Die Handlung unserer Seele, der Glaube – Predigt Karfreitag in Schwefe, Christoph Fleischer, Werl 2011

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Predigt Karfreitag mit Texten aus der Matthäus-Passion von J.S.Bach und einem Kreuzigungsbild aus der St. Severin-Kirche in Schwefe.

Lesung: Lukas 23, 33-49

33 Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. 34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum.

35 Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes. 36 Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig 37 und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! 38 Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König.

39 Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! 40 Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? 41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. 42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! 43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.

44 Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, 45 und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. 46 Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.

47 Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen! 48 Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um.

49 Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.

Gesang (Arie):

Aus Liebe will mein Heiland sterben

Von einer Sünde weiß er nichts

Dass das ewige Verderben

und die Strafe des Gerichts

nicht auf meiner Seele bliebe.

(Matthäus Passion von Johann Sebastian Bach)

Liebe Gemeinde!

Das Kreuzigungsbild auf dem Schwefer Altar steht stellvertretend für viele andre aus dieser Zeit. Diese Kreuzigungsbild ist eine Entsprechung der Kreuzigungserzählung aus dem Lukasevangelium. Ich habe es als Bildausschnitt vor Augen und sie als Gemeinde schauen direkt dorthin.

Es ist dort, im Raum unter den Kreuzen eine menschliche Versammlung abgebildet. Man erkennt unterschiedliche Charaktere in verschiedenen Aktionen. Ein Mann reicht dem Gekreuzigten einen Schwamm auf einer Stange. Ein anderer spricht zu diesem. Darunter eine Gruppe mit zwei oder drei Frauen, schlicht gekleidet. Die Männer ohne Kopfbedeckung. Einfache Leute, die Jüngerinnen und Jünger. Auf der anderen Seite daneben die Männer, die um das Gewand und andere Dinge streiten und losen. Darüber wieder eine Frau, ein Hauptmann und eine andere Person. Drei Personen sind insgesamt auf einem Pferd, sind damit nicht nur räumlich höher gestellt. Das Kreuz selbst ist eine Ebene höher auf einem Felsen. Auf dieser Ebene befindet sich eine kniende Frau, die zu Christus herausschaut. Sie scheint gleichermaßen zu Jesus und zu Gott zu beten.

Die Kreuzigungserzählung wird hier zeitgenössisch inszeniert. Das ist kein historisches Bild der Zeit um Jesu Tod in Judäa. Mittelalterlich gekleidet lassen die Künstler die unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und Stände hier unter das Kreuz Jesu treten. Dieses Kreuz dominiert das ganze Bild. Deutlich ist das Wort INRI zu lesen, Jesus von Nazareth, König der Juden. Die beiden Mitgefangenen, die wir auch aus der Erzählung kennen, begegnen uns hier ebenfalls. Der eine, von uns gesehen links, hat über dem Kopf einen Engel. Er stirbt also in Frieden, der andere schaut ins Leere. Eine Landschaft mit Bäumen und Häusern hinter den Kreuzen ist nur angedeutet.

Für den mittelalterlichen Betrachter wird die Kreuzigung in die Gegenwart geholt. Das heißt: Was Du hier siehst, was Du aus der Bibel gehört hast, das geschieht heute. Wir sind, so wie wir heute sind, Zeugen und Beteiligte am Kreuz Jesu. Sogar die Entscheidung der zwei Wege des Glauben und des Unglaubens wird uns in Gestalt der Nebenkreuze vor Augen gestellt.

Wenn ich unsere Beobachtungen am Altarbild mit der soeben gelesenen Kreuzigungsgeschichte des Lukasevangeliums vergleiche, so muss ich doch feststellen, dass viele Motive direkt aufgenommen sind:

–          Die Kreuzigungsstätte, die Schädelstätte hieß

–          Die Kreuzigung inmitten der Übeltäter

–          Die Verlosung der Kleider

–          Die Gabe des Essigs

–          Das Volk, das dem Schauspiel zusah

–          Der Spott der Oberen, hier als Berittene gezeichnet

–          Die Aufschrift: König der Juden

–          Der Segensspruch für den einen Übeltäter

–          Der Hauptmann, der sich zu Christus bekannte, hier mit der Schwurhand

–          Die Frauen um Jesus mit einem Jünger, die von ferne standen.

Allein die unter dem Kreuz betende und zu Christus heraufsehende Frau will mir nicht so recht in das Bild der biblischen Geschichte passen. Hier tritt uns nun das Glaubensthema entgegen. Neben der dem Zeitkolorit im 15. Jahrhundert angepassten Szenerie, die besagt: Das hier geschieht in unserer Zeit, zeigt uns diese Frau die dem Gekreuzigten angemessene Haltung. Sie präsentiert die Gemeinde.

