Das erste Jesusbild der Evangelien, Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2013

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Zu: Gerd Lüdemann: Der echte Jesus, Seine historischen Taten und Worte, Ein Lesebuch, zu Klampen Verlag, Springe 2013, ISBN 978-3-86674-186-7, Preis: 9,80 Euro

Dass Gerd Lüdemann, inzwischen emeritierter Theologieprofessor ohne kirchlichen Segen, weiterhin fleißig gearbeitet und publiziert hat, zeigt schon der ausführliche Literaturkatalog des Verlages zu Klampen zu seinen Publikationen im Anhang dieses Buches.

Auch das Literaturverzeichnis führt die Personen auf, die im Gebiet der Erforschung des Neuen Testaments Rang und Namen haben, von Martin Dibelius über Rudolf Bultmann bis Gerd Theißen. Ein Name jedoch fehlt in dieser Auflistung, der von Albert Schweitzer. Albert Schweitzer prägte die Bibelexegese, weil er nachwies, dass die Beschäftigung mit dem historischen Jesus jeweils zum Vorverständnis der Ausleger und Exegeten führt. Kann Gerd Lüdemann der Kritik Albert Schweitzers entgehen, wenn er meint, echte Jesus-Taten und -Worte nachweisen zu können?

Wenn das jeweilige Jesusbild abhängig ist von den eigenen Ausschlusskriterien und die Literatur über Jesus nur in erbaulicher Gestalt vorliegt, ist, so Schweitzer, ein Weg zur historischen Gestalt des Jesus von Nazareth so einfach  nicht möglich. Dieses Thema, wie gesagt, diskutiert Lüdemann im vorliegenden Buch nicht, sondern beruft sich stattdessen auf die Exegese der in diesem Buch skizzierten Bibeltexte. Das Buch endet mit einem kurz gefassten Lebenslauf Jesu als historischer Person, wie sie sich aufgrund der Ergebnisse dieser Textauslegung darstellt. Auffällig ist, dass sich die Auswahl der Texte auf die Evangelien bezieht, nicht jedoch auf die Paulusbriefe, deren wenige Erwähnungen des historischen Jesus und des Jüngerkreises unerwähnt bleiben. Außerbiblische Quellen und Mutmaßungen wie die Hinweise des Josephus bleiben ungenannt. Faktisch handelt es sich bei der Untersuchung Lüdemanns also nicht um den historischen Jesus, sondern um das erste Jesusbild der Evangelien, das dann im Lauf der Überlieferung weithin überlagert und verändert worden ist.

Unter der Berücksichtigung dieser inhaltlichen Einschränkungen jedoch ist die Arbeit Lüdemanns an den Texten wichtig und ertragreich. Die Kriterien der Echtheit, die er wählt, sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern von der neutestamentlichen Tradition vorgegeben und gelten schlicht als Examenswissen. Hier hat Gerd Lüdemann nichts erfunden und stattdessen erneut die abgebrochene Suche nach dem historischen Jesus wieder aufgenommen. Dabei zeigt sich der besondere Ertrag der erzählerischen Überlieferung, die unter dem Namen Jesu in den Evangelien veröffentlicht worden ist. Die ausführliche Darstellung der Textgeschichte und die Frage nach dem ältesten Kern einer Erzählung lässt jeweils Rückschlüsse auf das diesem Text immanente ältere Jesusbild zu. Manche Fragen bleiben allerdings auch hier offen. Warum etwa spricht Lüdemann von Jesu Naherwartung, wenn sich diese nicht im Zusammenhang der Reich-Gottes-Predigt Jesu auf die politisch-religiösen Verhältnisse der Zeit in Palästina anwenden lässt? Ist diese Naherwartung letztlich nur eine religiöse Fiktion gewesen, oder sollte sie, wie in der Offenbarung dargestellt, auf das Ende konkret vorhandener Weltreiche hinweisen?

Dass die Geburtsgeschichten der Evangelien nicht zusammenpassen und dass sie der Einführung von christologischen Hoheitstiteln wie dem Wort vom „Sohn Gottes“ dienen, dürfte klar sein. Warum jedoch entnimmt Lüdemann daraus eine Information, Jesus sei ein uneheliches Kind, da er einmal als „Sohn der Maria“ bezeichnet wird?

Jesus als prophetische Gestalt in der Nähe des Täufers zu sehen, liegt von den Texten her nahe. Warum jedoch interpretiert er die Taufe als Akt der Sündenvergebung und nicht als Berufung? Wie kommt es, dass sich Jesus so deutlich von der strengen Gesetzesorientierung des Johannes unterscheidet und in seiner Predigt zum Teil völlig anders akzentuiert als jener? Was sind die Quellen der Menschenfreundlichkeit Jesu und Offenheit gegenüber allen Schichten und sogar anderen Religionen? Aus dem Umfeld Johannes des Täufers können sie nicht stammen.

Interessant ist es, das Heilungshandeln Jesu und seine Exorzismen dem ältesten Jesusbild zuzuordnen. Welche Rolle jedoch spielt die sonst im Judentum ausdrücklich verbotene und als Hexerei bezeichnete Art von Dämonenaustreibung, die bei Jesus mit der Sündenvergebung parallel geht? Wenn die Texte symbolisch oder theologisch interpretiert werden als mythologische Bilder für real vorhandene Machtkonstellationen, hätten sie zwar weniger historischen Wert, würden aber plausibler zu interpretieren sein?

Dass Jesu Tempelkritik zuletzt zum Leidensweg führt, ist plausibel. Die Baumaßnahmen vor allem am Tempel, die Herodes der Große angestoßen hat und die zum Teil zur Lebenszeit Jesu noch nicht vollendet waren, müssen gigantisch gewesen sein und könnten vielleicht so ähnlich wie der Bau des Petersdoms zur Zeit Luthers zum aufbrausenden Volkszorn gegenüber der regierenden Tempelaristokratie geführt haben. Doch solche Informationen bleiben hier eigentümlicherweise ungenannt.

Ist das Reich Gottes, das Jesus gepredigt hat, wirklich das Ende der Welt und nicht viel eher das Ende bestehender Zustände und Machtkonstellationen?

Unter der Voraussetzung, dass die Frage nach dem „echten Jesus“ eigentlich die Frage nach dem ersten Jesusbild ist, ist jedoch die biografische Skizze am Ende des Buches interessant.

Die Konzentration auf die Frage nach einer echten Jesus-Person spricht jedoch für eine Individualisierung der Jesusfrage, während die Betonung einer Jesus-Verkündigung oder Jesus-Bewegung (Theißen) eine eher kirchliche oder religiöse Betonung hervorhebt. Beide Alternativen haben ihr Recht. Die Person Jesu wird zur Botschaft, wobei die unterschiedlichen Überlieferungen und Vorverständnisse einfließen. Die Frage nach dem Ursprung des Glaubens kann nicht in einer Art von Beweis beantwortet werden.

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Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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