Alternativen zur objektiven Weltbetrachtung, Interview mit Gerhard Höberth, Christoph Fleischer, Welver 2017

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Zu: Gerhard Höberth: Die Welt von innen, Genesis-1/ eine neu Interpretation, Reihe: Erkenntnisse aus dem Evolutionären Idealismus, cre-Astro Verlag, Wasserburg am Inn, 2016, Softcover, ISBN: 978-3-939078-07-3, Preis: 24,90 Euro

Gerhard Höberth schreibt in seinem Buch: „Ich glaube daran, dass in jeder Religion ein Kern steckt, der die Grundstruktur des Kosmos berührt. Ich glaube, dass man auf Wahrheiten stoßen kann, wenn man in religiösen Überlieferungen gräbt. Ich bin auf der Suche nach dem ‚geistigen Troja‘, der Essens in den spirituellen Systemen.“ (S. 34) Er verlässt m. E. an keiner Stelle den philosophischen Diskurs, womit die religiöse Wahrheitsfrage offen bleiben muss. Gott sieht er als spirituelle Kraft. Das Göttliche und das Weltliche dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Ebene des Rationalismus ist genauso wenig zu isolieren wie die religiöse Weltdeutung, die mythisch genannt wird.
Diese philosophischen Grundaussagen werden in diesem Buch an einem praktischen Bereich durchgespielt, der Schöpfungsgeschichte der Genesis in der Bibel. Bevor jedoch die hebräischen Buchstaben mithilfe der kabbalistischen Grundbedeutungen kombinierend erklärt werden, wird ein System des griechischen Philosophen und Mathematikers Pythagoras vorgestellt, mit dessen Grundstruktur die Aussagen der Genesis ontologisch gedeutet werden.

Christoph Fleischer: Du hast mit „Die Welt von Innen“ ein philosophische Buch vorgelegt, das du mit einer eigenwilligen Interpretation des ersten Kapitels der Bibel „Genesis 1“ verbindest.
Wirklich aus einem Guss scheint mir nur der zweite Teil des Buches zu sein, der mit den Vorstellungen von Pythagoras beginnt, denn du kommst bei der Interpretation der Bibel auf die Sätze des Pythagoras und andere Sätze der antiken griechischen Philosophie zurück.

Gerhard Höberth: Das Buch Strukturiert sich eigentlich in vier Abschnitte, die aber nicht explizit so gekennzeichnet sind. Der erste Teil ist für jene Leser geschrieben, die den Wert von Analogien in einer rationalen Welt noch nicht nachvollziehen können. Mir ging es in meiner Jugend ja ähnlich und deshalb möchte ich diese Menschen nicht zurücklassen. Im zweiten Teil versuche ich eine kurze Einführung in die integrale Theorie, da sie zum Verständnis meiner Interpretation unerlässlich ist. Danach kommt der dritte und vierte Teil, der dir wie aus einem Guss erscheint, in dem ich die Philosophie von Pythagoras im Hinblick auf das Lambdoma mit dem Inhalt von Genesis 1 zusammenbringe.

Christoph Fleischer: Darf ich fragen, wie es kommt, dass sich die Gedanken der antiken Philosophie in der biblischen Lehrerzählung wiederfinden lassen?

Gerhard Höberth: Pythagoras soll ja in etwa um die gleiche Zeit in Babylon gewesen sein, als auch die jüdische Elite dort in Gefangenschaft war. Pythagoras hat seine Philosophie von seinen Reisen mitgebracht und Genesis 1 ist ein esoterisches Lehrgedicht, welches von den jüdischen Gelehrten nach ihrer Rückkehr den Schriften vorangestellt wurden. Dies ist zwar nur ein schwaches Indiz dafür, dass beides auf dieselben Quellen zurückgehen könnte, aber das ist auch gar nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass die mathematische Struktur des Lambdomas aufzeigt, dass es sich dabei offensichtlich um eine grundlegend archetypische Struktur unserer Welt handelt, die in Genesis 1 in poetischer Form niedergeschrieben wurde. Im siebten und sechsten Jahrhundert vor Christus scheint man diese phänomenologische Eigenschaft der Welt als »philosophia perennis« erkannt zu haben. Deshalb taucht diese Lehre auch bei Pythagoras auf.

Christoph Fleischer: Wenn das so ist, dass sich hier die Grundregeln der Basisphilosphie entfalten, dann ist es doch eine Metaphysik mit Ontologie und Kosmologie, die Du vorlegst.
Bist du Dir der Vorläufigkeit und Subjektivität dieses Ansinnens in der Postmoderne bewusst?

