Ende der Postmoderne oder Postmoderne in der Moderne – Notiz von Christoph Fleischer, Werl 2011

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Gianni Vattimos „Das Ende der Moderne“ bezieht sich im Wesentlichen auf die Ausführungen Friedrich Nietzsches und Martin Heideggers (Gianni Vattimo. Das Ende der Moderne. Reclam Stuttgart 1990 – Original: La fine de la modernità, Milano 1985).
Auch die Darlegungen Emanuel Levinas´, die sich mit der Interpretation und Weiterführung der Phänomenologie Edmund Husserls befasste, lassen sich der Postmoderne zuordnen. Interessant ist daran, dass Levinas aus jüdischer Sicht argumentiert und der Religion im philosophischen Diskurs einen eigenen Stellenwert zubilligt, als Wiederkehr der Religion. Im Zusammenhang Vattimos, Levinas und auch Derridas wird Nietzsche nicht als moderner Atheist gelesen, sondern als doppelbödiger und zynischer Kritiker der metaphysischen Gestalt religiösen Denkens und deren Institutionen. Nietzsche findet, wie viele andere, am Ende seines Wirkens zur Mystik. Obwohl Geschichte mit ihrem linearen Zeitkonzept auf jüdisch-christlicher Tradition beruht, zeigt sich im Erstarken der Mystik am Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute wieder ein erneutes Bewusstsein für ein zyklisches Verständnis, was der christlichen Religion auch immer eigen war, z. B. in der Darstellung der Heilgeschichte im liturgischen Zyklus. (siehe: Martin Gessmann: Vom anderen Ende der Postmoderne. In: Die Welt, 13.04.2011, auch www.welt.de; auf Zitate aus der Zeitung „DIE WELT“ wird verzichtet, da die Springer – Verlage für WELT und BILD Zitate aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestatten bzw. eine Gebühr berechnen).

Der Diskurs vom „Ende“ der Postmoderne, der von Martin Gessmann als ein „Zurück in die Wirklichkeit“ beschrieben wird, ist im Licht o.g. Beobachtungen allein schon von seiner Datierung her zu korrigieren. Der Beginn der Postmoderne wird nicht aus politischen Gründen, sondern vom Erscheinen des Buches „Das Ende der Geschichte“ von Francis Fukuyama von Martin Gessmann und anderen auf das Jahr 1989 datiert. Hierin zeigt sich ein theoretisches Missverständnis. Das so gesehene „Ende der Geschichte“ ist keinesfalls das Ende einer bestimmten Ära oder historischen Zeitabschnitts, sondern das Ende eines geschichtlich auf Fortschritt hin orientierten Denkens. Der Beginn des postmodernen Denkens ist die Eröffnung einer neuen und zugleich längst bekannten Perspektive, die man auch schon im Neuen Testament findet. In der Antwort Jesu auf die Frage nach dem Beginn des Gottesreichs heißt es: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ (Lukas 17,21). Hier tritt also die Geschichte zugunsten der Gegenwartserfahrung zurück. Der Begriff der Postmoderne wird im Hinblick auf die Erfahrung von Präsenz in der Literatur näher erklärt. Gessmann verweist in diesem Zusammenhang auf die Verwendung der Kategorien Präsenz oder Latenz in der Literatur oder der Architektur. Die Betrachtung der Zeit wird weniger durch die Diskurse bestimmt als um so mehr von der Rückbesinnung auf die Lebenspraxis oder die Lebenswelt.

In diesem Zusammenhang sollte man den Aufsatz von Jürgen Habermas „Von den Weltbildern zur Lebenswelt“ zur Kenntnis nehmen, in dem dieser eine Brücke zwischen der kritischen Theorie und der Phänomenologie schlägt. (vgl. Jürgen Habermas. Philosophische Texte, Band 5, Kritik der Vernunft Frankfurt/Main 2009, S.203-270.). Darin zeigt sich eine Erfahrungsorientierung, mit der sich die Trennung von Moderne und Postmoderne aufzuheben scheint. Der Abschied von einer Utopie ist kein Ende des politischen Interesses. Martin Gessmann verweist auf die Demokratiebewegungen im Nahen Osten. Zusätzlich ließe sich auch vom Tsunami und von der atomaren Katstrophe in Fukushima her argumentieren.

