„Schwache Theologie“, Notiz zu einem Interview mit John D. Caputo in der New York Times am 9.3.2014, Christoph Fleischer, Werl 2014

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Link: http://opinionator.blogs.nytimes.com/2014/03/09/deconstructing-god/ (zitiert als „Caputo“)
Vermutlich sollte man den Begriff „Schwache Theologie“, den der Philosophieprofessor John T. Caputo aus Syracusa /USA (geb. 1940) geprägt hat, als schwachen Theismus bezeichnen, wenn nicht andererseits der Begriff Theismus in der Postmoderne unmöglich geworden wäre („Theologie nach dem Tode Gottes“/ Derrida: „after the death oft God“, so zitiert von Caputo im Interview).
Ich fand dieses Interview auf der Suche nach einer Verbindung zwischen der Theologie Jürgen Moltmanns und der Philosophie Derridas im Internet. Die Buchtitel John Caputos weisen ihn als gründlichen Leser des verstorbenen Philosophen Jacques Derrida (1930 – 2004) aus und sie zeigen, dass er bestrebt ist, das Anliegen Derridas im Blick auf die Religion zu kommunizieren (z. B.: The Prayers and Tears of Jacques Derrida, Religion without Religion (1997), The Weakness of God (2006), Philosophy and Theology (2006), The Insistense of God: A Theology of Perhaps (2013), Truth: Philosphy in Transit (2013)).
Was also trifft zu, wenn man nach Religion in der Postmoderne fragt?

Stimmt die Vermutung des Interviewers der Times-Beilage „The Stone“ Gary Gutting, Philosophieprofessor aus Notre Dame (USA), dass starke, trennende Unterscheidungen zwischen theistischen und atheistischen Glaubensformen nicht mehr so den Kern der Sache treffen wie früher? Caputo weist in seiner Entgegnung darauf hin, dass es nicht darauf ankommt, die Gemeinsamkeit aller religiösen und nichtreligiösen Aussagen zu suchen, sondern eher im Gegenteil die Differenzen als solche zu akzeptieren. Stattdessen gibt es jenseits aller Positionen das Bedürfnis, an das Leben zu glauben, um weiterleben zu können. „But if you lose ‚faith‘, in the sense this word is used in deconstruction, everything is lost. You have lost your faith in life, lost hope in future, lost heart, and you cannot go on.“ (Caputo)
Dekonstruktion bedeutet, diesen emotionalen Sinn hinter allen Glaubensformen und Traditionen zu erkennen, womit keine menschliche Grundreligion gemeint ist. Die religiösen Doktrinen, Regeln und Wahrheiten verdecken dieses Grundanliegen zumeist oder kleiden es in eine spezielle Philosophie, so Caputo. Eine dekonstruktive Theologie sieht immer die unterschiedlichen Traditionen und Glaubensformen, die ihre spezifischen Wahrheiten enthalten. „But different traditions contain different desires, promises, memories, dreams, futures, a different sense of time and space. Nothing says, that underneath they are all the same.“ (Caputo)
Die Gemeinsamkeit zwischen Derrida und der negativen Theologie (z. B. im Christentum) besteht darin, zu erkennen, dass die unterschiedlichen Religionen ihre Angehörigen auf die verschiedenen Eventualitäten der unverfügbaren Zukunft vorbereiten. Derrida hat sich in dieser Hinsicht mit Augustin auseinandersetzt und dessen Confessiones kommentierend gelesen. Derrida ist in den Augen von Caputo nicht mehr oder weniger Atheist als Paul Tillich, der Gott als das „Sein selbst“ bezeichnet. Derrida kann auch nicht zu den neuen Atheisten gerechnet werden (C. Hitchens u. a.), die eine Polemik gegen die Religion im Sinn haben. Man kann Derrida eher als einen Philosophen sehen, der sich mit Theologie befasst und dekonstruktiv bemüht ist, den nicht-theistischen Kern der Religion herauszufinden. „He talks of a messiah – but one never comes; he´s interested in the idea of confessing your sins – but there´s no one to forgive them.“ (Caputo)
In der Beschreibung der Dekonstruktion in der Religion geht Caputo noch einen Schritt weiter, wenn er feststellt, dass Religion im Sinne des Messianischen bedeutet, mit Veränderung zu rechnen (wobei er sich mit Jürgen Moltmanns Theologie der Hoffnung berührt). Wie Derrida spürt er dem untergründigen Anliegen der Religion nach. Theologie und Religion im nachsäkularen Zeitalter hat ehrlich zu sein. Sie verspricht nichts, was sie nicht selbst halten kann. Sie gibt keine Sicherheit. „Religion ohne Religion“ gibt Vertrauen in die Zukunft, ohne an eine übernatürliche Macht zu glauben. Sie bedeutet eine Art, in der Welt zu sein, die darin besteht, sich vertrauensvoll auf die Zukunft einzulassen. „So this religion comes without the religion: it is not nearly as safe, reassuring, heartwarming, triumphant over death, sure about justice, so absolutely fabulous at soothing hearts, as Jacques Lacan says with an explanation for everything. His religion is risky business, no guarantees.“ (Caputo)
An die Stelle von Augustins Glaubenslehre tritt die Einstellung Mutter Teresas, die trotz aller Glaubenszweifel den Mut zu einer neuen Lebensaufgabe in der Krankenpflege gefunden hat, einen für sich selbst und andere erfüllenden Sinn. In der Entstehung der Dekonstruktion gibt es keinen Widerspruch zwischen Glauben und Vernunft. Glauben nach Caputo heißt bei allem Realismus im Wissen um den Menschen mit der Offenbarung zu sagen: „Amen, Come, Lord Jesus.'“ (Caputo)
Dekonstruktion heißt nicht, einen Streit zwischen Theismus und Atheismus zu fördern, sondern eine andere Ebene zu betreten, die beide berühren kann. Glaube bedeutet, im Wissen um die Menschheit auf eine unvorhersehbare Zukunft als der Zukunft des Lebens zu hoffen und besteht darin, die Gnade Gottes darin zu sehen, dass das Leben weitergeht. Das ist Glaube im Sinn Bonhoeffers, so meine ich, der nicht behauptet, sondern gelebt wird. Leider gibt es noch keine deutsche Übersetzung eines Buches von Caputo. Er hat auch für unsere deutsche Diskussion viel zu sagen.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

