Der religiös-maritime Ursprung des Karnevals. Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2015

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Zu: Vera Zingsem: Die Kölsche Göttin und ihr Karneval, Über die Ursprünge des Rheinischen Karnevals, Pomaska-Brand Verlag Schalksmühle 2015, ISBN 9783943304237, Preis 16,90 Euro

Die Koelsche Goettin_coverVera Zingsem, in Tübingen lebende Theologin, hat ihren Schwerpunkt der „Göttinnen großer Kulturen“ (Zuletzt Anakonda-Verlag 2010) in Gestalt der umgeformten Isis-Anbetung im Kölner Karneval wiedergefunden. Archäologisch sind mehrere Isistempel in Europa, z. B. Köln, Mainz, London, gefunden worden.

Der Ansatzpunkt für die Verbindung zwischen Isis und Karneval besteht für Vera Zingsem zunächst in einer Korrektur der Worterklärung für Karneval, die etymologisch sauber argumentiert. Demnach hat das Wort nichts mit dem Fasten zu tun nach carnislevamen (lat.) und italienisch carnevale, sondern leitet sich vom Schiffswagen (carnavalis = das Wagenschiff) her. Was zunächst skurril anmutet, Schiffe auf Wagen zu verfrachten und über Land zu ziehen, ist ein uralter Ritus der Isis-Tradition und gilt im Frühjahr gleichzeitig zur Begrüßung der frischen Vegetation und zur Eröffnung der Schifffahrt.

Die Isistradition kam mit den Römern an den Rhein, da sie auch sonst im römischen Reich eine regelrechte Blüte erlebt hat. „Im Mittelpunkt der Isis-Verehrung standen Freude und Wohlergehen der Welt und der Menschen: ‚Du bestimmtest jeden Tag zur Freude‘, heißt es in einem ihrer Hymnen.“ (S. 37). Ziel der altägyptischen Isistradition ist die schöpferische Harmonie im Zusammenwirken von Mensch und Natur, genannt Maat (siehe S. 45). Dass auch religiöse Grundthemen wie Tod und Auferstehung wie ein symbolisches Mahl in der Isistradition vorkommen, spielt trotz der Nähe zum Christentum für den Karneval nicht eine so große Rolle.

Neben der direkten Abstammung kommt auch eine Umformung oder Verschmelzung vergleichbarer Gebräuche der Isistradition in die griechisch-römische Religion hinein in Frage, wie die Verehrung von Aphrodite und Venus als Göttin der Seefahrt (Morgen- und Abendstern) zeigt. Dafür spricht auch die Verehrung von Bacchus und Dionysos am Rhein, da dieser Gott mit dem Wein zu tun hat. Das Schunkeln in der feuchtfröhlichen Runde sowohl bei Weinproben als auch im Karneval erklärt sich zugleich von der Schifffahrt her und ist eine Anspielung auf den Seegang und bei Shanties ebenfalls geläufig.

Der Autorin gelingt es, sukzessive einzelne Symbole und Gebräuche des Karnevals auf ihre antiken Ursprünge hin zu untersuchen. Bei manchen, wie der sog. Bacchusbeerdigung (Nubbel in Köln) ist der römisch-griechische Ursprung sogar direkt erhalten. Es hat im Karneval keine Eingliederung in die christliche Religion gegeben, mal abgesehen vom Übergang zur Fastenzeit. Die Bedürfnisse der Naturreligion und der Feier ihrer Übergangszeiten bleiben bis heute in der Bevölkerung wichtig.

Anhand der Motive des Karnevals erinnert die Autorin an die antiken Göttergeschichten und führt sie so auf unterhaltsame Weise ein. Die Hauptperson im Karneval ist ihrer Meinung nach eine Göttin (Isis bzw. Venus), und diese Festzeit ist nicht zufällig wie bei „Weiberfastnacht“ durch die Rolle der Frauen in einer patriarchalen Umgebung geprägt.

Die Schlusskapitel widmen sich direkt dem Kölner Karneval und vertiefen die vorher schon beschriebenen Beobachtungen. Die Zahl 11, das Kölner Dreigestirn, die Bedeutung der Jungfrau usw. haben demnach durchaus antike römische Wurzeln. Dass manche Deutungen auch sekundär sind, zeigt die Ähnlichkeit der ELF zu dem Motto der Französischen Revolution, das dabei jedoch umformuliert wird. Anstelle Freiheit steht nun die Gleichheit voran: Egalité, Liberté, Fraternité.

Dem Christentum angepasst wurden sie augenscheinlich durch eine regelrechte Entmythologisierung der Göttererzählung und ihre Reduzierung auf ihren Festcharakter. Die dazu passenden bereits vorhandenen germanischen Riten zum Frühjahr passten sich gut in die antiken römischen ein und blieben in der Bevölkerung in Karnevalsriten erhalten.

Was m. E. im Buch von Vera Zingsem ein wenig im Dunkel bleibt, ist die Entwicklung im Mittelalter bis zur Neuentstehung des Karnevals im 19. Jahrhundert, da ja in der Zwischenzeit der römische Einfluss in Europa verblasst ist. Welche Traditionen schon vor dieser Neugründung 1823 gepflegt wurden und wie sie sich weiterentwickelt haben, das wäre wohl ein neues Thema für eine Arbeit, die auf diesem Text zum Kölner Karneval aufbaut.

Bleibt zu erwähnen, dass die Autorin hervorhebt,  dass der Karneval das genaue Gegenbild zur Fremdenfeindlichkeit ist und zu Integration und Gleichberechtigung geradezu einlädt. „‚Häste och ke Jeld, dat is janz ejal, drenk doch met un kümmer dich net dröm.‘ (Bläck Fööss)“ (S. 195). Vielleicht sind daher allzu kritische Anmerkungen zur Kommerzialisierung des Karnevals hier unterblieben.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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