Predigt über Lukas 15, 1-10 – Christoph Fleischer, Werl 2011

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1 Eines Tages waren wieder einmal alle Zolleinnehmer und all die anderen, die einen ebenso schlechten Ruf hatten, bei Jesus versammelt und wollten ihn hören. 2 Die Pharisäer und die Gesetzeslehrer murrten und sagten: »Er lässt das Gesindel zu sich! Er isst sogar mit ihnen!« 3 Da erzählte ihnen Jesus folgendes Gleichnis:

4 »Stellt euch vor, einer von euch hat hundert Schafe und eines davon verläuft sich. Lässt er dann nicht die neunundneunzig allein in der Steppe weitergrasen und sucht das verlorene so lange, bis er es findet? 5 Und wenn er es gefunden hat, dann freut er sich, nimmt es auf die Schultern 6 und trägt es nach Hause. Dort ruft er seine Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: ‚Freut euch mit mir, ich habe mein verlorenes Schaf wiedergefunden!‘

7 Ich sage euch: Genauso ist bei Gott im Himmel mehr Freude über einen Sünder, der ein neues Leben anfängt, als über neunundneunzig andere, die das nicht nötig haben.«

8 »Oder stellt euch vor, eine Frau hat zehn Silberstücke und verliert eins davon. Zündet sie da nicht eine Lampe an, fegt das ganze Haus und sucht in allen Ecken, bis sie das Geldstück gefunden hat? 9 Und wenn sie es gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und sagt zu ihnen: ‚Freut euch mit mir, ich habe mein verlorenes Silberstück wiedergefunden!‘

10 Ich sage euch: Genauso freuen sich die Engel Gottes über einen einzigen Sünder, der ein neues Leben anfängt.«

Liebe Gemeinde!

Diskutieren Sie gerne? Die Erfahrung zeigt: Das ist oft ein Streit um Begriffe. Es geht aber auch um Verständnis und Anerkennung. Einigkeit und Einigung wird als positiv verstanden. Menschen freuen sich, wenn sie einer Meinung sind. Diskussion kann auch Einigkeit herstellen, unterschiedliche Meinungen zusammenführen, den gemeinsamen Nenner suchen und finden, Verabredungen treffen und Perspektiven eröffnen.

Häufige Hauptfehler einer Diskussion sind: An Vorurteilen festhalten, auf Meinungen beharren, nicht zuhören können. Da diese auch oft vorkommen, gibt es viele Menschen, die Diskussionen meiden. Doch das ist nicht gut. Das Leben ist dazu da, voneinander zu lernen. Das zeigt Jesus mit zwei Gleichnissen. Diese Gleichnisse lösen gleich eine Frage aus: Auf welcher Seite stehen wir? Sind wir die Sünder oder die Gerechten?

Doch können so pauschale Einordnungen greifen, liegt die Wahrheit nicht in der Mitte? Geht es nicht vielmehr um Modelle, um Muster. Und so müssen wir die Frage stellen: Wollen wir eher die Problemseite erörtern oder die Religionsseite? Unterscheiden, Problematisieren, Verwerfen, Verurteilen, das sind Begriffe der Problemseite. Annahme, Glauben, Vertrauen das sind Begriffe der Religionsseite.

Im Text höre ich die Worte wie eine Entwicklung: Sünder –Buße – Freude. Diese Begriffe verändern ihren Ort, sie gehen von der Problemseite auf die Religionsseite, die auch die Lebensseite ist. So sollen wir nicht nur von der Buße ausgehen, sondern das letzte Wort als Ziel sehen: Freude!

