Predigt über Galater 5, 25 – 6, 10, Christoph Fleischer. Werl 2012

Print Friendly, PDF & Email

Gehalten am 16.09.2012 in Ense-Niederense, St. Anna-Kapelle und Ense-Bremen, Pauluskirche

Verlesung des Textes Galater 5,25 – 6,10 (Übersetzung: Gute Nachricht Bibel/ Die in der Perikopenordnung vorgeschlagene Auslassung der Verse 4-6 ist unbegründet)

25 Wenn wir nun durch Gottes Geist ein neues Leben haben,
dann wollen wir auch aus diesem Geist unser Leben führen.

26 Wir wollen nicht mit unseren vermeintlichen Vorzügen voreinander großtun,
uns damit gegenseitig herausfordern oder einander beneiden.
6 1 Brüder und Schwestern, auch wenn jemand unter euch in Sünde fällt,
müsst ihr zeigen, dass der Geist Gottes euch leitet.

Bringt einen solchen Menschen mit Nachsicht wieder auf den rechten Weg.
Passt aber auf, dass ihr dabei nicht selbst zu Fall kommt!
2 Helft einander, eure Lasten zu tragen.
So erfüllt ihr das Gesetz, das Christus uns gibt.
3 Wer sich dagegen einbildet, besser zu sein als andere,
und es doch gar nicht ist, betrügt sich selbst.
4 Jeder und jede von euch soll das eigene Tun überprüfen,
ob es vor Gott bestehen kann.
Ob sie etwas an sich zu rühmen haben, das lesen sie dann an sich selber ab
und nicht an anderen, über die sie sich erheben.
5 Jeder wird genug an dem zu tragen haben,
was er selbst vor Gott verantworten muss.
6 Wer im christlichen Glauben unterwiesen wird,
soll dafür seinem Lehrer von allem etwas abgeben, was zum Leben nötig ist.
7 Macht euch nichts vor! Gott lässt keinen Spott mit sich treiben.
Jeder Mensch wird ernten, was er gesät hat.
8 Wer auf den Boden der menschlichen Selbstsucht sät,
wird von ihr den Tod ernten.
Wer auf den Boden von Gottes Geist sät,
wird von ihm unvergängliches Leben ernten.
9 Wir wollen nicht müde werden zu tun, was gut und recht ist.
Denn wenn die Zeit da ist, werden wir auch die Ernte einbringen;
wir dürfen nur nicht aufgeben.
10 Solange wir also noch Zeit haben,
wollen wir allen Menschen Gutes tun,
besonders denen, die mit uns durch den Glauben verbunden sind.

 

Liebe Gemeinde,

auch wenn man diesen Predigttext zum zweiten oder dritten Mal hört oder liest, wie ich in der Vorbereitung, so drängt sich immer wieder der Eindruck auf, als wolle er Vorschriften machen, wie man sich als Christ zu verhalten habe. Die Kirche hat ohne Zweifel eine Ahnung von einem guten Leben mit Gott, aber haben wir deshalb einen Grund, uns mit Vorschriften an die Öffentlichkeit zu wenden? Wie kann und soll sich die Kirche heute Gehör und Geltung verschaffen, ohne dabei ihre eigene Botschaft aufzugeben? Indem sie Menschen Vorschriften macht, wohl kaum.

Ich habe in der letzten Woche in mehreren Klassen im Berufskolleg die Aufgabe gestellt, den Satz zu vollenden: Ich wünsche mir eine Kirche/Religion, die…

