Einspruch. Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2011

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zu: Mehmet Gürcan Daimagüler: Kein schönes Land in dieser Zeit, Das Märchen von der gescheiterten Integration, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2011, ISBN 978-3-579-006694-3, Preis 19,99 Euro.

Mehmet Gürcan Daimagüler ist Deutscher. Seine Heimat ist Niederschelden bei Siegen, wo er das Gymnasium besucht hat. Als er nach dem Jura-Studium und dem Ausbildungsteil vor dem Landgericht Siegen vereidigt wurde, sprach er die religiöse Formel mit: „So wahr mir Allah helfe.“ Das Lied von Zuccalmaglio „Kein schöner Land in dieser Zeit“ kennt er seit seiner Kindheit. Im Titel des Buches verändert sich der Wortlaut des Liedtitels in „Kein schönes Land in dieser Zeit“ – Warum  dies? Warum ist Deutschland kein schönes Land, wenn zugleich die Rede von der gescheiterten Integration ein Märchen ist? Beide Formulierungen des Titels bauen eine Spannung auf, die die Leser mit dem Autor werden durchhalten und aushalten müssen. Dies gelingt auf der Basis eines Textes, der eine anschauliche autobiografische Erzählung bietet, die exemplarisch und durchaus nicht typisch ist. Wie kommt der Autor von Niederschelden nach Bonn, von Bonn nach Harvard, von Harvard nach Kiel und nach Berlin? Welche Folgen hat die offensichtliche Tatsache, dass türkische Fremdarbeiter erwünscht, ja gewollt waren, ihr Dasein dann aber den Bedingungen des Fremdenhasses unterlag? Wie kommt man als europäischer Mensch mit einer Beziehung zur Religion klar, die zwar irgendwie wie der Geburtsort dazugehört, aber doch nur fragmentarisch praktiziert wird? Wieso und inwiefern hat ein Mensch eine „multiple“, besser gesagt vielschichtige Persönlichkeit und wie geht er oder sie damit um? Welche Prinzipien leitet der Autor ganz persönlich von seinen Lebenserfahrungen, den Einflüssen der Erziehung und der Umwelt ab, und wie kommt er damit zurecht? Was bedeutet auch dadurch der Umgang mit einer psychischen Erkrankung, die heute zur Volkskrankheit zählt, aber dennoch sehr oft verschwiegen wird (Depression)? Das Buch von Mehmet G. Daimagüler ist streckenweise sehr ergreifend, aber nicht bedrückend. Es schildert den Alltag der Integration im Leben eines einzelnen Menschen, und dort spielt sich diese ja letztendlich ab. Wenn der Erfolg eines Menschen etwas zählt, dann kann Integration gelingen, vor allem, wenn man die Gesellschaft nicht uniform denkt. Dass die Integration eine immerwährende Bemühung ist, die nie aufhören kann, das wird aus den Schwierigkeiten und Rückschlägen zur Genüge ersichtlich. Und ein Trost so nebenbei, auch für Menschen ohne, wie man sagt „Migrationshintergrund“: Alle haben wir uns unsere Heimat nicht selbst ausgesucht. Und doch haben wir es jeder für sich in der Hand, ob sie auch im guten Sinn für uns eine Heimat wird. Dem Autor sei Dank für diese ehrliche Lebens-Zwischenbilanz.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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