Coming-Out eines vatikanischen Priesters, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2017

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Krzysztof Charamsa: Der erste Stein, Als homosexueller Priester gegen die Heuchelei der katholischen Kirche, aus dem Italienischen übertragen von Michael Jacobs, gebunden, 316 Seiten, ISBN 978-3-570-10327-2, Preis: 19,99 Euro

Das Buch ist auf etwa 290 Seiten eine Coming-Out Geschichte, wie es sie vermutlich schon mehrere Male gibt. Für mich als heterosexuellen Mann ist es interessant, zu verfolgen und nachzuspüren wie sich die eigentliche Bestimmung der sexuellen Orientierung aus dem Unbewussten heraus entfaltet. Dies ist dadurch sehr spannnend, weil der Leser und die Leserin ja weiß, dass es in diesem Fall zu einem sofortigen Ende der beruflichen Tätigkeit als Priester im Vatikan führen wird.

Die drei kurzen Dokumente im Anhang zeigen diese Konsequenz exemplarisch. Sofort ist von etwas anderem die Rede als von einer sexuellen Orientierung, die heute von der Gesellschaft als normal angesehen wird. Sehr schon wird dabei herausgearbeitet, dass diese sexuelle Orientierung, die Homosexualität sofort gesellschaftliche Konsequenzen beinhaltet, wenn sie öffentlich bekannt wird. Der katholische Glaube steht so gesehen immer noch im Konflikt zur Gesellschaft. Kzrysztof Charamsa so quasi gezwungen, die eigentlich private Entscheidung öffentlich zu machen und theologisch zu untermauern. Für uns als unbeteiligte Leserinnen und Leser wirkt es übertrieben, wenn der ehemalige Priester in einem „Manifest“ so tut, als könne er der Institution Kirche ein Bekenntnis zur „Schwulenbefreiung“ abfordern. Dieser Schlussteil, der auch einen Brief an Papst Franziskus enthält, wirkt wie ein reformatorischer Aufruf, so etwas wie die 95 Thesen Charamsas.

Aus der Erzählung hingegen muss dieses Bekenntnis zur Homosexualität nach einer langen Zeit des sicherlich schwierigen Doppellebens so wirken, als würde es unweigerlich auf einen Konflikt mit der Kirche hinauslaufen.  Nicht umsonst ist schon im Untertitel von der Heuchelei der Kirche die Rede. Doch hätte es wirklich auch ganz anders kommen können, als das der schwule Priester Charamsa vom Priesteramt entbunden wird?

Von daher möchte ich es als Nichtkatholik einmal folgendermaßen sagen, auch wenn ich mich dadurch angreifbar mache: Vermutlich ist es sogar im Raum der Kirche speziell im Vatikan einfacher, die sexuelle Orientierung als Homosexueller diskret zu leben, wie das ja im Fall der Sexualität im Zölibat überhaupt praktiziert wird, wohl wissend, dass es sich dabei um eine doppelte Moral handelt. Wo die Kirche allerdings langfristig zu einer doppelten Moral aufruft, wird sie ihren eigenen Bestand riskieren. Diese Zeilen sind für eine Rezension gewiss sehr ungeschützt, aber ich glaube, das Buch hat deshalb diese Bedeutung, weil es zu einer eigenen Stellungnahme zwingt. Es ist nicht möglich neutral zu bleiben, wo Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung ausgeschlossen oder unterdrückt werden. Diese Konsequenz wirkt tatsächlich ein wenig wie eine neue Reformation.

Zur Erzählung selbst: Die Coming-Out Geschichte im Herzen der katholischen Kirche hat völlig den Charakter eines guten Romans. Wie in einem Krimi, steht von vornherein fest, dass das Gute siegen wird, man weiß nur nicht wie. Hier ist es die Liebe auf den ersten Blick, die eine deutlichere Sprache spricht als die Institution, die lediglich von göttlicher Liebe redet. Alle Vorurteile beispielsweise von Friedrich Nietzsche und anderen zur Leibfeindlichkeit der Kirche scheinen sich zu bestätigen.

Anders gesagt: Ist der erste Stein, von dem im Titel die Rede ist, nicht ein Mordinstrument gegen einen vermeintlich schuldigen Menschen oder ist es der Stein, der den kennzeichnet, der in der eigenen Selbstdarstellung ohne Sünde dasteht, wie bei Johannes erzählt?

Worin also besteht die Lebensgeschichte vor dem erst gegen Ende des Buches vorgestellten Coming-Out? Charamsa, der vor seinem Coming-Out im Vatikan durchaus Karriere gemacht hat, Charamsa, der vor seinem Coming-Out im Vatikan durchaus Karriere gemacht hat, hat eine theologische Sprache dafür gefunden: „Ich weigere mich, eine Schöpfung zu lieben, in der eine unschuldige Person, die als Homosexueller, als Lesbe, Trans- oder Intersexueller auf die Welt gekommen ist, unter den unberechtigten Anmaßungen und Verstiegenheiten der Kirche leiden muss.“ (S. 262).

Die Biographie des polnischen Priesters Krzysztof Charamsa bis in eine Laufbahn als Lehrbeauftragter in Rom und als Assistent in der Leitung der Glaubenskongregation unter den Päpsten Benedikt XVI. und Franziskus ist ja gerade unter dem Aspekt interessant, dass die Leserinnen und Leser von der ersten Zeile an wissen, dass es zum Coming-Out kommen würde. Über weitere Strecken gestattet es einen Blick in das Innenleben der katholischen Kirche, wie es wahrscheinlich nur selten in die Öffentlichkeit kommt. Ein Buch über einen Priester ist wohl immer auch ein Buch über die Kirche.

Vielleicht ist es aber auch ein Buch über eine Reformation, die darin besteht, dass ein einziger Mensch der Kirche einen eignen Weg geht, der wenigstens für ihn selbst zu einem neuen Kirchen- und Gottesbild führt. Die Kirche muss einen Weg finden, die Botschaft der Bibel mit dem Wunsch nach menschlicher Freiheit und Selbstbestimmung zu verbinden. Kirche muss faktisch eine Kirche des Lebens und der Freiheit sein. Das theologische Manifest zeigt, dass heute vielleicht Reformation anders verlaufen wird, als vor 500 Jahren, aber dass sie immer noch geschieht.

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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