Nietzsches Archiv, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2019

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Nietzsches Nachlass, Schätze aus dem Goethe- und Schiller-Archiv, Band 2, Bearbeitet von Martina Fischer, Thomas Föhl und Bernhard Fischer, Weimarer Verlagsgesellschaft im Verlagshaus Römerweg, Wiesbaden 2014 (Neuauflage 2020 in Vorbereitung), Französische Broschur, farbig illustriert, 88 Seiten, ISBN: 978-3-7374-0215-6, Preis: 14,90 Euro (ab Februar 2020)

Link:

https://www.verlagshaus-roemerweg.de/Weimarer_Verlagsgesellschaft/Martina_Fischer-Thomas_Foehl-Bernhard_Fischer-Nietzsches_Nachlass-EAN:9783737402156.html

Das Buch begleitet(e) eine Kabinettausstellung der im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar verwahrten Teile des Friedrich-Nietzsche-Archivs. Das Archiv wurde noch zu Lebzeiten Friedrich Nietzsches in der Phase seiner schweren Gehirnerkrankung aufgebaut und nach einem Anfang im Haus der Mutter in Naumburg nach Weimar gebracht. Es blieb bis 1945 im dafür erworbenen „Haus Silberblick“ in dem seine Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche, inzwischen verwitwet aus Paraguay zurückgekehrt, nicht nur den kranken Philosophen pflegte, sondern auch mit einigen Mitarbeitern die Schriften herausgab und den Nachlass erforschte.

Die Finanzierung erfolgte nicht nur durch den Verkauf der Schriften Nietzsches, sondern auch durch Geldgeber wie den hier besonders genannten „schwedischen Bankier und Unternehmer Ernest Thiel“. Aber auch die Biografien, die Elisabeth Förster-Nietzsche verfasst hatte, brachten einige Einnahmen.

Neben dem Text-, Manuskript- und Briefbestand, Notizhefte und Entwürfe, gehören dazu auch einige Bilder, Fotografien, eine Büste, die Totenmaske und die auf dem Buchtitel gezeigte Schreibmaschine, von Nietzsche selbst liebevoll „Schreibkugel“ genannt.

Für die Lektüre des Buches ist es empfehlenswert, zuerst einen Blick in den tabellarischen Lebenslauf zu werfen, der als letztes Kapitel des Buchs zum Literaturverzeichnis überleitet. Der Lebenslauf wird ergänzt durch die Abbildung der Totenmaske Nietzsches mit einer kurzen Erläuterung ihrer Entstehungsgeschichte.

Der große Vorteil einer musealen Präsentation über die Arbeit des philosophischen Schriftstellers ist, dass sein Werk nicht von der Endproduktion, dem fertigen Buch zu bewerten ist, sondern auch die Vorstufen der Entstehung dargestellt werden, meist exemplarisch. Hier ist nicht nur die Textgeschichte, sondern sind auch die persönlichen Umstände dokumentiert. Ein Aphorismus wird vom ersten Notat in einem kleinen Notizbuch bis zur Endgestalt begleitet. Später wird an konkreten Beispielen gezeigt, dass Elisabeth Förster-Nietzsche in ihren Zweitschriften der Briefe seines Bruders durch Weglassungen und Hinzufügungen oft einen völlig neuen Text hat entstehen lassen.

Aus den Inhalten der Schriften Friedrich Nietzsches werden drei Themen herausgestellt, die besondere biografische Bedeutung haben: Die Rolle Richard Wagners in Zustimmung und Abgrenzung, die „Umwerthung aller Werte“ als Ziel seiner letzten Schriften und die „Ewige Wiederkehr des Gleichen“ als ein Hauptmotiv seiner Schrift „Also sprach Zarathustra“.

Zuletzt möchte ich einige Sätze aus dem Kapitel „Umwerthung aller Werte“ zitieren, die m. E. sehr gut die inhaltliche Intention Nietzsche charakterisieren:

„An die Stelle jeglicher positiven Lehre trat die unbedingte ‚Ehrlichkeit‘ und ‚Wahrhaftigkeit‘, an die Stelle eines kohärenten, geschlossenen Systems philosophischer Sätze eine an einzelnen Beobachtungen und Bemerkungen immer neu ansetzende kritische Reflexion […] Die zersetzende Kritik einer sich radikalisierenden und dabei immer auch gegen die eigenen geheimen Gewohnheitssuppositionen richtenden Aufklärung war Teil einer Philosophie der Wahrhaftigkeit und der immer aufmerksamen und permanenten Auffindung und Destruktion von falschen Gültigkeitsansprüchen und Evidenzillusionen.“ (S. 47)

Vielleicht kann man es so zusammenfassen: Durch die exemplarische Darstellung verschiedener Formen des Lebens und Arbeitens wird die Person Friedrich Nietzsche stärker präsent, als die reine Lektüre seiner Schriften oder auch der Sekundärliteratur dieses leisten kann. Weiterhin wird indirekt deutlich, dass durch die verschiedenen historischen Faktoren das Nietzsche Archiv erst seit 1989 frei zugänglich ist, ein recht kurzer Zeitraum von 30 Jahren. Die Arbeit an Nietzsches Nachlass hat sozusagen gerade erst begonnen. Zu erwähnen ist hier allerdings auch der Bestand des Nachlasses, der sich bei seinem Freund und Kollegen Franz Overbeck befand und von diesem der Baseler Universitätsbibliothek übereignet wurde. Der gesamte Bücherbestand Nietzsches, mit allen Randnotizen befindet sich auch in Weimar, ist jedoch Teil der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, da 1949 der Archivbestand aufgeteilt wurde und das eigentliche Nietzsche-Archiv selbst offiziell nicht mehr bestand, da es als Institution in den Nationalsozialismus involviert war.

Hinweis: Hier geht es zum Online-Stöbern im Nietzsche Archiv: http://www.nietzschesource.org

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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