Hierbei kommt heraus, dass sich viele darunter noch gut etwas vorstellen können, und doch bleibt es oft beim Negativen. Was wichtig ist, wie die Kirche denn aussehen soll und was sie tun und sagen soll, bleibt hinter dem zurück, was die Kirche nicht tut und unglaubwürdig macht. Die Beispiele dazu spare ich mir jetzt. Eine Überleitung vom Negativen sind schon Aussagen wie: die Kirche soll die Nächstenliebe, die sie predigt, auch selbst praktizieren. In einer solchen Aussage, die gleichwohl auch Kritik beinhaltet, wird schon deutlich, welche Aussagen von Kirche Gehör finden. Doch wie kann die Rede von Gott, wie kann das Evangelium darin direkt angesprochen werden? Das bleibt meist offen. Denn: Was ist eine Kirche, die ich mir wünsche…

Nun klar ist, dass selbst eine Kirche, die sich für die Jugend und die Gegenwart öffnet, die modern und zeitgemäß ist, immer noch eine Kirche sein soll. Der Inhalt soll davon eigentlich unberührt sein, ob man Gospel singt oder „Großer Gott, wir loben dich.“ Ich persönlich habe in der letzten Zeit noch einmal darin ein kleine Wandlung durchgemacht, weil ich die Bedeutung der Innerlichkeit erkannt habe. Was ich früher so nicht gesagt hätte, ist, das eine Kirche, die keine Innerlichkeit kennt, nicht wirklich eine Kirche ist. Ob und wie die Kirche politisch aktiv ist, das ist also zweitrangig. Ich sage das natürlich unter der Voraussetzung, dass man nicht meint, Kirche sei grundsätzlich unpolitisch. Das, was ich unter Innerlichkeit verstehe, steht gar nicht im Gegensatz zu Politik und Modernität.

Als ich am letzten Sonntag auf der Kanzel in Ense-Bremen/hier auf der Kanzel stand, las ich in der Lesung aus dem Römerbrief von Paulus den Satz: „Der Geist Gottes gibt Zeugnis unsere Geist, dass wir Gottes Kinder sind.“ (Römer 8, 16). Das der Galaterbrief ebenfalls ein Brief des Paulus ist, ist es sicherlich möglich, diese Aussage hier heranzuziehen. Dieser Satz ist im Sinn der Innerlichkeit noch viel klarer und deutlicher als der erste Satz unseres Predigttextes. Der lautete: „Wenn wir nun durch Gottes Geist ein neues Leben haben, dann…“. Das ist kein kollektives Wir, sondern es meint jeden und jede Einzelne persönlich. Die Kirche ist also ein Haus aus lebendigen Steinen, wie man ja sagt. Es geht nicht um die Gemeinde. Ob es eine Gemeinde gibt oder nicht, ist zweitrangig, das sage ich jetzt ganz klar. Denn die Sache, um die es geht, ist eine Sache zwischen mir und Gott, zwischen jedem Einzelnen und Gott. Ja, daraus wird dann auch Gemeinde, aber wie und wo, das ist nicht die Hauptsache und darum geht es offensichtlich zunächst nicht. Der Glaube als Beziehung zu Gott mag durchaus verschieden sein. Die einen sind katholisch, die anderen evangelisch, orthodox, baptistisch, mormonisch, neuapostolisch, Zeugen Jehovas usw., vielleicht sogar islamisch. Das ist nicht entscheidend, sondern entscheidend ist, ob mein Geist etwas von Gottes Geist hört. Was der Geist hört, ist ebenfalls ausgesagt: nämlich dass ich, dass wir Gottes Kinder sind. Ich habe die Aufzählung mal bewusst weit gefasst und auch die Unvereinbarkeiten der Sekten und anderer Religionen bewusst eingeschlossen. Denn das alles ist zweitrangig. Sogar viele der sogenannten Ausgetretenen sind noch religiös, wie eine Umfrage mitteilte. Sie habe, wie man so schön sagt, der Institution Kirche den Rücken gekehrt. Normalerweise heißt es ja, wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Aber darin muss ich mal bewusst übertreiben und es krass ausdrücken. Es geht bei Paulus nicht um die Kirche, denn die gab es damals so noch gar nicht, bzw. sie war erst ein kleines Pflänzchen. Es geht um Mich und Gott, um Dich und Gott, und das was daraus folgt, dass Dein Geist hört, dass Du vernimmst, was Gott sagt: Du gehörst zu mir. Mehr nicht. Nur diese Stimme, kein Wille, keine Forderung, kein Gesetz, nur diese eine Zusage: Du gehörst zu mir, mein Kind, mein Sohn, meine Tochter.

