Predigt zum Sonntag Quasimodogeniti 2014 über Jesaja 40,26 – 31, Christoph Fleischer, Werl 2014

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Jesaja 40,26 – 31 (Gute Nachricht Bibel)

Seht doch nur in die Höhe! Wer hat die Sterne da oben geschaffen?
Er lässt sie alle aufmarschieren, das ganze unermessliche Heer. Jeden Stern ruft er einzeln mit Namen, und keiner bleibt fern, wenn er, der Mächtige und Gewaltige, ruft.
Ihr Leute von Israel, ihr Nachkommen Jakobs, warum klagt ihr: »Der HERR kümmert sich nicht um uns; unser Gott lässt es zu, dass uns Unrecht geschieht«?
Habt ihr denn nicht gehört? Habt ihr nicht begriffen?
Der HERR ist Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, seine Macht reicht über die ganze Erde; er hat sie geschaffen! Er wird nicht müde, seine Kraft lässt nicht nach; seine Weisheit ist tief und unerschöpflich.
Er gibt den Müden Kraft und die Schwachen macht er stark.
Selbst junge Leute werden kraftlos, die Stärksten erlahmen.
Aber alle, die auf den HERRN vertrauen, bekommen immer wieder neue Kraft, es wachsen ihnen Flügel wie dem Adler.
Sie gehen und werden nicht müde, sie laufen und brechen nicht zusammen.

Liebe Gemeinde,

Bevor ich diesen wunderschönen Text aus dem Buch Jesaja auslege, möchte ich kurz auf die Frage eingehen, was diese große Ermutigung und Tröstung des Propheten mit dem Sonntag nach Ostern zu tun hat.

Manfred Josuttis schreibt in seiner Darstellung des Sonntags Quasimodogeniti:
„Seit Ostern fließt ein neuer Kraftstrom durch die Geschichte. Was die alte Prophetie angesagt hat, ist nun Wirklichkeit geworden: ‚Den Ermatteten gibt er Kraft, und wo diese Kraft ist, gibt er große Stärke‘ (Jesaja 40,26 – 31) … Was unter und in Menschen verschlossen ist, wird durch die Osterkraft aufgebrochen. Das galt für Türen, hinter denen sich die Jünger verschanzt hatten. Das gilt ebenso aber für die Herzen aller, die – aus welchen Gründen auch immer – den lebendigen Gott aus ihren Leben ausgesperrt haben. Auferstehung, Unglaube und Mission sind und bleiben miteinander verbunden. Ohne die Einsicht in den eigenen Unglauben kann man den Unglauben der anderen nicht wahrnehmen. Und ohne den Einfluss von Gotteskraft bei sich selbst kann man vor dem Unglauben letztlich nur kapitulieren. … Der Lebensgeist des Auferstandenen muss unausgesprochen wirken, wenn man in Seelsorge, Predigt und Unterricht mit eigenen Worten das Wort Gottes zu begreifen sucht. ‚Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns mit seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat und mit Hoffnung auf Leben erfüllt hat durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten. (1. Petrus 1, 3-9)‘.“

Das heißt: Es geht bei der Auferstehung und bei der Begegnung mit dem Auferstandenen um die Erfahrung des lebendigen Gottes im eigenen Leben, durch die verschlossenen Türen des Inneren hindurch. Die Auswahl der Bibeltexte zu den verschiedenen Sonntagen und Feiertagen kommt auch an dieser Stelle zu der Frage, wozu die christliche Religion im Alltag nutzt. Diese Frage kann politisch also für eine Gesellschaft oder persönlich, also für Einzelne, beantwortet werden. Für die meisten dürfte es aber im Prinzip durchaus einsichtig sein, dass Sätze und Aussagen, die politisch gemeint sind, genauso auf das persönliche Leben übertragen werden können oder umgekehrt. Wer die Erfahrung der Gotteskraft nicht ausgrenzt, sondern zulässt, wird dies als praktische Hilfe erfahren. Eine Auslegerin beschreibt es so:

