Die Religionskritik lässt sich nicht den Mund verbieten. Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2011

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Zu: Hans Albert: Joseph Ratzingers Rettung des Christentums, Beschränkungen des Vernunftgebrauchs im Dienste des Glaubens, Alibri-Verlag Aschaffenburg 2008, ISBN 978-3-86569-037-1, Preis:  10,00 Euro

Dieses Buch ist ein Spätwerk des bekannten kritischen Rationalisten Hans Albert (Professor em. für Soziologie und Wissenschaftslehre, Universität Mannheim), der sich schon früher mit der kritischen Analyse theologischer Konzepte beschäftigt hat. Seine Hauptthese besteht darin, dass das religiöse Denken eine spirituelle Metaphysik benötigt, die zwar Vernunft und Logik einbezieht, diese aber im religiösen Zusammenhang begrenzt und so an entscheidender Stelle den Vernunftgebrauch beschränkt. Das Beispiel des jetzigen Papstes Benedikt XVI., der noch unter seinem Namen Joseph Ratzinger eine Einführung ins Christentum verfasst hat, in der er auch auf philosophische Überlegungen zurückgreift, ist für Hans Albert zur Analyse des religiösen Denkens geeignet, zumal er eine zweite Schrift („Jesus von Nazareth“)  damit vergleicht, und damit einige Jahrzehnte theologischen Denkens dieses Theologen überblickt.  Zunächst bespricht Hans Albert ausführlich das frühere Buch Joseph Ratzingers, wobei er sich an den von diesem vorgegebenen Aufbau hält, der am Glaubensbekenntnis orientiert ist. Zusätzlich zum Jesusbuch desselben Autors, der nun Papst Benedikt XVI. ist, nimmt Albert zwei theologisch-philosophische Diskurse auf, zum einen mit Paolo Flores d´ Arcais, zum anderen mit Jürgen Habermas. Der Gegensatz zwischen rationalistischem Denken und metaphysischer Orientierung wird gut herausgearbeitet. Wer schon etwas von der theologischen Diskussion gelesen hat, wird dem Buch gut folgen können. Allerdings zeigen sich hier auch die Grenzen des rationalistischen Ansatzes, dem der spätmoderne Philosoph und Soziologe Albert nach wie vor verhaftet ist. Während es für ihn den Anschein hat, als würde Habermas den Kompromiss mit Joseph Ratzinger suchen, stellt er selbst die postmoderne oder postmetaphysische Sicht der Dinge nicht zur Diskussion. Das, was Benedikt der XVI. als Wissenschaftspositivismus bezeichnet hat und Jürgen Habermas in seinen Schriften meist Naturalismus nennt, ist hier nicht bearbeitet. Das Scheitern des auf Objektivität basierenden Wissenschaftsdenkens, das die Postmoderne postuliert und das vom religiösen Denken lediglich aufgegriffen wird, wird von Albert schlicht bestritten und negiert. Für die theologische Lektüre ist das Buch von Hans Albert aber sehr gut geeignet, weil es zeigt, dass metaphysische Denkverbote vom rationalen Denken als Norm der westlichen Zivilisation nicht nachvollzogen werden können. Das Denken Alberts ist argumentativ klar dargelegt und kommt ohne Polemik aus. Er zeigt damit die im Grunde nach wie vor bestehenden Aktualität der modernen Religionskritik von Feuerbach bis Freud, die sicherlich auch im populären Denken bis in weite Kreise der Volkskirche verbreitet ist. Viele Menschen reagieren sensibel auf kirchliche oder theologische Denkverbote und ziehen sich lautlos aus dem kirchlichen Leben zurück. Wo hingegen deutlich wird, dass kein Christ und keine Christin die Vernunft oder den Verstand an der Kirchentür abgeben muss, wird die rationalistische Kritik in ihre Schranken gewiesen. Dass allerdings, wie der Autor meint, moderne oder liberale theologische Richtungen gescheitert seien, weil die Gläubigen eine Art Metaphysik benötigten, ist aus der aktuellen philosophischen Diskussion nicht zu entnehmen. Zudem sollte man die Kirchen nicht einem vormodernen Fundamentalismus überlassen, der mit Denkverboten und anderen skurrilen und überkommenen Vorstellungen in der modernen Gesellschaft auf Unverständnis stößt. Man kann und sollte etwa mit Niklas Luhmann oder Jürgen Habermas über Hans Albert hinaus gehen, aber zugleich die gesellschaftliche Verbreitung des Rationalismus nicht unterschätzen. Eine Gegenrede gegen die Beschränkung der Vernunftgebrauchs ist in der Religion wie auch in anderen Bereichen der Gesellschaft angebracht. Daher ist die Arbeit von Hans Albert zu begrüßen.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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