Kulturpsychologie, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2017

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Jürgen Straub: Religiöser Glaube und säkulare Lebensformen im Dialog, Personale Identität und Kontingenz in pluralistischen Gesellschaften, Ernst-E.-Boesch-Preis für Kulturpsychologie 2015, Herausgegeben von der Gesellschaft für Kulturpsychologie, Mit einem Statut zum Ernst-E.-Boesch-Preis vom Vorstand der Gesellschaft für Kulturpsychologie und einer Laudatio von Jens Brockmeier, Psychosozial-Verlag, Gießen 2016, kartoniert, 226 Seiten, ISBN: 978-3-8379-2612-5Preis: 24,90 Euro

So interessant und aufregend der Titel des Buches ist, so schwierig und uneinheitlich sind die Untertitel. So steht am Anfang der Lektüre eine Recherche, die in meinem Fall durchaus fehlerhaft sein kann, da ich mich in diesem Metier als Laie empfinde. Der hier als Autor genannte Jürgen Straub ist erster Preisträger des Ernst-E.-Boesch-Preises. Ernst-E.-Boesch, nach dem dieser Preis benannt ist, starb im Jahr 2014 und hinterließ der Gesellschaft für Kulturpsychologie eine Stiftung, nämlich die des nach ihm benannten Preises. Ernst E. Boesch war am Fachbereich Psychologie der Ruhruniversität Bochum tätig und hat dort die besondere Disziplin der Kulturpsychologie begründet. Diese sozialpsychologische Ausrichtung steht immer etwas in Konkurrenz zu der sonst eher individualpsychologischen Ausrichtung des Faches Psychologie.

Ich fasse zusammen: Es gibt die „Gesellschaft für Kulturpsychologie“, es gibt in Bochum einen sozialpsychologischen Lehrstuhl, und es gibt eine Zeitschrift namens „psychosozial“, deren Herausgeber, wie zufällig, der hier genannte Autor und Preisträger Jürgen Straub ist und die, wen wundert es, im „Psychosozial-Verlag“ erscheint.

Eine Anmerkung aus theologischer Sicht sei erlaubt: Die Themen der Zeitschrift „psychosozial“ erinnern ein wenig an die Publikationen des sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, das auch in Bochum beheimatet ist. Ob zwischen beiden Instituten eine Zusammenarbeit besteht, ist dem Rezensenten nicht bekannt.

Es geht also in dieser Publikation darum, mit welcher Zielrichtung die vom Stifter des Forschungspreises geprägte Kulturpsychologie weiterentwickelt wird. Dies wird in der im Untertitel ebenfalls erwähnten Laudatio von Jens Brockmeier (Professor in Paris) näher bestimmt. Was im Titel des Buches m. E. nicht angesprochen wird, ist die Tatsache, dass es sich hierbei eher um eine Positionierung im Gegenüber zur Religion handelt, im Extremfall sogar um eine Art Religionskritik. Von Religion ist meist im Sinn eines anderen, eines bekannten, aber doch eben fremden Phänomens die Rede. Der Hauptartikel, den ich aber in dieser Rezension nicht weiter referiere, ist eine Ausarbeitung der Situation und Einstellung diverser Arten von Atheismus im Feld des Säkularen.

Man könnte aus den Titeln der einzelnen Aufsätze den Schluss ziehen, dass diese Forschungsrichtung die Religion ablehnt, aber zugleich versucht, mit ihr zu leben, im Sinne von Toleranz und Respekt, versteht sich. Dezidiert psychologisch ausgedrückt ist dies in der Frage nach „Strukturtheoretische Konturen personaler Identität als offene Form“. (Überschrift, S. 153) Nach einer Arbeit von Charles Taylor zeigt Jürgen Straub hier, welche Rolle die familiären Einflüsse auf die religiöse oder säkulare Entwicklung spielen.

Erst im letzten Abschnitt des Buches wird direkt nach Religion gefragt, indem ein „Strukturmerkmal religiösen Glaubens“ näher untersucht wird. Die Frage ist, „wie eine gottesgläubige Person“ kontingente Lebensereignisse in das Bewusstsein integrieren kann. (Vgl. S. 167)

Als Zeuge dafür wird der Soziologe Hans Joas (geb. 1948) aufgerufen, der an unterschiedlichen Universitäten im In- und Ausland gelehrt hat. Jürgen Straub bezieht sich hauptsächlich auf das Buch von Joas, das im Jahr 2012 erschienen ist: „Glaube als Option“. Der Bezug wird folgendermaßen hergestellt: „Joas sieht im religiösen Glauben – einer bestimmten Variante dieser Option, so muss man zugleich hinzufügen – und in der personalen Identität bestimmter religiöser Menschen eine Struktur, die grundsätzlich offen ist für die Erfahrung von Zweifel, von Neuem und damit für verschiedene Modi kreativer Selbsttranszendenz.“ (S. 167)

Die Rolle der Kontingenz wird hierbei nicht nur von außen wahrgenommen als „Zufälligkeit der Widerfahrnisse“, sondern auch als Kernpunkt der Religion selbst. Der Dialog zwischen Kontingenz und Religion lässt sich nach Jürgen Straub kurz gefasst folgendermaßen charakterisieren: Immer wieder ist eine neue Entscheidung in Lebensfragen nötig. Das Unverbrüchliche ist rar geworden. Glaube ist andererseits mehr als ein Rettungsanker für in Bedrängnis geratene Menschen. Zur Religion gehört auch ein Angebot beglückender Erfahrungen. Die Aufgabe des religiösen Menschen selbst besteht hingegen darin, in Übergängen Stabilität zu bewahren. Hierzu bedient der Mensch sich der Bindung an Personen und Werte.

Allerdings wird zugleich daran erinnert, dass diese mögliche Flexibilität in Lehrfragen von fundamentalistischen Richtungen geleugnet wird. Ich denke, dass der Glaubensbegriff von Jürgen Straub in Anlehnung an Hans Joas so zu verstehen ist, dass Glaube situativ wichtig ist und kein fester Besitz sein kann. Es heißt hier: „Ein zeitgemäßer religiöser Glaube kann ebenso auf eine kontingente Gewissheit bauen, die offen bleibt für Erschütterungen und Erlebnisse, die einen Menschen womöglich vom Glauben abfallen lassen oder zu einem anderen Glauben hinführen.“ (S. 173)

Der Glaube bleibt immer eine Option. Die Existenz anderer Glaubensformen und religiöser Vorstellungen sind Herausforderungen im Dialog. Zu Dialogpartnern zählen nicht nur Angehörige anderer Religionen, sondern auch Vertreter einer säkularen Option. Hierbei weist Jürgen Straub darauf hin, dass das „Säkulare“ eine „typisierende Sammelbezeichnung“ ist. Mit dieser Aussage stellt der Autor eine Beziehung her zu den vorangegangenen Kapiteln, in denen gerade diese Frage ausführlich erörtert wird, die Vielfalt auch einer säkularen Option darzustellen. Die Frage, ob und wie religiöse und säkulare Optionen sich in einem Dialog befinden, ist m. E. noch offen. Die Option dazu ist allerdings in den Handlungsfeldern des Alltags ständig gegeben.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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