Der Text schildert zwei ähnliche Beispiele – und einen Anlass. Den Anlass möchte ich zurückstellen und zuerst auf die Bilder sehen. Das Bild vom verlorenen Schaf zielt auf das Bild des guten Hirten. Die gemeinte Alternative ist Tod und Leben. Während die anderen leben, gerät ein Tier in Todesgefahr. Der Hirte geht dem einen nach und rettet es, weil er sonst ein Tier verlöre. Kommt es auf ein Tier an? Sind nicht die 99 wichtiger? Nein, der Hirte muss das Verlorene suchen und das Verletzte heilen, das ist seine Aufgabe. Er muss den Bestand der Herde sichern und jedes einzelne Tier zurückholen, pflegen und vor dem Tod bewahren. Täte er das nicht, würden aus 99 schnell 98, 97 usw.. Die Rettung und Heilung des einen bewahrt die ganze Herde. Das verlorene Schaf findet ins Leben zurück und gehört damit wieder zur Herde. So handelt auch Gott, der der gute Hirte ist. Er sucht die verlorenen Menschen und bringt sie zur Gemeinde zurück. Er lässt keinen außerhalb und will alle zu sich führen. (Der Herr ist mein Hirte…). Doch hier liegt die Betonung noch etwas anders: Der Sünder fängt ein neues Leben an. Darüber ist mehr Freude als über alle, die kein neues Leben anfangen müssen! Die Paralle ist Gottes Freude zur Freude des Hirten über die Rettung des Schafes. Es geht um Rettung und Freude über den Erfolg der Rettung. Es geht um Umkehr und ein neues Leben.

Das zweite Gleichnis handelt vom Suchen und Finden. Wer suchet, der findet. Hier wird ein anderes Motiv genommen. Die Freude des Findens hat nur der, der auch wirklich sucht. Wer alles beim Alten lässt und das Verlorene nicht sucht, findet auch diese Freude nicht. Wieder zielt der Text auf die Freude und wieder ist es Gottes Freude.

So sehr auch das Bild des Suchens und Findens im Vordergrund steht, was durch den Beruf des Hirten anschaulich vor Augen steht, so sehr zeigt sich das Motiv der Freude, da die Gleichnisse darin übereinstimmen. Und somit gehören beide Themen zusammen: das Verlorene nicht aufgeben, es suchen und finden, und dann die Freude, die dieses erst vollendet. Obwohl die Buße im Hintergrund steht, scheint sie doch nicht das Thema zu sein. Es geht eher um die Freude, als um die Form der Buße, eher um das Anfangen eines neuen Lebens als um das Ende des alten.

Auffallend ist dabei die Parallele der Sprüche zu den Gleichnissen. Einmal ist es Gott im Himmel und einmal sind es die Engel Gottes, die die Freude ausdrücken. Dies verbindet sich nun mit dem Anfang des Predigttextes. Gottes Freude geht in die Verkündigung Jesu so ein, dass sich die Menschen eingeladen fühlen, die sonst nicht dazu gehören: „Zolleinnehmer und alle, die einen schlechten Ruf hatten“. Doch geht es hier wirklich um Jesus als Person, und nicht eher um Jesus als Botschaft, als Verkündigung? Ist nicht Jesus hier schon eher das Bild einer Kirche?

Es gibt einen Spot der United Church of Christ, in der gezeigt wird, wie vor einer Kirche Türsteher einer Security aufgestellt sind wie bei einer Disko, die jeweils die Schwulen und Lesben sowie die Farbigen zurückweisen. Die Aussage des Spots liegt darin, dass alle dazu gehören und keiner ausgeschlossen werden darf. Jeder ist willkommen und jede gehört dazu. So ist das hier auch gemeint. Es muss eine Diskussion in der Urkirche gegeben haben, die sich in dieser Auseinandersetzung Jesu wiederfindet. Wer wurde damals ausgeschlossen?

Bei Paulus im 1. Korintherbrief gibt es eine Vorstellung davon, dass es Spannungen in der Gemeinde in Korinth gab, über die Frage des Essens. Einige sind reich, essen zu Hause und bringen zu Eucharistie kaum etwas mit. Für sie ist die Feier nur symbolisch. Anders sind arm, essen zu Hause nicht und bringen etwas mit, das sie mit anderen teilen können und wollen. So wird jeder satt von dem, was die Leute mitbringen. Daraus entwickelte sich ein Streit.

