Neustart. 15 Lehren aus der Corona-Krise, Leseprobe, Christoph Quarch, Daun 2020

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Christoph Quarch: Neustart. 15 Lehren aus der Corona-Krise, legenda Q, Daun 2020,

Handwerklich gedruckt und gebunden im Druckhaus Schneider in Daun, Gedruckt auf 100% Recycling Papier, Alle Rechte vorbehalten, Lizenz erteilt, ISBN 978-3-948206-04-8, Preis: 9,90 Euro

Links: www.christophquarch.de, www.legenda-Q.de

Als Leseprobe veröffentliche ich mit Genehmigung des Autors die Kapitel 1-3:

Die Natur lässt sich nicht beherrschen

 

Im Jahr 1637 schrieb der Philosoph René Descartes, der Mensch sei »Herr und Meister der Natur«. Jedenfalls sei dies seine Bestimmung. Das war der Startschuss zu einer beispiellosen Nutzbarmachung, Beherrschung und Zerstörung der Natur. Seither glaubt der Mensch der Neuzeit, sich die Welt mit Wissenschaft und Technik dienstbar machen zu können. Diesem Glauben verdanken sich nicht nur Wohlstand und Komfort der Gegenwart, sondern auch die von den IT-Giganten des Silicon Valley verheißene Erlösung des Menschen von der Natur durch seine Umwandlung in Daten und in Algorithmen. Wir standen so kurz vor dem Ziel… – und nun das!

Oder etwa nicht? Zweifel sind erlaubt. Descartes glaubte, die lebendige Welt sei nichts anderes als eine große Maschine, die der Mensch gebrauchen könne. Heute glauben wir, sie sei ein einziger Datenbestand, den wir mit Hilfe unserer Maschinen berechnen und perfektionieren können. Corona aber lehrt uns, dass es ganz so leicht nicht geht: dass das Leben weder eine Maschine, noch ein Algorithmus ist, sondern ein fragiles Ereignis inmitten eines großen, wundersamen Schauspiels, das die Griechen phýsis nannten: Natur. Dieses Schauspiel folgt zwar ehernen Gesetzen, aber gleichwohl gibt es Raum für Anarchie und Improvisation. Unvorhersehbares ist im Spielgeschehen der Natur vorgesehen. Die Quantenphysik lehrt, dass alles stets auch anders sein könnte – und dass unsere sichtbare und scheinbar so verlässliche Welt schwankend auf einem Ozean von Möglichkeiten schwimmt.

Mikro-Organismen können jederzeit mutieren. Mikroben, mit denen wir eben noch in friedlicher Koexistenz lebten, können schlagartig zur Gefahr werden. »Alles fließt«, wusste schon Heraklit – ohne dass er dabei ahnte, dass dieser Planet mitnichten das »Dominium Terrae« eines gottgleichen Menschentums ist, sondern das Imperium unermesslich vieler Lebewesen, deren unsichtbares Miteinander allererst die Voraussetzungen schafft, unter denen Menschen leben können. Die Wahrheit ist: Wir sind nur Gäste in einer von uns unbeherrschbaren Natur, die augenblicklich ihre Muskeln spielen lässt. Uns das im Zeitalter des Klimawandels zu Bewusstsein zu bringen und es zu beherzigen ist die erste Lektion, die uns das Virus lehrt.

Wir müssen die Wildnis respektieren

 

Ob auch wahr ist, was man uns erzählt, wird wohl nie zu klären sein: dass Corona auf einem Markt in der chinesischen Stadt Wuhan von einem Wildtier auf den Menschen übertragen worden sei. Nehmen wir fürs Erste an, die offizielle Story sagt die Wahrheit. Dann hat sie das Zeug zu einem epochalen Mythos. Denn in ihr verdichtet sich das Drama unserer Zeit: der systematische und konsequente Übergriff des Menschen auf das nicht domestizierte, freie, wilde Leben – ein Angriff auf Millionen Tier- und Pflanzenarten, die wir ausgerottet haben, da wir sie auf dem Altar unserer grenzenlosen Gier geopfert haben. Eine Spezies aber scheint aus der Art geschlagen. Denn sie schlägt zurück: Covid-19.