So wie Christus am Kreuz hier religiös gesprochen das christliche Bekenntnis verbildlicht, so steht diese Frau für den religiösen Vollzug, für die Gemeinde selbst. Vielleicht ist es auch gar nicht im streng Sinn das Gebet, sondern die Erwartungshaltung der Eucharistie, die später auf das Evangelium und die Verkündigung übergegangen ist: „Komm zu mir Herr Jesu Christ! Stirb für mich und gib dich mir, damit auch ich, mein alter Adam mit dir sterben möge!“ Diese Worte sprengen die Erzählung, aber verdeutlichen genau das, worum es hier geht.

Warum ist Karfreitag der höchste evangelische Feiertag? Weil sich hier unter dem Kreuz, unter dem die Gemeinde ja sonntäglich zusammentrifft, die Erlösung Christi ereignet! Hier und heute wird es wahr, dass Christus mit uns, für uns und ja sogar in uns stirbt. Dieses Ereignis markiert unsren religiösen Nullpunkt. Heraustretend aus dieser Kirche soll uns bewusst sein: Wir können das Alte hinter uns lassen. Unser Tod vor Gott ist bereits in Christi Tod vorweggenommen. Wir können ein wenig glauben, so gut wir es eben vermögen. Wir können auf den nächsten Tag und den übernächsten Tag hin leben – und mögen auch in unserem Leben Ostern erfahren.

Nur kurz: Nachdem ich in den vergangenen Wochen die Matthäuspassion zweimal im Auto gehört habe, ist mir eben darin Vergleichbares aufgefallen wie hier am Altar: Die Arien, die wir gehört haben stellen in der Gestaltung dieser Passion das Element der Frömmigkeit der einzelnen Menschen heraus und sind allesamt die Gefühlsreaktionen auf das grausame Geschehen der Passion.

Das Blute nur, du liebes Herz! Der ersten Sopranarie stellt die Verallgemeinerung des Judas Geschehens dar: Ein Kind, das Du erzogen, das an deiner Brust gesogen, Droht den Pfleger zu ermorden denn es ist zur Schlage worden. Das ist eigentlich auf eine Mutter gemünzt, die ihr erwachsenes Kind verloren hat, da es Wege einschlug, die sie als Verrat ansieht. Ihr Blutet das Herz. Das heißt im Gottesdienst: Soll Jesu Herz nicht bluten, wenn er unseren Verrat und unseren schwachen Glauben sieht? Ist nicht ein wenig von Judas in vielem von dem, was wir im Alltag tun, indem wir alles was mit Religion zu tun hat als Nebensache abtun?

Eine andere Arie, am Ende der gleichen Szene: Ich will dir mein Herze schenken, senke dich, mein Heil hinein. Ich will mich in dir versenken, ist dir gleich die Welt zu klein. Ei, du sollst mir allein mehr als Welt und Himmel sein.

Das ist die Antwort des Glaubens auf das Angebot des Abendmahls. Hier soll diese Art von Versenkung Wahrheit werden. Die mystische Einheit mit Christus wird zur Mitte der Religion. Dies ist die Deutungsebene. Rezitativ, das ist die Erzählung des Evangeliums, die Choräle sind die antwortende Gemeinde und in der Arie, im Sologesang, äußert sich das Motiv des Glaubens und der Religion.

In jeder Arie hören wir das Seelenmotiv. Der Glaube ist ein Gefühl und zugleich eine Handlung unserer Seele.  Unsere Seele ist wohl zu Handlungen fähig. Was ja auch die Liebe zeigt.

Aus Liebe will mein Heiland sterben – Von einer Sünde weiß er nichts

Dass das ewige Verderben – und die Strafe des Gerichts – nicht auf meiner Seele bliebe.

Oder es heißt anderswo: Wir wollen nun Jesus suchen. Ach, was soll ich der Seele sagen, wenn sie mich wird ängstlich fragen? Ach, wo ist mein Jesus hin?

Die ganze Passion ist der ganze Glaube. Hier ist nicht nur ein „Hier stehe ich und kann nicht anders“ am Platz. Glaube ist Sorge. Glaube ist auch Angst. Glaube ist ein lebendiger Prozess. Unter dem Kreuz die Stille aushalten und auf das neue Leben warten, den Tod für mich und mit mir als Ereignis verstehen. Neu anzufangen ohne zu wissen, wohin. Auch das ist Glaube.

Amen.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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