Von Gott verlassen? Predigtreihe Passionspredigten Herzogenrath, Renate Fischer-Bausch

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Herzogenrath Passionspredigtreihe in der Markuskirche 2020

 „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“  (Markus 15,34)

Sonntag Lätare, 22. März 2020

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen Amen

Liebe Gemeinde,

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“  Markus 15,34

Aufschreckend und todesmutig, laut geschrien und hörbar ist dieses – eines von sieben Worten, die Jesus gesagt haben soll, als er ans Kreuz genagelt war. Markus, einer der ältesten von denen, die von Jesus als Gottessohn – von seinen Worten, Taten und von seinem Sterben und Auferstehen in einem Evangelium erzählt haben, hat uns dieses Wort als eines der letzten Worte Jesu am Kreuz so überliefert: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“…

Jesus hängt am Kreuz, ein quälendes  Stück über dem Boden erhöht, so dass die Füße keinen Raum mehr haben, Schritte zu tun – die Hände /die Handgelenke sind ihm gebunden und übereinander gelegt –  die Füße. Nägel sind hindurchgetrieben. Ein unbeschreiblicher Schmerz durchzieht den ganzen Menschen – steigert sich – alles wird zur Qual von Kopf bis Fuß, in den Händen und Armen – der Atem wird knapp, der Kreislauf versagt allmählich – es ist ein elendes  Leiden – ein über Stunden dauerndes, stundenlanges Sterben.

Es ist ein Sterben, das von Schuld herkommt, das andere so für Jesus herbeigeführt  haben durch unsolidarisches Verhalten, Verrat, Auslieferung, Verleugnung, Nicht-Verhindern, Verurteilen, Vollstrecken.

Es ist ein Sterben, bei dem den nächsten Angehörigen das  Dabeisein verwehrt wurde, bei dem andere, Außenstehende  dem Sterbenden zusehen: gleichgültig, seine Kleidung bereits verlosend, auf seinen Besitz bedacht.

Argwöhnisch, mit lieblosem Blick wird der sterbende Jesus bewacht, sein Schwächer –Werden wird verhöhnt, sein sich Dahingeben ohne Gewalt – verspottet.

Auf der Hinrichtungsstätte, der Schädelstätte Golgatha in den Schmerz, in die Angst vor dem Tod getrieben, in die Verzweiflung über die Endlichkeit und Vergänglichkeit allen Wirkens – so hängt Jesus am Kreuz. Da ist keiner, der Anteil nimmt oder helfend eingreift, … im Gegenteil:

Schaulustig gehen die, die da sind, auf Abstand, halten Distanz – sehen und hören, was sie sehen und hören wollen: einen Sterbenden, einen der aufgibt und das, wofür er gelebt hat.??

Was ist das für ein Sohn Gottes, der ein solches Ende nimmt? So etwas kann doch keinem Gott widerfahren?!

Am Kreuz Jesu scheitert jede traditionelle Vorstellung von Gott…..

So fragen wir auch: Was ist mit Gott, der, als Johannes, der Täufer am Jordan Jesus taufte, sich doch  hörbar gemacht hat,  mit den Worten: „Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich  Wohlgefallen…“

Was ist mit Gott, von dem Jesus mit Vollmacht  geredet hat, dass er  Leben  für uns bereithält?  Was ist mit Gott, in dessen Namen Jesus Naturgewalten beherrschte und mit dessen Kraft er Kranke heilte?

Der Vater und der Sohn? –  Sie sind doch eins! –  Gott ist uns in Jesus menschlich nahegekommen, da gibt es diese wunderbare Übereinstimmung, diese Untrennbarkeit, diese einzigartige Gemeinschaft von beiden. Was ist damit – am Kreuz?

Jesus ist der, der in Gleichnissen, in Worten und Taten von Gott und seiner Liebe zu uns Menschen erzählt hat, ja, der  mit seinem Leben gezeigt hat, was Liebe ist.

Jesus ist der, der uns einlädt, darauf zu vertrauen, dass wir von Gott Hilfe, Beistand und Trost erwarten dürfen. Er hat uns Gott vor Augen gestellt als den guten Hirten, von dem der Glaubende, Betende hoffnungsvoll sagen kann: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal – im Tal der Todesschatten –  ich fürchte kein Unglück; denn du bist bei mir.“

Immanuel Kant (1724–1804), einer der bedeutendsten deutschen Philosophen, schrieb dazu: „Ich habe in meinem Leben viel kluge und gute Bücher gelesen. Aber ich habe in ihnen allen nichts gefunden, was mein Herz so still und froh gemacht hätte, wie die vier Worte aus dem 23. Psalm: ‚Du bist bei mir!’

Aber: Hier, auf  dem Kreuzeshügel,  auf  Golgatha,  ist Jesus mit all seiner Qual auf dem Gipfel des Alleinseins und der Einsamkeit angelangt: ausgeliefert, anderen Mächten und Gewalten ausgehändigt, so hängt Jesus am Kreuz, und er leidet.

Keiner seiner Freunde, kein Jünger ist da, der in seiner Nähe, bei ihm ist, keiner der mitleidet, keiner, der ihm Gutes zuspricht, Hilfe anbietet, seine Schmerzen lindert, oder das Sterben erleichtern würde… es dauert und dauert – alles wird zur unsäglichen Qual!,  die Jesus schließlich (mit einem Gebetsruf)  laut aufschreien lässt:

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ 

In seinem Buch: „Ein Schrei zerreißt die Welt. Über die sieben Worte Jesu am Kreuz“, sagt der Jugendpfarrer Ulrich Parzany : „Wir verharmlosen die Kreuzigungsgeschichte, wenn wir meinen, dass es Jesus vielleicht nur so scheint, als sei er von Gott verlassen.“  (S. 36)

Die Schwere der Situation liegt darin, dass er tatsächlich allein ist und die Qual der Gottverlassenheit durchleidet. Das ist so schrecklich, das ist so fremd, dass es bis in den Wortlaut hinein spürbar wird.

