Predigt über Offenbarung 21, 1-7, Christoph Fleischer, Welver 2016

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Die Predigt wird am Ewigkeitsonntag in der reformierten Kirche in Soest (Schiefer Turm) gehalten.

Offenbarung 21, 1-7 (Zürcher Bibel)

1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde.

Denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. 2 Und die heilige Stadt, ein neues Jerusalem, sah ich vom Himmel herabkommen von Gott her, bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat.

3 Und ich hörte eine laute Stimme vom Thron her rufen:

Siehe, die Wohnung Gottes bei den Menschen! Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und Gott selbst wird mit ihnen sein, ihr Gott.

4 Und abwischen wird er jede Träne von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, und kein Leid, kein Geschrei und keine Mühsal wird mehr sein; denn was zuerst war, ist vergangen.

5 Und der auf dem Thron sass, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er sagt: Schreib, denn diese Worte sind zuverlässig und wahr. 6 Und er sagte zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich werde dem Dürstenden von der Quelle des Lebenswassers zu trinken geben, umsonst.

7 Wer den Sieg erringt, wird dies alles erben, und ich werde ihm Gott sein, und er wird mir Sohn sein.

 

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Foto: Niklas Fleischer (c)

Liebe Gemeinde,

Diesen Text aus der Offenbarung kenne ich seit meiner Kindheit und ich muss sagen, dass ich von dieser Radikalität immer sehr fasziniert war. Allerdings hätte mir damals eine neue Erde voll und ganz gereicht. Warum Johannes sich und uns auch einen neuen Himmel wünscht, dass ist mir damals nicht klar gewesen. Bis ich auf einmal gerade zu dieser Aussage einen neuen Zugang bekommen habe. Das war im Jahr 1987 und ich saß mit zigtausend anderen Menschen auf dem Fußballplatz der Frankfurter Eintracht, im Waldstadion. Nur dass es kein Fußballspiel war, was ich damals erlebte, sondern den Schlussgottesdienst eines Kirchentages. Der Kirchentag war noch sehr geprägt vom Widerstand gegen die Apartheid in Südafrika – muss ich erklären, dass man damals schwarze und hellhäutige Menschen brutal voneinander getrennt hat und die Schwarzen gezwungen hat, in sogenannten Homeland oder Townships wie Soweto zu leben. Entweder lebten sie als Wanderarbeiter weit von ihrer Familie oder von den Townships aus fuhren die meisten mit den Zügen nach Großstädten wie Johannesburg oder Kapstadt zur Arbeit, sei es als Haussklavin oder als billige Arbeitskraft?

Die Predigt im Schlussgottesdienst hielt Alan Boesak, ein schwarzer Studentenpfarrer aus Kapstadt. Pfarrer Boesak sagte sinngemäß:

„Es muss einen neuen Himmel geben, denn der Himmel ist verpestet vom Gestank der Gaskammern, vom Qualm der Atombomben und vom Napalm, so hießen damals die Phosphorbomben in Vietnam.“

Ich weiß nicht mehr, was er sonst gesagt hatte, denn ich war wie elektrisiert. Mein Theologiestudium hatte ich hinter mir und mein Vikariat auch und jetzt sagte ein Pastor aus Südafrika, dass wir einen neuen Himmel brauchen, weil der alte Himmel unbrauchbar geworden ist. Damals habe ich das mit dem Qualm vom Auschwitz und der unterschiedlichen Umweltkatastrophen und Kriegsverbrechen schon akzeptiert, aber nicht bis in Letzte verstanden, was damit gemeint ist, dass wir einen neuen Himmel brauchen.

Vor einiger Zeit habe ich mich mit Texten von Emanuel Levinas beschäftigt, eines französischen Philosophen jüdischen Glaubens. Levinas stammte aus einer jüdischen Familie in Litauen und studierte erst in Freiburg und lehrte ab 1933 in Paris. Er lebte nicht nur als Emigrant, sondern bekam die französische Staatsbürgerschaft. Im zweiten Weltkrieg kämpfte er in der französischen Armee und war eine Zeit lang in deutscher Kriegsgefangenschaft in Deutschland inhaftiert, von wo er 1945 befreit wurde. Seine Familie aus Litauen fiel dem Holocaust zum Opfer.

Levinas hat sich in einigen Texten auch mit der Frage beschäftigt, ob der Gott Israels in Auschwitz gestorben ist oder ob man danach noch an Gott glauben kann.

Ich finde schon, dass das Bild vom verdunkelten oder vergifteten Himmel für uns Deutsche am ehesten auf Auschwitz passt, da es damals ja tatsächlich der Gestank der Verbrennungsöfen war, der allen schon bei der Ankunft anzeigte, dass dort massenweise gemordet wurde.