Gerhard Höberth: Mir ist natürlich klar, dass die postmodernen Strömungen des Strukturalismus und Konstruktivismus alles zu dekonstruieren versuchen, was sich nach einer ganzheitlichen Welterklärung anfühlt. Das ist auch eine wichtige Aufgabe, damit sich keine politischen Ismen bilden. Bezüglich meiner Interpretation der Genesis 1 schreibe ich deshalb auch in den Nachbemerkungen, dass es sich dabei um einen Versuch handelt, die beschriebene Symbolik in eine Form zu übertragen, die dem heutigen Weltverständnis angepasst ist. Es handelt sich also dabei nicht um eine zeitlose Wahrheit, die ich für mich in Anspruch nehmen will, sondern um ein Projekt der gegenwärtigen Begriffserklärung. Es soll einen Zugang schaffen, der bestimmte Bereiche der Überlieferungen der Religion als berechtigte phänomenologische Philosophie in eine rationale und transrationale Weltvorstellung reintegriert.

Christoph Fleischer: Ich verstehe Dich so: Gott ist das Symbol für die Einheit der Welt, für das Ganze des Lebens. Der Welt stehen wir als Menschen aber nie objektiv gegenüber. In welcher Gestalt ist die Beziehung zu Gott dabei denkbar?

Gerhard Höberth: Gott ist AUCH ein Symbol der Einheit und Ganzheit des Lebens. Ihn darauf zu reduzieren wäre mir aber zu wenig. Das ist nur ein Aspekt von dreien. Die christliche Trinität von Vater, Sohn und Heiliger Geist ist in diesem Zusammenhang sehr hilfreich. Dabei wäre der Heilige Geist das Äquivalent zum Symbol für die Ganzheit des Lebens, weil er die Schöpfung als heiliges Prinzip durchströmt. Die Beziehung dazu ist aber für einen Menschen schwierig und am ehesten noch mit der Formel »Dein Wille geschehe« zu realisieren. Ebenso zum Vater, der als Symbol für die göttliche Transzendenz steht, welche außerhalb der Schöpfung diese ursächlich begründet. Die Beziehung des Menschen zu Gott ist über das dritte Prinzip, den Sohn, ganz konkret möglich. Jesus sagt ja deutlich »Was ihr dem geringsten meiner Brüder angetan habt, das habt ihr mir angetan«. Und ich interpretiere das nicht symbolisch. Wir dienen dem Göttlichen am offensichtlichsten, wenn wir es im Gegenüber, im Mitmenschen erkennen. Deswegen halte ich den praktischen Humanismus für einen säkularen Gottesdienst.

Christoph Fleischer: Licht verstehst Du als Offenbarung oder ein Ausdruck für Offenbarung. Worin offenbart sich Gott als Prinzip des Lebens? Ist Gott mit der Evolution identisch?

Gerhard Höberth: Wenn man Identität nicht ausschließend interpretiert, dann ist Gott mit der Evolution identisch. Aber diese Identität ist einseitig. Evolution ist Gott. Aber Gott lässt sich nicht auf Evolution reduzieren. Ich vertrete keinen Pantheismus. Eher schon einen Panentheimus, der einen Mittelweg zwischen Pantheismus und Theismus sucht.

Christoph Fleischer: Warum kann das „individuelle Bewusstsein“ die Welt als etwas Äußeres empfinden, obwohl das ja objektiv unmöglich ist? Ist das nicht eine Täuschung oder Projektion?

Gerhard Höberth: Wie ich in dem Buch aufzeige, beschreibt die erste Schöpfungsgeschichte der Bibel die phänomenologische Entwicklung des Bewusstseins. Dabei erkennt das Subjekt als erstes, dass es nicht die ganze Welt ist, sondern nur ein Teil davon. Und natürlich könnte man daraus folgern, dass das Bewusstsein sich die Außenwelt selbst konstruiert. Aber diese ontogenetische Entwicklung ist ja in eine größere, phylogenetische Entwicklung eingebunden. Wie dies dafür sorgt, dass das individuelle Bewusstsein eine relativ wahrheitsgemäße Weltwahrnehmung erlangt, beschreibt ja die evolutionäre Erkenntnistheorie. Das Interessante daran ist aber, dass es eine gleichbleibende Grundstruktur dieser individuellen Bewusstseinsentwicklung gibt, die bei Pythagoras und in Genesis 1 auf unterschiedliche Weise beschrieben wird. Auf diese Grundstruktur möchte ich mit meinem Buch hinweisen, weil es das religiöse Element wieder in ein modernes Weltverständnis einbindet.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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