Wozu waren die Juden da? Rezension, Christoph Fleischer, Welver 2018

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Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche, Hörbuch, gelesen von Hans Sigl, Reclam, Stuttgart 2017, SONY Music, Gütersloh 2017, ungekürzte Fassung der Ausgabe Reclam Universal Bibliothek Nr. 1858, 2 CD, Gesamtdauer 2:07:14, Preis: 7,73 Euro (Amazon)

© Sony Music

Die Judenbuche: Warum ist das sechste oder siebte Hörbuch dieser bekannten Novelle der westfälischen Dichterin Annette von Droste-Hülshoff (1797 – 1848) herausgekommen? Die Antwort ergibt sich erst, wenn wir diese Hörbuchausgabe des Reclam-Verlages anhören.

Subjektiv gesagt muss ich mich schämen, den Text bis zur Erfahrung dieses Hörbuchs nie richtig verstanden zu haben, obwohl ich das Buch schon als Schulkind gelesen habe (oder habe ich die Lektüre nicht ganz gelesen?). Vor einiger Zeit habe ich mir schon einmal eine Hörbuchausgabe der „Judenbuche“ angehört. Doch sind wieder Zweifel geblieben.

Es mag ja sein, dass der Mörder dieser Kriminalgeschichte feststeht, doch sind die Indizien immer zugleich wieder verwischt worden. So wird offensichtlich der Mord am jüdischen Geldverleiher Aaron selbst einem Mitglied der jüdischen Gemeinde untergeschoben. Friedrich Mergel selbst hat sich jeglicher Verfolgung entzogen, indem er sich der österreichischen Armee als Söldner verdingte. Am Ende entzieht er sich der völligen Aufklärung der Tat ein zweites Mal, indem er sich an der Judenbuche erhängt. Sein Freund Johannes Niemand, der mit ihm in die türkische Gefangenschaft geraten war und sich daraus durch einen Sprung ins Wasser des Bosporus befreite, erzählte diese Geschichte dem Gutsbesitzer; er war ohne es zu wissen, gleichzeitig mit Friedrich Mergel zurückgekehrt. Mit dem Schlusssatz verweist Annette von Droste-Hülshoff auf eine Botschaft der jüdischen Gemeinde, die diese an dem Baum angebracht hatte, unter der der jüdische Geldverleiher Aaron erschlagen aufgefunden worden war. Die Buche selbst wurde von der jüdischen Gemeinde gekauft und erhielt daraufhin ihren Namen.

Worauf ich hinaus will ist folgendes: Die Aufnahme von Hans Sigl ist dezent, und weiß Pausen zu setzen, wo Annette von Droste-Hülshoff mehr sagen müsste, als sie sagt. Die direkte Rede wird wie im Hörspiel auch als mehr rezitiert als gelesen, so dass die Erzählung wie ein Schauspiel miterlebt werden kann. Die Stimme des Erzählers zielt auf die Lebensumstände, die Ereignisse, die sozialen und religiösen Differenzen und trotzdem verschweigt sie, wie auch Annette von Droste-Hülshoff selbst, die eigentliche Intention. Tritt deshalb die Kriminalgeschichte immer wieder in den Hintergrund zugunsten der Lebensumstände der Landbevölkerung, weil hier mehr als dezent auch auf latenten Antisemitismus hingewiesen wird? Hat die jüdische Gemeinde mit dem Spruch, den sie an der Buche anbringen ließ, nicht auch schon auf eine andere Gerechtigkeit hingewiesen, die eher dem Glauben an Gott entspringt, auch um damit die fehlende Gerechtigkeit im laufenden Verfahren anzuklagen?

Der Sprecher Hans Sigl ist der inneren Absicht der Dichterin auf die Spur gegangen und hat deren roten Faden gefunden.

Die Geschichte findet am Schluss zu der Judenbuche zurück, die am Rand eines ostwestfälischen Dorfes steht und die dem Buch seinen Titel gibt, die so gesehen letztlich doch der Schlüssel zur Deutung dieser Mordgeschichte ist und deren Symbolik heute den Namen Auschwitz trägt.

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Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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