Predigt Karfreitag 2024 Frieden durch Vergebung, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2024

 „Sondern erlöse uns von dem Bösen.“  Matthäus 6, 13b

Vater-Unser-Predigtreihe in der Markuskirche in Herzogenrath

Liebe Gemeinde,

die letzte Bitte im Vater Unser gilt dem Frieden. In der lateinischen Messe wird nach den Worten: „Sondern erlöse uns von dem Bösen“ das Vater Unser, wie wir es kennen, unterbrochen und der Inhalt der letzten Bitte fortgeführt (1). Der Liturg benennt das Ziel der Bitte: Libera nos – Befreie uns!

„Gib Frieden in unseren Tagen…damit wir stets frei sind von Sünde und bewahrt vor aller Verwirrung.“ (2)

Gib Frieden in unseren Tagen. Das Vater Unser ist ein Gebet um Frieden. Die ersten drei Bitten rufen den himmlischen Vater zum Handeln auf und zeigen mit welcher Ausrichtung die Kinder Gottes um Gottes Reich in einer unerlösten Welt beten sollen. Gottes Reich, um das die Kinder Gottes „wissen“, soll auf dem ganzen Erdkreis Wirklichkeit werden. Dann werden Gewalt und Unrecht keine Macht mehr haben. Ein Leben in der ambivalenten Spannung, von Gottes Reich bewegt zu sein und gleichzeitig in einer unerlösten Welt zu leben, prägt unsere christliche Existenz. Das führt zu Anfechtung und nicht selten zum Glaubensverlust. Daher sollen wir beten: Bewahre uns „vor aller Verwirrung“ und befreie uns von dem Bösen. Das Böse ist hier die Kraft des Zerstörerischen schlechthin. In biblischer Sprache: Befreie uns vom Teufel und von allen bösen Geistern. Das Vater Unser ist eingehender betrachtet ein Gebet, das an eine exorzistische Praxis erinnert. Damit Frieden wird, muss das Zerstörerische weichen. Das kann der Mensch nicht leisten. Darum beten wir zum himmlischen Vater – besonders in Kriegszeiten wie diesen – Befreie uns von der sich endlos in die Höhe schwingenden Spirale der Gewalt in Kriegen.

„Gib Frieden Herr, gib, Frieden, die Welt nimmt schlimmen Lauf. Recht wird durch Macht entschieden, wer lügt, liegt obenauf.“(3)

Was aber können wir Menschen leisten, damit Frieden wird?

Das Vater Unser gibt hier einen Maßstab vor an dem wir gemessen werden, wenn wir es beten. Wir sollen bereit sein zu vergeben. Wir werden aneinander schuldig. Damit wir nicht weiter denjenigen, der an uns schuldig geworden ist für immer mit der Schuld belasten, sollen wir ihm vergeben. Denn wenn wir nicht bereit sind, erlittenes Unrecht von Herzen zu verzeihen, werden wir über die Schuld immer mit der Person ungut verstrickt bleiben. Vergebung kann weh tun und schmerzen. Wir müssen da nicht nur einmal über unseren Schatten springen. Wenn wir nicht zur Vergebung bereit sind, findet oft genug die eigene Seele keinen Frieden. Nicht umsonst ist es vielen Sterbenden wichtig, Abschied von ihren Lieben zu nehmen, das Verhältnis zu bereinigen, Versäumtes und auch Erlittenes verbal oder nonverbal auszudrücken, zu hören, dass alles Gut ist, um einander zu segnen und Auf-Wieder-Sehen zu sagen.

Die Apostel wussten, dass Jesus es mit der Vergebung ernst meint und dass der Kern seiner Lehre eine Zumutung ist gegen den eigenen Selbstbehauptungswillen und der Angst, schlecht dabei weg zu kommen. Wer hat schon die Größe zur Vergebung? Petrus will wissen, wieviel Geduld und Vergebungsbereitschaft er aufbringen muss und fragt Jesus: „Herr, wie oft soll ich meinem Bruder, der gegen mich sündigt, vergeben? Siebenmal? Jesus antwortete ihm: „Ich sage dir nicht siebenmal, sondern siebzig mal sieben mal.“(Matthäus 18, 21+22)

Jesus bittet noch am Kreuz für die, die ihn töten: „Vater vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun.“( Lukas 23,34)

Umrahmt von den Wir-Bitten: „Gib uns unser tägliches Brot“ und „Führe uns nicht in Versuchung“ steht der Vergebungsaufruf. Das ist die einzige Bitte im Vater Unser, wo der Mensch tätig werden soll. Zu Vergeben ist höchste Aktivität und dient dem Leben. Über Vergebung und Aussöhnung entsteht Frieden. Frieden untereinander und mit Gott. Das ist im Kleinen wie im Großen so: in der Ehe, in Freundschaften oder unter den Völkern.

