Die sieben Worte Jesu am Kreuz, zweite Predigt, Erhard Lay, Herzogenrath 2020

Print Friendly, PDF & Email

Herzogenrather Passionspredigten in der Markuskirche 2020, 2. Predigt

 

Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein    Lk 23,43

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Die 2. Predigt in unserer Passionspredigtreihe befasst sich mit dem Wort Jesu, das da lautet: „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“

 

Bei der Vorbereitung dieser Predigt drängte sich mir plötzlich die Erinnerung an eine Videoszene in den Nachrichten aus dem Jahr 2015 auf, die zeigte, wie eine Gruppe von 21 Männern aus Ägypten, koptische Christen, an einem Strand in Libyen aufgestellt wurden, jeweils ihr Henker vom sog. Islamischen Staat mit dem Messer in der Hand hinter ihnen. Das Video, das im Internet verbreitet wurde, hatte den Titel: „Eine in Blut geschriebene Nachricht an die Nation des Kreuzes.“

 

Mir stellte sich die Frage, was es für mich bedeutet hätte, wenn ich dort hätte stehen müssen und der Mitchrist neben mir dieses Bibelwort zu mir herübergerufen hätte.

 

Natürlich sind die beiden Situationen nicht voll vergleichbar. Die Männer in Libyen wurden nicht wegen Verbrechen getötet, sondern einfach nur wegen ihres Glaubens. Und es war nicht Jesus, der ihnen seine Gemeinschaft in Gottes Reich versprochen hatte. Aber ihre Gefühlslage war ähnlich wie bei den Männern an den Kreuzen auf Golgatha. Und unser Gemüt wird durch dadurch auch nicht unberührt bleiben.

 

Wenden wir uns also dem zu, in welcher Situation Jesus diese Worte nach Lukas sagt. Wir haben die Geschichte eben in der Lesung schon gehört. Die Kreuzigung von drei Verurteilten hatte bereits stattgefunden. Es war Brauch bei den Römern, wenn es sich anbot, mehrere Delinquenten gleichzeitig zu kreuzigen, in einem Aufwasch sozusagen. Zwei Übeltäter und Jesus in der Mitte. Was die beiden anderen verbrochen hatten, beschreibt Lukas nicht, Markus und Matthäus nennen die beiden Räuber, Johannes lässt eine nähere Bezeichnung weg.

Einer lästerte mit den Schaulustigen und rief zu Jesus herüber: „Bist du nicht der Christus (also der Gesalbte Gottes)? Hilf dir selbst und uns!“ Dieser Gekreuzigte versucht, seine ausweglose und sehr schmerzhafte Lage durch Verhöhnung eines Leidensgenossen für sich selbst erträglicher zu machen. Von Einsicht in Schuld, geschweige denn von Buße, ist nichts zu erkennen.

 

Der Andere reagiert ganz anders. „Fürchtest du nicht einmal Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist?“ Er erkennt seine Schuld an – „wir empfangen, was unsere Taten verdienen“ – und nimmt Jesus in Schutz: „Er hat nichts Unrechtes getan.“ Dieser bekennt seine Schuld, sein verfehltes Leben und bittet Jesus: „Gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst.“ Für ihn ist klar, dass nach dem Tod noch was kommt. Und er glaubt auch, dass es für das Kommende verschiedene Möglichkeiten gibt. Zumindest das Totenreich nach jüdischer Vorstellung (Scheol). Aber er glaubt auch an einen guten Ort, an den Jesus geht.

 

Man kann die Reaktion der beiden anderen Gekreuzigten auch so kurz zusammenfassen: der erste will Befreiung vom Kreuz. Er möchte nicht so und am besten nicht jetzt sterben. Der zweite will Befreiung durch das Kreuz. Mit dem Sterben am Kreuz will er die Erlösung von seiner Schuld und damit die Teilhabe an der Gemeinschaft mit Jesus in dessen Reich, also in dessen Herrschaftsbereich, dort wo alles Leiden beendet ist und nur noch Frieden und Gutes herrscht.

 

Und Jesus antwortet für den 1. negativ, für den 2. positiv. Negativ deshalb, weil dem 1. die Antwort Jesu gar nichts bringt. Er will jetzt vom Kreuz herab und sein Leben weiterführen. Als nicht Glaubender gibt es jetzt keine Hoffnung mehr, das angebliche Reich Jesu bringt ihm nichts.

