Predigt über Jesaja 5, 1-7 – Weinberglied – Christoph Fleischer, Werl 2012

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2. Sonntag der Passionszeit – Reminiszere

Jesaja 5, 1-7 (Luther-Bibel) – Das Lied vom unfruchtbaren Weinberg

1 Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg.Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. 2 Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte.3 Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg! 4 Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte?5 Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er verwüstet werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde. 6 Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen.7 Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.

Liebe Gemeinde,

dieser Text, den wir gerade gehört haben, klingt sicherlich zunächst ein wenig eigenartig. Vielleicht haben manche auf Anhieb gar nicht alles verstanden. Ich versuche, ein wenig zusammenzufassen:
Zuerst ist die Rede von einem Freund, einem lieben Freund, dann von dessen Weinberg. Zu dem Freund selbst wird dann gar nichts weiter gesagt. Dieser Weinberg lag auf gutem Land. Und es wird genau erklärt, wie man damals einen Weinberg angelegt hat: Die Vorbereitung des Bodens durch das Einsammeln der Steine, das Anpflanzen der Reben,  der Bau eines Turms, wozu sicherlich auch ein Umgrenzung, eine Mauer gehört haben mag. Ein zweites Bauwerk wird in den Berg hineingebaut, ein Keller, eine Kelter. Nun wartete man auf die Ernte, die als sehr gut erwartet wurde. Aber die Erwartung wird enttäuscht, denn der Weinberg bringt nur schlechte Trauben. Der Weinbergbesitzer richtet sich an die Bewohner Jerusalems und will einen Rat. Er fragt: Was soll ich tun? Sein Zorn und seine Wut ist gut herauszuhören. Die Investition war umsonst. Soll er ihn verkaufen oder etwas anderes daraus machen? Nun scheint die Wut, das Gefühl ganz über die Vernunft zu siegen: als müsse der Besitzer an dem Land noch seine Wut auslassen. Erst ganz zum Schluss wird es politisch. Der Weinberg war nur ein Vergleich, ein Gleichnis. Gemeint war von vornherein das Volk Israel. Das Volk selbst ist dieser Weinberg, der Lieblingsgarten Gottes. Die Ernte in diesem Volk aber ist schlecht. Was geschehen wird an diesem Weinberg ist das, was später auch in der Geschichte Israels immer wieder geschah: Zerstörung und Krieg, Flucht und Vertreibung waren die Realität des Volkes in seiner frühen Geschichte und prägt den Namen des Volkes Israels bis heute.

Doch in dieser Predigt soll es nicht um Geschichtsunterricht gehen, wenn auch das Gedenken der Opfer uns immer vor Augen steht. Wir haben gesehen und gehört, wohin Fanatismus und Hass führen können, nicht nur gegenüber dem Volk Israel. Die Richtung, die der Text einschlägt, ist allerdings eine andere. Sie fragt innerhalb des Volkes nach den Gründen für das, was kommen wird und das, was, so heißt es wohl, geschehen musste. Es ist also in ganz anderer Hinsicht unser Bibeltext, denn auch wir sind von Gott erwählte Kinder, nicht nur als Volk, nicht nur als Kirche, sondern auch als einzelne Menschen und zuletzt für die ganze Erde. Wir fragen uns: Wohin führt unsere Geschichte, die in der Beziehung mit Gott begonnen hat?
Wohin führt sie für das Volk Gottes, ja für jedes Volk?
Wohin führt sie für die Kirche, für die Kirchen und Religionen insgesamt?
Wohin führt sie für die Menschen, für jeden und jede auf dieser Erde?
Und wohin führt sie für diese Welt?
Vielleicht sollten wir den Text daher noch einmal hören, vor dem Hintergrund dieser Fragen. Ich habe in der Guten Nachricht Bibel eine Fassung gefunden, die in der Form eines Gedichtes abgefasst ist, als Lied. Man denkt unweigerlich dabei an die gereimten Texte des Karnevals oder des Theaters. Hier ist der Spott noch viel deutlicher. Die Geschichte vom Weinberg wird sofort lebendig:

Auf fruchtbarem Hügel,
da liegt mein Stück Land,
dort hackt ich den Boden
mit eigener Hand;

ich mühte mich ab
und las Felsbrocken auf,
baute Wachtturm und Kelter,
setzte Reben darauf.

