Im Dialog Hören und Verstehen neu lernen, Christoph Fleischer, Werl 2012

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Grußwort zur Preisverleihung 2012 des Muhammad-Nafi-Tschelebi-Friedenspreises in Werl am 11.11.2012

Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Herr Romani Rose,

vor einiger Zeit erhielt ich einen Anruf, mit dem Auftrag, Grüße der Evangelischen Kirche von Westfalen und von Landeskirchenrat Gerhard Duncker bei dieser Preisverleihung zu überbringen. Das tue ich hiermit gerne. Wie bei der Aufstellung über das Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland auf der Einladung zu lesen ist, ist die Evangelische Kirche von Westfalen ebenfalls im Kuratorium vertreten und daher wohl an der Arbeit des Instituts beteiligt. Ich dagegen bin weder in der EKvW an leitender Stelle tätig noch in Zentralinstitut. Ich heiße Christoph Fleischer und bin als Pfarrer des Evangelischen Kirchenkreises Soest tätig in Schuldienst, Seelsorge und Vertretungsdienst und beteilige mich am interreligöse Dialogkreis in Werl in der Moschee.

Eine kleine Anekdote aus dem Alltag. Bei uns in Werl wurde der LIDL umgebaut und mit einem Backshop neu eröffnet. Dazu gehört auch eine Brotschneidemaschine. Neben mir stand ein junger Mann und wollte nun das erste Mal damit ein Brot schneiden, doch es gelang ihm zuerst nicht, obwohl die Abfolge klar mit den Ziffern 1, 2, 3, 4 und 5 gekennzeichnet war. Doch er wusste nicht, welche Tätigkeit den einzelnen Ziffern zugeordnet ist. Nach einiger Zeit stellten wir gemeinsam fest, dass die Ziffer 2 bedeutet, den Deckel des Automats zu schließen. Erst danach konnte man auf einen Knopf drücken, um die Brotschneidemaschine in Gang zu setzen. Als der junge Mann zur Seite getreten war, stand ich vor dem Automat und sah daneben ein großes und übersichtliches Schild, auf dem alle Betriebsvorgänge der Brotschneidemaschine erklärt waren. Das Schild hatte der junge Mann offensichtlich nicht gesehen, obwohl er direkt davor stand und ich sah es auch erst jetzt, als er zur Seite gegangen war. Ich dachte spontan an den Spruch: Wer lesen kann, ist stark im Vorteil.

Die Unsicherheit ist das Eine und die Einstellung, es ohnehin sowieso besser zu wissen und besser zu können, die uns davon abhält, etwas zu lesen oder zu hören, sich zu informieren. Wir haben unsere vorgefasste Einstellungen und kommen gar nicht mehr auf die Idee, genau zu lesen und zu verstehen, was eigentlich gemeint ist. Das gilt sogar innerhalb der Religion, wenn wir meinen, wir wüssten aufgrund einer Grundaussage sowieso immer genau, worum es geht. Es ist eine wunderbare Erfahrung, in einer Runde mit Vertretern unterschiedlicher Religionen kurze religiöse Texte zu betrachten. Im Dialog erkennen wir das Eigene im Fremden; Vorurteile lösen sich auf. Daher wird das Andere sichtbar und erkennbar. Oft wurde Jesus von Menschen gefragt und herausgefordert. Er antwortete manchmal einfach: „Was liest du?“

Glaube ist nicht in den Kategorien von Besitz und Eigentum zu fassen. Niemand besitzt einen Glauben, sondern Glaube ist eine Erfahrung. Wir sind gemeinsam auf der Suche. Wir gehen verschiedene Wege und finden doch gemeinsame Antworten in verschiedenen Traditionen. Gott ist mit uns selbst und mit den Anderen. Es gibt keine exklusive Wahrheit. Wir sind offen für das Neue, ausgerichtet auf Begegnung und finden Zugänge zum Fremden und zum Eigenen. Ich kann mich dabei nicht auf einen bestimmten Denkweg festlegen lassen, sondern brauche meinen eigenen Zugang. Das macht den interreligiösen Dialog für mich auch manchmal schwierig. Ich muss etwas mit Hilfe meiner eigenen Vernunft verstehen und nachvollziehen können. Aber im Dialog habe ich wieder neu gelernt zu fragen. Wir fragen einander viel zu wenig. Wir tun so, als ob wir immer schon alles wüssten. Ich brauche nur die Möglichkeit zu fragen und Antworten zu bekommen, über die ich nachdenken kann. Interreligiöser Dialog führt dazu mich selbst und andere besser zu verstehen, Vorurteile und Gewalt in der Gesellschaft zu abzubauen.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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