Ein Dokument der jüdischen Mystik, Rezension von Emanuel Behnert, Lippetal 2015

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Zu: „Die Geschichten des Rabbi Nachman – Nacherzählt von Martin Buber“ Gütersloher Verlagshaus 2015, ISBN 978-3-579-08521-0

Die Geschichten des Rabbi Nachman von
Die Geschichten des Rabbi Nachman von

Vor mehr als 100 Jahren veröffentlichte Martin Buber erstmals die „Erzählungen des Rabbi Nachman“, damals im Verlag Rütten und Loening in Frankfurt / Main und ermöglichte so dem interessierten Leser einen Einblick in die inzwischen in ihrer eigentlichen Gestalt nicht mehr bestehende ostjüdische Lebensweise und Frömmigkeit. (s. dazu auch Susanne Klingenstein in dem Aufsatz „Die Seele als Erlebnis“ in der FAZ vom 23.08.2006)

Sechs dieser Erzählungen sind nun in diesem Jahr (2015) noch einmal durch das Gütersloher Verlagshaus verlegt worden, allerdings unter der Prämisse der 1. Auflage überhaupt. Dies mag zwar für dieses Werk und die in ihm getroffene Auswahl gelten, nicht aber im Hinblick darauf, dass diese Geschichten nur ein Teil der Gesamterzählungen sind und diese schon vor langer Zeit in einer zugegebener Maßen anderen Aufmachung veröffentlicht worden sind. (s.o. und S. 55)

Das nahezu 190 Seiten starke Buch erinnert von seiner äußeren Aufmachung und seinem Format an die Vorlesebücher der 80er und 90er Jahre. Der Titel eines jeden Kapitels erscheint auf dem Hintergrund eines blütenartigen Schmuckornamentes, das auch schon den Einband des Buches ziert, auf dem ein in seinen Dimensionen unproportionierter Mensch, ein Jude(?), dargestellt wird, der in der einen Hand eine Schriftrolle hält, die sich aus dem Raum über ihm durch ihn hindurch zu öffnen scheint. Sein Blick aber ist von dieser Schriftrolle nach rückwärts in den Himmel hinein abgewendet. Durchaus lässt dieses Bild Assoziationen zu den Offenbarungsgeschehen gegenüber den Propheten des Alten Testamentes zu. („Das Wort des Herrn geschah zu mir…“ s. dazu z.B. Jer. 1 / Ez. 1….Schreib mein Wort nieder und verkünde es meinem Volk…“) Doch direkte theologische Interpretationen sucht man in diesem Buch vergebens, ist es doch im Wesentlichen ein Buch der Geschichten.

Den ersten Teil des Buches bildet eine kurze Einführung in die jüdische Mystik und in die Vita des Rabbi Nachman von Bratzlaw (1772 – 1810), der von Buber als einer der letzten, wenn nicht gar der letzte jüdische Mystiker (S.10) bezeichnet wird.

Der kurze, knapp 40 Seiten umfassende Abriss einer umfassenden Geschichte und Lebensgeschichte reicht bei weitem nicht aus, dem Leser alle nötigen Informationen zu geben, die ein problemloses Verstehen der Zusammenhänge möglich machen. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass auch der informierende Teil des Buches in der poetischen Sprache des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verfasst ist. Der Leser ist also entweder auf ein Vorwissen angewiesen, oder muss bereit sein, sich selbst durch weitere Sekundärliteratur Zusammenhänge eigenständig zu erschließen.

Schon die Kürze der informativen Einleitung, aber auch die Sprachwahl, der man eine gewisse Eleganz und Emotionalität, vielleicht sogar eher auch eine gewisse Spiritualität nicht absprechen kann, machen von vorneherein auch deutlich, dass das Ziel dieses Buches nicht auf der reinen Weitergabe von Informationen beruht.

Vielmehr geht es offensichtlich darum, das fromme jüdische Leben des Gottsuchens und Gottfindens, des „von Gott gefunden – werdens und im Leben begleitet seins“ dem Leser nahezubringen. Märchenhaft wird so z.B. in der ersten wiedergegebenen Geschichte die wechselhafte Geschichte der jüdischen Gruppe eines Königtums erzählt, in der es vor allem auch darum geht, inwieweit es den Menschen insgesamt, im speziellen aber der jüdischen Gemeinde ermöglicht wird, den eigenen Glauben entsprechend der eigenen Bedürfnisse zu leben. Und am Ende steht die Freiheit für den, der den Mut hat, seinen Glauben offen zu bekennen, auch unter der Berücksichtigung äußerlich wahrnehmbarer Zeichen. In diesem Fall das Tragen des Gebetsmantels und das Anlegen der Tefillin.

Anders in der zweiten Geschichte, in der es darum geht, dass ein junger Mensch sich aus seinen Traditionen, auch seinen Glaubenstraditionen lösen muss, um für sich selbst zu einem lebendigen Glauben, der für ihn ein tragfähiges Lebensfundament darstellt, zu finden. Und diese Lebendigkeit des Glaubens zeigt sich dann darin, dass Menschen nicht anders können, als Gott mit allen Sinnen und mit ihrem Tanz Tag für Tag zu loben und IHM Freudengesänge anzustimmen, auch wenn manches immer wieder dagegen zu sprechen scheint (S. S. 128) Alle Geschichten sind eine Einladung, Glauben lebendig und offen zu leben, vom Glauben und von Gott mehr zu erwarten, als möglicherweise durch Lebenserfahrungen möglich zu sein scheint, in der sicheren Zuversicht, dass Gott am Ende doch dort wohnen wird, wo er eingelassen wird.

Doch das, was wir hier möglicherweise als eine bewusste Entscheidung verstehen, ist mitunter ein langer Prozess, der sich in besonderer Weise auch auf unserer emotionalen Ebene ereignet, auch wenn am Ende eine bewusste Entscheidung gefordert wird und stehen mag.

Wie viele Geschichtenbücher ist auch dies nicht geeignet, es in einem durchzulesen. Vielmehr sollte man sich nach und nach auf die einzelnen Geschichten und ihre Gedanken einlassen und sie nachwirken lassen, sie nach – denken. Und auch bedenken, ob der Augenblick geeignet ist, sich wirklich der Poesie der Sprache zu stellen, um vorläufig voll und ganz das Geschriebene, das mit uns ins Gespräch kommen will zu erfassen.

Es ist ein lesenswertes Buch, das eine Einladung an uns auf vielen Ebenen bereit hält, dahingehend, dass wir uns mit uns selbst, mit dem was uns wichtig ist, mit dem, was uns zu dem gemacht hat, der wir jetzt sind, vor allem aber auch mit unserem Glauben auseinanderzusetzen und immer wieder neu das Leben neugierig zu wagen.

Rezension zu: Lea Fleischmann: Rabbi Nachman und die Tora

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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