Und süße Trauben
erhofft ich zu Recht,
doch was dann im Herbst wuchs,
war sauer und schlecht.

Jerusalems Bürger,
ihr Leute von Juda,
was sagt ihr zum Weinberg,
was tätet denn ihr da?

Die Trauben sind sauer –
entscheidet doch ihr:
War die Pflege zu schlecht?
Liegt die Schuld denn bei mir?

Ich sage euch, Leute,
das tue ich jetzt:
Weg reiß ich die Hecke,
als Schutz einst gesetzt;

zum Weiden solln Schafe
und Rinder hinein!
Und die Mauer ringsum –
die reiße ich ein!

Zertrampelnden Füßen
geb ich ihn preis,
schlecht lohnte mein Weinberg
mir Arbeit und Schweiß!

Ich will nicht mehr hacken,
das Unkraut soll sprießen!
Der Himmel soll ihm
den Regen verschließen!

Der Weinberg des HERRN
seid ihr Israeliten!
Sein Lieblingsgarten,
Juda, seid ihr!

Er hoffte auf Rechtsspruch –
und erntete Rechtsbruch,
statt Liebe und Treue nur Hilfeschreie!
(Quelle: Gute Nachricht Bibel, aus: Jesaja 5, 1-7)

Schon die alten Volkslieder hätten sich nicht überliefert, wenn sie nicht nur Liebe und Treue, sondern auch eben die Probleme und Schwierigkeiten überliefern würden.
Die alten Lieder sind nicht ganz ohne: Passt das Lied „Die Gedanken sind frei“ nicht auch ein wenig?
Lustige Lieder können gut in traurige Situationen passen. Und so könnte ich mir auch das Weinberglied als ein lustiges Lied vorstellen. Es ist dann aber gewiss zum Schluss gar nicht mehr lustig, als die Wendung auf das Volk kommt. Da wird es zum Spottlied, und echt politisch.
Zuerst aber strotzt es vor Schadenfreude und bleibt ganz im Bild des Weinbergs: Was hat sich mein Freund nicht für eine Mühe gegeben, als meinte diesen Weinberg günstig kaufen zu können. Ein Schnäppchen natürlich in vermeintlich guter Lage. Teure Weinstöcke für guten Rotwein musste er kaufen. Und eine Baufirma musste er  beschäftigen, die eine Kelter, also einen Weinkeller in den Fels geschlagen hat. Natürlich wurde das ganze Gelände dann auch noch eingezäunt und mit einem Wachturm versehen. Das ist wirklich witzig, denn bei der Ernte stellte sich heraus, dass dies unnötig war. Es gab nur Herlinge, kleine kümmerlich saure Träubchen. Daraus konnte mein Freund keinen Wein machen. Die Kelter hätte er sich schenken können. Auch der Wachturm und der Zaun waren unnötig, denn hier gab es nichts zu stehlen.
Und jetzt wird der Sänger allerdings ziemlich direkt. Er spricht die Leute von Juda, die um ihn herumstehen direkt an: Wer hat schuld? Der Weingärtner? Oder der Weinberg selbst, sein schlechter Boden und seine Lage?
Der Weinberg kann nur noch als Weide genutzt werden. Mauer und Zaun werden eingerissen, damit die Schafe hinein können. Die brauchen dann nur noch den Rest der Reben abzufressen. Unkraut zu jäten ist jetzt unnötig. Sogar der Himmel wird ihm nun noch den Regen verschließen…
Wir spüren, wie das Lied zum Ende hin immer unrealistischer wird, wie Beispiel um Beispiel zum Lehrgedicht werden: Israel und Juda werden dem Untergang preisgegeben. Und warum dies alles. Was ist der Grund für die schlechte Ernte?
„Er hoffte auf Rechtsspruch und erntete Rechtsbruch.“
Damit ist Gott eben nicht nur der liebe Gott, der den Weinberg erwählt, sondern er ist zugleich der gerechte Gott, der Recht und Gerechtigkeit über alles liebt.
Doch was sagt uns dies alles? Sollen wir uns von dem Frust dieses Liedes auch anstecken lassen oder steckt etwas anderes dahinter?
Das Spottlied lässt sich wie ein Gleichnis lesen. Nicht zuletzt deshalb, wurde es im Neuen Testament erneut erzählt, in jeweils anderen Varianten. Für mich ist es die etwas eigenartige Konsequenz, die darin liegt, den Weinberg zu bestrafen, weil er schlechte Früchte trägt. Sicherlich wird hier das Bild gesprengt, denn diese Aussage gilt dem Volk Israel und seinen Oberen. Denen, die sich längst an Korruption und Unrecht gewöhnt haben und für die, wenn es zum Urteil kommt, sowie doch alles verjährt ist. Es geht also nicht um den Weinberg, sondern um das Volk, die Kirche die Menschen und die Welt.
Doch was ist mit dem unguten Gefühl, das uns beschleicht, wenn wir hören, dass der Weinberg bestraft werden soll. Geht es nicht anders, so fragen wir uns? Gehört dieser Hass und Autoritätsglaube nicht auch immer zu dem System, das dann wieder zu Rechtsbruch und Ungerechtigkeit geführt hat. Es geht auch letztlich heute nicht zuerst um den Rechtsbruch, denn wir sind ja nicht im Gericht, sondern es geht um die Frage nach Zukunft des Volkes, der Kirche, der Menschen und der Erde.
Was wird aus Gottes Weinberg werden, wenn wir so weitermachen, wie bisher? Welche Zukunft haben wir zu erwarten – von Gott – überhaupt?