 

Für den 2. Ist die Antwort ungeheuer positiv. Lasst uns diese Antwort näher ansehen. „Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“  – Ich möchte diese Aussage unter der Überschrift der drei Begriffe „Amen“, „Paradies“ und „heute“ näher betrachten.

1. Amen

Amen ist ein Bekräftigungswort. Wir beenden ein Gebet damit und drücken aus: „Ja, so ist es!“. Jesus beginnt seine Aussage damit und betont: „Was ich jetzt sage, ist wahr und gewiss.“ „Amen“ steht auch im griechischen Urtext. Luther übersetzt: „Wahrlich, ich sage dir:“ Das hat in der Situation des Sterbens, ja des furchtbaren Sterbens, das bei Jesus etwa sechs Stunden gedauert hat, eine gewaltige Bedeutung, das die Vollmacht Jesu aussagt. Er sagt seinem Nachbarn am Kreuz: „Das ist wahr, was ich dir sage. Darauf kannst du dich verlassen, auf immer und ewig.“

 

2. Paradies

Paradiesversprechen kennt der heutige Mensch bei uns eher aus der Werbung, vor allem im Zusammenhang mit Urlaub. Gerade jetzt in dieser trüben, nassen und kalten Jahreszeit zieht es viele in sonnigere Gefilde mit türkisblauem Meer, herrlichem Sand am Strand, Palmen, exotischen Früchten und warmen Temperaturen. Nebenbei gesagt ist es in diesen Gefilden für die einfache Bevölkerung oft gar nicht so paradiesisch, dort zu leben.

 

Aber Jesu Reich ist bekanntlich nicht von dieser Welt. Das Paradies, das er diesem Menschen, der an ihn glaubt, verspricht, ist kein höheres Schlaraffenland, wo ihm die Tauben in den Mund fliegen. Dieses Paradies, von dem Jesus spricht, ist das genaue Gegenteil der Hinrichtungsstätte Golgatha. Der Begriff kommt aus dem Persischen und meint einen Garten oder einen Park. Das lässt uns an den Garten Eden denken aus der Urgeschichte, wo von den beiden Menschen Adam und Eva die Rede ist, die in Gemeinschaft mit Gott in einem Paradiesgarten leben und keine Probleme kennen, außer dass sie nicht vom Baum der Erkenntnis und vom Baum des Lebens essen dürfen. Das heißt, platt gesagt: sie dürfen nicht alles wissen und damit nicht sein wie Gott. Und sie dürfen nicht ewig leben.

 

Aber so gegenständlich wie diese Geschichte aus der Urzeit des Menschen ist die Paradiesverheißung Jesu an den Menschen neben ihm nicht zu verstehen. Hier geht es um Geborgenheit und Gemeinschaft oder besser um Geborgenheit in der Gemeinschaft mit Gott. Leben in Gottes Nähe auf ewig. Diese Nähe ist gekennzeichnet durch Liebe und die Prophezeiungen, die wir in Offenbarung 21 lesen können. Ein wunderschöner Text, den wir in unseren Gottesdiensten meist am Ewigkeitssonntag hören. Dort wird das neue Jerusalem beschrieben, das Gott schaffen wird. Dort wird Gott bei den Menschen wohnen. Er wird alle Tränen abwischen von ihren Augen, die sie vergossen haben durch Leid, Krankheit, Tod, Elend, Krieg, Flucht, Gewalt und Unterdrückung. Denn das alles wird es nicht mehr geben im Reich Gottes: nicht Leid, nicht Geschrei noch Schmerz. Auch der Tod wird nicht mehr sein.

 

Alles, was der Todeskandidat jetzt erlebt, und was durch ihn andere Menschen erleben mussten – das muss dazugesagt werden – wird es nicht mehr geben, wenn er durch das Kreuz Jesu befreit wurde. Das wird ihm zugesagt. „Mit mir“ sagt Jesus. Eine engere Gemeinschaft gibt es nicht.

Lukas nimmt dem Tod nicht seinen Schrecken. Aber es wird auch der Weg ins Paradies gezeigt. Gottes Wege führen ins Licht auch durch den Tod hindurch in die Geborgenheit in Gottes Liebe.

