Typischer Drewermann-Ton, Rezension von Joachim Leberecht, Herzogenrath 2021

 Zu: Eugen Drewermann: An der Quelle des Lebens, Worte mit Herz und Verstand, (Hg) Heribert Körlings, Patmos Verlag, Ostfildern 2020

 

Link: https://shop.verlagsgruppe-patmos.de/an-der-quelle-des-lebens-011247.html

„An der Quelle des Lebens“ heißt diese Textsammlung aus Werken von Eugen Drewermann. Das handliche und schöne Büchlein – mit Lesebändchen – ist beim Patmos Verlag zum 80. Geburtstag von Eugen Drewermann erschienen und eignet sich gleichermaßen für Theologinnen und Theologen und für Menschen, die an Spiritualität und einem Kennenlernen von Drewermanns Werk interessiert sind. Bei mir lag es auf dem Nachttisch und immer, wenn ich Lust hatte, habe ich eines der neun Kapitel gelesen. Zusammengestellt und herausgegeben hat die Textsammlung Heribert Körlings. Heribert Körlings war Studiendirektor und Lehrer für Deutsch und Katholische Religion am Kaiser-Karls-Gymnasium in Aachen. In der Veröffentlichung von Drewermanntexten ist er kein Unbekannter. Körlings gelingt es aus der unendlichen Fülle des literarischen Schaffens Drewermanns mit einem guten Gespür und einer theologisch hermeneutischen Treffsicherheit relevante Texte Drewermanns in „An der Quelle des Lebens“ zu versammeln und thematisch zu gliedern. Auch wenn manche Aussagen Drewermanns inzwischen etwas altbacken wirken, ist es doch erstaunlich, wie sehr sie inhaltlich in unsere Zeit passen.

Im letzten Kapitel heißt es, wenn der Mensch „dem Strom des Lebens gegen die Strömung bis zur Quelle folgt und sich buchstäblich <<den Kopf waschen lässt>> in dem reinigenden Wasser – unbezahlt und unbezahlbar“, dann wird er selbst die Erfahrung machen, dass man „Geld und Gold nicht essen“ kann (135).

„An der Quelle des Lebens“ zu verweilen, dazu laden die ausgewählten Textpassagen ein. Wer mag, schlägt einfach irgendwo auf und beginnt zu lesen und gleicht das Gelesene mit den eigenen Erfahrungen und Denkbemühungen ab. Heribert Körlings hat versucht, die Flut des Materials in ein Textbett zu legen, beginnend mit dem Kapitel Begegnung und Gespräch: „DAS EINZIGE was wir tun sollten, ist, den anderen zu begleiten, dahin, wohin er selbst gehen möchte, um nach Hause zu kommen.“(15)

Es folgt das Kapitel: Die Natur und die Liebe. Nach der Begegnung und der Ichwerdung über das Du, der sozialen Erfahrung des Menschseins, kreisen diese Texte um den unendlichen Kosmos und die Winzigkeit des Menschen, um Weite und Einsamkeit, um Glauben und Freiheit: „Einzig die Liebe vermag einen anderen Menschen in seiner Winzigkeit als unendlich groß, unendlich wichtig, für alle Ewigkeit bedeutend zu entdecken.“(34)

Wie kann es gelingen bei mir selbst zu sein und mich auszuhalten? Unter dieser Fragestellung sind Texte in Kapitel drei zusammen gestellt: „SICH SELBER FINDEN – das heißt als erstes, all die verinnerlichten Formen von Zwang und Außenlenkung abzustreifen, die bislang aus dem Erbe von Tradition und Institution dem Leben Halt zu geben schienen.“(56)

Im Kapitel vier mit dem Titel: Niemand ist freiwillig böse spricht der psychoanalytisch ausgebildete Theologe und wirbt dafür, andere nicht zu richten, bevor wir nicht ihre Geschichte kennen. „DER EINZIGE, der über Menschen urteilen darf ist Gott, und er – das war die ganze Botschaft Jesu – will die Vergebung und nicht die Verurteilung des Menschen.“(65)

Im Kapitel fünf versammelt Heribert Körlings Texte über den notwendig Anderen. Dieser notwendig Andere ist Gott selbst, da er die Not des Menschen wenden kann: „Es wäre ganz gewiss eine Illusion, in einem anderen Menschen etwas Absolutes sehen zu wollen, aber die Sehnsucht, es müsse etwas Absolutes an Halt und Geborgenheit geben, muss deshalb in sich selbst noch lange keine Illusion sein.“(89)

