Sekten mit Humor statt mit Hass beschreiben, Rezension von Gerhard Kracht, Recklinghausen 2012

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Zu: Gerald Willms, „Die wunderbare Welt der Sekten. von Paulus bis Scientology.“ Vandenhoeck &Ruprecht, Göttingen 2012

Gehören für den Gerald Willms die „Sekten“ zur wunderbaren Welt dazu? Der Autor lässt daran kaum Zweifel. Die Vorzeichen vor dem, – wie dann auch immer gedeuteten Begriff: „Sekten“, – waren im gewohnten Denken mit einer Minusklammer versehen. Gerald Willms bleibt in Beschreibung und Beurteilung unterschiedlicher religiöser Phänomene, geschmeidig und leichtfüßig. Dabei liefert er einer Fülle von wissenschaftlichen Fakten, die seine Sichtweise bestätigen. Unspektakulär klärt der Autor in einer Sprache auf, die in den Überschriften, einer Panik -erzeugenden Horror-Geschichte entbehrt.

Willms eigene Zugangsweise unterscheidet sich von den bekannten kirchlichen Kompendien. Die großkirchlich eingeleitete Frage: “Ist eine bestimmte Gruppe mit den Richtlinien der Großkirche in Übereinstimmung zu bringen, oder eben nicht?“,  entfällt bei Willms. Die Frage: „Darf man,- oder darf man nicht?“, wurde bis dato kirchlich erörtert. Willms hingegen sortiert nicht „gut und böse“ aus. Er lässt das Spektrum religiöser Erscheinungen einfach nebeneinander existieren. Für Willms trifft die gängige Anti- Sekten-Polemik  nicht zu. Das gewohnte „schwarz –weiß- Denken“, fordert deshalb bei der Lektüre der wunderbaren Welt einige Konzentrationsübungen.

Das Buch ist im eigentlichen Sinne die endgültige Aufgabe der ehemaligen alleingültigen kirchlichen Hoheitsrechte: Was als „richtig“ oder „falsch“ einzuschätzen ist, definierte im christlichen Abendland die Religion in Gestalt der Großkirchen. Was religiös „richtig oder falsch“ war, wurde von Gewalt und Inquisition durchgesetzt, und mit dem Aufkommen der Sektenbeauftragten Anfang der siebziger Jahre weitergesponnen. In der Gegenwart, wo Groß- Kirchen um gesellschaftliche Bedeutung ringen, wird diese Frage mittlerweile entspannter angegangen. Der notwendige Dialog hat auch in den Kirchen an Bedeutung gewonnen, abgesehen von einer geringer werdenden Zahl von Sektenbeauftragten, die immer noch lautstark rufen: „Es muss doch wenigstens einen Bösewicht geben!“ „Warum?“ fragt man nach der Lektüre des Buches, – wenn es auf einmal kein Bösewicht auszumachen ist?
Was wäre wenn der deutsche Papst und  der EKD- Ratsvorsitzende, diese Leichtigkeit im Umgang mit religiösen Fragen an den Tag legen würden?

Das entspannende an dem Buch ist: Der Autor muss nicht gegen jemanden oder gegen eine religiöse Richtung opponieren. Man ist bei der Einteilung in „recht“ und „unrecht“ schon auf sich selbst gestellt. Willms nimmt sich die Freiheit heraus, selber zu entscheiden, was selbst erarbeitet hat. Sogar das eigene Urteil zu Scientology hält der Autor einer angstverzerrten weltanschaulichen Opposition entgegen. Ich verstehe das als einen möglichen demokratischen Akt, der in der Religions- und Weltanschauungsfreiheit garantiert ist.

Ohne „Aus“- oder „Nicht – Ausgrenzen“ zu müssen, entspannt sich die religiöse Lage von selbst. Von selbst kann es zum heiteren Dialog werden, – lässt sich der Leser, vom Autor zum eigenen entspannten Überblick, mit einem Schuss Humor einladen. Jeder mag sich wie der Autor, eine eigene wunderbar- entspannte Welt erschaffen. Willms folgt seinem literarischen Vorbild: „IRRE, wir behandeln die Falschen. Unser Problem sind die Normalen.“ Der Kölner Psychiaters Manfred Lütz stellte schon 2009 die Frage, wie gefährlich die Normalen sind.

Oder lassen die Normalen nur Humor vermissen? Oder wird normaler, die religiöse- weltanschauliche Einschätzung persönlich zu deuten, – sogar mit einem Schuss Humor?
David Safir („Jesus liebt mich“, „Mieses Karma“) nutzt die gegenwärtige weltanschauliche Verunsicherung ebenso wie der Kabarettist Dieter Nuhr: Nuhr wer´s glaubt wird selig. Welche Befreiung  wird erlebt, wenn sogenannte Glaubenswahrheiten im Lichte des Humors zusammengestellt und verstanden werden?  Glaubenswahrheiten humoristisch neu verpackt, scheinen sich zunehmend als Geschäftsideen zu entwickeln.
Mit Willms darf ich persönlich sagen: Entspannt kann die Evangelische Kirche ihre Suche nach dem eigenen Profil aufgeben. Die Menschen selbst sind eigentlich in jeder religiösen Richtung das bereits vorhandene Profil. Wie gut ist, dass der Dialog, – vielleicht auch schon der Humor bei der EZW (Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen) Einzug gehalten hat. Das Buch bietet weitere wunderbare Möglichkeiten, eigene Bilder zu kreieren.
Da Willms in der wunderbaren Welt  Martin Luther und sein Wirken eher negativ beurteilt, fühle ich mich als ev. Pfarrer herausgefordert. Mich fasziniert auch heute noch der junge Luther, den für mich Jiddu Krishnamurti 1929 mit einem Satz beschreibt: „…denn ich behaupte, dass die einzige Spiritualität, die Unbestechlichkeit des Selbst ist.“ Zur zeitlos gültigen Unbestechlichkeit gehört der Humor immer dazu.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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