Als ich einmal in den neunziger Jahren selbst dort war, kam es mir fast so vor, als würde dieser Gestank heute noch über dem ehemaligen Vernichtungslager liegen, mit dem man die Geschichte des Nationalsozialismus und des zweiten Weltkriegs einfach auf den Punkt bringt. Ein Ortsname, Auschwitz, steht hier für die Ermordung von sechs Millionen Juden und die vielen sinnlosen Opfer des Zweiten Weltkriegs.

Levinas macht in einem Vortrag unter dem Titel „Das sinnlose Leiden“ deutlich, dass die Rechtfertigung Gottes angesichts des Leidens nicht möglich ist. Das Gefühl der Sinnlosigkeit ist keinesfalls ein Problem für den Glauben an Gott, sondern das völlig berechtigte Gefühl, das vom Leiden des Anderen ausgelöst wird. Es ist ein Teil des Schmerzes, der den anderen zugefügt worden ist. Das Ich, also jeder und jede einzelnen von uns, wird berührt von diesen Bildern des Leidens, von den untergehenden Schiffen im Mittelmeer, von den hungernden Kindern in manchen Regionen der Erde, von Erdbeben, Überschwemmungen, Bombenanschlägen, Bränden und atomarem Fallout. Das 21. Jahrhundert bringt das gesamte 20. Jahrhundert in den ersten 15 Jahren unter: World-Trade-Center, Tsunami in Japan und Thailand, Haiti, Italien und Neuseeland, Fukushima, um nur einige Orte zu nennen.

Was das für Juden bedeutet, die Auschwitz überlebt haben oder danach geboren sind, bringt Levinas mit der Treue zum jüdischen Glauben in Verbindung:
„Der Jude ist nach Auschwitz seiner Treue zum Judentum geweiht, und den materiellen und selbst politischen Bedingungen seines Daseins.“ (Emanuel Levinas: Zwischen uns: Versuchen über das Denken an den Anderen, Edition Akzente Hanser, München 1995, S. 127).

Doch was bedeutet das für uns? So fragt Levinas. Es gibt keinen Glauben mehr, der das Leiden rechtfertigen kann. Er schreibt: „Eine Geschichte, die noch mehr die Reserven des Ichs in jedem mobilisiert und an sein Leiden appelliert, das durch das Leiden des Anderen Menschen hervorgerufen wird, an sein Mitgefühl, das ein nicht-sinnloses Leiden, das nicht mehr Leiden „für nichts“ ist und von Anbeginn einen Sinn hat? Sind wir nicht alle, wie das jüdische Volk seiner Treue, nach den sinnlosen und nicht zu rechtfertigenden Schmerzen … dem zweiten Begriff jener Alternative geweiht?“ (Ds. S. 128)

In anderen Worten heißt das, das wir das Leiden nicht mehr unter dem Blickwinkel einer Weltanschauung oder Religion sehen, sondern einfach unter einem „zwischenmenschlichen Blickwinkel“, wie es Levinas sagt. (Ds.). Vielleicht hat Johannes genau das gemeint, als er gesagt hat, dass der neue Himmel den das neue Jerusalem symbolisiert einfach auf die Erde herabkommt. Der neue Himmel, auf den wir warten und in dem uns nicht bleibt als das zwischenmenschliche Gefühl des Mit-Leids kommt nicht so, dass wir uns für ihn vorbereiten durch religiöse Übungen, er kommt einfach zu uns in unseren Alltag hinein, so wie auch das, was den Himmel verdunkelt hat, aus unserer Mitte herausgekommen ist.

Was Emanuel Levinas in diesem Artikel nicht reflektiert ist, dass diese Erkenntnis dazu führt, dass vorherige Gottesbilder und Weltanschauungen ihre Plausibilität verlieren. Das kann ja im Moment vielleicht dazu führen, dass es politische Bewegungen gibt, die in eine Rückwärtsbewegung eintreten.