In der Tradition der katholischen Dogmatik stehend, die von der Gotteserkenntnis aus der Schöpfung über die Erkenntnis des Schöpfers zur Erkenntnis des Sohnes Gottes kommt, heißt das sechste Kapitel bei Körlings: Jesus, die Brücke zu Gott und zu den Menschen: SEIT DEM AUFTRETEN JESU gibt es Gott als eine <<väterliche>> Macht – <<für uns>>.“(95)

Der Vollzug des Glaubens und Vertrauens ist geistgewirkt. Bei Drewermann fällt der Geist auffallend unter dem Tisch, jedenfalls was diese Sammlung angeht. Körlings hat sich aber nach den Kapiteln über Gott und Jesus folgerichtig für das Thema: Vertrauen wagen entschieden. „Es gibt keine Wahrheit über Gott zu wissen außer der Wahrheit des eigenen Herzens. Solange wir wagen, diese Wahrheit durch Vertrauen zu finden, sind wir nah bei Gott.“

Diese Wahrheit hat sich zu bewähren und bewährt sich in einem Leben vor und nach dem Tod, wie das achte Kapitel heißt. Das ewige Leben ist nicht die ewige Fortsetzung des irdischen Lebens, sondern eine Qualität der Gottesnähe, die schon hier und jetzt in der Liebe erfahren wird: „NICHTS, WAS WIR WIRKLICH LIEBEN; WIRD ZERSTÖRBAR SEIN.“(114)

Das neunte und letzte Kapitel verhandelt dann ethische Fragen unter der Überschrift: miteinander unterwegs. Es kommt mir wie ein Appendix vor und hätte einen eigenen Leseband verdient.

„An der Quelle des Lebens“ ist ein Buch „mit Herz und Verstand“, wie es auch der Untertitel sagt. Wer sich geistig und spirituell erfrischen lassen will, findet hier Nachdenkliches und viel Anregungen zum Meditieren – im typischen Drewermann-Ton.

 

Offenbarung als Ausgang der Theologie? Notizen zu Franz Rosenzweig „Atheistische Theologie“, Christoph Fleischer, Welver 2021

Literatur: Franz Rosenzweig: Atheistische Theologie, in: Kleinere Schriften, Schocken Verlag, Jüdischer Buchverlag 1937, später auch als Band III, Franz Rosenzweig, gesammelte Werke.

Durch diesen Aufsatz wird Franz Rosenzweig im Jahr 1914 persönlich mit Martin Buber bekannt. Allerdings hat Buber den Aufsatz unveröffentlicht zurückgeschickt.

Auch die spätere Schriftensammlung „Zweistromland. Kleinere Schriften aus Religion und Philosophie“ (Philo Verlag 1926, jetzt als Reprint bei Amazon), die vollständig in die o. g. Ausgabe aufgeht, enthält den Aufsatz „Atheistische Theologie“ nicht.

Das Wort „Atheistische Theologie“ war bis dahin kaum bekannt, Franz Rosenzweig zeigt jedoch, was damit gemeint ist. Zunächst war mir selbst nicht klar, ob der Autor selbst eine solche „Theologie“ befürwortet oder sich davon abgrenzt, was wohl eher der Fall ist.

In den letzten vier Sätzen des Aufsatzes zeigt Franz Rosenzweig, dass die Zukunft weder im Christentum noch im Judentum in einer „atheistischen Theologie“ liegen kann, ohne damit allerdings die Ergebnisse der philosophischen Religionskritik in Frage zu stellen. Ausweg ist nun der Begriff „Offenbarung“ als „geschichtliche Tat“, die die „Geschichtlichkeit der Geschichte“ in Kraft setzt. (Ich habe das absichtlich so zitiert, um aufzuzeigen, dass diese positive Theologie immer von ihrer Definition abhängig ist.)

Später wird er bis zu seinem Tod im Jahr 1929 die hebräische Bibel ins Deutsche übersetzen. Im Grunde wird es also wie auch bei Rudolf Bultmann zu einem hermeneutischen Ansatz der Bibelauslegung führen, bei dem sich die Schrift mit Blick auf den historischen Kontext selbst auslegt.

