Predigt über Römer 14, 10 – 13, Christoph Fleischer, Welver 2016

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Predigt über Römer 14, 10 – 13, 4. Sonntag nach Trinitatis gehalten in Lohne und Bad Sassendorf am 18./19.6.2016 (Übersetzung: Gute Nachricht Bibel)

Zum Einstieg möchte ich uns einige Verse aus dem Zusammenhang des Textes im Römerbrief lesen:

Wer besondere Regeln beachtet, tut es für den Herrn, für Christus. Auch wer alles isst, tut es für den Herrn; denn er dankt ja Gott für das, was er isst. Und auch wer nur Pflanzenkost isst, tut es für den Herrn und dankt Gott dafür. Niemand von uns lebt für sich selbst und niemand stirbt für sich selbst. Wenn wir leben, leben wir für den Herrn, und wenn wir sterben, sterben wir für den Herrn. Wir gehören dem Herrn im Leben und im Tod. Denn Christus ist gestorben und wieder lebendig geworden, um Herr zu sein über alle, Tote wie Lebende. (Verse 6 – 9)

Warum verurteilst du dann deinen Bruder oder deine Schwester? Und du, warum verachtest du sie? Wir werden alle einmal vor Gott stehen und von ihm gerichtet werden. In den Heiligen Schriften heißt es ja: „So gewiss ich, der Herr, lebe: Alle werden vor mir auf die Knie fallen, alle werden Gott die Ehre geben.“ So wird also jeder Einzelne von uns sich für sein eigenes Tun verantworten müssen.

Hören wir also auf, uns gegenseitig zu verurteilen! Seid vielmehr kritisch gegen euch selbst, wenn ihr euch im Glauben stark fühlt, und vermeidet alles, was einem Bruder oder einer Schwester Anstoß bereiten oder sie zu Fall bringen kann. (Verse 10 – 13)

Version 2
Foto: Niklas Fleischer (c)

Liebe Gemeinde,

„Streit und Aggression in der Kirche“ – kann es so etwas überhaupt geben? Nun offensichtlich ist es da, wo Menschen zusammen sind, auch denkbar, dass es Streit gibt. Paulus setzt schon in diesem Römerbrief wie auch in anderen Briefen Streitigkeiten voraus. Doch wer streitet eigentlich genau mit wem? Diese Frage ist noch nicht dadurch zu beantworten, dass die Streitthemen geschildert werden. Wo es solche Streitigkeiten gibt, lassen sich offensichtlich auch Gruppen oder Parteien unterscheiden. Paulus nennt sie die Schwachen und die Starken. Wobei er durchaus durchblicken lässt, das er selbst nicht neutral ist, sondern der Position der Starken zuzurechnen ist.

Wer sind seiner Meinung nach die Starken und die Schwachen in diesem Konflikt? Wir müssen berücksichtigen, dass sich diese Streitigkeiten im damaligen Judentum abspielen, aus dem sich das Christentum entwickelt. Diejenigen, die Paulus die Schwachen nennt, sind die judaistischen Christen. Für sie ist genauso wie für die anderen klar, dass Jesus Christus der Messias ist, und dass er gekreuzigt und auferstanden ist. Aber das bedeutet für diese Gruppe nicht, dass damit die Regeln außer Kraft gesetzt sind wie die Speisegebote. Für Paulus sind sie deshalb die Schwachen, weil sie die christliche Freiheit für sich noch nicht entdeckt haben. Sie halten sich an die Regeln von rein und unrein und enthalten sich jeglichen Fleischessens, das als Götzenopferfleisch verkauft worden ist. Vermutlich gab es im griechisch-römischen Umfeld also kein richtig im Sinn des Judentums geschlachtetes Fleisch, so dass sie praktisch Vegetarier waren.

Die andere Gruppe hat sich zwar nicht grundsätzlich von den Regeln gelöst, die das Judentum vorgibt, hat aber für einen freieren Umgang plädiert.

Aber nicht der Umgang mit den Regeln an sich ist das Problem, sondern die Tatsache, dass sich daraus ein Streit entwickelt. Die Lösung liegt gar nicht darin zu fragen, ob die eine oder die andere Seite recht hat. Paulus legt geradezu Wert auf die Möglichkeit, verschiedenen Glaubensauffassungen zu folgen. Während die Einen sich streng an die Speisegebote halten oder fasten, sind die anderen dazu nicht verpflichtet. Da es Paulus hier im Text in erster Linie um das Richten oder Beurteilen geht, muss man wohl schließen, dass nicht der Streit an sich verurteilt wird, sondern der Umgang damit, der Eskalation und Spaltung riskiert.

