Unterrichtsergebnisse zum Thema „Gerechtigkeit und Glaube“, Christoph Fleischer, Werl 2013

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Der folgende Kommentar bezieht sich auf:
Kommuniqué über das 8. Kolloquium des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog und der Organisation für Islamische Kultur und Beziehungen (23.11.2012).

Gemeinsame Werte hervorheben

http://www.zenit.org/article-25998?l=german

1. Unser gemeinsamer Glaube an den Einen Gott, der alles erschaffen hat, gibt jedem von uns eine ganzheitliche Auffassung von Gerechtigkeit. Die verschiedenen Anwendungssphären dieser Gerechtigkeit (persönliche, gemeinschaftliche, soziale, politische, wirtschaftliche, kulturelle und juristische Gerechtigkeit) sind nicht voneinander zu trennen.

2. Gerechtigkeit ist eine Tugend, die sowohl eine korrekte Ausübung der menschlichen Vernunft als auch eine Erleuchtung durch Gott voraussetzt. Gewissensfreiheit ist ein Wert, der in unseren Gesellschaften anerkannt und respektiert werden muss.

3. Gerechtigkeit ist ein dynamischer Begriff. Diese Eigenschaft erlaubt es ihr, sich den Herausforderungen einer sich verändernden Welt anzupassen.

4. Religiöse Führer, Institutionen und letztlich jeder einzelne Gläubige haben die Verantwortung, Ungerechtigkeit und Diskriminierung in all ihren Formen zu verurteilen und Gerechtigkeit auf der ganzen Welt zu fördern. Wir glauben, dass unsere Religionen die Kraft besitzen, die Menschen zum Aufbau einer Welt zu bewegen, in der Friede und Gerechtigkeit verwirklicht werden.

5. Wir teilen die Ansicht, dass im Namen der Gerechtigkeit in der heutigen Welt Muslime und Christen fortfahren müssen, ihr gegenseitiges Verständnis durch anhaltenden Dialog und Kooperation zu vertiefen.

6. Es ist wichtig, dass wir die Früchte unserer gegenseitigen Begegnung zu ernten wissen und sie den Menschen unserer beiden Glaubensgemeinschaften mitteilen, damit sie eine reale Wirkung in der Welt entfalten können.

Die folgenden Kommentare sind ein Ergebnis eines ausführlichen Unterrichtsgesprächs in einer Berufsschulklasse für Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellte:

Zu 1.: Die Einheit Gottes ist der Schlüssel für einen weiter tragenden Einheitsbegriff, der auf die Einheit der Welt und auf die Gerechtigkeit angewandt wird. Religion verbindet die Menschen durch den Gottesbezug. Die Einheit ist nicht real, sondern wird geglaubt. Kritisch ist zu fragen, ob die Übereinstimmung zwischen den Religionen Christentum und Islam, hier repräsentiert durch Katholiken einerseits und Schiiten andererseits, nicht andere religiöse Vorstellungen ausschließt.

Zu 2.: Dass die Vorstellung von Gerechtigkeit von der Vernunft und der Religion aus erschlossen werden kann, ist einsichtig. Nicht einsichtig ist, dass die Klammer zwischen beiden durch ein „sowohl – als auch“ gesetzt wird. Die Religion muss akzeptieren, dass zur Beschreibung von Gerechtigkeit auch die Vernunft allein ausreicht. Es wird außerdem erkannt, dass Vernunft und Religion zwei unterschiedliche Erkenntnisweisen verwenden, da die Vernunft rational ableitet und die Religion die Begründung durch eine geglaubte Wahrheit beinhaltet. Wichtig ist hier ebenfalls der Begriff der Gewissensfreiheit, da er es jedem beliebigen Menschen ermöglicht, seine Handlungen individuell und religiös zu begründen. Erinnert wird in diesem Zusammenhang an die Möglichkeit, den Kriegsdienst mit der Waffe aus religiösen Gründen zu verweigern. Außerdem wird gefragt, wie ein religiöser Vernunftgebrauch auszusehen hat, wo sich doch im modernen Denken Vernunft und Glaube manchmal zu widersprechen scheinen.

Zu 3.: Durch die Dynamik der Veränderung ist Gerechtigkeit letztlich nie endgültig definierbar. Die Vorstellungen ändern sich. Während man z. B. früher die Todesstrafe für gerecht hielt, sieht man sie heute aus humanitären Gründen als ungerecht an, da sie erneut andere Menschen mit dem Verlust eines Angehörigen bestraft, die in der vorigen Straftat nicht involviert waren.

Zu 4.: Die heutige Situation erfordert es immer, auch die „andere Seite“ zu kennen. So werden Diskriminierungen abgebaut. Die Vorstellung, dass Friede letztlich herstellbar ist, erscheint hingegen illusorisch. Hier wird deutlich, dass der Glaube eine hohe Motivation zu Friede und Gerechtigkeit darstellt. Hier wird außerdem die Frage zu stellen sein, warum Religionen selbst zu Quellen von Gewalt werden können, z. B. wenn die eigene Religion als die „bessere Seite“ bezeichnet wird und damit andere ausgeschlossen.

Zu 5.: Zum Dialog ist zu sagen, dass es richtig ist, wenn zwei Religionen das Gespräch zueinander finden. Es muss aber gefragt werden, ob damit auch andere Religionen vom Dialog ausgeschlossen sind.

Zu 6.: Der Dialog soll auf eine breite Basis gestellt und den Menschen der Religionsgemeinschaften bekannt gemacht werden, um eine reale Wirkung zu erzielen. Die Erfahrungen der Begegnung sind ermutigend, dass von hier aus eine Motivation zur Umsetzung der Ziele auch in die Welt ausgeht.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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