Einer für alle – Kunsthändlerfamilie Gurlitt, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2016

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Zu: Meike Hoffmann, Nicola Kuhn: Hitlers Kunsthändler, Hildebrand Gurlitt 1895 – 1956, Die Biographie, Verlag C.H.Beck, München 2016, ISBN 978-3-406-69094-5, Preis: 24,95 Euro

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Als die Steuerfahnder 2013 in der Wohnung des Kunsterben Cornelius Gurlitt (1932 – 2014) in München-Schwabing auf die Spur einer umfangreichen Kunstsammlung stießen, war ein Jahrhundertfund gelungen. Dabei wäre es an sich nichts Anrüchiges, vom Erbe der Eltern zu leben, wenn nicht ein Teil der Bilder aus der Verwertung jüdischen Eigentums in der Nazizeit stammen würde. Die Hauptintention der Autorinnen dieser Biographie besteht darin, auf die nach wie vor bestehende Problematik der sogenannten „Raubkunst“ aufmerksam zu machen. „Die in öffentlichen und privaten Sammlungen verborgene Raubkunst gehört ans Licht und, wo es möglich ist, zurück in die Hände der ehemaligen Besitzer oder der Nachfahren. … 70 Jahre nach Kriegsende wird es Zeit, auch in der Kunst den Opfern des NS-Regimes Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.“ (S. 345).

Die Biographie des Kunsthändlers und Direktors des Düsseldorfer Kunstvereins Hildebrand Gurlitt ist mit der Frage der Raubkunst verbunden, so dass in der fortlaufenden Erzählung hin und wieder auch der Schwabinger Kunstfund genannt wird. Hildebrand Gurlitt stammte aus Dresden. Sein Großvater war ein bekannter Landschaftsmaler, so dass auch einige seiner Bilder im Familienbesitz waren. Sein Vater Cornelius Gurlitt war Professor für Architektur. Seine Frau Helene war eine gelernte Tänzerin und Mitarbeiterin einer Tanzschule und somit auch der modernen Kultur verbunden.

Die Biographie Hildebrand Gurlitts ist sehr anschaulich und mitfühlend erzählt. Der Werdegang Hildebrand Gurlitts ist bis ca. 1933 immer mit der Kunst verbunden, besonders dem Expressionismus. Im 1. Weltkrieg hatte er in Litauen bereits Ausstellungen organisiert. Seine Schwester Cornelia, eine expressionistische Malerin, war ebenfalls in Litauen, als Lazarettschwester. Nachdem sie 1919 in Berlin ein kleines Studio eröffnet hatte, aber nicht Fuß fassen konnte und eine unglückliche Beziehung scheiterte, nahm sie sich das Leben. Hildebrand Gurlitt hat ihren künstlerischen Nachlass zeitlebens verwahrt. Nach einigen Zwischenstationen wurde er nach dem Studium, das er mit der Promotion abschloss, zum Direktor des Museums in Zwickau berufen. Von Seiten nationalsozialistischer Verbände sowie der Vertreter einer eher traditionellen Richtung gab es immer wieder Streit um den Ankauf expressionistischer Kunst und um Ausstellungen. Hildebrand Gurlitt betätigte sich auch journalistisch und kaufte selbst so gut es ging Bilder auf. Nach 1930 war er noch kurze Zeit als Leiter des Kunstvereins in Hamburg, musste diese Stelle aber ebenfalls aufgeben. Es blieb allein der Schritt in die Selbständigkeit, wobei seine Frau als Mitinhaberin des Kunsthandels fungierte. Aus dieser Rolle heraus kam er dazu, an der Vermarktung der Raubkunst der Nazis beteiligt zu werden, wobei es ihm dabei gelang, auch einige Werke in seine eigene Sammlung zu übernehmen.

Die einfühlend geschriebene Biographie blendet dabei immer wieder auch den Schwabinger Kunstfund ein, wenn einzelne Kunstwerke vorkommen. Nach dem Tod Gurlitts bei einem Verkehrsunfall im Jahr 1956 behütete seine Frau das Erbe, verheimlichte aber dessen Vorkommen überhaupt und behauptete, die Kunstwerke seien verbrannt. Als sie 1968 starb, verfügten ihre Kinder Benita (München) und Cornelius (Salzburg) über das Erbe. Sie haben auch dann noch immer wieder einige Kunstwerke verkauft und vom Erlös gelebt. So hat ein Bild von August Macke im Jahr 2007 noch 2,4 Millionen Euro erbracht.

Die Geschichte der Kunsterben Cornelius und Benita wäre ein weiteres Buch wert gewesen, musste aber wohl aus sachlichen Gründen in die Biographie Hildebrand Gurlitts integriert werden. Die Überschrift ist so gesehen ein wenig schillernd zu verstehen. Liest man „Hitlers Kunsthändler“ im Singular, dann zeigt sie den Lebenslauf dieses Kunsthändlers in seiner Verflechtung in die Raubkunst. Versteht man die Überschrift aber im Plural, dann stellt sie die Frage, wer eigentlich noch alles als Kunsthändler Hitlers fungiert hat, ja wer bis auf den heutigen Tag von den Enteignungen durch die Nazis profitiert, die den Zwangsemigrationen oder den Ermordungen vorweg gingen. Diese Vergangenheit bleibt lebendig und kann nicht einfach abgehakt werden.

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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