„Gleich, ob schwere Schicksalsschläge Menschen in Erbitterung treiben oder im Alltag eine schleichend bohrende Unzufriedenheit mit dem Ablauf des eigenen Lebens am Selbstwertgefühl des Individuums nagt – es lassen sich immer Gründe finden, das eigene Geschick als leer, sinnlos, nicht lebenswert erscheinen zulassen. … Nicht im starren Blick auf den grau erscheinenden Alltag, sondern erstens mit Blick nach oben, auf Gott, und zweitens aus einer gewissen Distanz heraus… ist nach dieser Auffassung eine zureichende Verständnisweise der Sinnfrage möglich (S.110/111).“ (Assoziationen, Gedanken zu biblischen Texten, Band 6, Radius Verlag Stuttgart 1983, S.110, Astrid Albrecht-Heide, Ulrich Albrecht)

Obwohl die Auferstehung Jesu ein neueres Geschehen ist, finden sich Worte dazu im ersten Teil der Bibel, im Alten Testament, weil es Worte für die Erfahrung der Lebendigkeit Gottes sind, in den jeweiligen Situationen des Todes oder der Todeserfahrung. Wichtig ist hier, dass der Osterglaube angebunden wird an die Gottesvorstellung des Alten Bundes! Das ist keine Neuerfindung der Christen. Das stellt letztlich sogar den Wunderglauben in Frage: Christus erscheint nach seinem Tod. Er ist spürbar in seinen Worten und Gesten, in den Gedanken. Der lebendige Gott wird nicht für immer tot sein. Wenn er auch mit Christus ans Kreuz gegangen ist.
Für mich erscheint es immer fragwürdiger, die Inhalte der Bibel auf übernatürliche Mirakel zurückzuführen, statt zu erklären, wozu sie das persönliche Dasein berühren. Wer die Auferstehung als Beweis der Existenz Gottes ansieht, braucht letztlich nur eine Begründung für eine übermächtige Kraft, an die er die Verantwortung seines eigenen Lebens übertragen kann. Nur die moderne Auslegung ist heute in der Lage, den Bibeltext so zu erklären wie er eigentlich gemeint ist. Gemeint ist nicht die Erklärung einer Gottesvorstellung, an die wir die Probleme unseres Lebens delegieren und abgeben können, sondern gemeint ist immer eine Erfahrung, die sich in unserem Dasein abspielt. Dies möchte ich an einem Bild des Predigttextes genauer erklären, und zwar dem Bild des Adlers. Mit dem Bild des Adlerflugs ist die Begegnung mit einer Gotteskraft gemeint, die ich als Mensch nicht selbst erzeugen kann.
Es heißt in der Lutherbibel:
„…die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden.“
Es gibt die Möglichkeit, in dieses Bild etwas näher einzutauchen und sich in einer sogenannten Phantasiereise darauf einzulassen:

“Der Flug des Adlers:
Stell dir eine Landschaft mit Wiesen, Feldern, einem See und einem Wald vor — ein leichter warmer Wind weht dir entgegen.
Nun schau an dir hinunter. Du stellst fest, dass du braunes Gefieder hast — du hast zwei kräftige Schwingen und kräftige Beine — breite deine Flügel aus und schau dir die unterschiedlichen Längen der Federn an — schau dir die Farbe deines Federkleides an — fühle die Leichtigkeit deiner Federn — Du bist ein großer und kräftiger Adler — Nun schau in die Ferne — deine Augen können sehr scharf sehen — du erkennst das Kräuseln der Wellen auf dem See — die darin schwimmenden Fische — du sitzt auf einem großen kugelförmigen Stein — es ist nun Zeit für deinen Flug — für deine Reise — nun breite deine Flügel aus und stoße dich kräftig vom Stein ab — du wirst sogleich von einer Windböe erfasst, die dich nach oben trägt — der Wind trägt dich — sanft und weich — du schlägst kraftvoll mit den Flügeln, gleitest über ein Feld und steigst höher und höher — die Landschaft unter dir wird kleiner — es ist ein Leichtes, vom Wind getragen zu werden — dein Gefieder hilft dir beim Auftrieb — du fängst an mit dem Wind zu spielen — nutzt eine Windböe um höher zu steigen — dann lass dich wieder nach unten gleiten — das Gefühl der unendlichen Freiheit und Kraft begleitet dich — du schaust dir die Landschaft an — die Farben, das Grün des Waldes — es ist grüner und kräftiger als du es je gesehen hast — das Blau des Sees — tiefe Geborgenheit umhüllt dich und du genießt das Gefühl der Freiheit — lass dich weiter vom Wind tragen — schlage weiter mit den Flügeln — kraftvoll und stark gleitest du über die Felder — du ziehst Kreise — fühle dich ganz und gar wohl — du bist ein kraftvoller Adler — deine Flügel haben die Kraft — dich überall hin zu tragen — wo auch immer du hinwillst — fühle diese Kraft — deine Stärke — in deinem Herzen fühlst du Ruhe und Gelassenheit, Frieden und Kraft — und das Gefühl der Einheit — lass dich vertrauensvoll vom Wind tragen — vertraue deinen eigenen Schwingen — genieße die intensiven Farben deiner Umgebung — das kraftvolle saftige Grün — all das kannst du wahrnehmen — flieg Adler, nutze deine Schwingen — nun drehe noch einige Zeit deine Runden und genieße die Umgebung.
Es wird nun Zeit zurückzukehren — flieg zu deinem Ausgangspunkt zurück — der Stein ist jetzt unter dir — flieg zu ihm und lasse dich dort wieder nieder — fühle den Stein — er ist gewärmt von der Sonne.“
(Quelle: Im Internet ausführlich hier:
http://hierfindichwas.de/gesundheit_kosmetik/phantasiereise-adlerflug/)
Gehen wir den Gedanken des Adlerfluges noch kurz nach. Worin ist er typisch für die Erfahrung der Gotteskraft? Ich denke, es ist der Auftrieb der Luft, die dem Flug des Adlers mit seinen breiten Schwingen seine Leichtigkeit verleiht. Erst durch das Zusammenwirken des Vogels mit dem Aufwind der Luft wird der Flug ermöglicht. So ist die Gotteskraft. Sie ist Glaube und Erfahrung, dass dass Leben trägt und die Kraft Gottes darin Auftrieb gibt.
Egal also, ab man das Wort Auferstehung nimmt, oder man eine Erfahrung nimmt, die man mit dem Bild eines Adlerfluges vergleicht, wichtig ist die Erfahrung, die dahinter steht. Für diese Erfahrung steht in der Bibel das Wort Glauben. Der Münchener Kardinal Reinhard Marx besitzt seit den Tagen seiner Arbeit als Weihbischof in Paderborn einen Bischofsstab. Auf diesem Bischofsstab ist ein Bild des sinkenden Petrus abgebildet. So stellt sich Reinhard Marx den Glauben vor. Es ist der Glaube, der den Zweifel kennt, der Glaube als Erfahrung, die sich in der Beziehung zu Gott zeigt, nicht der Glaube, der auf alle Fragen die richtigen Antworten kennt. Die Wahrheit des Glaubens liegt nicht darin, alles Mögliche richtig deuten zu können, sondern angesichts des Todes eine Sprache des Lebens zu gewinnen. Glaube ist die Erfahrung, die auch im Sprechen von Gott und Religion in Lebenserfahrung zurückübersetzt wird. Dazu ist die Bibel voller Symbole, die das unterstützen.

Ich selbst habe einmal versucht den größeren Abschnitt des Jesaja-Kapitels in Gedichtform zusammenzufassen:

Gott ist groß (Jesaja 40, 12 – 31)

Mit wem kannst Gott du noch vergleichen?
So weit wie der Äquator misst?
Kannst Gott du hier das Wasser reichen?
Das Leben kurz und endlich ist.

Für Gott gibt´s keine echten Bilder.
Die Götzen sind nur Menschenwerk.
Die Wolken sind wie Gottes Schilder.
Vor´m Himmel ist der Mensch ein Zwerg.

Und weißt du wie viel Sterne stehen?
Ja, jeder Mensch ist Gott bekannt.
Die Zeit des Unheils wird vergehen.
Gott gibt uns Kraft und neues Land.