7 Gedanken zu „„Schwache Theologie“, Notiz zu einem Interview mit John D. Caputo in der New York Times am 9.3.2014, Christoph Fleischer, Werl 2014“

  1. Nur kurz: Philosophisch gesehen ist Glaube ein Umgang mit einer Aussage, religiös gesprochen wird der Glaube eher psychologisch interpretiert. Glaube ohne Religion, eine Praxis vieler Kirchenmitglieder. Ich zähle sie dazu.

  2. Sehr geehrter Herr Fleischer,

    keine Notwendigkeit für eine Entschuldigung. Meine Nachfragen sind nicht als Vorwurf, sondern als Ausdruck eines Wunsches nach Verständnis gemeint.

    Ich nehme an, dass Sie diese beiden meinen.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Schmid_%28Philosoph%29
    http://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Luc_Nancy

    Danke für die Anregung. „Das Leben“ ist sicher auch ein sehr spannendes Thema. Momentan nähere ich mich dem Begriff „der Freiheit“.

    Meine Frage nach der Form des „Glauben an das Leben“ war nicht als Theodizee-Frage gemeint, sondern als Wunsch nach Begriffsklärung. Ich bezweifle nicht, dass es die verschiedensten Strategien ist mit Leid umzugehen. Psychotherapie, Trauerfeiern, Jenseits-Vorstellungen. Die Frage ist doch, ob Sie mit dem „Glauben an das Leben“ eine dieser Strategien meinen. Eine konkrete Handlung oder ein empirischer Bewältigungsmechanismus.