Doch Vergeben heißt nicht zurückweichen oder duckmäuserisch sein. Vergeben heißt auch nicht alles ertragen, was zugefügt wurde. Je schwerer die Schuld, desto mehr sollte klar sein, dass Vergebung und Aussöhnung oft eines langen Prozesses bedürfen. Vergebung und Aussöhnung – wenn Gott sie schenkt – steht am Ende dieses Weges.

Wir müssen uns allerdings hüten von Opfern Vergebung zu verlangen, wie es leider in unserer Kirche bei sexuellem Missbrauch geschehen ist. Dieser von den Opfern geforderte Vergebungsmechanismus ist eine menschenverachtende Täter-Opfer-Umkehr. Hier stimmt die Symmetrie nicht. Machtverhältnisse gilt es kritisch bei Forderungen nach Vergebung – gerade in der Kirche – wahrzunehmen, damit nicht aus vorschneller Vergebung(sbereitschaft) Unterwerfung wird oder Menschen sich überanpassen. Unsere Bitte im Vater-Unser-Gebet will eine Klärung, will echte Freiheit und Zukunft stiften. Bleibt die Würde gewahrt? Das scheint mir eine gute Frage in Vergebungs- und Versöhnungsprozessen.

Vergebung hat Teil an der Neuschöpfung Gottes. Vergebung macht den anderen oder sich selbst nicht klein, sondern schreibt neue Lebensmöglichkeiten groß.

Vater Unser und das Kreuz

Auch so können wir Karfreitag verstehen: Gott vergibt uns unsere Schuld. Mit Jesu Tod ist alles beglichen. Der Schuldschein ist zerrissen (vgl. Kolosser 2,14). Wenn das nicht neues Leben ermöglicht, dann weiß ich auch nicht. Allerdings sollten wir uns dafür hüten, diese Vergebung rein individualistisch zu denken und damit zu verengen, weil mit Jesu Tod ein Heil(ungs)prozess für die ganze Welt eingesetzt hat. Daher zerreißt ja auch der Vorhang im Tempel von oben bis nach unten (Matthäus 27,51). Jesu Tod macht den Weg zu Gott frei und löst ein Beben aus (ebd.). Die Toten stehen aus ihren Gräbern auf (Matthäus 27,52). Alles kommt in Bewegung, die Erde und der ganze Kosmos. Aus Tod wird Leben. Verkehrte Welt? Umkehrung des verfluchten Todes.

Versöhnung mit Gott in der Vertikalen, in der Horizontalen unter seinen Geschöpfen. Das Kreuz als Zeichen des Lebens.

Uns wird allerdings zugemutet, dass Gottes Vergebung erst erfolgt, wenn wir einander unsere Schuld vergeben haben. Wer in Unfrieden lebt und daran festhält, dem wird Gott auch nicht vergeben, wie Jesus direkt nach dem Vater Unser seinen Jüngerinnen und Jüngern einschärft: „Wenn ihr den Menschen aber nicht vergebt, dann wird euer Vater eureVerfehlungen auch nicht vergeben (Basis Bibel Matthäus 6, 25).“ Es gibt keinen Freischein oder eine billige Gnade.

Wenn Jesus ein gelingendes Zusammenleben seiner Jüngerinnen und Jünger darin sieht, dass sie bereit sein sollen, einander zu vergeben, dann ist die Bereitschaft zur Versöhnung, die auch einhergeht den anderen nicht zu richten, das Wesen christlichen Lebens in der Welt. „Lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern mit der Tat und der Wahrheit.“(Jakobus 2,15)

Gib Frieden in unseren Tagen

Gib Frieden in unseren Tagen – darauf zielt das Vater Unser und setzt damit unsere Friedenseinstellung und Friedenshandlungen voraus.