Formal gesehen ist eine „atheistische Theologie“ nötig geworden, seitdem in der Theologie wissenschaftliche Voraussetzungen definiert wurden, was seit der Aufklärung der Fall ist. Schlicht gesagt geht es dabei einerseits um die Geschichte der historisch orientierten Exegese (z. B. Leben-Jesu-Forschung), die mit Albert Schweitzer als gescheitert gilt, zumindest soweit sie meinte, ein authentisches Leben Jesu rekonstruieren zu können.

Franz Rosenzweig wechselt in seinem Aufsatz immer wieder von der christlichen Exegese hin zum jüdischen Selbstverständnis, indem er hierbei gemeinsame Tendenzen entdeckt.

Dies soll kurz am Beispiel des Mythos aufgezeigt werden: „… die rationalistische Vermenschlichung der Christusgestalt zum Jesus der Leben-Jesu-Theologie …, wurde in der Judenvolks-Theologie zum Hebel der rationalistischen Vergötterung des Volks“ (S. 284) (Dieser Satz richtet sich vermutlich an Martin Buber, der in seinen Reden über das Judentum betont, das Judentum sei in erster Linie als Religion zu verstehen und nicht als Volk, Staat oder Land, das dieser Vollendung entgegensieht. Die Vision einer Neuansiedlung in Palästina nahm am Ende des 19. Jahrhunderts immer konkretere Formen an.)

So wie einerseits Christus zum Gottesbild wird, wird im Judentum der Gottesbund, religiös gefeiert und zum Glaubensinhalt erklärt (d. meint, dass die religiöse Feier sich selbst erklärt bzw. selbstreflexiv definiert).

Die „Offenbarung“ wird sich als „Mythologie“ erweisen. Der Mythos ist ein Bild der Geschichte und wird benötigt, um die Bedeutung der religiösen Inhalte zu untermauern.

Die „atheistische Theologie“, so Rosenzweig, zeigt, was unter Verzicht auf den Mythos übrigbleibt. Franz Rosenzweig betont aber auch zu Recht, dass das „Über“ – Menschliche (Gottes) dem Menschen gegenüber wie ein Spiegel funktioniert. Vermutlich werden hier wie dort Projektionsinhalte auf Judentum oder Christentum angewandt.

Erst ganz gegen Ende des Aufsatzes erscheint die Mystik als Alternative, wobei Rosenzweig vermutlich auch hier wieder an Martin Buber selbst gedacht hat, der die Mystik der Chassidim erforscht und Beispiele veröffentlicht hat. Rosenzweig zeigt, dass in der Mystik zwar Gott auch an die Menschengestalt gekoppelt wird, dennoch aber unverfügbar und göttlich bleibt und zitiert ein Beispiel der jüdischen Mystik: „Gott spricht: wenn ihr mich nicht bezeugt, so bin ich nicht.“ (S. 289)

Der am Anfang zitierte Schlussabschnitt wird hier mit einem ausführlichen Schachtelsatz eingeleitet, der an die von Sören Kierkegaard bekannte Rede von einer Kluft erinnert, die das religiöse Erleben erst möglich macht. Analogien auf christlicher Seite lassen sich in der dialektischen Theologie Karl Barths finden.

Doch anstelle zwischen Gott und Mensch liegt die Kluft hier zwischen rationalem Glaubensverständnis einschließlich der Differenz zwischen Mystik und Rationalismus und dem Verständnis des Menschen als Empfänger der Offenbarung.

Meines Erachtens hat Martin Buber den Aufsatz zu Recht zurückgewiesen, weil der Schluss letztendlich argumentativ nicht genügend ausgearbeitet worden ist. Mystik lässt sich nicht vorschnell mit dem Gegenteil von Rationalismus gleichsetzen. Andererseits ist der Begriff der Offenbarung doch bei Rosenzweig zu sehr an der Geschichtlichkeit orientiert, sie offenbart also hauptsächlich die Differenz zwischen Gott und Mensch. Die positiven Inhalte der „Offenbarung“ bleiben unter Projektionsverdacht, was Rosenzweig hier nicht erkennt. Hierzu sei einmal auf das Buch „Moses“ von Martin Buber verwiesen, mit der er die Übersetzungsarbeit am Pentateuch quasi auswertet, und einen politischen Anführer entdeckt, dem die religiöse Verbindung wichtig ist. Mose ist für Buber der Erfinder eines Bundesgesetzes, das mit dem Kult ein Volk zusammenführt und bildet.

Es folgt nun die Dokumentation des Textes von Franz Rosenzweig als PDF, entnommen der Ausgabe von 1937 (s.o.).