    Sie werden mir zustimmen, dass „Glauben“ oft synonym zu „Phantasieren“ verwendet wird. Das meine ich nicht abwertend. Wenn manche Mitmenschen das für eine adäquate Bewältigungsstrategie erachten, dann ist das eben so. Und der Erfolg der Homöopathie zeigt ja, dass ein großer Bedarf nach dieser Form von Bewältigungsarbeit besteht.

    Wenn Sie jedoch „Glauben“ in einem anderem Sinn verwenden, dann hilft es mir sehr, wenn Sie mir sagen, in welchem Sinn.

    Sich zu fragen, „wie es weitergeht und ob man Konsequenzen ziehen kann“, würde ich im Übrigen nicht als eine Form von „glauben“ betrachten. Ich würde diese Tätigkeit als „Reflektieren“ bezeichnen. Ich stimme Ihnen natürlich zu, dass Pläne schmieden ein wichtiger Bestandteil dieser Reflektion ist und dass gerade Katastrophen diese Fähigkeit besonders herausfordern.

    Mit freundlichen Grüßen,
    Mirko Wilde

  3. Entschuldigung. Zu viele Stichwörter ohne weitere Erklärung. Es sind Autoren, die etwas zum Sinn des Lebens geschrieben haben, ohne dabei die Religion zu bemühen. Ihre Antwort zum Tsunami verstehe ich als Theodizee-Frage, die ja auch nichtreligiös gestellt werden kann im Sinn von: ich sehe keinen Sinn im tödlichen Tsunami. Die Frage nach der Zukunft des Lebens stellt diese Anklage nicht in Frage, sondern fragt eher danach, wie es dennoch weitergeht und auch evtl. ob man daraus auch noch Konsequenzen ziehen kann und soll. Leben ist immer gleichzeitig Zuspruch und Anspruch, Aktion und Reaktion.

  4. Sehr geehrter Herr Fleischer,

    danke für Ihre Antwort, die ich ehrlich gesagt nicht kapiere. Nancy und Schmid sagen mir nichts. Und was passiert, wenn ich angesichts eines Tsunamis oder eines Erdbebens „an das Leben glaube“, ist mir immer noch nicht klar.

    Mit freundlichen Grüßen,
    Mirko Wilde

  5. Hallo Mirko Wilde,

    Gewiss lese ich das Ganze vor Hintergrund einer Philosophie des Lebens. Lesen Sie Nancy, Schmid oder andere. Es ist am wenigsten der individuelle Tod gemeint. Wie steht es um den Tsunami in Japan, das Erdbeben auf Haiti. Wir müssen an das Leben glauben und wir sollten es tun.

  6. Sehr geehrter Herr Fleischer,

    „Stattdessen gibt es jenseits aller Positionen das Bedürfnis, an das Leben zu glauben, um weiterleben zu können.“

    Als Atheist verneine ich dieses Bedürfnis. Mein Hauptkritikpunkt ist die begriffliche Unklarheit. Was soll das sein, „an das Leben zu glauben“? Ist damit gemeint, dass man sich eine rettende und schützende Instanz herbeiphantasiert? Ist damit gemeint, dass Selbsthypnose betreibt und sich dabei Glaubensgrundsätze vorspricht wie „Ich kann alles erreichen, ich muss nur ganz feste glauben.“

    Ein weiteres Beispiel für diese begriffliche Unklarheit:

    „Glaube bedeutet, im Wissen um die Menschheit auf eine unvorhersehbare Zukunft als der Zukunft des Lebens zu hoffen und besteht darin, die Gnade Gottes darin zu sehen, dass das Leben weitergeht. “

    Wie soll das „hoffen“ aussehen? Plakate mit Regenbogen malen?

    Ein Beispiel für ein naives Hoffen ist die Dokumentation zu der Inklusion auf dem vorherigen Blog-Beitrag http://www.der-schwache-glaube.de/?p=2658
    Jede Menge guter Wünsche, aber nirgends eine Kostenaufstellung. Kaum konkrete Maßnahmen.

    Mit freundlichen Grüßen,
    Mirko Wilde

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