale geht.

Dass die „Professionalisierung sozialer Dienstleistungen“ nicht durch „Kostensenkung durch Rationalisierung“ verwässert werden darf, zeigen Eva Senghass-Knobloch und Christel Kumbruck.

Gerhard Wegner weist in diesem Zusammenhang auf die Ressource des „Glaubens“ hin, die er dadurch betont, dass er im Hinblick auf die ambulante Versorgung die Ortsgemeinden und ihr ehrenamtlichen Mitarbeiter ins Spiel bringt. An dieser Argumentation lässt sich zeigen, dass die Ausblendung der Ökonomie nicht bedeuten kann, dass der „Glaube“ in der Ortsgemeinde den diakonischen Einrichtungen billige Arbeitskraft liefert. Die Frage wäre eher, ob die Verbindung zur Ortsgemeinde nicht dazu beitragen kann, die seelsorgerliche Qualität der Diakonie zu verbessern.

Ein Bereich, der schon weitgehend von der Argumentation der Sozialökonomie bestimmt ist, ist der Behindertenbereich. Hier ist von „Case-Management“ und von „Kontraktmanagement“ die Rede (Johannes Eurich). Interessant ist hier, dass er den Begriff Ökonomisierung nicht ausschließlich negativ gebraucht wird. Positiv ist z. B. die Ausrichtung am Kundenbegriff, der auf der Seite der von Behinderung betroffenen Menschen zu weniger Hilfsbedürftigkeit und mehr Selbständigkeit geführt hat, bis hin zu einem „persönlichen Budget“. Hier kommen zugleich die Grenzen des gewünschten und angestrebten Selbstmanagements in den Blick. Es ist klar, dass der „Sozial-Markt“ gleichzeitig im Zusammenhang der Gesamtwirtschaft eine Art Gegenmarkt darstellt, der sich an Menschen ausrichtet, die üblicherweise „zu den Verlierern der Marktgesellschaft gehören“.

Der widersprüchliche Umgang mit dem Phänomen der Ökonomie wird im Dokumentationsteil des Buches erneut deutlich, wobei damit nichts gegen die Qualität des Buches gesagt sein soll, da es sich ja um eine Diskussionsplattform der Stiftung „Sozialer Protestantismus“ handelt, die im Jahr 2007 in Berlin neu gegründet wurde und aus der Arbeit der Ev. Sozialakademie Haus Friedewald hervorgegangen ist. Die drei Beiträge von Nikolaus Schneider, Peer Steinbrück und Wolfgang Huber stellen die soziale Kategorie der kirchlich evangelischen Orientierung heraus, teilweise historisch orientiert, theologisch aber zum Teil recht holzschnittartig und oberflächlich. So wird von Wolfgang Huber der Begriff der „Spiritualisierung“ in einem Dokument des Papstes Benedikt XIV als Gegenbegriff zum sozial kirchlichen Handeln in der katholischen Kirche gesehen, um dann ein paar Sätze später die vorrangige „Option für die Armen“ als „gemeinsame ökumenische Leitlinie“ herauszustellen. Der konzeptionelle Einfluss des „sozialen Protestantismus“ auf die Entstehung des Systems der sozialen Marktwirtschaft wird zwar konstatiert, aber nicht klar entwickelt. Offenbar stimmt es, was Peer Steinbrück in einem nicht ganz glücklichen Bild beschreibt, dass dieses „Kind“ viele „Eltern“ hat. Ob das Verhältnis zwischen Ökonomie und Ethik bzw. Politik sachgerecht beschrieben ist, wenn Wolfgang Huber schreibt: „Zivilgesellschaft, Staat und Markt: Ihr Zusammenspiel ist immer wieder neu zu justieren“?

Die Finanzkrise hat gezeigt, dass diese Justierschraube offensichtlich erst dann ins Spiel kommt, wenn der Motor schon gehörig rappelt.

Der folgende Beitrag einer Arbeitsgruppe über die Rolle der Gewerkschaften aus kirchlicher Sicht unter Mitarbeit von Traugott Jähnichen ist hier schon klarer und zeigt, dass die Rolle der Gewerkschaften im Niedriglohnbereich keineswegs mehr so gut verankert ist, wie bei herkömmlichen Belegschaften. Ja es scheint sich ein Zwei-Klassen-System in der Arbeitnehmerschaft zu entwickeln. Hinzu kommt die Tatsache, dass die geforderte Mitbestimmung, durch die Arbeitnehmervertreter auch an Entscheidungen des gesamten Unternehmens teilhaben, durch die Globalisierung ausgehebelt wird, so dass letztlich wie bei Nokia in Bochum nur noch der Vollzug anderswo gefallenen Entscheidungen zu verwalten ist. Der Artikel fordert nationale Regulierungssysteme und verkennt, dass gerade darin das Problem liegt, dass diese offensichtlich nicht mehr greifen. Ob es hilfreich ist, hier danach zu fragen, ob bestimmte Unternehmensentscheidungen durch einen Kriterienkatalog ausgeschlossen werden können, lässt diese Diskussion noch offen. Was in diesem Artikel auch völlig fehlt ist eine kritische Sicht auf die Gewerkschaften, z. B. in den Missständen bei VW. Ob es auch für Arbeitnehmervertreter einen ethischen Codex geben sollte, ist doch auch eine ethische Frage, die hier nicht angesprochen wird, da dem Artikel nur an einer positiven Würdigung der Gewerkschaften liegt.

Zwei kurze Berichte und Rezensionen runden das Buchprojekt dieser zweiten Dokumentation dieser neuen Stiftung Sozialer Protestantismus ab. Es ist gut, dass es sie gibt. Es ist interessant, dass dabei auch das Thema Diakonie als dem Hauptgebiet der innerkirchlichen Betriebswirtschaft in den Blick kommt. Zugleich dokumentiert die Unterschiedlichkeit der Beiträge in Schwerpunktsetzung und Betonung des ökonomischen doch, dass der soziale Protestantismus sich mit der Ökonomie schwer tut. Dennoch lohnt sich eine lebendige Diskussion der Wirtschaftsethik gerade dann, wenn sie aus der Sicht des sozialen evangelischen Anspruchs betrachtet wird und man wird jetzt schon gespannt auf das nächste Jahrbuch warten. Nur ist zu hoffen, dass der schillernde Begriff „Ökonomisierung“ bald ausstirbt.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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