 

Wie kommt Jesus dazu, dem „Übeltäter“ eine solche Zusage zu machen? Weil er sich ihm anvertraut. Weil er erkennt, dass Jesus für ihn die Rettung ist. Er bekennt sich schuldig und will durch das Kreuz hindurch die Gemeinschaft mit Jesus. Die Lebensgemeinschaft in den wenigen grausamen Stunden auf Golgatha und dann im Reich Gottes in der Ewigkeit. Jesus sagt in Johannes 6, 47: „Wer glaubt, der hat das ewige Leben.“ Und im 2. Kapitel der Offenbarung wird in Vers 7 Bezug genommen auf die Urgeschichte von vorhin. Dort heißt es: „Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Baum des Lebens, der im Paradies Gottes ist.“

 

In diesem Sinne sind wir alle Adam oder Eva. „Sein werden wie Gott“ wird nicht klappen. Aber wissen, was gut und böse ist, das zeigt uns Gottes Wort. Und vom Baum des Lebens zu essen, um ewiges Leben zu haben, das wird dem Glaubenden zugesagt.

 

Befreit, erlöst durch das Kreuz, für den „Übeltäter“ durch das Kreuz Jesu. „Für mich hätte Jesus nicht am Kreuz sterben müssen“, so sagen viele Zeitgenossen, auch Christinnen und Christen. Dann ist davon die Rede, dass doch ein solch rachsüchtiger und grausamer Gott nicht in das Bild vom liebenden Gott passt.

 

Wer in einer Gesellschaft lebt, in der Menschenrechte gelten und die Todesstrafe abgeschafft ist, hat da seine Verständnisschwierigkeiten. Das ist vollkommen klar und wir sollten Gott dankbar sein, dass wir in einer solchen Gesellschaft leben dürfen. Die Menschen zur Zeit Jesu hatten diese Verständnisschwierigkeiten nicht. Gott hat genau in ihre Situation, in ihre religiöse Kultur gesprochen. Am Jom-Kippur-Tag, am großen Versöhnungstag, wurden einem Ziegenbock alle Sünden des Volkes Israel symbolisch auf den Rücken geladen. Dann wurde dieser Sündenbock in die Wüste gejagt und die Sünden des Volkes waren weg und verschwunden. Sie merken es, wie so vieles aus der Bibel in unseren Sprachgebrauch übergegangen ist. „Jemanden zum Sündenbock machen“, „jemanden in die Wüste schicken“. Das nur nebenbei.

 

Dieser Stellvertretergedanke spielt beim Kreuzestod Jesu eine Rolle. Gott opfert sich, damit Menschen nicht opfern müssen. Das haben die Menschen damals verstanden. Damit konnten sie von der Botschaft der Versöhnung mit Gott erreicht werden. Wenn diese Vorstellung heute nicht mehr in das Denken vieler Menschen passt, muss der Wesenskern dieser Botschaft nicht auch gleich aufgegeben und gestrichen werden.

 

Es geht doch darum, dass Gott die Trennung zwischen sich und dem Menschen aufheben will, die durch die Sünde – die Abwendung des Menschen von Gott – entsteht. Dafür geht er sichtbar in Gestalt seines Sohnes Jesus in den Tod und zeigt damit die größte Liebe, die man einem Menschen zeigen kann. Genau das ist beim zweiten Übeltäter passiert. Er ist in der letzten kleinen Spanne seines Lebens umgekehrt und hat sich Jesus zugewandt.

 

„Es ist selten zu früh und nie zu spät“, heißt es in einer anderen Version des Sprichworts. Er hat die letzte Chance genutzt. Der andere Übeltäter nicht. Er hat verzichtet, ist innerlich bei seinem bisherigen Leben geblieben. Manche Ausleger meinen, dass es sich bei den Übertätern um Zeloten gehandelt habe, die die römische Besatzungsmacht bekämpft haben. In diesem Fall hätte der erste evtl. an seiner Vorstellung festgehalten, dass nur derjenige der Messias sein kann, der die Römer aus dem jüdischen Land vertreibt. So ist er in dem Unfrieden gestorben, in dem er gelebt hat.

