Die Aktuelität von Joseph Beuys, Rezension, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2021

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Philip Ursprung: Joseph Beuys, Kunst Kapital Revolution, Verlag C.H.Beck, München 2021, gebunden, 336 Seiten, mit 116 Abbildungen ISBN 978-3-406-75633-7

Philipp Ursprung legt zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys eine geschichtlich orientierte Schau von Beuys Werken vor. Dabei begrenzt er sich auf 24 Schauplätze und stellt überzeugend die Entwicklung von Beuys´ Kunst anhand der gesellschaftlichen Fragen und Themen der sechziger bis achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts dar. Beuys wird hier als ein Künstler gezeichnet, der intuitiv mit seinen Werken den Finger in die gesellschaftlichen Wunden legt. Dabei geht es Beuys nicht um die Deutung seiner Werke, sondern sie sollen irritieren, provozieren, Fragen, Nachdenken und Handeln anstoßen. In 24 Tableaus – anlehnend an die 24 Stationen der Beuys-Ausstellung im Jahr 1979 im Guggenheim-Museum in New-York, die Beuys Weltruhm begründete – entfaltet Ursprung seinen Kunstführer. Methodisch geht Ursprung anders als die meisten Veröffentlichungen über Beuys vor. Nicht von Beuys Biographie her, sondern aus einer rückblickend größeren geschichtlichen Perspektive, stellt er das Gesamtwerk von Beuys dar. Sein zeitlicher Abstand zu Beuys Blütezeit führt zu äußerst interessanten Fragestellungen und Thesen, die die Rezeption von Beuys weiter beschäftigen wird. Ursprung versucht nachzuweisen, dass Beuys´ Ausgangspunkt seiner Kunst eine starke europäische Konnotation hat, was die Wurzeln und das Ziel eines europäisch versöhnten Miteinanders betrifft. Rückblickend wird erkennbar, wie hellsichtig Beuys mit vielen seiner Projekte war. Beuys sprach schon von einer Kommunikation der Pflanzenwelt untereinander, als diese heute wissenschaftlich belegte These noch als rein esoterisch galt. Seine „Stadtverwaldungskunst“, 7000 Eichen mit Basaltstelen in Kassel aufzustellen, ist nicht als grüner Aktionismus zu sehen, um moralisch gut dazu stehen, sondern eine genuine Weiterentwicklung der Beschäftigung von Beuys mit der Frage, wie Kunst unter die Menschen kommt und sich im wahrsten Sinn des Wortes ausbreitet und wächst. Welche Energie ist nötig und wie geraten Menschen in Energiefelder, damit Transformation geschieht? An einem „Spinatökologismus“, wie Beuys es treffend sagt, hatte er kein Interesse (S.289). In einer Zeit, wo die Kunst wieder in den Kunsthallen verschwand oder in großen monumentalen Objekten sichtbar wurde, wählte Beuys mit der Pflanzung der 7000 Eichen mit Basaltsteinen einen ganz anderen Weg. Kunst ist Menschwerdung in Raum und Zeit. Sie hat keinen Selbstzweck. Sie will etwas (Politisches) Hervorrufen. (23. Tableau: Feldarbeit, << Notfalls komme ich als Baum.>> (S.279-289)

Ähnlich intensiv wie auf Beuys´ Kunstbegriff geht Ursprung auf seine Kritik an der kapitalistischen Ökonomie ein, so im 18. Tableau: (Inflation und Arbeitslosigkeit) und im 21. Tableau: (Preis und Wert). Auch weist Ursprung nach, dass Beuys beiden Systemen, Kapitalismus und Sozialismus, kritisch gegenübersteht, Gewalt in jeder Form ablehnt und dennoch an Transformation der Gesellschaft glaubt und dafür arbeitet. (Siehe 11. Tableau: Das Gespenst der Revolution; 13. Tableau: Massenuniversität; 20. Tableau: Europäisches Parlament.)

Mir gefällt es, dass Ursprung im ersten Kapitel seine Vorgehensweise erklärt und sich auch eindeutig positioniert, ob Beuys nun ein verkappter Rechter war oder nicht. Weiter beeindruckt mich, dass Ursprung den Geniekult um Beuys entmythologisiert, gleichzeitig aber sein Gesamtwerk für die zeitgenössische Kunst und die Bedeutung von Kunst in der Gesellschaft würdigt. Der Visionär Beuys wird hier geerdet. Ferner geht Ursprung sehr persönlich an das Buchprojekt heran. Er schreibt von seinen Eindrücken und Beobachtungen, manchmal recht assoziativ. Das macht das Buch sehr lesefreundlich, da hier kein wissenschaftlicher Jargon gepflegt wird, sondern der Autor erkennbar bleibt. Natürlich belegt Ursprung seine Quellen, und seine Auseinandersetzung mit anderen Meinungen wird deutlich. Ich fühle mich von Ursprung im besten Sinn des Wortes an die Hand genommen und zur eigenen Auseinandersetzung mit Beuys angeregt. Im Dschungel der Beuys-Rezeption schlägt Ursprung eine hilfreiche Schneise. Das Buch hat das Zeug zu einem Standardwerk. Zahlreiche Schwarz-weiß-Fotos und die Ästhetik des Buches werden vermutlich zu einer weiten Verbreitung beitragen. C.H. Beck hat ein hochwertiges Buch zum 100. von Joseph Beuys auf den Markt gebracht. Alle Bibliophilen werden ihre Freude daran haben.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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