Indirekt zeigt Martin Gessmann die Konsequenz der Präsenz auch darin auf, dass auf die Unmöglichkeit eines Begriffs der Post-Postmoderne hinweist. Die Postmoderne ist keine Epoche, was ihrem Selbstverständnis widerspräche. Sie ist der Auftrag der Kritik aller hierarchischen Diskurse von der Lebenspraxis her. Im Verständnis der Postmoderne gibt es keinen ideologischen Überbau.

Wenn Lebenspraxis und Diskurs sich nicht hierarchisch gegenüberstehen, ist die Notwendigkeit der Zuordnung beider gegeben. Damit öffnen sich die Diskurse gegenüber ideologischen Vorstellungen. So lassen sich die unterschiedlichsten politischen Konstellationen beobachten, die unter Relativierung der politischen Programme und Absehung der traditionellen Einordnung möglich sind, in Farbenspiele gepackt also von rot-grün bis schwarz-grün und alles, was sonst noch möglich ist von der Ampel bis Jamaika. Was die politische Begrifflichkeit angeht, so schlägt Gessmann die positive Würdigung des liberal geprägten Begriffs der „Bürgerlichkeit“ vor, der allerdings vom modern-marxistischen Diskurs her desavouiert ist. Dennoch ist die Beobachtung der Erinnerung an die Ideen der freiheitlichen, bürgerlichen Revolutionen zu würdigen, die die Bürgerinnen und Bürger als primär den gesellschaftlichen Institutionen vorgeordnete Akteure begriffen. Gessmann spielt an auf die Impulse der bürgerlichen Schichten in der vormodernen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Für den heutigen Diskurs ist dagegen der von ihm daher bevorzugte Begriff der „Bürgerlichkeit“ ungeeignet.

Angewandt auf Politik und Religion heißt diese Aufnahme liberal-bürgerlicher Ideale, die als politische Konsequenzen der Aufklärung und des ökonomischen Wandels zu sehen sind, nichts anderes, als dass gesehen wird, dass die Institutionen von den lebendigen Strukturen leben, die durch sie abgebildet werden. Sie unterliegen dann einem Änderungsdruck, wenn sie den Kontakt zur Kommunikation der Lebenspraxis verloren haben. Schon ein Verweis auf Jürgen Habermas zeigt für Martin Gessmann den Vorrang von „Verhalten und Handeln“ vor „Kommunikation und Diskurs“. Dazu wird von Gessmann die Beobachtung einer Aktion und Argumentation von Jürgen Habermas angesprochen, der die Lautation auf Michael Tomasello als Empfänger des Hegel-Preises im Jahre 2009 hielt. Tomasello hatte in seinem Buch über Kommunikation herausgestellt, dass das menschliche Handeln und seiner Intentionalität der Kommunikation vorausgeht. Zuerst beginnt der Mensch zu planen und zu handeln, um sodann danach zu kommunizieren. (Rezension zu „Michael Tomasello. Die Ursprünge der manchlichen Kommunikation“ von Jürgen Habermas: Es beginnt mit dem Zeigefinger, Die Zeit. 22.12.2009, Link: http://www.zeit.de/2009/51/Habermas-Tomasello , und: Jürgen Habermas, Laudatio zur Verleihung des Hegel-Preises: http://www.stuttgart.de/item/show/383875 ).

Es ist nicht nur „Nordafrika“, sondern es war bereits die Konferenz für Frieden und Entwicklung in Rio de Janeiro , die 1992 die Weichen zur praktischen Umsetzung der Idee der Postmoderne gestellt hat. Auch die Weltereignisse seit dem 11.09.2001 sind nicht nur als historische Daten zu vermerken, sondern als Hinweise auf die globale Krise, in der sich die Menschheit befindet und die ein gemeinsames und globales Handeln erforderlich macht. Die Rolle der Einzelnen und der Gesellschaften ergänzen einander. Individuum und Gesellschaft stehen in ständiger Interaktion und können nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Politik ist ständig gewiesen, Konsequenzen aus aktuellen Ereignissen zu ziehen. Martin Gessmann schreibt dazu, dass der historische Rahmen von den Erfordernissen und der Realität der Kooperation geprägt ist, die einerseits hierarchische Strukturen überwindet und zur Gemeinschaftsstiftung beiträgt. Dies sei, so Gessmann, an den Demokratiebewegungen des Nahem Ostens abzulesen.

