Chancen und Probleme neuer Gottesdienstformen, Rezension von Emanuel Behnert, Lippetal 2014

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Zu: Franziska Schade (Hrsg.): Baustelle Glauben, alternative Jugendgottesdienste, Verlag Haus Altenberg in Kooperation mit dem Lahn-Verlag, 176 Seiten, Format 15 x 23, ISBN 978-3-7761-0289-5, 12,95 €

20140121-120845.jpgFranziska Schade als verantwortliche Herausgeberin stellt in diesem Buch zusammen mit ihren „Mitstreitern“ Dr. Michael Rasche und Matthias Wysocki, (Gründungs)Mitglieder des Vereins „Krasse Kirche“, den Verein „Krasse Kirche“ und die Ergebnisse seiner Arbeit – 14 Alternative Gottesdienste zu sehr unterschiedlichen Themen – vor.

Der ökumenische Verein „Krasse Kirche e.V.“, dem nach eigenen Angaben auch viel am interreligiösen Dialog gelegen war, wurde 2002 von „einem Dutzend Jugendlichen“ in Essen-Heisingen gegründet mit dem Ziel, Kirche umzugestalten. „Wir hatten genug von Jugendgottesdiensten mit Gitarrengeschrammel zum Gesangbuch und Sonntagsmorgenliturgien, die nach immer dem gleichen Schema ablaufen. Wir wollten stattdessen Gottesdienste machen, die anders sind. Gottesdienste, die aktuelle Themen behandeln, die sich mit Fragen aus dem Lebensalltag von Jugendlichen auseinandersetzen, Gottesdienste, die nicht unter unverständlichen Worthülsen begraben werden und in denen die Meinungen und Interessen der Jugendlichen ernst genommen werden.“ (S.5) Aus dieser Motivation heraus entstehen in den folgenden sieben Jahren (bis November 2009) 14 Gottesdienste zu den unterschiedlichsten Themen. Der Sinn des Lebens wird dabei genauso angesprochen, wie die Frage nach unserem Umgang mit der Schöpfung. Die Frage nach der eigenen Beziehung zu Gott wird ebenso aufgeworfen, wie die Frage danach, wie sich Kirche zu Liebe, Sex & Zärtlichkeit äußert und positioniert. Weihnachten wird ebenso bedacht, wie das „Problemfeld“ des Sterbens und des Todes.
Der „Auftaktgottesdienst“ am 04. April 2003 steht unter der mit Fragezeichen versehenen Überschrift „Kirche ist GrOTTenschlecht?“ Zwei Motivationen haben wohl zu der Themenwahl dieses Gottesdienstes geführt (s.S. 32) „Zum einen ging es darum den Verein Krasse Kirche zu präsentieren und zu zeigen, wie wir uns Jugendgottesdienste vorstellen. Zum anderen fragte dieser erste Gottesdienst nach dem generellen Verhältnis von Jugendlichen und Kirche. Wieso fühlen sich so viele Jugendliche von Gottesdiensten nicht angesprochen? Brauchen wir Kirche überhaupt?“
Es mag nun gut und richtig sein, einer Gemeinde, einem Publikum eine neue Idee zunächst einmal vorzustellen und sie mit den neu gewonnenen Gedanken vertraut zu machen. Doch bereits an dieser Stelle kommt die Frage auf, die sich im Laufe der Buchlektüre immer wieder wiederholt: Geht es hier wirklich darum, Gottesdienst zu feiern, in anderer Form zu feiern, oder geht es vielmehr darum, sich mit modernen Themen auseinanderzusetzen, um sich möglichst stilvoll selbst darzustellen und zu inszenieren?!
Die einzelnen Gottesdienste werden sicherlich mit viel Elan und Engagement, mit viel Phantasie und umfassendem Einsatz vorbereitet. Dies zeigt sich allein schon daran, dass die Vorbereitung für einen einzelnen Gottesdienst in der Regel etwa ein halbes Jahr dauert und von unterschiedlichen Vereinsgruppen ergänzend wahrgenommen wird. Es gibt ein Text – Team, das die Konzepte und Abläufe erarbeitet, geeignete Texte auswählt, verfasst oder umschreibt. Es gibt ein Deko – Team, das die jeweilige Kirche, in der der einzelne Gottesdienst stattfindet, dem Thema gemäß dekoriert und (um)gestaltet und für geplante Theater – Sketch – und Schauspieleinlagen für die passenden Requisiten und Kostüme sorgt. Das Technik – Team sorgt für die technischen Umsetzungen des jeweiligen Gottesdienstthemas, vor allem im Bereich von Ton – und Lichttechnik. Flyer und Plakate werden gedruckt und verteilt, ein enger Kontakt zur regionalen Presse in Wort, Bild und Hörfunk werden zeitnah zu den Gottesdiensten von dem Presseteam hergestellt und gepflegt, was genauso für die Aktualisierung der Vereinseigenen Homepage und die Internetwerbung galt. Die Arbeit, vor allem das Beschaffen und Aktualisieren von Technik und Requisiten begann, „sobald ein Thema gefunden war“. (S. 25) – Das Thema und die Auseinandersetzung mit diesem hatte eventuell einen höheren Stellenwert als die Grundlegung des Themas auf dem biblischen Wort.
