Predigt über 5. Mose 7, Christoph Fleischer, Welver 2017

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Predigt für den Gottesdienst im Grünen am 6. Sonntag nach Trinitatis in Bad Sassendorf, am 23.07.2017

 

Liebe Gemeinde hier in Bad Sassendorf,

 

wir stehen vor der Kirche und feiern Gottesdienst im Grünen, so wie es auch mit Pfarrer Fischer zu Himmelfahrt auf dem Gemeindebrief abgebildet ist. (Gemeindebrief hochhalten)

Gottesdienst im Freien liegt im Moment stark im Trend. Hier in Bad Sassendorf hat der Kurparkgottesdienst Tradition und nach der Umgestaltung des Kurparks geht es sicher dorthin wieder zurück. Die katholische Gemeinde am Möhnesee feiert seit einigen Jahren die Kirche am See. Es gib auch einen Taufgottesdienst am Möhnesee, und wie ich las auch an der Ruhr und am Rhein. Auch in Soest gab es kürzlich einen Open-Air-Gottesdienst auf dem Petrikirchplatz mit über 500 Besucherinnen und Besuchern.Die Gottesdienste des Kirchentages mit meist an die 100.000 Besucherinnen und Besuchern haben manche auch schon miterlebt.

Andererseits mag es anderen Menschen eigenartig vorkommen, dass die Gemeinden mehr und mehr aus der Kirche auswandern und Gottesdienste im Freien machen feiern. Es heißt: Wir gehen einen Schritt auf die Menschen zu, anstelle sich hinter dicken Mauern zu verstecken.

Foto: Niklas Fleischer (c)

Aber haben wir durch die Hinterhand nicht auch alte germanische Religionselemente wiedereingeführt? Ging es dort nicht gerade um die Feiern unter den alten Bäumen?

Nun ich glaube nicht. Die Nähe zur Natur kann ja an sich auch im christlich-jüdischen Glauben nichts Schlechtes sein. Ich habe in der letzten Zeit einige interessante Bücher zur Geschichte des antiken Judentums gelesen, in dem auch die Erzählungen über Jesus ihren Ort haben. Man hat festgestellt, dass es keine gemauerten Synagogen gab, denn es gibt überhaupt keine archäologischen Reste solcher Sakralgebäude aus dieser Zeit. Ich persönlich vermute, dass der Begriff Synagoge, ein Wort auf dem Griechischen, ganz wörtlich einfach als Zusammenkunft zu verstehen ist. Die Bibel berichtet ohnehin, dass sich die frühen Christengemeinden überwiegend in Privathäusern zum gemeinsamen Mahl trafen. In Judäa und Galiläa wird es zunächst hauptsächlich Versammlungen unter freiem Himmel gegeben haben. Kein Wunder, dass es davon keine archäologischen Überreste gibt!

Und dann gibt es ja auch noch die Traditionen der Bibel, die vom Volk Gottes handeln, das irgendwo in der Wüste unterwegs war. Der spätere Tempel, soll, so heißt es, als Zelt mitgewandert sein. Die Bundeslade mit den Gesetzestafeln wurde getragen, so will es die Sage vermitteln.

Wir hören heute einen Text aus dem Alten Testament, der uns an das Gottesvolk Israel erinnert, ein Text, der so in die Situation der Wüstenwanderung hineingesprochen ist:

  1. Mose 7, 6 – 12

6 Denn du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott.

Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.

7 Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker – denn du bist das kleinste unter allen Völkern –,

8 sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat.

Darum hat der HERR euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharaos, des Königs von Ägypten.

9 So sollst du nun wissen, dass der HERR, dein Gott, allein Gott ist, der treue Gott, der den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten,

10 und vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen.

11 So halte nun die Gebote und Gesetze und Rechte, die ich dir heute gebiete, dass du danach tust.

12 Und wenn ihr diese Rechte hört und sie haltet und danach tut, so wird der HERR, dein Gott, auch halten den Bund und die Barmherzigkeit, wie er deinen Vätern geschworen hat.

 

Vielleicht mag sich einer oder eine andere fragen: Was sagt uns die Botschaft des Alten Testaments heute? Sollen wir uns nicht mehr auf das Neue Testament konzentrieren?

Doch dieser Einwand ist zunächst ein Trugschluss. Unsere christliche Religion ist eigentlich ein transformiertes Judentum. Jesus und alle Apostel waren Juden. Die Schriften des Neuen Testaments werden von jüdischen Gelehrten zum Großteil sogar als jüdischen Schriften gelesen. Der Antijudaismus der Kirche sollte ohnehin seit dem Holocaust erledigt sein. Trotzdem ist eine schlichte Übertragung von Israel auf die Kirche ebenso problematisch. Israel und das Judentum gibt es bis zum heutigen Tag. Sie sind nicht einfach zur Kirche geworden.