Das ist ein neues Leben im Geist. Aus dieser Grundbeziehung zu Gott folgt nun alles. Bekräftigt wird sie durch die Taufe, damals wohl als Erwachsenentaufe, jetzt aber auch als Kindertaufe mit der Konfirmation zusammen. Und das sagt Gott unserem Geist: Du gehörst zu mir. Gottes Geist ist in unserem Geist. Das muss man heute klar sagen. Das geht gar nicht anders. Das kann man nicht vor außen gesagt bekommen. Und wenn man es von außen hört, dann wird diese Botschaft erst dann wahr, wenn man sie auch von innen hört, wenn sie Resonanz findet. Du bist mein Sohn, mein Tochter. Erinnern sie sich, erinnert Ihr Euch? Das ist genau das, was Jesus bei seiner Taufe gehört hat. Die Stimme vom Himmel: Du bist Gottes Sohn. Die Lehre von Jungfrauengeburt versperrt völlig den Blick auf die Wahrheit, obwohl sie das nur bekräftigen wollte. Das kann jede durch Jesus und mit Jesus hören: Du bist mein Sohn, du bist meine Tochter, du gehörst zu mir. Das ist das Evangelium. Wir sind Christen, Gesalbte, Berufene, Kinder Gottes.

Durch den Geist, der uns sagt, dass wir Kinder Gottes sind, folgt ein neues Leben, eine neue Lebensform. Die Berufe und all das, was wir weltlich tun, bleibt äußerlich erst einmal gleich, es sei denn, man sei Kleriker. Aber die Sichtweise ändert sich. Denn jeder Mensch ist von Gott als Sohn oder Tochter auf die Welt gekommen. Jedes Leben ist Gottes Geschenk. Christ und Christin wird man einfach dadurch, diese Wahrheit zu glauben. Aber das ändert nichts daran, dass sie für jeden Menschen gilt. Und ob ein Mensch heilig ist oder nicht, das ist dafür eigentlich noch gar nicht so wichtig. Das Ereignis dafür ist die Geburt, und die Anerkennung der Wahrheit, Gottes Kind zu sein, die den Glauben bekräftigt, was jeder auch noch später tun kann.

Es gibt unter Gottes Kindern keine Hierarchie. Das ist nicht gesagt, dass es keine Herrschaftsstrukturen überhaupt gibt, aber sie gelten dann der Welt, wie man sagt. Diese Welt existiert und wir existieren in ihr. Wir leben also nach Paulus faktisch in zwei Welten, oder wir es Jesus in Bezug auf den Zinsgroschen sagt: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott was Gottes ist.

In der Welt Gottes gibt es die Herrschaft nicht. Die Botschaft kennt sogar die katholische Kirche, die einen deutlich hierarchischen Kirchenaufbau hat. Man sieht das darin, dass der Papst wie Jesus den Kardinälen einmal im Jahr die Füße wäscht.