Auch hier im Text geht um das Essen. Das ist auch der Gesprächsanlass: Jesus trifft sich mit Zöllnern und Sündern und isst mit ihnen. Das ist der Vorwurf, darum geht es, dazu werden die Gleichnisse erzählt.

Die Gemeinde bildet doch die Wahrheit Gottes ab. Das ist hier entscheidend: Wie im Himmel, so auf der Erde. Die Freude im Himmel soll die Freude in der Gemeinde sein. Was sich in der Gemeinde nicht als Freude wiederspiegelt, ist nicht dem entsprechend, was Jesus gelehrt hat. Es geht um das trennende oder das verbindende Gottesbild. Jesus lehrt das verbindende Gottesbild. Er lehrt nicht nur und diskutiert, sondern er hat Gemeinschaft mit den Menschen und isst mit ihnen gemeinsam. Zu ihm kommen auch die, die von anderen abgelehnt werden, hier beispielhaft Zöllner und Sünder genannt.

Die Frage ist: Wofür gilt diese Verkündigung Jesu, für die Kirche oder für die Welt? Wofür ist die Botschaft von der Sündenvergebung da? Ist sie dazu da den Einzelnen zu zeigen, wie schlecht er ist, oder ist sie nicht eher dazu da, die Menschen zusammen zu führen? Dazu Römer 3:

„9 Was sagen wir denn nun? Haben wir Juden einen Vorzug? Gar keinen. Denn wir haben soeben bewiesen, dass alle, Juden wie Griechen, unter der Sünde sind, 10 wie geschrieben steht: »Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer. …21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. 22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: 23 sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, 24 und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.“

Das zeigt doch, dass es hier um Kirche und Welt gleichermaßen geht. Von der Kirche ausgehend zur Welt und von der Welt ausgehend zur Kirche. Präses Buß sagte zu recht: „Kirche macht nicht Politik, aber sie kann Politik möglich machen!“ Darum geht es:

Kirche ist dazu da, das Bild des Trennens und Unterscheidens aufzubrechen und den Menschen das Beispiel von Gemeinschaft zu zeigen, die jedem Einzelnen gilt, die auch das Verlorene sucht und das Kranke heilt. Das ist auch heute in der Welt der großen Unterschied des Christentums zu anderen Weltreligionen oder der säkularen Welt. In christlich geprägten Gesellschaften gibt es Dienste für Arme und Kranken, werden Sterbende versorgt und es gibt eine Idee der Gerechtigkeit.
Selbst Kirche trägt zur Gemeinschaft bei. Das Wort Jesu verbindet die Menschen. Die Mahlzeit, das Abendmahl verbindet die Menschen mit Gott und untereinander. Davon geht eine Dynamik aus. Diese Freude steht im Vordergrund, ist Inhalt und Ziel zugleich.
Kirche predigt nicht nur Freude, sondern stellt sie auch dar. Gott ist ein Vorbild. Die Freude Gottes wird als menschliche Freude erfahren: Gott ist einer, der sich mehr über einen Menschen freut, der gerettet wird. So verhält sich Gott, und so verhalten sich die, die sich an ihm orientieren.
Damit ist die Botschaft des Textes für heute klar: Gott ist keine Wirklichkeit, sondern ein Vorbild, ein Verhaltensmodell. Nicht der Unterschied zwischen Himmel und Erde macht Gott aus, sondern die Übereinstimmung. Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Die Lehre von Gott, die Predigt und Botschaft Jesu hat Konsequenzen bis in unser Leben hinein. Vorurteile verschwinden. Die Menschen werden nicht eingeordnet unter die Guten und Bösen, sondern von Gott aus sind alle gleich geliebt.

Wenn sich der Himmel freut, hat auch die Erde was zu lachen.

Amen.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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