Reformation – Gedenken oder Feiern? Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2016

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Zu: Tillmann Bendikowski, Der deutsche Glaubenskrieg, Martin Luther, der Papst und die Folgen, C. Bertelsmann, München 2016, gebunden, 380 Seiten, ISBN 9783570101971, Preis: 24,99 Euro

Hat Martin Luther eigentlich erreicht, was er selbst erreichen wollte? War nicht eigentlich bis 1530 aus lutherischer Sicht offen, ob sich die römisch-katholische Kirche – seit wann heißt sie eigentlich so? – hätte reformieren lassen, zumal doch mit der neuen Bibelübersetzung deutlich war, dass sich die Kirche zu ihren ursprünglichen Grundlagen hätte bekehren müssen?

Tillmann Bendikowski stellt diese meine Fragen so nicht, da sie eher von theologischer Sichtweise kommen. Er, der 1965 geborene promovierte Historiker und Journalist, zeigt die Kirchenspaltung zwischen evangelisch und katholisch als das eigentliche Resultat der Reformation in Europa. Wäre allerdings der Weg in die spirituelle Vielfalt der Gegenwart wirklich ein Scheitern, oder sollte man darin eine Reifung und Ausdifferenzierung betrachten? Immerhin ist es auch ein Resultat der Reformation, dass es neben der eigenen oder anderen Konfession noch eine neutrale Position geben kann, die nicht nach Bewahrung oder Erneuerung des Christentums fragt, sondern nach dem, was historisch betrachtet in den letzten 500 Jahren geschehen ist.

Demnach liegt der Reformation ein Grundkonflikt zwischen Papst Leo X. und seinen Nachfolgern und Martin Luther zu Grunde. Dabei macht Leo X. aus heutiger Sicht auf mich einen ausgesprochen modernen Eindruck. Er war ein Förderer von Kunst, Kultur und Architektur. Er stammte aus der mächtigen Familie der Medici in Florenz, was vielleicht auch sein Machtbewusstsein erklären könnte. Die notorische Geldnot der päpstlichen Kasse, wozu auch der Fehlbetrag bei den vatikanischen Baumaßnahmen zählte, führte zur Wiedereinführung der päpstlichen Ablässe. Geschicktermaßen konnten die örtlichen Bistümer einen Teil des Geldes behalten. Das Volk wurde mit religiösen Versprechungen geködert.

Deutschland war hingegen zwar nicht derart kulturell ausgeprägt wie Italien, stattdessen aber von einer schlichten und weit verbreiteten Volksfrömmigkeit geprägt. Die Theologie Luthers war somit auch ein Ausdruck einer fast populistischen Stimmung gegen den Umgang der Kirche mit Geld und Vermögen. Es lag also nicht allein an der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, dass sich gerade die 95 Thesen Martin Luthers so rasant verbreiteten. Und Luther lieferte weiter reformatorische Schriften. Nicht zuletzt der Bauernkrieg war ein Zeichen der von der Reformation angeheizten Stimmung.

Weil Luther nicht wollte, dass die Reformation im Chaos eines Bürgerkriegs endete, wandte er sich gegen die aufständischen Bauern. Die Reformation war gerettet, die Kirchenspaltung unvermeidlich geworden.

Gerade diese Polarisierung zeigt sich immer wieder und führten zu den Religionskriegen bis hin zum Dreißig-Jährigen Krieg (1618-1648). Zuerst und noch zu Lebzeiten Luthers kamen die ersten Kriege auf, durchaus mit wechselnden Erfolgen beider Seiten. Der Augsburger Religionsfrieden 1555 wird in der Darstellung Bendikowskis allerdings irrtümlicherweise mit der Augsburger Konfession (1530) gleichgesetzt, woran man sieht, dass ein Schnelldurchgang durch 500 Jahre Geschichte auch zu Flüchtigkeitsfehlern führen kann (vgl. S. 61).

Nach dem westfälischen Frieden schien die Zeit reif für ein offeneres Verhältnis der Konfessionen zueinander. Das Potsdamer Edikt vom 1685 von Kurfürst Friedrich Wilhelm war ein erstes Zeichen von Religionsfreiheit, durch Friedrich den Großen nach 1740 im Sinn der Aufklärung auf andere Religionen und christliche Minderheiten noch ausgeweitet. Doch nun galten die protestantischen Länder zugleich als Verfechter der Aufklärung, was der katholischen Seite zusätzlich zum Konfessionsstreit den Makel des Rückständigen gab. „Der aufgeklärte Protestant fühlte sich tendenziell in der neuen Zeit angekommen, sah aber den Katholiken hinterherhinken.“ (S. 119). Diese Feststellung wird durch ein passendes Zitat von Goethe untermauert.

Trotzdem führte das Nebeneinander der Konfessionen in der Folgezeit nicht nur zu einzelnen Konversionen, sondern auch zu einem Miteinander, wie es der Autor am Beispiel von Vechta-Goldenstedt verdeutlicht, einer Stadt, in der katholische und evangelische Gottesdienste simultan in der selben Kirche stattfanden. Nur bei der Nutzung von Weihwasser bei der Beerdigung ging die Meinung dann doch wieder auseinander.

Der Konfessionsstreit ging also im 19. und 20. Jahrhundert weiter, wenn auch in anderen Kontexten. Die stärkere Mischung der Bevölkerung seit der Industrialisierung führte zu einem Nebeneinander. Im Konflikt um die sog. Mischehen kam es sogar zur Inhaftierung des Kölner Erzbischofs Clemens August Droste zu Vischering durch den preußischen König (1837).

Das Konfliktthema der „Mischehen“ kam nach dem zweiten Weltkrieg durch die Integration von Vertriebenen wieder auf, und wieder ging es um die Zusage der konfessionellen Erziehung. Zusätzlich führte die stärkere Vermischung der Konfessionen auch zu einer Schwächung der „Bindungskräfte der Großkirchen“ (S. 335)

Tillmann Bendikowski resümiert: „Der Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten, hier ausdrücklich als Glaubenskrieg bezeichnet, hat die deutsche Geschichte tief geprägt.“ (S. 335). Heute führt dies dazu, die entstandene religiöse Vielfalt als selbstverständlich anzuerkennen. Die Situation der Konkurrenz ist somit auf eine andere Ebene verlagert und enthält nach wie vor Konfliktpotenzial. Es wird sich in Zukunft zeigen, ob die Großkirchen ihre Privilegien behalten werden und wie „andere Weltreligionen sowie die wachsende Gruppe der Nichtreligiösen ihren Platz in der deutschen Gesellschaft“ einnehmen. (S. 337)

Ich meine, man sollte die Opfer des von Tillmann Bendikowski skizzierten Glaubenskrieges im Jubiläumsjahr mitbedenken. Luther wollte die Kirche von Machthunger und von Geldgier wegführen, zurück zu den wesentlichen Aussagen der Bibel. Seine Aufrufe zur Gewalt gegen die Bauern, Mönche, Hexen und Juden waren allerdings mehr als nur Entgleisungen, da sich die evangelischen Kirchen von Anbeginn an im Kriegszustand befanden. Reformationsjubiläum ist also zugleich Reformationsgedenken.

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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