Als Ausdruck der äußersten Hilflosigkeit und eigenen Sprachlosigkeit,  keine Worte für das Erfahrene, für das Erlittene zu haben, erinnert sich der sterbende Jesus an ein Psalmwort – an ein Gebet (Psalm 22):

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Er bezeichnet Gott, mit dem er hadert, immer noch als seinen Gott und klagt ihm seine Urangst: Das „Warum“ – wenn alle Sicherung zerbricht, wenn der letzte Halt verlorengeht: und das ist das Vertrauen darauf, dass Gott bei uns  ist. (Denn das ist – nach der Erkenntnis eines Immanuel Kant doch eben die tröstlichste Botschaft aller Bücher der Bibel – Gottes Zusage: Ich bin bei dir – und das vertrauende: Du bist bei mir.)

Jesus,  und das ist das wahrhaft Erschreckende und zugleich Berührende für mich in diesem überlieferten Wort am Kreuz:  Jesus ist in seiner Todesstunde völlig fern von diesem Ur-Vertrauen – zu Gottes Nähe, fern von dieser Gewissheit. Und dennoch klagt Jesus gegenüber Gott seine Gottverlassenheit mit frommen Worten. Seine tiefste Verzweiflung an Gott schreit er damit heraus….  .

Parzany sagt (S. 37): Und als wollten die Evangelisten uns die ganze Fremdheit und Unerhörtheit dieses Gebetsschreies erhalten, halten sie ihn fest in der aramäischen Sprache.

…. Man spürt, wie fremd dieses war, dass die Evangelisten es festhalten müssen und sagen: So war es!

Begreifen wir heute, dass diese Überlieferung für uns zum Trost werden kann?

Weil Gott in Jesus so wahrhaft Mensch geworden ist, dass er die Qualen der Gottverlassenheit durchlitten hat und uns „zum Bruder“ im Gottsuchen geworden ist…. ?

Jesus schreit unseren Schmerz, unseren Zorn, unsere Angst heraus, das, was uns aufschreien oder verstummen lässt, macht er zu seiner Angelegenheit.

Tröstlich kann für uns sein: dass Jesus nicht nur im Leiden und Sterben uns gleich geworden ist, sondern er hat uns auch den Weg gewiesen, aus dem Gott ihn und zugleich uns aus Leid und Tod heraus ruft ins Leben.

Uns bleibt – ja – die Verzweiflung oder: dass wir uns dennoch – und wenn es mit einem todesmutigen Schrei ist, – bis zuletzt an Gott wenden.

Uns bleibt, in einem Bild gesprochen, sich mit all unseren Warum-Schreien – Gott in die Arme zu werfen, in der letztlichen hoffnungsvollen Gewissheit, von ihm aufgefangen zu werden.

Beides: Das Bekenntnis:„Mein Gott“  und der Verlust unseres Vertrauens, die Angst davor, verlorenzugehen,  die Scham, verlassen worden zu sein – alles kommt hier zusammen.

Glaube und die Bitte: Hilf meinem Unglauben.

Rudolf Otto Wiemer schreibt zu Jesu Wort am Kreuz:
Keins seiner Worte
glaubte ich, hätte er nicht
geschrien: Gott, warum
hast du mich verlassen.

Das ist mein Wort, das Wort
des untersten Menschen.

Und weil er selber
so weit unten war, ein
Mensch, der „Warum“ schreit und
schreit „Verlassen“, deshalb könnte man
auch die andern Worte,
die von weiter oben,
……….
ihm glauben!

Zuletzt: Ich denke an die Frau, die aufgrund ihrer schwindenden Gesundheit meinte, bald sterben zu müssen. In hohem Alter war sie bereit zu gehen, wie sie sagte, sie war ihres Lebens müde geworden. Aber dann lag sie da … alle verlängernden Maßnahmen durch Verfügung von sich weisend, wartete sie eine Woche nach der anderen und wurde zunehmend traurig und mit letzter Kraft – klagend und Gott anklagend: „Warum sterbe ich nicht? Will Gott mich nicht bei sich haben?  Hat er mich vergessen?“  Es war mir schwer, am Bett dieser Frau zu sitzen, zu warten und ihre Fragen zu hören. Aber jedesmal, wenn ich sie besuchte, nahmen wir uns Gebete aus dem Buch der Psalmen vor und sprachen manchmal gemeinsam: Klage und Dank.

Das ist es, wonach wir uns sehnen, was wir uns von dem erhoffen, der uns durch die Taufe seine Liebe zugesagt hat:  Du bist bei mir – und ich bin nicht allein. Das ist die uns durch das Leben tragende Botschaft, die uns stärkt, Sinn, Kraft, Halt und Trost gibt – zum Leben und zum Sterben.

Und der Friede Gottes, der all unser Verstehen übersteigt, bewahre unsere Herzen und Sinne

in Christus Jesus. Amen.

 

Die Predigt ist von Pfarrerin Renate Fischer-Bausch gehalten worden und ist inzwischen auch auf dem Youtubekanal der Lydiagemeinde veröffentlicht worden.

Pfarrerin Renate Fischer-Bausch ist Pfarrerin der Ev. Lydia-Gemeinde Herzogenrath. Sie übt ihren Dienst im Bezirk 02 Merkstein aus.

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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