 

3. Heute

Ist das so entscheidend, ob der Angesprochene heute oder morgen mit Jesus im Paradies ist? Ja, es ist immer noch für manche Christinnen und Christen eine offene Frage, gerade im Zusammenhang eines Todesfalles, was nach dem Tod geschieht, zumal in der evang. Theologie die strikte Trennung von Leib und Seele als Vorstellung der griechischen Antike eher abgelehnt wird.  Man geht weitgehend von einem Sterben des Leibes mit der Seele aus und denkt an eine Neuschöpfung am Ende der Zeit, am sog. Jüngsten Tag, wie es bildhalft durch das vorhin genannte „neue Jerusalem“ in Offenbarung 21 beschrieben wird. Damit ist die Frage des Zwischenzustandes zwischen Tod und Auferstehung/Neuschöpfung nicht erklärt. Bei Beerdigungsansprachen werden als Deutungsansatz meistens Formulierungen wie „die/der Verstorbene ist in Gottes Hand aufgehoben“ o. ä. verwendet.

 

Ein großer Unterschied ergibt sich aus der Entscheidung, wo der Doppelpunkt gesetzt wird. Heißt es: „Ich sage dir: heute wirst du mit mir im Paradies sein.“?

Oder: „Ich sage dir heute: du wirst mit mir im Paradies sein.“? Der Blick in den griechisch verfassten Urtext hilft auch nicht besonders weiter, weil dieser ohne Zeichensetzung geschrieben wurde. Dort steht es genauso, wie wir es in der Luther-Bibel, in der Züricher, im Perikopenbuch der EKD und in der kath. Einheitsübersetzung lesen. Und der Doppelpunkt ist in diesen und anderen Ausgaben hinter „dir“ und vor „heute“ gesetzt. So bleibt es also bei der Aussage, dass Jesus heute, also am Todestag mit dem Leidensgenossen ins Paradies eingehen wird.

 

Es wird immer schwierig, wenn man mit menschlichen Vorstellungen Gottes Wesen und hier seinen Terminkalender erklären will. Gott ist nicht mit unserer Zeitvorstellung zu erfassen. Ewigkeit kann man nicht einfach durch eine endlose Verlängerung des Zeitstahles auf einem Blatt Papier nach rechts darstellen. Ewigkeit umfasst auch unsere Zeit. Wir sind sozusagen eingebettet in die Ewigkeit. In Offenbarung 10, 6 steht: „Es soll hinfort keine Zeit mehr sein.“ Manche Ausleger erklären sich diese Problematik auch so, dass sie sagen: Wenn der Verstorbene unsere Zeit verlässt und in die Zeit Gottes eintritt, ist Todeszeitpunkt und Jüngster Tag für ihn ein Zeitpunkt, weil die menschliche Zeitrechnung keine Rolle mehr spielt.

 

Jesus hält sich an solchen Überlegungen nicht auf. Seine Botschaft lautet: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Das Heute ist wichtig. Heute hat der Übeltäter seine Lebensrichtung geändert und hat sich nach Jesus ausgerichtet und hat das Beziehungsangebot von Jesus angenommen. Das ist das Entscheidende für seinen Ort in der Ewigkeit, jetzt in seiner letzten Stunde und danach.

 

Ich möchte schließen mit einem Blick auf einen Menschen, der diese Beziehung außergewöhnlich gelebt und auch so gestorben ist – Dietrich Bonhoeffer. Der Lagerarzt des Konzentrationslagers Flossenbürg beschreibt seine Begegnung mit Dietrich Bonhoeffer in den letzten Stunden seines Lebens. Ich lese Ihnen auszugsweise daraus vor: „Durch die halbgeöffnete Tür… sah ich Pastor Bonhoeffer in innigem Gebet mit seinem Herrgott knien. Die hingebungsvolle und erhörungsgewisse Art des Gebetes dieses außerordentlich sympathischen Mannes hat mich auf das Tiefste erschüttert. Auch an der Richtstätte selbst verrichtete er noch ein kurzes Gebet und bestieg dann mutig und gefasst die Treppe zum Galgen. Der Tod erfolgte nach wenigen Sekunden. Ich habe in meiner fast 50jährigen ärztlichen Tätigkeit kaum je einen Mann so gottergeben sterben sehen.“

 

Die letzten Worte von Dietrich Bonhoeffer sind von einem gefangenen englischen Offizier namens Payne Best überliefert. Zu ihm sagte Bonhoeffer zwei Tage vor seiner Hinrichtung: „Das ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens.“ – Amen.

 

Erhard Lay (Erhard Lay ist Prädikant, ehemaliger Schulleiter des Berufskollegs in Herzogenrath mit den Fächern Wirtschaft und Ev. Religion, langjähriger Presbyter und berufenes Mitglied der Kreissynode.)

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.