Das was hier über die Beziehung Gottes zum Volk Israel gesagt ist, galt also zunächst einmal für Israel selbst. Doch auch hier gab es verschiedene Prozesse der Überlieferung. Streng genommen ist diese Botschaft erst so aufgeschrieben worden, als Israel und Juda aus ihrem Land vertreiben worden waren. Erneut unterwegs, erneut in der Fremde, erneut auf der Flucht. Erst als die babylonische Gefangenschaft im sechsten bis fünften Jahrhundert zu Ende ging und die Oberschicht Israels wieder nach Judäa zurückkehren durfte, ist das Deuteronomium, wie man das fünfte Buch Mose auch nennt, entstanden. Die Zeit des Exils und die Zeit der Wüstenwanderung passten doch auch ganz gut zusammen. Es ging der Bibel in Wahrheit nie um die wirkliche Geschichte, sondern nur darum zu zeigen, dass der Glaube an Gott ortsunabhängig ist. Der Glaube Israels ist nicht in einem bestimmten Altar oder einem Heiligtum festgemacht, sondern existierte auch nach deren Zerstörung weiter. Es ist ein Glaube, der, so heißt es in der Wüste entstanden ist. Und so kann man sagen: Die Botschaft der Bibel richtet sich an Menschen, die immer irgendwie unterwegs sind. Nicht die größten Paläste, sind die mächtigsten Armeen, nicht die imposantesten Kirchen und Tempel sind ausschlaggebend. Gottesdienste unter freiem Himmel, das wird im babylonischen Exil der Normalfall gewesen sein.

Das ist vielleicht der Kern dieser Botschaft des Alten Testaments: Gott macht sich schwach für und mit Israel. Gott entscheidet sich nicht für die Macht und die Gewalt, sondern er verbindet sich mit dem Volk, das äußerlich gesehen schwach, machtlos und klein ist.

Doch genau das muss dem Volk wie auch der Kirche immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden. Der Glaube an Gott äußert sich in der Beziehung zu Gott, die sich in der Geschichte widerspiegelt.

Dazu wird in den Zehn Geboten gleich am Anfang dieser Satz festgehalten, der auch in diesem Bibeltext wiederholt wird.

Die Erwählung Gottes wird durch die Ereignisse um die Befreiung aus Ägypten in Verbindung gebracht. „Ich bin der Herr dein Gott, der dich aus Ägypten, aus der Knechtschaft befreit hat.“

In unserer Aufzählung der Gebote wird dieser Nebensatz weggelassen, obwohl der Gott Israels auch unser Gott ist. Aber wir können das „Wir“ nicht so mitsprechen, denn wir sind nicht Israel.

Doch wir gehören zu dieser Tradition. Im Schritt zu Jesus ist Gott vielleicht noch ein Stück schwächer geworden. Nicht das äußere Zeichen wie die Beschneidung, sondern das Übergießen mit Wasser, ist das Zeichen der Verbindung mit Gott geworden. Die Taufe reicht. Dieses schwache Zeichen, das später nur in unserer Vorstellung existiert, wird allein durch den Glauben bestätigt.

Das besagt: Die Grundlage des Glaubens in Israel und in der Kirche ist allein die Beziehung Gottes zu uns. Ich denke, dass wir die Verkündung der Befreiung in der Geschichte durch die Erfahrung der Schöpfung ersetzen. Aber die Motivation ist die Gleiche: wir danken Gott für das, was er für unser Leben getan hat. Gott zu erfahren, heißt an seine Nähe zu glauben und seine Barmherzigkeit zu erfahren. An Gottes Wort zu glauben und sich danach zu richten, das ist der Inhalt dieser Beziehung auf menschlicher Seite. Gott ist ein Gott des Lebens, der immer mit uns ist, auf welchem Weg wir auch sein mögen. Diesen Glauben haben wir über Jesus von Israel erhalten.

Jesus spricht in den Abendmahlsworten vom Neuen Bund, der mit dem Einsatz seines Lebens geschehen ist. Gott hat sich uns in Jesus zugewandt und hat gezeigt, dass sein Wille allen Menschen gilt und ass ist allein die Liebe Gottes. Daraus schließt ein Ausleger zu Recht: „Kein Volk soll sich besser denken als irgendein anderes, keine Religion eine besondere Erwählung behaupten, womöglich einen Monopolanspruch auf die einzige wahre Gotteserkenntnis erheben.“ (Wolfgang Kelm, Textspuren 3, S. 139)

Gottes Gegenwart beschränkt sich nicht auf Orte und Häusern aus Stein, sondern ereignet sich ebenso in Gebet und Gesang unter freiem Himmel. Gott ist nicht irgendwo fest da, sondern Gott ereignet sich auf unseren Wegen, in unserer Antwort auf Gottes Liebe, in unserem Glauben und unserer Zuversicht.

Dazu hat Gott das Volk Israel erwählt, das unter den übrigen Völkern klein und schwach war.

Und dazu ist Gott Mensch geworden in Jesus Christus. Er ist als Mensch an unserer Seite.

„Wir haben Gottes Spuren festgestellt auf unser´n Menschenstraßen.

Liebe und Wärme in der kalten Welt, Hoffnung, die wir fast vergaßen.

Zeichen und Wunder sahen wir gescheh´n in längst vergang´nen Tagen,

Gott wird auch unsre Wege gehen uns durch das Leben tragen.“ (Diethard Zils, eg/rwl 648,1)

Amen.

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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