Doch eine absolute Freiheit soll sich darauf andererseits auch nicht entwickeln. Die Gemeinschaft der Kirche, die gerade erst im Entstehen ist, soll ja nicht vom Ansatz her bedroht sein. Dazu gibt Paulus einen Gedanken auf, der im Prinzip im Judentum schon bekannt ist, der sich nur durch Jesus her noch einmal neu stellt. Man könnte es modern gesagt, das Gewaltmonopol Gottes nennen.

So wie bei Jesaja gesagt ist, zitiert von Paulus: „So wahr ich lebe, spricht der Herr, mir sollen sich alle Knie beugen, und alle Zungen sollen Gott bekennen.“ Paulus wendet diesen Satz sofort auf jeden Einzelnen, auf jede Einzelne an: „So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben.“ Das heißt, dass die Freiheit des Einzelnen tatsächlich im gemeinsamen Glauben an Gott begründet ist. Jeder und jede bekennt Gott tatsächlich so, wie er oder sie selbst es für sich persönlich verstanden hat. Ich glaube persönlich, dass sich aus solchen oder anderen Sätzen des Neuen Testaments letztlich sogar unsere Demokratie mit den Grundrechten der Glaubens- und Religionsfreiheit entwickelt hat, ja überhaupt mit den Freiheitsrechten der Demokratie überhaupt. Doch Paulus geht nicht auf die politische oder rechtliche Ebene ein, sondern er wendet diese Sätze gleich auf die Frage des persönlichen Verhaltens an: „Darum lasst uns nicht mehr einer den anderen richten, sondern richtet vielmehr darauf euren Sinn, dass niemand seinem Bruder Ärgernis oder Anstoß bereite.“ Das heißt ja klipp und klar: In der Gemeinde, die Paulus von Christus her versteht, gilt nicht das Recht der Starken, die im Prinzip tun und lassen können, was sie wollen, sondern das Recht der Schwachen. Wir sehen, dass diese Grundregel von der Vermeidung des Anstoßes auch auf alles Mögliche beziehen kann. Es geht im Prinzip um einen Umgang miteinander, der möglichst konfliktfrei ablaufen sollte. Meinungsverschiedenheiten sind insgesamt respektiert, sollen aber nicht zum Konflikt führen.

Ich finde, dass dabei der Streit ja gar nicht unter den Tisch gekehrt wird. Es geht Paulus nach wie von um unterschiedliche Meinungen. Er selbst zählt sich und seine Positionen zu den Starken und weiss, dass die Freiheit in Christus begründet ist. Doch die Freiheit, so sagte es die Sozialistin und Jüdin Rosa Luxemburg ist immer die Freiheit des Andersdenkenden.

Was folgt aber daraus für jeden und jede von uns persönlich und für die Kirche, in der wir manchmal auch Streit erleben?

Ich sehe folgende Konsequenzen:

Erstens: Der Glaube an Gott ist die gemeinsame Mitte. Was jeder daraus macht, kann sich unterscheiden. Nicht wir sollen richten und beurteilen, sondern gerade das Gott überlassen.

Zweitens: Das Ziel des Einzelnen ist nicht in erster Linie die Belehrung über die Wahrheit, da die Wahrheit ja verschieden verstanden wird. Die Frage ist vielmehr, was anderen Anstoß und Ärgernis geben könnte.

Drittens: In der Gemeinde gibt es eigentlich gerade dazu einen ständigen Verständigungsprozess geben. Um im Sinn möglichst großer Freiheit die Liebe nicht zu vernachlässigen, müssen wir einander unsere Grenzen mitteilen.

Ich finde das Thema des Fleischessens eigentlich ein ganz gutes Beispiel dafür, obwohl es für uns heute gar keine religiöse Frage ist, sieht man einmal von den Unterschieden zwischen den Weltreligionen ab.

(Hier folgt evtl. ein kleiner Exkurs über die Fragen des Fleischessens in unserer Gesellschaft und seine Beziehung zur Klimakatastrophe.)