Weniger als 13 Prozent der Erdoberfläche werden noch als »Wildnis« eingestuft. Alles andere hat der Mensch kolonialisiert. Dadurch ist er in Bereiche vorgedrungen, die zu betreten ihm nicht gut ansteht: dorthin, wo er mit Mikroben in Kontakt kommt, die aus ihrem angestammten Habitat entfernt zu Pandemien und tausendfachem Tod führen können. Ob Corona, Aids, Ebola, Sars, Pest oder Grippe. Alle großen Seuchen haben wir von Tieren übernommen, deren Lebensform und Lebensart wir konsequent missachteten. Dass ein Virus nun von einem Schuppentier auf einen Menschen übersprang und seither die Einrichtung der Welt gefährdet, scheint beinahe ein Menetekel für die Welt zu sein – ähnlich wie der Eisberg-Crash der Titanic zu Beginn des 20. Jahrhunderts: ein Weckruf, Schluss zu machen mit den fortwährenden Übergriffen gegen die Natur, der dauernden Vergewaltigung ihrer jungfräulichen Wildnis. So wie gefrorenes Wasser ein Schiff auf den Grund des Ozeans zu schicken vermag, können auch Mikroben noch so stolze Riesenorganismen wie den Menschen ums Leben bringen. Die Wildnis war schon immer unerbittlich. Vielleicht ist dies ihre letzte Warnung.

 Verzichten ist möglich – und zuweilen unerlässlich.

 

Als vor nicht langer Zeit die Fridays-for-Future-Bewegung Fahrt aufnahm, wandte sich der öffentliche Diskurs für eine kurze Zeit der Frage zu, ob Konsumverzicht oder staatliche Verbote probate Mittel sein können, um den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen. Wer für solches votierte, musste schnell erkennen, welch außerordentliche Widerstände Worte wie »Verzicht« oder »Verbot« in weiten Kreisen seiner Zeitgenossen auslösten. Vor allem orthodoxe Anhänger der Doktrin des Wirtschaftsliberalismus taten sich in dieser Debatte mit markigen Worten hervor. Christian Lindner etwa, Chef der Freien Demokraten (FDP), sagte: »Ich will nicht verzichten, und ich will auch nicht, dass andere verzichten müssen.« Heute, in Zeiten der Pandemie und des Shutdown, klingt dieses Zitat wie die Reaktion eines bockigen Zwölfjährigen, der nicht verstanden hat, welche Zeit geschlagen hat. Es klingt nicht nur so: Es ist genau dies.

Eben das ist die Lektion, die wir nun lernen müssen: In Krisenzeiten ist Verzichten eine Option. Und je eher man damit beginnt, desto besser. Was Corona betrifft, so haben wir in Deutschland vermutlich drei oder vier Wochen zu lange gewartet, hätten viel früher Grenzen schließen und Ski-Urlaube unterbinden müssen. Die Folgekosten wären weit geringer ausgefallen als all das, was später kam. Was den Klimawandel angeht, so haben wir vermutlich drei oder vier Dekaden zu lange gezaudert. Den Preis, den wir eines Tages dafür werden zahlen müssen, möchte sich niemand ausmalen. Heute müssen wir uns fragen: Wollen wir länger vernagelt und verzweifelt rufen »Ich will aber nicht verzichten!« und »Ich will Bewegungsfreiheit!«? Nein, wir können uns dies nicht mehr leisten. Wir müssen einsehen, dass die Zeit vorbei ist, in der wir ungestraft so tun konnten, als sei unser eigener Wille das Maß aller Dinge – und nicht das faktische Sein dieser Welt, die verantwortliches Handeln von uns verlangt und nicht ein bockiges Trotzgehabe.

Corona lehrt aber nicht nur, dass Verzicht zuweilen unausweichlich ist. Es lehrt vor allem, dass es möglich ist, Verzicht zu leisten. Ja, dass es viel leichter fällt, als wir alle dachten. Gewiss gibt es auch jetzt noch einige Vernagelte, die sich ob des erzwungenen Verzichts in Selbstmitleid ergehen. Aber die Mehrheit der Menschen scheint sogar in Deutschland zu erkennen, dass Verzichten sie nicht umbringt – dass Verzichten sie vielmehr bereichern kann: mit dem kostbarsten aller Schätze: Zeit.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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