Das heißt für mich: Als Kirche müssen wir mit vielen gleichen Sinnes endlich die Institution des Krieges überwinden, da im Krieg ausschließlich zerstörerische Kräfte wirken. Wir aber glauben mehr an die Macht des Stärkeren – oder an die bösen Kräfte – als an die Macht Gottes und den eindeutigen Auftrag seiner Kinder, ein Friedenszeugnis für die Welt zu sein.

Das heißt für mich: Die herrschenden Kriege müssen durch Diplomatie und Verhandlungen eingefroren werden, damit ein gerechter Friede ausgehandelt werden kann. Verhandeln und eine Aussöhnung anstreben heißt nicht einem Diktat-Frieden zuzustimmen.

Deutschland aber liefert fleißig Waffen, gießt Öl ins Feuer. In der Ukraine wie in Palästina. Seit dem schrecklichen Terrorüberfall der Hamas auf Israel hat Deutschland seine Waffenlieferung an Israel um das Zehnfache erhöht, macht sich mitschuldig an Kriegsverbrechen gegen die eingepferchte Zivilbevölkerung in Gaza.

Und unsere Kirchen hierzulande sind aus meiner Sicht viel zu leise, rufen nicht: Stopp! Üben ihr Wächteramt nicht aus! Kritisieren noch nicht einmal eine zunehmend kriegstreibende Sprache in Politik und Medien.

Seid wachsam und nüchtern

Es bedarf nüchtern zu sein und zu bleiben. Dazu hilft das Gebet des Vater Unsers: „Befreie uns von allem Bösen. Bewahre uns vor aller Verwirrung.“

Gerade in Zeiten der medialen Überflutung und der Propaganda über die Kriege u.a. in der Ukraine und Palästina sollten wir uns nicht vom Weg der Gewaltlosigkeit Jesu abbringen lassen. Der Kriegstreiberei vieler Politikerinnen und Politiker, mehr noch von der Mehrheit der Journalistinnen und Journalisten, gilt es in den christlichen Kirchen zu widerstehen. Das Narrativ, dass nur Waffen und eine Remilitarisierung Europas unsere Sicherheit garantieren könnten, gilt es mit Entschiedenheit abzulehnen. Der Versuchung das Böse mit Bösem zu bekämpfen, gilt es als Lüge zu entlarven.

Gleich welchen Weg wir einschlagen: Wir werden nicht ohne Schuld daraus hervorgehen. Einzig und allein kann uns Menschen eine Versöhnungsbereitschaft, ein Aushandeln eines gerechten Friedens, ein Anerkennen der Ängste und der Bedürfnisse aller Kriegsparteien aus den Todesenergien herausführen.

Von Sigmund Freud haben wir gelernt, der Todestrieb gehört zum Menschen. Von Jesus haben wir gelernt, alles dafür zu tun, dass Leben gelingt. Sein Vertrauen zu seinem himmlischen Vater – am Kreuz von Golgatha durchgehalten – hat den Todestrieb durchbrochen. Karfreitag das ist die Überwindung des Todes und aller widergöttlichen Mächte.

Maranatha – komm Herr Jesus, komme bald.

1 „Dann spricht er [der Priester] den Embolismus, den die Gemeinde mit der Doxologie abschließt. Der Embolismus führt die letzte Bitte des Vaterunsers weiter und erbittet für die Gemeinde der Gläubigen die Befreiung von der Macht des Bösen.“ Quelle: AEM (Allgemeine Einführung zum Messbuch).
Die Messfeier – Dokumentensammlung. Auswahl für die Praxis, 12. Auflage 2015, Richtline 56a
2 zitiert nach Berger, Klaus: Das Vater Unser. Mit Herz und Verstand beten, Herder, Freiburg 2014, S. 190
3 Henkys, Jürgen: Evangelisches Gesangbuch, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2022, 430,1

Filme über Geistliche – eine Auswahl, Bericht von Joachim Leberecht, Herzogenrath 2024

Kino Astra in Essen, Foto: Christoph Fleischer (c)

Die folgende Auswahl geht auf ein Film-Kolleg im Januar 2024 im Haus Villigst (Schwerte/Ruhr) zurück, das Thomas Groll und Tom Damm durchgeführt haben. Das gemeinsame Filme-Schauen mit Pfarrkolleginnen und -kollegen hat zu einer regen Diskussion über die Darstellung von Kirche und ihrem Bodenpersonal geführt. Auch haben wir uns angeregt über unsere pastoralen Identitäten ausgetauscht. Meine Rezensionen sind durch das Film-Kolleg motiviert und möchten selbst anregen, sich den einen oder anderen Film anzuschauen. Alle Filme sind auch für das Gemeinde-Kino zu empfehlen.