Die Lösung des Problems ist ja klar vom Text hergegeben und liegt darin, einander keinen Anstoß zu geben. Aber was könnte dabei heute Anstoß sein? Das Schreddern von Hähnchen etwa? Oder die Massentierhaltung überhaupt? Oder verschiebt das die Sache auf die falsche Ebene. Sind etwa die Veganer, Vegetarier und diejenigen, die Biofleisch essen die, die anderen Anstoß geben? Wenn man es genau nimmt, muss von einem Verhalten die Rede sein, dass auch darauf angelegt ist, Anstoß zu erregen. Man kann gerade damit jedes Thema auf die Spitze treiben und zum Streitfall erklären, was aber auch nicht sein muss.

Ein anderes Thema etwa ist die Frage von Religion und Politik, die ja hier auch hineinspielt. Ich denke manchmal an die sechziger Jahre zurück, als es durchaus klar war, dass man als Christ das Kreuzchen bei der Wahl dort zu machen hatte, so das C stand. Doch heute kommt das C in jeder Partei vor. Jetzt sind es die Positionen, die der christlichen Ethik entsprechen. Die Kirche wird zur moralischen Instanz der Gesellschaft erklärt. Doch wer sind dabei wieder die Starken und die Schwachen?

Doch müssen wir nicht da genauso skeptisch sein, wenn die Front zwischen den Schwachen und Starken wieder deutlich zu sein scheint? Ist es wirklich richtig, die Frage der Ethik so stark in den Vordergrund zu stellen und damit durch die Kirche erneut Gewissen binden zu wollen?

Ich lese dazu einen kleinen Abschnitt aus einem Buch von Karl Barth, der vor etwa 100 Jahren den Römerbrief bewusst in das Denken der Zeit hinein ausgelegt hat. Er lenkt den Blick noch etwas in eine andere Richtung, ist dabei aber sehr nahe am Text. Dort lautet die Antwort auf die genannte Frage dann so:

Als Treue Gottes rechtfertigt der Glaube.
Als Erkenntnis Gottes ist menschliche Erkenntnis wahr.
Als Hoffnung Gottes ist Hoffnung unsere Errettung.
Als Liebe Gottes ist Liebe der unbegreiflichere Weg.
Also immer gerade so, dass dem Glaubenden, Erkennenden, Hoffenden, Liebenden aus seinem Tun kein Verdienst, kein Recht, kein Anspruch erwächst. …

Nicht ist erworben, alles steht in Frage, was wir voraus haben könnten vor anderen. Denn immer wieder haben wir für uns selbst schwerste Rechenschaft abzulegen. Hinfällig darum alles Richten nach historischen oder psychologischen Kriterien, hinfällig die Frage nach dem Seelenheil in jeglicher Gestalt, hinfällig der Versuch, sein Verhältnis zu Gott zu beurteilen. … Hingegeben alles dem Gericht Gottes.“ (Karl Barth: Der Römerbrief, Reprints, neue Bearbeitung von 1922, unveränderter Abdruck, TVZ Zürich 1978, S. 498 und 499).

Klar ist also, dass wir Menschen menschlich gesehen in der Kirche nur zu schnell und gut immer wieder klare Fronten haben wollen und unterscheiden z. B. zwischen frommen und weltlichen Christen, aber auch zwischen solidarischen und egoistischen. Auch hier hinein sind die Worte Karl Barths eine Aufrüttelung. Der andere Mensch begegnet uns immer als das Du, in dem uns das Du Gottes begegnet. Und wer weiß nicht, worin uns gerade im weltlichen oder im egoistischen eine Wahrheit begegnet, die uns selbst in Frage stellen möchte. Wir wollen immer gern aufzählen, was die Anderen falsch sagen oder denken. Der Text ermutigt uns aber zu fragen, worin wir selbst darin in Frage gestellt sind.

Wir wollten also zuerst ein ethisches Thema aus dem Text heraushören, müssen uns aber zum Schluss fragen, ob es nicht ein theologisches Thema ist: Alle werden vor Gott auf die Knie fallen und ihm die Ehre geben. Und wie sie das im Einzelnen tun oder lassen, sollten dann doch auch bitte ihre eigene Sache und Verantwortung bleiben. Die Kirche tut gut daran, den Spielraum der Glaubensmöglichkeiten zu vergrößern, anstelle ihn einzuengen.

Amen.

 

 

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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