Quelle: So führt der Weg ins neue Morgen. Gedichtzyklus zu Deuterojesaja. Christoph Fleischer, Dortmund 2003 | Der schwache Glaube, http://www.der-schwache-glaube.de/?p=1015

Für diese Propheten wie den zweiten Jesaja ist die Vorstellung der Schöpfung Gottes keine Floskel oder ein purer Bekenntnissatz. Es ist die Tatsache, das Wirken Gottes in allem Geschehen wirklich wahrnehmen zu können. Gott ist kein Erstbeweger, der der Kugel Erde einmal einen Tritt gegeben hat, damit sie rollen kann. Gott ist die Kraft des Lebens in allem, was geschieht, im Flug des Adlers, im Fluss des Wassers, im Schreien eines Säuglings. Das Leben schüttelt den Tod immer wieder ab und ersteht immer wieder neu. Gott ist das Leben, so würden wir es heute sagen, was damals mit dem Wort Schöpfer gemeint war.
Die Sprache des Glaubens ist nicht nur dazu da, die Formeln des Bekenntnisses in immer neuen Worten und Ausdrücken zu wiederholen, sondern dazu, die Erfahrungen zu schildern, die damit gemeint sind. Auferstehung ist die Kraft, die mit dem Flug des Adlers gemeint ist.
Walter Meyer-Roscher schreibt in einer Predigtmediation dazu: „Wir müssten uns einen Vorrat an Erinnerungen anlegen für kommende Augenblicke des Alleinseins, für eine Zeit des Müdewerdens, hat Christa Wolf einmal gesagt… Offenbar will auch Deuterojesaja auf einen Vorrat an Erinnerungen zurückgreifen – Erinnerungen an die Erfahrungen der Gegenwart und Nähe Gottes. … An Augenblicke, in denen deutlich wird, dass ihr Leben und das Leben derer, die sie lieben, ein Geschenk Gottes ist; an Augenblicke, in denen sie sich geborgen, getröstet, ermutigt fühlen konnten. … Es gilt sie wieder zu entdecken und sich damit eine Kraftquelle zu erschließen, die der Prophet nur in faszinierenden Bildern beschreiben kann: auffahren wie mit Flügeln, leben gegen die Schwerkraft der Müdigkeit, die uns zu Boden drückt und uns nicht vorankommen lässt.“ (Predigtstudien, Zur Perikopenreihe 6, Zweiter Halbband, Kreuz Verlag Stuttgart 1996, S. 31)

Zu Recht ist dieser Bibeltext als Seelsorge, ja wie eigentlich das gesamte Buch des zweiten Jesaja als Trostbuch bezeichnet worden. Wichtig also erscheint mir, wie der Aspekt der seelsorgerlichen Fragen und Antworten verbunden werden kann mit der Entdeckung einer Weiterentwicklung des Gottesbildes damals und heute. Was ist das, ein Gottesbild? Machen wir uns unseren Gott doch selbst, oder entdecken wir Aspekte, die zuvor im Stillen ruhten, die ans Licht gehoben werden wollen?
„Der Rabbi Gamliel aus Jawne (war) ein Enkel von Rabbi Gamliel dem Älteren, der in der Apostelgeschichte erwähnt wird (dort erscheint er als Gamaliel (Apg 5,34))…. Ein späterer Midrasch (eine Überlieferung) erzählt, er sei auf einer Reise nach Rom, die er mit seinen Kollegen Jehoschua, Elasar ben Asarja und Akiwa gemacht habe, einem Min begegnet (ein jüdischer Christ). Der Min sei zu ihnen herangetreten und habe sie gefragt, warum Gott den Schabbat nicht halte (Sabbat/Sonntag). Dem Midrasch zufolge hätten die Männer darauf geantwortet, dass viele Menschen sich am Schabbat innerhalb ihrer eigenen Wohnstätte bewegen könnten. Was aber ist Gottes Wohnung? „Seine Gegenwart erfüllt die Erde“ (Jesaja 6,3).“
(aus: Michael Hilton: „Wie es sich christelt, so jüdelt es sich“, 2000 Jahre christlicher Einfluss auf das jüdische Leben, Mit einem Vorwort von Rabbiner Arthur Hertzberg, Jüdische Verlagsanstalt Berlin 2000, Seite 268).
Und so wiederhole ich am Schluss der Predigt einfach noch einmal einige wenige Sätze des Predigttextes aus dem Buch des zweiten Jesaja in Jesaja 40: Der Herr ist Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, seine Macht reicht über die ganze Erde. Er wird nicht müde, seine Kraft lässt nicht nach. Er gibt den Müden Kraft und die Schwachen macht er stark. Alle, die auf den Herrn vertrauen, bekommen immer wieder neue Kraft. Es wachsen ihnen Flügel wie dem Adler.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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