Zitate christlicher Eremiten neu ins Gespräch bringen, Rezension von Konrad Schrieder, Hamm 2019

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zu: Anselm Grün: Jeder Tag ein neuer Anfang. Weisheit der Wüstenväter für das ganze Jahr, Vier-Türme-Verlag, Münsterschwarzach 2018, ISBN 978-3-7365-0153-9, 415 S., € 24,00.

Anselm Grün ist mit mittlerweile über 200 Titeln der Popstar unter den deutschsprachigen Autoren spiritueller Literatur. Sein neues Buch „Jeder Tag ein neuer Anfang“ ist ein spiritueller Wegbegleiter für alle Tage des Jahres. Die Besonderheit darin ist, dass er jedem Abschnitt einen Ausspruch aus den Sammlungen der Sprüche ägyptischer (und syrischer) Wüstenväter der ersten vier Jahrhunderte voranstellt. Eine kurze Auslegung dient dazu, die Texte jeweils zu aktualisieren und in unsere heutige Zeit zu übersetzen.

Schon länger haben solche Textsammlungen mit oft skurrilen und schwer verständlichen Aussprüchen von Wüstenmönche Eingang in das allgemeine Literaturspektrum gefunden, in denen die Kämpfe und Anfechtungen der Einsiedler in der ägyptischen Wüste thematisiert und verarbeitet werden. So wurden die Anachoreten zu Ratgebern, die den Weg zu sich selbst und zu Gott und damit Antworten auf die Frage nach einem guten und glückseligen Leben gefunden hatten. In einer wahren Massenbewegung zogen damals Menschen aus ihren Dörfern und Städten in die Wüste, um ihre Lebensfragen zu stellen und seelsorgerliche Impulse für eine christliche Lebensführung zu erfahren.

Dass die Väter- und übrigens auch Müttersprüche eine Bedeutung für die geistliche Begleitung von Menschen haben, die in einer geistlichen und Ordensgemeinschaft leben, ist nachvollziehbar. Die Frage ist, ob eine auf einem monastischen Lebensentwurf fußende Spiritualität auch etwas dem modernen Menschen in seinen vielfältigen Lebensformen und Lebensbezügen zu sagen hat.

Der Autor nimmt ernst, dass Menschen auch heute auf der Suche nach einem erfüllten Leben sind und bietet Impulse für eine christliche Lebensführung. Dabei zeigt sich eine erstaunliche Themenvielfalt vom Umgang mit eigenen Schwächen, mit unreinen Gedanken und Versuchungen, mit Sexualität, mit Zorn, Unmut, Stolz, Geiz, Geldgier, Kaufzwang und Luxus, aber auch der Angst vor Krankheit und dem Altern. Dazwischen finden sich Appelle, den Wert des Gebetes, des Schweigens und Hörens zu entdecken, Maß zu halten und nicht zu richten, sondern auf die eigenen Unzulänglichkeiten zu sehen und zu vergeben.

Dabei werden der Glaube und seine Früchte nicht als Leistung verstanden, sondern als eine Gabe Gottes, das eine vom andern zu unterscheiden. Immer wieder wird Gottes Barmherzigkeit und Vergebungsbereitschaft betont, die allem menschlichen Sein und Handeln vorausgeht, was aus den Texten der Väter erhellt.

Mit dieser Neuerscheinung möchte Anselm Grün die Leserin und den Leser zu einem geistlichen Weg anleiten, auf dem er durch Meditation und Reflexion fortschreiten kann. Dadurch, dass viele Väterzitate Bibelstellen enthalten wird immer wieder bewusst, dass es sich dabei um Nachfolge Christi handelt. Begriffsetymologien verdeutlichen menschliches Handeln und eine zugrunde liegende Haltung, indem sie auf die ursprüngliche Bedeutung zurückgreifen, wenn es etwa zum 23. Juli heißt: „Das deutsche Wort ‚sanft‘ kommt von ‚sammeln‘. Der Sanftmütige hat den Mut, alles in sich zu sammeln, es anzunehmen und es mit einem gütigen Auge anzuschauen. Das befähigt ihn, anderen gegenüber sanftmütig zu sein.“ (237).

Viele Themen davon ziehen sich als Schwerpunktsetzungen durch einzelne Monate, was besonders bei den Sachverhalten der Geldgier (Mai) und des Stolzes (November) als zu dicht empfunden werden kann. Der Autor möchte wachrütteln, aber ist das Menschen, die am Rande des Existenzminimums leben oder Rentnern, die ein kleines Auskommen haben, eine wirkliche Hilfe?

Weiter findet sich die Übernahme und ein unbefangener Gebrauch von Begriffen wie Dämonen, Sünde oder Demut (31.7.), die nicht mehr selbstverständlich von jedem inhaltlich gefüllt und verstanden werden können. Damit geht der Autor einen anderen Weg als Dietrich Bonhoeffer mit seiner Forderung nach einer religionslosen Interpretation des Christentums.

Damit sind die Grenzen dieses etwas anderen Interpretationsversuchs benannt. Manchen kann es reizen, in die exotisch-antike Welt der Wüstenväter einzutauchen und sich mit den teilweise sperrigen lebensbezogenen Themen auseinanderzusetzen, vielleicht auch einmal daran zu reiben. Mit dem Gedanken eines spirituellen Weges findet sich durchaus eine ernstzunehmende Alternative zu einem Werteverfall und einem vielfach schnelllebigen und oberflächlichen Leben, in dem keine Zeit mehr für Selbstreflexion und Meditation und somit auch kein Raum für eine bewusste und gewollte Kurskorrektur verbleiben. Für Menschen, die, durch einen christlichen Hintergrund geprägt, dies suchen, bietet das Buch einen reichen Schatz. Es wäre zu wünschen, dass es einen breiteren Leserkreis erreichen würde.

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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