Christliche und islamische Theologien im Dialog, Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2013

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Zu: Lexikon des Dialogs, Grundbegriffe aus Christentum und Islam, Im Auftrag der Eugen-Biser-Stiftung herausgegeben von Richard Heinzmann in Zusammenarbeit mit Peter Antes, Martin Thurner, Mualla Selcuk und Halis Albayrak, 2. Bände, Herder Freiburg im Breisgau 2013, ISBN 978-3-451-30684-6, Preis 38,00 Euro

Die Eugen-Biser-Stiftung unterstützte die katholisch-theologische Fakultät 20131025-203428.jpgder Universität München seit 2005 dabei, Symposien mit der islamisch-theologischen Fakultät der Universität Ankara durchzuführen. Daraus resultierte das Vorhaben, ein Lexikon für den christlich-islamischen Dialog zu erstellen. Bei der Auswahl der Autoren (keine Autorin) auf der christlichen Seite wurden auch evangelische Theologen beteiligt. Die Autorinnen und Autoren auf der muslimischen Seite sind allesamt aus Ankara. Das Lexikon selbst ist sowohl auf Deutsch, als auch auf Türkisch erschienen.

Die Rezension muss nicht die formalen und inhaltlichen Kriterien bei der Erstellung des Lexikons beurteilen, sondern hat lediglich in praktischer Hinsicht zu beobachten, ob die vorgegebene Intention getroffen wurde, ein geeignetes Instrumentarium für den Dialog bereitzustellen.
Die gewählten Stichworte sind entweder nur je einmal vorhanden, christlich oder muslimisch, oder für beide Religionen und damit doppelt. Da am Ende jeden Artikels eine Liste von Stichwortverweisen zu anderen Artikeln aufgeführt wird, lässt sich auch von dort aus weiterarbeiten. So führt etwa der Artikel über „Hermeneutik“ (Bd. 1,S.327f) zum Artikel „Schriftauslegung“ (Band 2, S. 623).
Zur Rezension habe ich einige doppelt vorhandene Stichworte ausgewählt: Metaphysik, Mystik, Gotteserkenntnis, Leben, Welt, Ethik, Gerechtigkeit, Homosexualität und Toleranz.
Die Metaphysik ist die Verbindung der Religion zur Philosophie. Während sich die christliche Theologie mit der Vorgabe des Aristoteles auseinandersetzt und in der Neuzeit den Anspruch der Metaphysik bestreitet, hat sich die islamische Theologie, obwohl sie sich zunächst an Aristoteles orientierte, zur Kritikerin der Philosophie entwickelt. Die Entwicklung der grundsätzlichen Einstellung zur Religion aus der Sicht der Philosophie führt bis zur Mystik. (Band 2, S.474-477)
Die Mystik ist im Islam eine wichtige Säule der religiösen Erkenntnis. Indem das Sein als ein Ganzes angesehen wird, wird die Welt zum Teil der Gotteserkenntnis. Mystik ist in der islamischen Theologie ein anerkannter Wissenschaftszweig, bezieht sich aber auch von ihrem Ursprung her auf einen in der Askese gegründeten spirituell-leiblichen Lernprozess. Im Christentum ist die Mystik dagegen ein Sonderweg, der sich zwar auch mit Namen wie Dionysius Areopagita und Augustin verbindet, in der Theologie Meister Eckharts aber eher ausgegrenzt worden ist (wovon der Artikel allerdings nichts berichtet). Mystik hat in der christlichen Theologie den Geschmack des individualistischen und gegebenenfalls auch kirchenkritischen Sonderwegs. Dass von ihr her auch in der Neuzeit die Rationalität als kritische Instanz der Theologie gesehen wird, begründet die Aktualität der Mystik. (Band 2, S. 496-498)
Die Gotteserkenntnis ist im Christentum unabhängig von der Religionsphilosophie ein Prozess des Bewusstseins, der aber zur negativen Theologie führt, die die Nicht-Erkennbarkeit Gottes beschreibt. Die Formen der Gotteserkenntnis in der christlichen Theologie differenziert der Artikel in negative Theologie (Un-begreiflichkeit Gottes), philosophisch geprägte Begriffe für Gott wie Gott als Grund des Seins, das Gute, die Wahrheit und zuletzt als Offenbarung in der Gestalt der Selbstoffenbarung durch Christus. Im Islam ist die Gotteserkenntnis einerseits an der Mystik orientiert als spirituelle Erfahrung aus dem Selbst. Andererseits ist, ausgehend von der Erkenntnis der Einheit Gottes mit der Welt, jedes Geschöpf ein Zeichen der Existenz Gottes. Zur Erkenntnis Gottes gehören negative Attribute, positive Eigenschaften (der Wissende) und auch handlungsbezogene Attribute. (Band 1, S. 285-287)
Im Islam ist das Leben die Bezeichnung dafür, dass das Seiende beseelt ist. Lebendigkeit ist der göttliche Hauch, Gott ist die Quelle des Lebens, sowohl in der Welt, als auch in jedem einzelnen Menschen. Folgerichtig ist Leben der höchste Wert und die Tötung eines Menschen eine Handlung gegen Gott (Koran 5,32). Der christlich geprägte Artikel weist hingegen auf die unterschiedliche Begrifflichkeit in der profanen Wissenschaft und der christlichen Religion hin. Das Leben wird nicht als Teil Gottes gesehen, sondern unabhängig von ihm als sich selbst erneuernd. Andererseits ist Gott selbst lebendig. Der Artikel lässt offen, ob das Sein selbst und die Bejahung des Seins im Leben als göttliche Qualität gesehen wird. Diese ist symbolisch gesehen ein Zeichen der Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen. Das Symbol des Lebensursprungs als Zeugung ist nach diesem Artikel ein Teil der Gotteserkenntnis, womit wohl auf die Trinitätslehre angespielt wird. Ob der Artikel in dieser Hinsicht auf den Widerspruch des Korans und gegen dessen Vorstellung der Zeugung Gottes hinweisen soll, ist hier nicht näher bezeichnet. (Band 2, S. 439-441)