Dies spiegelt sich auch in den Abläufen der Gottesdienstes, die zwar auf jegliche kirchliche Liturgie und nach Möglichkeit an nahezu alles, was an Kirche erinnert verzichten möchten, die sich aber dennoch in ihren Abläufen im Wesentlichen schon recht bald immer wiederholen. Einzige kirchliche Elemente bleiben nahezu in allen Gottesdiensten ein kurzer biblischer Text, dem irgendwann im Verlauf eine Predigt folgt, die aber in der Regel auf das Thema des Gottesdienstes bezogen ist und nicht unbedingt erkennen lässt, dass ein Textbezug wirklich hergestellt wird, ein Schlussgebet und der Segen und nahezu immer das „Vater Unser“. Das trinitarische Votum oder ein Glaubensbekenntnis sucht und erwartet man vergeblich. Möglicherweise um die Ökumene auf falsche Weise zu betonen und um größeren Lehrdiskussionen aus dem Weg zu gehen wird in jeden Gottesdienst anstelle der Eucharistie und des Abendmahls eine Agapefeier eingebaut, die mit unterschiedlichen Elementen gestaltet wird.
Die Liedauswahl in den Gottesdiensten beschränkt sich auf aktuelle, oder zumindest bei den meisten Jugendlichen und jungen Erwachsenen bekannte Stücke von Interpreten und Gruppen aus der Rock – Pop und Metalszene. Queen, Pur, HIM, Bandits, die Toten Hosen, Shania Twain, Phil Collins, Vangelis, Robbie Williams, Nickelback sind nur einige, deren Stücke immer wieder in den Gottesdiensten gespielt werden. Live oder vom Tonträger.
Kirchenräume werden zu Eventhallen umgestaltet, bis dahin, dass die Kirchenbänke für diesen jeweilig aktuellen Jugendgottesdienst aus dem Kirchenraum entfernt werden, um die Möglichkeit lockerer Gruppenzusammenfügungen schaffen zu können. Hierbei zeigt sich offensichtlich wenig Empfinden für die lange gewachsene Einheit eines Kirchenraumes und ich wage zu vermuten, die Orientierung auf den Altar und das Kreuz hin ging vielleicht in vielen Fällen verloren.
Eigenen Angaben zufolge wurden die 14 Gottesdienste des Vereins „Krasse Kirche“, die in unterschiedlichen Kirchen des Ruhrgebietes gefeiert wurden, von insgesamt über 7000 Menschen besucht. Vorgestellt werden sollte ihnen „Kirche im Aufbruch“. Entsprechend dem, was ich dem Buch entnehmen kann, konnten sie jedoch „nur“ ein falsches Zerrbild dessen wahrnehmen, was Kirche eigentlich ist oder sein soll. Es geht nicht darum etliche qm Rollrasen in der Kirche zu verlegen, einen riesigen Grabhügel zu errichten, es geht nicht darum Lichteffekte wie in einer Disco zu erzeugen, um auf ein Thema aufmerksam zu machen, vor allem geht es doch darum, auch wenn wir den Menschen, auch den jungen Menschen an dem Platz abholen, an dem er steht, diesem Menschen die Lebenszusage Gottes nahe zu bringen. Das geht leider in den beschriebenen Gottesdiensten dieses Buches verloren. Und so bleibt diese Art von Glauben sicher immer ein Baustelle und das Baustellenschild immer vor dem Kreuz. (s. Bucheinband)
Der Verein Krasse Kirche e.V. ist auseinander gebrochen und 2011 letztlich aufgelöst worden, weil die Mitglieder privat und beruflich nun unterschiedliche neue Wege gegangen sind, gehen mussten. Das Ende dieses Vereins und die Tatsache, dass es offensichtlich keinen Nachwuchs gab, verdeutlicht noch einmal die Zentrierung der Arbeit auf diese Gruppe und ihr Gedankengut und Empfinden des Zeitgeistes vor wenigen Jahren. Trotzdem bleibt zu hoffen, dass bei allen Fragen, die dieses Engagement mit sich gebracht hat und bei aller verzerrten Darstellung von Kirche und Glaube doch der eine oder die andere sich durch dieses Engagement angesprochen gefühlt hat, um auf eigene Weise neu den Kontakt zu Kirche und Gemeinde zu suchen.

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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