Was ist eine „Religion ohne Gott“? Rezension von Emanuel Behnert, Lippetal 2015

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Rezension zu: Ronald Dworkin: Religion ohne Gott. 1. Auflage 2014, Suhrkamp – Verlag   ISBN978-3-518-586006-8, Preis: 19,95€

Mit diesen Sätzen wird auf der Innenseite des Schutzumschlages auf das Thema dieses durchaus sehr anspruchsvollen Buches eingestimmt:

Bildschirmfoto 2015-02-09 um 18.48.28„Das Zentrum wahrer Religiosität, so der bekennende Atheist Albert Einstein, bilde das ‚Wissen um die Existenz des für uns Undurchdringlichen, der Manifestationen tiefster Vernunft und leuchtendster Schönheit‘. In diesem Sinne sei er, Einstein, ein tiefreligiöser Mensch. Aber was ist religiös an einer solchen Haltung, in der Gott offensichtlich keine Rolle spielt? Mit dieser Frage beschäftigte sich Ronald Dworkin in seinen Einstein-Vorlesungen, die er bis kurz vor seinem Tod zu diesem Buch ausgearbeitet hat. Religion, so seine Antwort, bezeichnet eine Sicht auf die Welt, die von einem Glauben an objektive Werte getragen wird – etwa daran, dass Geschöpfe eine Würde haben, dass ein Leben erfüllt oder verfehlt sein kann oder dass Schönheit, die uns den Atem raubt, sich nicht als pures Produkt unserer Sinnesorgane erklären lässt. Auch Theisten teilen diese Werte, meinen aber, sie seien gottgegeben. Für Dworkin verhält es sich genau umgekehrt: Die Idee eines Gottes rührt daher, dass es diese Werte wirklich gibt. Und an Gott (oder Götter) zu glauben ist eine Weise, dies auszudrücken, aber nicht die einzige.“

Dementsprechend beginnt das Buch „Religion ohne Gott“ dann in seiner Einleitung mit den Worten (fortfährt): „Religion ist etwas Tieferes als Gott…“ (S.11)                                                                                             Dieser Satz, dem sicherlich viele zustimmen können, auch wenn man sich an dieser Stelle bereits fragen kann, ob hier die Verhältnismäßigkeiten wirklich richtig dargelegt werden, was evtl. Ursache und was Wirkung ist in diesem Gedankenzusammenhang, macht neugierig und lädt zum Weiterlesen ein. Doch wenn schon wenige Seiten später der Autor an seine bisherigen Ausführungen die Frage anknüpft „welches Verständnis von Religion für unsere Zwecke am aufschlussreichsten wäre und übernommen werden sollte“ (S. 16), dann fragt sich der Rezensent schon an dieser Stelle der Einleitung bereits, ob und wie er möglicherweise mit Aussagen manipuliert wird, die seinem eigenen und möglicherweise dem allgemeinen Verständnis von Religion widersprechen.

Der grundlegende Argumentationsbezug des Autors zu Thesen Einsteins wird zumindest im ersten Teil des Buches zunächst beibehalten, was durchaus eine bestimmte Interpretation von Religion, Religionsverständnis und Religiosität rechtfertigt. Im Verlauf werden allerdings, ausgehend von Einsteins Sichtweise, die der Autor referiert, Zusammenhänge geschaffen, die m.E. um der Argumentation des Buches willen konstruiert und in ihrer Aussage aus ihrem Ursprung gerissen, oder in ihrer Aussage verkürzt auf das Thema des Buches wieder gegeben werden. So scheint es mir durchaus fraglich unter der Überschrift „Nichtpersonale Götter“ Gedankenfragmente von Tillich und Spinoza zusammenzufügen und in Verbindung zu setzen mit den Einsichten Einsteins, um einen allgemeinen Pantheismus zu postulieren.                                                                                           In vielfachen Wiederholungen schon getätigter Aussagen, in Einschüben, die sich teilweise zu widersprechen beginnen, fällt dem aufmerksamen Leser das bemühte Konstrukt der Argumentation einer weltanschaulichen Position auf, die sich bemüht, sich krampfhaft am zum Arbeitstitel gewordenen Buchtitel festzuhalten. Diese Schreibsituation wird sich im gesamten Buch immer wieder einmal wiederholen und lässt damit das Lese – und Denkvergnügen durchaus ins Stocken geraten. An mancher Stelle mag sich der Leser eine Vertiefung der Gedanken, Argumente, der angeschnittenen Themen wünschen, zu der der Autor durch seinen Tod leider nicht mehr gekommen ist.

Doch auch, wenn ich als Leser nicht konform gehen kann, kann ich mich doch eingeladen fühlen, gerade über das bewusst (und auf recht hohem Niveau) nachzudenken, was die Grundlangen meiner Lebenseinstellung, meines Werteverständnisses, meines Religionsempfindens ausmachen – und wie sie sich evtl. im Laufe meines Lebens verändert haben und werden. Beim Lesen erwachen Fragen in mir, denen ich mich nicht so ohne weiteres entziehen kann, ohne nicht zumindest vom Ansatz her nach einer Antwort gesucht zu haben.

Dieses Buch ist von seinem intellektuellen Anspruch von sehr hohem Niveau und setzt durchaus die Bereitschaft voraus sich (neu, aber auch kritisch) auf unterschiedliche Philosophen und Wissenschaftler mit ihren Theorien und ihren (Welt)Anschauungen einzulassen.  Die Antworten, die das Buch bietet, sind nicht immer einfach zu erkennen. Dabei sollte man sich durchaus auch im Hinblick auf das bisher Gesagte im Klaren sein, dass es letzte Antworten und Erklärungen gar nicht geben kann, wiewohl sie durchaus Sicherheiten verschaffen würden.  Lediglich eine Einladung zu einer veränderten Sichtweise auf das, was wir in der Regel die Kausalkette des Lebens und damit das Leben selbst nennen, kann hier ausgesprochen werden, wird hier ausgesprochen, die Nachdenkend anzunehmen jedem selbst überlassen bleibt. In diesem Fall stringenterweise hält das Buch auch für das Lebensende, das Sterben, den Tod und die Frage nach der Unsterblichkeit, Antworten bereit, die auch denen, die nicht atheistisch ihr Leben gestalten Trost, Hoffnung und Zuversicht vermitteln können.

Ronald Dworkin (1931 – 2013) war Professor für Philosophie und Recht an der New York University und Professor für Recht am University College in London. Sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen in aller Welt ausgezeichnet.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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