Staunen und Wundern – mit der Bibel, Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2013

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Ruben Zimmermann (Hrsg.): Die Wunder Jesu, Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen Bd. 1, Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 2013, ISBN 978-3-579-08120-5, Preis: 58,00 Euro

Die Wunder Jesu vonDie Geschichte der Exegese des Neuen Testaments ist von der Frage nach der historischen Wahrheit der Überlieferung um Jesus von Nazareth bestimmt. Zugleich jedoch ist der Gegenstand, der die Antwort auf diese Frage gibt, eine Form von Literatur. Diese Literatur wird einerseits mit der Frage nach historischer Wahrheit überfrachtet, da es für Jesus nur wenige außerbiblische Zeitzeugnisse gibt; andererseits ist die Kirche schon von Anbeginn an darum bemüht, Jesus als historische Gestalt darzustellen und zu verstehen. Nicht nur Kreuzigung und Auferstehung, auch der Weg Jesu, seine Taten und Worte gelten im Prinzip durch die Autorität der Apostel als geschichtlich bezeugt. Eine besondere Herausforderung stellen vor diesem Hintergrund die Wundergeschichten dar.

Allein die Vertreter der Formgeschichte fanden eine wissenschaftlich akzeptable Lösung, indem sie die Wundergeschichten in unterschiedliche Gattungen aufteilten und als rhetorische Verdeutlichung des göttlichen Anspruchs des Erlösers verstanden, also quasi als rhetorischen „Beweis“ seiner himmlischen Beziehung zu Gott und der entsprechenden Herkunft. Doch mit der so gefundenen Lösung war für die Kirche allgemein keine wirklich befriedigende Erklärung der Wunder Jesu gefunden. Während Kinder noch über Wundergeschichten staunen können, verlernen es die Erwachsenen bekanntlich in den meisten Fällen, weil ihnen das rationalistische Denken kaum noch Möglichkeiten dazu lässt. Religiöse Überlieferung und Rationalismus widersprechen sich dann, und keine Alternative scheint in Sicht. Eine Lösung des Problems auf dieser Ebene ist die Spaltung der Person, die religiöse Texte liest und glaubt, in einen rationalen und einen religiösen Teil, wobei Gott einen außerweltlichen Wirklichkeitsbereich zugewiesen bekommt. Und so meint man dann auch der Überlieferung zu folgen, denn spricht nicht schon das Gebet Jesu von „Unserem Vater im Himmel“ und weist ihm so einen außerweltlichen Bereich zu? Entweder gibt es also immer Wunder, die sich andererseits sich aber auch rational erklären und hinterfragen lassen können. Oder das Wunder ist gar nicht ein Ereignis, das wirklich stattgefunden hat, sondern eine Erzählung, die zum Staunen bringt und zur Übertreibung ins Unwahrscheinliche einlädt, die denkend das Gefühl anspricht. Das Wunder ist als Beweis der Existenz Gottes und des Auftrags Jesu letztlich ungeeignet, weil der Gegenstand des Glaubens unbeweisbar ist und auf Vertrauen und Gefühl beruht.

Wozu ist ein exegetisches Projekt über frühchristliche Wundergeschichten da? Zunächst ist es bemerkenswert, dass die Theologie sich immer häufiger solcher an Teamarbeit orientierten Formen bedient, wie bei diesem Projekt. Nicht der Streit der Theologen, sondern die Bereitschaft zur Kooperation führt zu neuen wissenschaftlichen Ergebnissen. Doch diese Feststellung gilt nicht nur für die Methode. Es ließe sich ja auch ein Forum denken, eine Dokumentation der Meinungsvielfalt, die so ohnehin durch die unterschiedlichen exegetischen Forschungsschwerpunkte gegeben ist. Dieses Handbuch über die Wunder Jesu geht über ein so gedachtes Vorhaben hinaus und folgt einem gemeinsamen literaturwissenschaftlichen Ansatz. Mit dem Begriff Literatur tauchen durchaus herkömmliche exegetische Fragestellungen auf, wie die Fragen nach Tradition und Überlieferung oder nach Sozial- und Religionsgeschichte. Alle Artikel folgen dabei dem gleichen Schema, das in mehreren Autor(inn)en-Konferenzen 2009 und 2010 festgelegt wurde und in der Einleitung ausführlich erläutert wird. Das Konzept „Literatur“ erweist sich als ein integrativer Ansatz. Da die historische Frage nicht beantwortet werden muss (s. o.), reicht es völlig, das Gefüge der Texte in den Einzelheiten darzustellen und zu beschreiben. Die Darstellung des Projekts „Wundergeschichte“ hat hier im ersten Band „Wunder Jesu“ ein hervorragendes Arbeitsmittel für Exegese, Predigtvorbereitung und Unterricht geschaffen. Die Wundergeschichte ist auch heute noch ein probates Mittel, die Vorstellungskraft der Hörerinnen und Hörer zu provozieren und sie dazu anzuregen, über ihren Horizont hinaus zu denken. Auf den ersten Blick ist die Indifferenz mancher Interpretation eines Wunders erstaunlich und irritierend. Auf die klare Frage, was denn die konkrete Wundergeschichte aussagt, gibt dass 1100 Seiten starke Buch keine einfache Antwort, sondern allein Verstehenshilfen, die zur eigenen rezeptiven Deutung des jeweiligen Textes anregen. Die Wundergeschichten über Jesus führen eben weniger zu einem klaren Indikativ, sondern zu einem Glauben an eine wirksame Gegenwart Gottes, die zum Staunen über das eigene Erleben einlädt, wenn man dieses dann transzendierend zu deuten vermag.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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