Diese Frage bleibt im Raum stehen und soll nicht beantwortet werden, da wir sie nur selbst durch unser Leben beantworten können.

Eins aber muss gesagt werden: Das Lied vom Weinberg ist nicht das letzte Wort.
Zwischen uns und diesem Text steht das Kreuz von Golgatha und seine Botschaft von Kreuz und Auferstehung. Gottes Liebe zu seinem Weinberg ist größer als das Weinberglied glauben machen will.
Ja, Gott ist ein Gott der Gerechtigkeit. Diese Botschaft möchte ich dem Lied entnehmen. Aber der Urteilsspruch ist kein endgültiges Urteil, sondern will aufrütteln und zur Umkehr mahnen.
Und damit ist dieser Text in der Fastenzeit richtig. Es geht darum, dass wir uns darauf besinnen, womit wir für die Ernte des Wortes Gottes sorgen können, womit unser Leben ein Teil des Weinberges ist. Und alle Frustration und allen Ärger über so manche Vergeblichkeit wollen wir doch hinaus schreien und auch aussprechen dürfen. Vielleicht sollten auch wir mal wieder ein solches Lied schreiben dürfen: Ärger benennen, Frust aussprechen, Klartext reden, aber nicht im Sinn von Aufhetzung und von Hass. Erst Recht nicht im Sinn von Vorurteilen gegenüber Menschen, die hiermit doch am allerwenigsten zu tun haben.
Vom Glauben an Jesus Christus her entnehme ich dann die Gewissheit, dass Gottes Wege unergründlich sind, auch dort, wo sie zuerst zu Ende gehen. Gott behält das Wort seiner Verheißung im Gedächtnis und vergisst seine Zusagen nicht.
Und so kommt zur Reue auch die Umkehr, denn wir werden mit offenen Armen empfangen. Das heißt nicht, dass uns das wirkliche und erfahrene Unrecht nicht auch zornig machen kann. Doch was nützt es anderen, wenn wir nur im Ärger und im Zorn leben. Wir sollten uns gerade dann gegen den Wortlaut dieses Liedes wenden und sagen: Gott wird seinen Weinberg zu gegebener Zeit wieder aufbauen. Mit uns, durch uns, und wenn es sein muss, auch gegen uns, aber auf jeden fall für uns und seine Schöpfung.
Amen.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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