Ausgeblendet ist hier jedoch das Faktum der Flüchtlingsbewegungen, die der Umsturz in Tunesien und der Krieg in und mit Libyen ausgelöst hat. Hier steht die bürgerliche Welt Europas erneut vor der Frage, ob sie im Sinn des Vorrangs der Lebenspraxis unbürokratische Antworten findet, oder ob sie sich abzuschotten versucht. Die Vor-Postmoderne hatte insofern recht, als sie die Frage nach einer gerechten und lebenswerten Zukunft gestellt und offen gehalten hat. Die Geschichte sollte studiert werden, um die Frage danach zu beantworten, was vor uns liegt. Diese Frage ist nun nicht diskursiv, sondern lebenspraktisch zu beantworten. Es ist nicht mehr die Frage nach einer bestimmten Zukunftsvision etwa im Sinn der Religionen oder des Marxismus, sondern diese einschließend und überbietend die Frage nach zukünftigem Leben überhaupt, global, human und nachhaltig. Es ist nun zu überprüfen, ob nicht der Begriff des „Bürgerlichen“ bereits durch den des „Menschlichen“ abgelöst worden ist, ohne ihn damit im Anspruch aufzuheben, aber in anderer Gestalt weiterzuführen und zu überbieten. In diese Richtung argumentiert auch Dirk Baecker, der nun auf seine Gedanken zur „nächsten Gesellschaft“ sechzehn Thesen folgen lässt, die teilweise skeptisch und nur zum Teil optimistisch klingen. (Dirk Baecker. Studien zur nächsten Gesellschaft. Edition Suhrkamp Frankfurt/Main 2007 und 16 Thesen hier: http://www.mz-x.com/?page_id=900 oder hier http://www.mz-x.com/?page_id=1007 , nähere Informationen zu Dirk Baecker hier: http://www.dirkbaecker.com ).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die historischen und philosophisch-theologischen Begriffe von Moderne und Postmoderne sich argumentativ unterscheiden. Die Rede von der Postmoderne, von der nun wiederum ein Abschied nötig sei, ist verwirrend. Genauso ist es unangemessen, die Postmoderne als Prozess der Beliebigkeit anzusehen. Die Beobachtungen scheinen jedoch insgesamt zutreffend und mögen sich auch erneut in den Demokratiebewegungen des Nahen Ostens wiederholen. Eine politische Bewegung ohne Partizipation der Individuen wird es in Zukunft nicht mehr geben. Zugleich präsent ist erneut die Quelle der religiösen Kultur und der Hinweise der ökologischen Krise. Politische und ökonomische Entwicklung ist geboten, darf aber nicht im Stil einer Fortschrittsbewegung idealisiert werden. Es ist jedoch an alle Konzepte die Frage zu stellen, ob sie wirklich einer gegenwärtig neue Erfindung darstellen, oder ob sie nicht auch schon in diversen religiösen und kulturellen Formen vorgebildet und vorgedacht worden sind. Im Prozess der Entwicklungen scheinen sich Postmoderne und Moderne nicht abzulösen, sondern wechselseitig zu kritisieren. Dazu gehört auch das Eingeständnis, dass sich im Sprachgebrauch der Bevölkerung das Wort „Postmoderne“ nicht in dem Maß durchgesetzt hat wie das Wort „Moderne“. Die Beobachtung ist: Wird das Wort „Postmoderne“ gebraucht, so meint man eine Moderne ohne Fortschrittsideologie, die den Gegenwartsbezug und den Abschied ideologischer Autoritäten betont, Lebenspraxis und Kommunikation aufeinander bezieht und die Achtung vor dem Individuum mit dem Anspruch der Kooperation verbindet.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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