Glauben ist alles (2001)

 

Romantische Komödie

Die gut zweistündige romantische Komödie von Edward Norton (Regie und Schauspieler) aus dem Jahr 2001 mit dem Titel: „Glauben ist alles“ (Keeping the faith) lässt sich gut anschauen. Edward Norton gelingt es als Regisseur witzige Verwicklungen und Szenen auf die Leinwand zu bringen. Der Film überzeugt mich allerdings in der Konstellation zweier befreundeter Geistlicher, der eine Rabbi (Ben Stiller), der andere katholischer Priester (Edward Norton), die sich in ein und dieselbe Frau verlieben, nicht. Gerade die Lebenswelten des Rabbis und des katholischen Priesters werden nur oberflächig berührt. Vielmehr wirkt hier alles Religiöse ausschließlich als Showeffekt und soll lediglich die Dramatik des Dreiecksverhältnisses steigern. Die Dreieckskomödie bleibt ohne Überraschungen und bietet nur an ganz wenigen Stellen Tiefgang. Auch entwickeln sich die drei Figuren nicht wirklich. Das Potential der Konkurrenzsituation der befreundeten Geistlichen wird in der Verfilmung nicht ausgeschöpft, auch die schöne Blondine (Jenna Elfman), die beiden Männern den Kopf verdreht, ist eine Karikatur ihrer selbst. Womit der Film allerdings punktet, sind seine beeindruckenden Aufnahmen von New York und die Filmmusik.

Die Pastorin (2013)

 

Leichte Unterhaltung

 

Der Fernsehfilm „Die Pastorin“ (Christine Neubauer) von 2013 ist leichte Unterhaltung. Im Mittelpunkt steht eine geschiedene evangelische Pastorin, die einen beruflichen Neuanfang wagt, der mehr als holprig ist. Die durch Umzug und Pfarrstellenwechsel entstandene räumliche Nähe zu ihrem Ex, um der Kinder willen, lässt in ihr eine neue Hoffnung auf Weiterführung der Beziehung keimen, bis sie herausbekommt, dass seine jetzige Flamme ein Kind von ihm erwartet. Die Kinder stehen dazwischen und halten ihre Eltern für ziemlich blöd und kompliziert. Die Ältere geht ihren eigenen Weg. In der Gemeinde braut sich etwas zusammen, die Pastorin ist in einer seelsorglichen Begleitung plötzlich selbst involviert und stellt ihren Neuanfang in Frage. Gefühlsmäßig holt mich der Film gut ab, intellektuell und ästhetisch bleibt viel Luft nach oben. „DiePastorin“ ist einer der wenigen Filme, der eine Pastorin in der Hauptrolle zeigt. Christine Neubauer spielt die Rolle der Seelsorgerin und Predigerin gut. Dass das Drehbuch überfrachtet ist, dafür kann sie nichts.
Heute wäre eine ganze Serie aus dem Drehbuch von Katrin Ammon entstanden, das Josh Broecker verfilmt hat. In die 1,5 Stunden ist einfach zu viel hineingepackt. So bleibt der Film trotz vieler existenzieller Themen ein leichtes Melodram mit Hang zur Schmonzette.

Am Sonntag bist du tot (2014)