In unserem Predigttextes geht es um Konflikte. Konflikte werden in einer herrschaftslosen Welt anders gehandhabt hat als unter Herrschaftsstrukturen. Das klingt dann alles etwas umständlich, denn selbstverständlich darf ein Problem auch immer noch ein Problem genannt werden. Manchmal sehnt man sich nach Herrschaft zurück, weil darin Probleme sehr viel klarer benannt werden. Unser Predigttext hat in der Debatte um den Kindesmissbrauch eine unrühmliche Rolle gespielt.
Es gibt nicht nur in der katholische Kirche eine innerkirchliche Regelung von Konflikten und Problemen. Für die Kirche als Arbeitgeber ist das sowieso klar. Das würde jeder Arbeitgeber genauso machen. Die Kirche hat nur teilweise echte Straftaten dadurch indirekt gedeckt. Liest man den Text aber genauso, so steht hier deutlich: Bringt einen solchen Menschen mit Nachsicht wieder auf den rechten Weg. „Passt aber auf, dass ihr dabei nicht selbst zu Fall kommt! Helft einander, eure Lasten zu tragen. So erfüllt ihr das Gesetz, das Christus uns gibt. Wer sich dagegen einbildet, besser zu sein als andere, und es doch gar nicht ist, betrügt sich selbst. Jeder und jede von euch soll das eigene Tun überprüfen, ob es vor Gott bestehen kann. Ob sie etwas an sich zu rühmen haben, das lesen sie dann an sich selber ab und nicht an anderen, über die sie sich erheben. Jeder wird genug an dem zu tragen haben, was er selbst vor Gott verantworten muss.“

Vom Ende her gelesen wird hier klar betont, dass jeder und jede vor Gott steht und die Verantwortung vor Gott allein zu tragen hat. Wer auf eine Eigenschaft oder Erreichtes stolz ist, und das ist durchaus angebracht, dann aber nicht deshalb, weil es der oder die andere nicht hat oder nicht kann. Niemand ist besser als ein anderer. Und wer das glaubt, betrügt sich selbst. Daher ist die gegenseitige Hilfe und Unterstützung Pflicht. Ja sie wird geradezu zum Kennzeichen dessen, was man dann als Gemeinde bezeichnen kann. Aber dieses Gemeinschaftsprinzip wurzelt in dem oder der Einzelnen, in der Erkenntnis von Gottes Geist der sagt: Du lebst, dein Leben ist ein Geschenk, du bist ein Kind Gottes und als Sohn und Tochter Gottes gewollt. „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“

Die Regelung der Konflikte, um die es vorher ging, ist daher nicht von oben nach unten, sondern durch Ermahnung im Geist der Gemeinschaft. Wobei jeder dabei genauso klar darauf zu achten hat, dass er zu dem, was passiert Distanz hält und nicht zum Komplizen wird. Im Klammern muss man sagen, dass es wohl um Geld gegangen sein muss, denn Paulus betont, dass Lehrer einen ausreichenden Lohn erhalten sollten. Das war wohl so nicht der Fall, sodass sich ein solcher Lehrer sein Geld anderweitig besorgt hat, wahrscheinlich durch Betrug.

Der Schluss des Abschnitts stellt das Bewusstsein, ein Kind Gottes zu sein in den Gegensatz zur Selbstsucht, zum Egoismus. Ich finde, dass Egoismus keine Ursünde ist, sondern ein normales Verhalten, dass sich dann einstellt, wenn die Stimme des Geistes ungehört bleibt. So kann man im ersten Vers schon so etwas finden wie die Mitte des Gedankengangs, zudem der Geist ja nun noch einmal aufgegriffen wird und mit einem fruchtbaren Feld verglichen wird. Der Geist Gottes ist das fruchtbare Feld des Glaubens. Wichtiger am Gauben ist nicht in erster Linie die Gesinnung, auch nicht die gemeinsame Gesinnung oder Gesinnungsgemeinschaft, sondern die Praxis, das Handeln im Miteinander, das hier im Predigttext am Beispiel des Konfliktes erläutert wird. Dieser Glauben kann und darf nicht exklusiv verstanden werden, weil er die ganze Schöpfung einschließt. Das Gericht, das letzte Urteil bleibt Gott überlassen. Jeder Mensch kommt als Kind Gottes auf die Welt. Das Leben selbst ist Zuspruch und Anspruch. Die Zusage Gottes, die Gabe des Geistes gilt dem Leben. Daher: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“
Amen.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.