In christlicher Hinsicht ist die Welt, die hier eng mit dem Begriff des Universums gesehen wird, die Einheit aller Wirklichkeiten, als Welt bezogen auf unsere Erde. Gott als Schöpfer ist nicht Teil der Welt. Die Welt als Menschengemeinschaft wird als endlich verstanden, ist Gott gegenüber defizitär und insofern sündig und auf Erlösung hin angelegt. Insofern beinhaltet das christliche Verständnis der Welt die Perspektive auf eine Zielrichtung von Wertentwicklung und Geschichte. Auch wenn der Islam diese Distanz zwischen Gott und Welt ebenso kennt, so ist hier die Welt doch als Gottes Schöpfung „ein Beweis der Existenz Gottes“. Im Koran wird der Begriff Welt oft im Plural gebraucht, im Sinn von Gemeinschaften. Zudem unterscheidet der Koran zwischen einer sichtbaren und einer unsichtbaren Welt, zwischen der Substanz und den Akzidentien der Welt. (Band 2, S. 734-736)
Ethik: Das Verhalten der Menschen in der Welt unterliegt den vom Koran her gegeben Werten. Dementsprechend ist den Menschen die Fähigkeit zur Willensfreiheit zugestanden, die aber nicht als mentale Freiheit, sondern als Handlungsfreiheit gedacht wird. Die Person Mohammeds wird neben den Worten des Korans als Vorbild für die Ethik gesehen. Auch im Christentum ist die Ethik eine Lehre von den Handlungen aus dem Geist des Christentums. Der Autor des Artikels unterscheidet zwischen Moral als Individualethik, die zwischen gut und böse unterscheidet und der Sozialethik, die zwischen gerecht und ungerecht unterscheidet. Die Vorstellung des menschenfreundlichen Gottes der Bibel führt zur Vorstellung des untrennbaren Zusammenhangs zwischen Gottesrecht und Menschenrecht. (Band 1, S. 171-174)
Der Begriff der Gerechtigkeit ist im Christentum theologisch geprägt und hat verschiedene Aspekte von der Fürsorge für Arme bis hin zur Annahme des Sünders. Die islamische Theologie hingegen stellt den Begriff in den Zusammenhang der Rechtsordnung. Auch wenn „Der Gerechte“ ein Name Allahs ist, so führt die Willensfreiheit der Menschen dazu, die Gleichheit vor dem Gesetz auch als Schutz der weniger Begüterten anzusehen. Im Grunde müsste man vom Vergleich der beiden Artikel her fragen, warum im Christentum der Begriff der Rechtsordnung in der Theologie nicht so deutlich benannt wird. (Band 1,S.247-249).
Interessant ist der Umgang mit der Frage der Homosexualität. Der christlich theologische Artikel sieht trotz ablehnender Positionen der Bibel die Notwendigkeit, Homosexualität als nicht frei gewählte Neigung anzusehen. In der Praxis bedeutet es, in der Orientierung an einer kirchlichen Sexuallehre, den Vorrang der Enthaltsamkeit oder der eingetragenen Lebenspartnerschaft unter Einbeziehung von Liebe und Verantwortungsbereitschaft zu sehen. Die islamische Position untermauert durch Zitate aus dem Koran die Haltung, dass Homosexualität Sünde sei, also eine frei gewählte Übertretung. Im Umgang mit Homosexuellen schlägt der Individualismus durch, indem er die Ausgrenzung von Menschen allgemein (d. h. eben nicht religiös begründet) verbietet. An diesem Beispiel wird deutlich, dass gesellschaftliche Konflikte durch die islamischen Positionen manchmal nicht durch die Haltung der Religion, sondern durch das außerreligiöse Gebot der Toleranz ausgeräumt werden. Die Religion scheint der Frage des Konfliktpotentials gesellschaftlicher Positionen manchmal indifferent gegenüberzustehen. (Band 1, S.343-344)
Der Begriff Toleranz wird christlich als Achtung vor Andersartigkeit definiert. Es wird gesagt, dass das Christentum zwar von toleranten Staatsgesetzen anfangs profitiert hat, jedoch bedingt durch den unbedingten Wahrheitsanspruch eher von Intoleranz geprägt war. In der Bibel jedoch sei der Anspruch der Toleranz im Gebot der Nächstenliebe enthalten. Intoleranz dagegen sei nicht zu tolerieren. Die islamische Theologe bezieht die Frage derToleranz weniger auf die Einstellung oder soziale Fragen, als auf die Orientierung an der Rechtsordnung, die kleine Fehler toleriert. Auf die Frage der Religionen bezogen ist der Islam deutlich toleranter als das Christentum, da Allah als Quelle der Toleranz angesehen wird, der verschiedene Religionen geschaffen habe, die miteinander konkurrieren sollen. Da die Unterschiedlichkeit der Glaubensformen vom Schöpfer gewollt ist, sollen die Menschen einander gegenüber tolerant begegnen. (Band 2, S.681-683)

