Zugehörigkeit und Bildung – Notiz von Christoph Fleischer, Werl 2011

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Eine Antwort auf Antje Schrupp: „Identität und Zugehörigkeit. Zur Debatte, ob der Islam zu Deutschland gehört.“ Erschienen am 06. März 2011 (http://antjeschrupp.com/2011/03/06/identitat-und-zugehorigkeit/).

Antje Schrupp beobachtet in ihrem Blog wohl zu Recht, dass die Fragestellung, ob der „Islam zu Deutschland gehört oder nicht“ von der Vorstellung einer fest bestimmbaren Identität geprägt ist. Die Identitätsfrage wird in dieser Perspektive von einer Gleichheitsidee bestimmt, die zur Beurteilung beiträgt, was oder wer dazugehört oder nicht. Mit ihrem Vorschlag, dem Begriff der Zugehörigkeit pragmatisch den Ausschlag dafür zu geben, was als „christlich“ oder „deutsch“ zu gelten habe grenzt sich ab von der Idee einer dogmatisch festellbaren Identität.
Zu begrüßen ist an diesem Vorschlag, dass dem oder der Einzelnen nicht vorgeschrieben wird, wie er oder sie zu sein haben (als Christ oder Christin z. B.), sondern jedem und jeder die Definition des eigenen Selbstverständnisses zugestanden und zugleich zugemutet wird. Jedoch ist davor zu warnen, dass Zugehörigkeit als Feststellung äußerer Merkmale gedacht ist, wozu auch das Geschlecht gehören mag, was im Nationalsozialismus am Beispiel der Rasse geschah. Um das zu vermeiden, muss Zugehörigkeit immer wieder über Inhalte definiert und kommuniziert werden. Es geht nicht nur darum, dass „inhaltliche Kontroversen fruchtbar gemacht“ werden, wie Antje Schrupp schreibt, sondern ebenso darum, den Ort und den Inhalt des Diskurses neu inhaltlich und subjektiv zu prägen. Die Subjektivität ist zu den Ergebnissen des postmodernen Diskurses zu zählen, der unhintergehbar ist. Interessant könnte in diesem Zusammenhang auch der Hinweis auf den systemischen Ansatz sein, der schon im Veränderung des Settings durch eine einzelne Person eine Veränderung des Ganzen sieht.
Zuerst wird also danach zu fragen sein, wie jeder und jede das eigene Verständnis vom Mensch-Sein darstellt und aktualisiert. Im Zusammenhang von weiteren Zugehörigkeiten wie des Geschlechts, der Nation, der Religion zeigt sich auch die jeweilige persönliche Prägung. Wo jeder Fundamentalismus zu Abgrenzungen neigt, die auf jeden Fall die Grenzen der Humanität verletzen, wird nun andererseits die Notwendigkeit gegenseitiger Bildung und wechselseitiger Kommunikation deutlich (Diskursethik). An die Stelle einer festgestellten Identität sollte ein Gemeinschaftsgefühl treten, zu dem nicht unwesentlich der Spracherwerb beiträgt. Europa ist geprägt durch miteinander verwandte Sprachen und den Raum der abendländischen Kultur zu dem, wenn auch am Rande, der Islam gehört. Wer den Islam nicht aus der Sicht der Abgrenzung, sondern aus der Perspektive des Dialogs und der Suche nach Gemeinsamkeiten zur Kenntnis nimmt, entdeckt überraschend viele Aspekte, christlich-jüdisch-islamischer Gemeinsamkeiten. Dies heißt für Europa aber ebenso, dass Säkularisierung und Religionsfreiheit ebenso unaufhebbare Kulturgüter sind. Dies hat in einem Interview in der WELT vor Kurzem die französische Philosophin Julia Kristeva herausgestellt. Aus dem Interview seien hier daher einige Sätze zitiert:
„Die europäische Kultur ist sehr komplex und voller Verbrechen: Inquisition, Pogrome, die Shoa. Das kulturelle Gewissen Europas ist sehr schuldbeladen. … Aber wir sollten uns unserer Tradition auch nicht schämen. Die Humanwissenschaften sind in Europa geboren. Die Kritik des Selbst, die Begegnung mit dem Anderen, die Säkularisierung, die Menschenrechte, die Frauenbewegung, die Idee der Freiheit – es ist mir fast peinlich, die guten Seiten der europäischen Kultur so zu preisen. Allerdings ist Europa der einzige Ort auf der Welt, wo die Kultur nicht ein Kult ist, sondern eine Frage. … Der Stolz auf diese Traditionen (s.o.) …setzt einen Kontrapunkt zu unserer Schuldbeladenheit. … Wir Europäer stehen auch in der Tradition der Säkularisierung. … Ohne diese Brücke der Säkularisierung bliebe jede Religion in ihrer Ecke und glaubte sich im Besitz der absoluten Wahrheit. So etwas kann dann allerdings in Massakern enden.“ (http://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article12941331/Wir-brauchen-die-Philosophie.html).
Mir scheint, dass Julia Kristeva mit Antje Schrupp zum Teil parallel geht, wobei Kultur dann als der Raum der Zugehörigkeit zu definieren wäre. Interessant ist, dass hier die Funktion der Säkularität und der Schuldbeladenheit ergänzt wird. Die Frage ist nicht, womit die Schuld werden bezahlt soll, um im Bild zu bleiben, sondern wodurch das Schwere leichter gemacht werden kann. Über Zugehörigkeit hinaus gilt es Brücken der Verständigung zu bauen. Jedem, auch sich selbst, sei zudem die Entwicklung der eignen Persönlichkeit zugestanden. Wir sollten einander einfach mehr fragen.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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