Existenzialisten mit/ohne Heidegger? Christoph Fleischer, Welver 2017

Print Friendly, PDF & Email

Notiz zur Sonderausgabe des Philosophie Magazins „Die Existenzialisten“, erschienen am 9.11.2017

Ich verzichte auf den Blick das Inhaltsverzeichnis, da dieses auch schnell über die Internetseite des Philosophie Magazins zu erhalten ist (http://philomag.de/die-existenzialisten-lebe-deine-freiheit/), und werde ich Folgenden meine Notizen zu den Artikeln von Hannah Arendt und Peter Trawny veröffentlichen.

Der hier abgedruckte Aufsatz von Hannah Arendt (1906 – 1975) „Französischer Existenzialismus“ ist bereits 1946 erschienen und bietet so ein zeitnahes Bild des Existenzialismus. Der Aufsatz befasst sich besonders mit Jean-Paul Sartre und Albert Camus. Dieser Aufsatz erscheint in diesem Heft erstmals in deutscher Sprache. Interessant ist, dass eine philosophische Richtung in Gestalt von Literatur erscheint, indem beide als Schriftsteller bzw. Schauspielautoren hervortraten und nicht als wissenschaftliche Philosophen.

Hannah Arendt war Studentin und Mitarbeiterin und zeitweise auch Freundin Martin Heideggers, musste als Jüdin vor dem Nationalsozialismus in die USA fliehen. Dort war sie hauptsächlich als Autorin und Journalistin tätig. So legt sich nahe, dass sie bereits Martin Heidegger mit dem Existenzialismus in Verbindung bringt, was sie aber nicht ausdrücklich formuliert, sondern lediglich andeutet: „Die Bezeichnung (Existenzialismus) stammt aus der modernen deutschen Philosophie, die unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg ein Wiederaufleben erlebte…“ (S. 20)

Hiermit ist sicherlich auch Karl Jaspers gemeint, der, obwohl älter als dieser, als Schüler und Mitarbeiter Heideggers galt. Er musste wegen seiner jüdischen Ehefrau emigrieren. Auf der Infografik von Birthe Mühlhoff wird Jaspers als Teil des Existenzialismus bezeichnet, Heidegger hingegen mit Jaspers zu dessen Vorläufern gerechnet (S. 8+9).

Ein gesonderter Artikel von Peter Trawny, Mitherausgeber einiger Schriften Heideggers und Wuppertaler Heidegger-Forscher, will die Rolle Heideggers in Bezug auf den Existenzialismus klären. Der 1949 erschienene „Brief über den Humanismus“ von Martin Heidegger hingegen bemüht sich eher um Abgrenzung. Er zählt den Existenzialismus zu einer Art Anthropologie oder zum „Humanismus“.

In diesem Zusammenhang ist auch vom Nationalsozialismus die Rede, den Heidegger wohl ebenfalls zumindest zeitweise zum „Humanismus“ gerechnet hat, sich aber nun davon zu distanzieren versucht, ohne dies allerdings kaum ausdrücklich zu thematisieren.

Insofern verliert der Artikel zwar nicht die Grundfragestellung, bezieht sich aber in einigen Textpassagen auf die Frage, ob Martin Heidegger in den Nationalsozialismus integriert war. Heidegger hatte sich schon in der Beschäftigung mit der Phänomenologie als erklärter Gegner des Rationalismus bezeichnet. Dies jedoch schien ihm auch gerade zur Einstellung der Nationalsozialisten geführt zu haben. So schreibt Peter Trawny: „Die frühe Kampfansage gegen den Rationalismus legt den Verdacht nahe, dass Heidegger die von den Nationalsozialisten vorgetragene Verachtung der Vernunft (…) gleichsam entgegengekommen ist. Die mit jener Verachtung verbundene andere Verachtung einer unabhängigen Philosophie behagte Heidegger jedoch keineswegs. Nach einer kurzen Inszenierung als NS-Chefphilosoph knüpfte er wieder an die großen alten Texte der Philosophie an […]“ (S. 38).

Heidegger interessierte sich in der Tat, so meine ich Trawny zu verstehen, weniger für die auch von Karl Jaspers vorgetragene Existenzphilosophie, die er auch durch „Sein und Zeit“ phänomenologisch mitbegründet hat, als für die Bedeutung der Ontologie. Seit der Veröffentlichung der „Schwarzen Hefte“, die Heidegger als philosophisches Tagebuch führte, ist bekannt, dass er nicht als Philosoph der „Existenzphilosophie“ angesehen werden wollte.

Vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Ideologie seien Meinung aufgetreten, die sagten, das Todeskapitel von „Sein und Zeit“ sei geeignet, ein Todesverständnis dergestalt zu fördern, dass die Endlichkeit in den Dienst einer größeren Sache zu stellen sei, wie vom Nationalsozialismus gepredigt. So scheint der weltanschauliche Hintergrund dieser Ideologie auch dort im Denken Heideggers zu schweben, wo dies gar nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist.

Doch hat Heidegger das wirklich selbst beabsichtigt, so frage ich mich? Ist Existenzialismus der Versuch, das Eigentliche des täglichen Lebens zu betonen, wie Heidegger es in „Sein und Zeit“ ausdrückte, so muss das ja nicht zwangsläufig mit dem völkischen Gedanken identifiziert werden. Hat Martin Heidegger zum Ideengeber des Existenzialismus werden können, ohne selbst zum Existenzialisten oder zur Postmoderne zu werden, so lag es eher daran, dass er der „Seinsfrage“ verhaftet war und immer darauf zurückkam.

Peter Trawny kommt zum Schluss auf den Lebensstil zu sprechen, der sich bei Heidegger nicht in Hotels und Cafés abspielte, sondern zurückgezogen in die Idylle der Waldhütte im Schwarzwald. Allerdings schließt Trawny mit folgendem Satz: „In seiner Suche nach einem verlorenen Leben, nach der Existenz, die sich aus täglich erzwungener Zerstreuung in einer Welt der Technik und des Marktes befreit, ist er seinen französischen Nachfolgern doch nah.“ (S. 38)

Vermutlich ist Heidegger im Humanismusbrief, so schließe ich aus den Ausführungen Trawnys, nicht darum bemüht, sich in der Sache zu distanzieren, sondern darum, sich als Individuum vereinnahmen zu lassen. Diese Sichtweise könnte auch seinen Umgang mit dem Nationalsozialismus erklären. Er wollte inhaltliches Interesse signalisieren, hat sich aber nicht vereinnahmen lassen. Auf die Frage des Antisemitismus, der aus manchen seiner Notizen in den so genannten Schwarzen Heften spricht, ist der Autor verständlicherweise nicht eingegangen, da es ja um den Existenzialismus geht. Vielleicht hat er sogar mit den Bemerkungen zu Heideggers Verhältnis zum Nationalsozialismus in diesem Zusammenhang der Frage nach den Wurzeln des Existenzialismus eher zur Verwirrung als zur Klärung beitragen, will man nicht einen Schritt weitergehen und in manchen Verlautbarungen des Nationalsozialismus auch eine Art von Existenzphilosophie sehen, wogegen allerdings Heideggers Ideologiekritik gegen ihn selbst sprechen müsste. Eine der Konsequenzen des Nationalsozialismus müsste daher auch eine völlige Ablehnung jeglicher Ideologie sein, und zwar auch dann, wenn sie im Stil existenzialistisch zu sein scheint. Mir scheint daher der Weg zur Postmoderne konsequenter aus Heideggers Philosophie zu folgen, als der Existenzialismus.

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.