Da die einzelnen Artikel von den jeweiligen Bearbeitern her verantwortet werden, ist eine pauschale Aussage, was das Christentum oder der Islam zum einzelnen Stichwort sagt, so nicht möglich. Das gleiche gilt für die Frage nach konfessionellen Unterschieden, soweit sie nicht im Artikel ausdrücklich thematisiert werden. Es ist jedoch spürbar, dass sich das Lexikon an dem Anspruch orientiert, für die jeweilige Religion sprechen zu wollen. Während der Islam in den Antworten eher auf Frage der Rechtsordnung und der Umsetzbarkeit religiöser Begriffe eingeht, scheint das Christentum vorrangig als Weltanschauung aufgefasst zu werden. Im jeweiligen Gottesverständnis tritt deutlich hervor, dass die islamische Theologe streng von der Schöpfungstheologie aus argumentiert, sogar im Hinblick auf Toleranz, während das Christentum eher vom Gottesbild her argumentiert und fragt, wie sich Gott in der Welt ausdrückt, z. B. durch Menschenfreundlichkeit, Gerechtigkeit oder Liebe. Obwohl Gott wie Allah in beiden Religionen das Gegenüber im Gebet ist, ist das islamische Gottesverständnis deutlich stärker auf Gottes Einheit mit der Schöpfung bezogen, ja das Leben kann als Erweis der Existenz Gottes angesehen werden. Die Frage der Offenbarung tritt im Islam eher zurück, obwohl ja der Koran durchaus als Gottes Wort bezeichnet wird. Im Unterschied dazu ist das Christentum von der Bibel her stärker theistisch als Weltanschauung konzipiert, für die es lange Zeit nur eine mögliche Wahrheit gegeben hat, auch wenn sie von der Unterschiedlichkeit der Wahrheitsauffassung wusste. Während das Christentum Konflikte auf der weltanschaulichen Ebene riskiert, scheint der Islam Konflikte auf der gesellschaftlichen Ebenen eher in Kauf nehmen zu wollen bzw. nicht ausräumen zu können. Wer die Frage diskutieren will, ob Islam und Christentum den gleichen Gott haben, mag das tun und findet in den Artikeln Argumente für beide Seiten der Diskussion. Andererseits tritt die Unterschiedlichkeit der praktischen Umsetzung schon auch deutlich zutage. Das mag auch daran liegen, dass Fragen der Rechtsordnung in den christlichen theologischen Antworten kaum vorkommen. Eine Einheit zwischen Staat und Religion ist im Islam eher intendiert, als im Christentum, wie es sich aktuell darstellt.
Anhand der Auswahl einiger Begriffe wurde versucht, den Nutzen des Wörterbuchs für den Dialog auszuloten. Dieses Wörterbuch ist darüberhinaus auch ein theologisches Wörterbuch der jeweiligen Religionen und lässt sich auch gut verwenden, wenn man nach einer kurzen Umschreibung eines theologischen Begriffs sucht. Im Übrigen wurde die Frage nach dem religionskundlichen Informationsgehalt der Artikel nicht bearbeitet, da dieser durch die Redaktionsarbeit gesichert wurde. Auch in dieser Hinsicht ist das Wörterbuch so konzipiert, dass es Auskunft gibt über islamische Rechtsschulen oder grundsätzliche Glaubensbegriffe, wie über die Grundbegriffe der christlichen Religion bis hin zu Kirchenauffassungen. Insofern ist das Wörterbuch auch für die je eigene Religion eine gutes theologisches Lexikon. Es ist spürbar, dass die Fragestellung des Dialogs die Bearbeitenden dazu angeregt hat, ihre Antworten konzentriert, einfach, kurz und prägnant zu formulieren. Es ist dem Lexikon des Dialogs zu wünschen, dass es den christlich-islamischen Dialog weiter befördert.

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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