Ich finde es einfach interessant, wie ein Gedanken von Dietrich Bonhoeffer hier wiederholt wird, der in einem Brief aus dem Gefängnis steht: „Kirche ist nur noch dann Kirche, wenn sie für andere da ist.“ (Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung, …). Aber ich finde, dass auch das keine neue Weltanschauung sein kann, wenn wir nicht zugleich immer wieder zu unserem Gefühl des Leidens, zu unserem Gefühl der Sinnlosigkeit stehen, so dass wir einsehen müssen, dass wir nichts Entscheidendes dafür tun können, um die Welt im Ganzen zu retten, so sehr wir es auch versuchen wollen und müssen. Was uns bleibt, ist die Barmherzigkeit des Samariters, der dem hilft, der zufällig auf dem Weg liegt, auf dem er selbst zu Reisen beabsichtigt. Wir haben kein Konzept mehr für die Rettung der Welt. Der Glaube ist einfach nur dazu da, das sinnlose Leiden des Anderen auszuhalten, unser Mitgefühl wach zu halten und das zu tun, womit wir etwas tun können.

Das ist kein Grund zur Resignation, eher im Gegenteil: Von der Gegenwart Gottes ist die Rede und dann heißt es:

„Siehe, die Wohnung Gottes bei den Menschen! Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und Gott selbst wird mit ihnen sein, ihr Gott. Und abwischen wird er jede Träne von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, und kein Leid, kein Geschrei und keine Mühsal wird mehr sein; denn was zuerst war, ist vergangen.“ (Offenbarung 11, 3+4).

Es sind Menschen unter uns, die einen lieben Menschen verloren haben und nun schon ein Stück auf dem Weg der Trauer gegangen sind. Sie werden vielleicht schon in ihrem eigenen Bereich so etwas wie eine Anklage Gottes erfahren habe, auf die es keine Antwort gibt. Für mich war immer der Satz zentral „der Tod wird nicht mehr sein“, wohl wissend, dass er damit die Wirklichkeit unseres Lebens verlässt, denn der Tod bleibt das Ende unseres Lebens. Aber vielleicht ist genau das gemeint, was Levinas mit dem Wort Mitgefühl ausgedrückt hat. Levinas schreibt an anderer Stelle in einer seiner letzten Vorlesungen, dass der Tod, den wir erfahren, immer der Tod der Anderen ist. Wir wissen zwar, dass wir eines Tages sterben müssen. Es ist aber ein Gedanke, der uns fast kalt lässt, zumal wir unseren eigenen Tod verdrängen. Wenn die Theologen den Menschen eine Angst vor dem Tod eingeredet haben, wie ich es früher manchmal erlebt habe, dann haben sie indirekt versucht, sie zu manipulieren.

Hier bei Johannes ist vom Tod immer als dem Ereignis die Rede, dass uns beim anderen Menschen begegnet. Darauf weist die Offenbarung ja hin, wenn man die Worte genauer ansieht: Der Tod eines anderen Menschen lässt uns trauern und weinen. Gott wischt unsere Tränen ab, das heißt, dass er sie wahrnimmt, bemerkt und uns seine Nähe zeigt, wie ein Mensch, der uns in der Trauer nahe ist. Der Tod des Anderen begegnet uns in seinem Sterben in dem Schmerzen, dem Leiden, der Angst und des Geschrei und der Mühsal, und genau das hat Jesu selbst am Kreuz durchlebt und nur noch ein Gebet für sich gefunden, dass sich in der der Gottesferne an Gott richtet: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“ Jesus ist so der Mensch Gottes an unserer Seite, der uns die Antwort auf die Warumfrage verweigert. Die Warumfrage soll nicht beantwortet werden, sie soll als ein Gefühl der Sehnsucht nach einer wahren Mitmenschlichkeit wahrgenommen werden. Es kommt nicht darauf an, dass wir als Christinnen und Christen auf alles die richtige Antwort haben. Es kommt darauf an, dass wir zu unserer Verlegenheit und Sprachlosigkeit stehen und in der Nähe Gottes das Zeichen des Mitgefühls sehen, dass uns die Kraft gibt Tod und Sterben unter uns auszuhalten.

Wird es einen neuen Himmel und eine neue Erde geben? Wir glauben daran. Hoffnung ist die Kraft an etwas zu glauben, dass man nicht sieht. Wir sehen den Himmel unter uns noch nicht. Ich denke, er ist immer dort eine lebendige Erfahrung, wo eben genau das geschieht, was unser Text beschreibt. Gott ist da, wo unsere Gedanken und Gebete zur Quelle der Kraft in diesem Leben geworden ist.

Hoffnung ist wie das Bild der Offenbarung vom neuen Himmel und der neuen Erde schon eine Erfahrung von Kraft in der Gegenwart. Diese Erfahrung ist doch für uns naheliegender als die Beantwortung der Frage, wann die Erfüllung der Hoffnung konkret geschehen wird. Glaube und Hoffnung sind im Grund das Gleiche. So sagt es auch der Hebräerbrief: „Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen was man hofft.“ (Hebräer 11,1).

Amen.

 

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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