Rezension als Interview mit Rakì, Christoph Fleischer, Welver 2020

Print Friendly, PDF & Email

Lieber Herr Rakì,

Ѕibenik ist eine schöne Stadt und, wie überhaupt Dalmatien, sehr reizvoll. Wir sind 1987 zu einer Jugendfreizeit in Vodice gewesen und dabei mit dem Boot an Sibenik vorbei zu den Krk-Wasserfällen gefahren. Ich stand barfuß mitten im Bach unter einem Feigenbaum und dachte, ich sei im Paradies.

Dieses Bild hat für mich das Büchlein wachgerufen. Dafür danke ich Ihnen.

Die Durchweg kurz gehaltenen Sprüche sind aber schon eher sachlich und fragen nach Sprachlogik: Ludwig Wittgenstein schrieb den Satz: „Die Welt ist was der Fall ist.“

Ich denke, dass Ihre Sprüche so ähnlich verstanden werden. Dazwischen steht die Konjunktion. Sie fragt also nach dem Dazwischen, dem Zwischenraum, der Raum läßt und doch zu einer Aussage findet.

Sie bestätigen meine Assoziation zu Nietzsche. In einem kleinen Ausstellungskatalog aus Weimar wird die Arbeit an den Aphorismen in einem Notizbuch dokumentiert. Aphorismen sind so gesehen nah am Alltag.

Die Weisheit verbindet Alltag und Wissen, Gefühl und Logik. Dieser Weg muss weitergehen sorgen Sie mit dem zeitlosen Notizbuch, alphabetisch geordnet.

Liebe Grüße

Christoph Fleischer,

Lieber Herr Fleischer, 

herzlichen Dank für Ihre Worte. 

Die kleine Lebensweisheit für jedermann, kürzest möglich und unabhängig von Kulturraum und Bildungsniveau … und ein gewisser Zauber, der das Herz des Lesenden trifft … Das vor allem war mein Anliegen bei meinen Kleinen Wahrheiten. Auf dass sie das Herz des Menschen erfüllen und sich durch den strengen Alltag mit ihm wagen. Eine kleine Stütze dem Menschen an die Hand geben, einen Ratgeber mit menschlichem Blick … Zeitlos sein, was bedeuten kann: Die Möglichkeit des Überzeitlichen zu schaffen. Ob mein Büchlein in zweihundert Jahren gelesen wird, ist fraglich … – doch möglich. An manchen Tagen, aber ja, schielt es bei einem Regal nach oben, zu den Büchern von Publilius Syrus und La Rochefoucauld. „Ob ich von ihnen aufgenommen werde“, fragt es sich. Und träumt, dass sie ihn warmherzig empfangen. Eines Tages …

Herzlichst,

Rakì 

 

Lieber Herr Rakì,

schmunzelnd muss ich an die Persees denken oder an so manches Goethewort. Heinrich Heine verpackt die Sprichwörter in seine Lyrik, z. B. „den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen“ (Wintermärchen). 

Doch noch eine Frage. Der Buchtitel erinnert mich in einer Hinsicht an das Motto meiner Homepage: Der schwache Glaube: „Das Buch der kleinen Wahrheiten.“ So wie ich den starken Glauben meide, weil er selbstsüchtig macht, so meidest Du die großen Wahrheiten. Doch was genau ist hier der Unterschied zwischen groß und klein? Ich glaube es geht darum, die Referenz nicht von außen zu erfragen, von Gott, dem Volk und anderen Größen, sondern die Referenz im Klang der eignen Worte zu finden und in deren Kontext. Kleine Kritik daran wäre, dass die Einprägsamkeit des Pathos fehlt. Aber es lohnt sich, hier immer wieder nach Resonanz zu fragen.

Ach, fast vergessen: Karl Rauch Verlag, das steht für mich für den kleinen Prinzen. Was hältst Du von de Exupery?

Herzlichen Grüße und Danke für das Interview.

Lieber Herr Fleischer, 

in der kurzen Zeit auf diesem Erdballen, mit den unscharfen Sinnen, die uns gegeben sind … der Abhängigkeit vom Lebensrhythmus … durch das schlagende Herz, den pochenden Puls, die Rippchen, die sich mit der Atmung auf- und abbewegen … Ach, was ist da der Mensch? Zu wie viel Wahrheit ist er im Stande? Vor allem sind seine Wahrheiten klein und bescheiden, und dienen ihm, seine Welt zu ordnen, zu strukturieren, mit ihr zu spielen. Die Wahrheit scheint ein kleines Spiel unseres Geistes; wir glauben an sie, und doch: Sie scheint bei jedermann ein wenig anders, und bald zu verschwinden. In der Jugend habe ich andere Wahrheiten wie im Alter. Und vor der Geburt? Und nach der Geburt? Ach, eine kleine Wahrheit … keine grosse, keine aufdringliche Wahrheit … daran mag ich mich gerne halten. Ein Zuckerbrot für den Geist, keine Peitsche … das macht die Kleinen Wahrheiten süss und bekömmlich. Ob der „Kleine Prinz“ ein Klassiker geworden wäre, hätte er sich „Großer Prinz“ genannt? Vor allem die Bescheidenheit, die Kurzlebigkeit unserer Gedanken, die Zurückhaltung im Allgemeinen … das könnte eine nette Haltung, eine Bedingung für manches Glück und Wohlwollen sein … Und doch: Eine „Grosse Ehre“ mit dem „Kleinen Prinzen“ abgelichtet zu werden (siehe Anhang). Mal schauen, wie viele Jahre wir uns die Hand geben dürfen … bevor der erste von uns im Nichts verschwindet …  

Wärmstens, 

Rakì

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.