Thriller-Tragödie

Ein außergewöhnlich starker Film, besetzt in der Hauptrolle mit einem katholischen Priester (Brandon Gleeson), der seine Berufung in einem kleinen irischen Dorf überzeugend in Kontakt mit den Menschen vor Ort lebt. Im Beichtstuhl wird ihm von einem seiner Schäfchen angedroht, dass er ihn am Sonntag in einer Woche am Strand töten wird. Daher auch der deutsche Titel: „Am Sonntag bist du tot.“ Im englischen Original trägt der Film den Titel: „Calvary“ und stellt damit eine Verbindung zu Passion und Sterben Jesus von Nazareth am Kreuz von Golgatha her. Die Sühnetod-Theologie ist Vorlage für die erzählte Geschichte im Film. Hier sühnt der gute Priester für die Sünden eines anderen Priesters, der schon verstorben ist. Der als Kind durch den verstorbenen Priester mehrfach missbrauchte Mann, rächt sich mit seiner Gewalttat an dem unbescholtenen Priester für die erlittenen Übergriffe unter denen er sein Leben lang gelitten hat. Ein Unschuldiger leidet für die Schuld eines anderen. Der Regisseur John Michael McDonagh schreibt hier die Passionsgeschichte Jesu fort.  Recht früh (2014) greift er das Thema sexueller Missbrauch auf. Pater James geht hier allerdings einen anderen Weg als seine Kirche. Der unbescholtene Pater James geht hier wie Jesus in freien Stücken zu seiner Hinrichtung. Das ist verwirrend. Wo bleibt seine Abwehr? Sein Recht auf Leben? Oder ist sein Weg eine Mahnung an die Kirche und die Täter endlich Verantwortung zu übernehmen? Sühne als Voraussetzung für Vergebung?  „Am Sonntag bist du tot“ ist eine sehenswerte Thriller-Tragödie. Sie erzählt mit atemberaubenden irischen Landschaftsimpressionen von Schuld und Sühne.

Adams Äpfel (2005)

Groteske pur

 

Der frisch aus dem Gefängnis entlassene Adam (Ulrich Thomsen) landet in einem kuriosen Resozialisierungsprogramm bei Pastor Iwan. Iwan (Mad Mikkelsen) sieht in jedem Menschen das Gute, selbst wenn dieser wie Adam Nazi ist und ihn zusammenschlägt. Adam kann die Umdeutung der Realität durch Iwan nicht ertragen und macht es sich zum Ziel, Iwans Gutmenschentum zu dekonstruieren. Das schafft er nach vielen Fehlversuchen, indem er Iwan anhand von Hiob klarmacht, dass nicht der Teufel Iwan prüft und versucht, sondern Gott selbst. Daraufhin bricht Iwan zusammen und verliert seine Antriebskraft. Der Tumor in seinem Kopf ist nicht mehr in Schach zu halten. Er wird daran schnell zugrunde gehen, wenn er nicht wieder Lebensmut bekommt. Adam erkennt voll Schrecken, dass er Iwan zwar bezwungen hat, aber in der kleinen Gemeinschaft alles aus dem Ruder zu laufen droht. Das erste Mal wird Adam emphatisch und übernimmt ganz im Sinne Iwans Verantwortung für die Lebensgemeinschaft. Der Wandel Adams ist perfekt und findet seinen Höhepunkt, als er mit dem allerletzten Apfel einen kleinen Apfelkuchen backt und ihn gemeinsam mit Ivan genüsslich verzehrt. Der dänische Regisseur Anders Thomas Jensen erzählt in Adams Äpfel skurril die Konversion eines Nazis und von einem Pfarrer, der erst im Scheitern erfolgreich ist.

 

Italienisch für Anfänger (2000)

Liebes-Komödie

„Liebe für Anfänger“ könnte der dänische Film von Lone Scherfig auch heißen. Sie erzählt ohne viele Schnörkel und in sich stimmig, wie sechs liebenswerte, schrullige Menschen, am Ende sind es drei Paare, zueinander finden. Es sind durchweg Randexistenzen einer Stadtgesellschaft, die in ihren Familienbanden, Aggressionen und Hemmungen verstrickt sind. Gemeinsam ist ihnen die Sehnsucht nach einem anderen Leben, nach Freiheit und Liebe. Die Geschichte ist um den jungen Pastor Andreas (Anders W. Berthelsen) erzählt, der eine Pfarrvertretung übernimmt. Der vorherige alte Pastor ist unpässlich. Das qualvolle Sterben seiner Frau hat den alten Pastor aus der Bahn geworfen und er verhält sich derart daneben, dass er für den Dienst nicht mehr tragbar ist. Der Vertretungspastor Andreas hat selbst vor einem halben Jahr seine Frau verloren. Er ist verzweifelt, einsam und selbst auf der Suche, wie sein Leben weitergeht. In seiner Rolle wird er von den am Leben Leidenden aufgesucht und erweist sich als warmherziger Seelsorger, der die Menschen tröstet und ihnen einen guten Gedanken mit auf den Weg gibt. Wie Andreas sich den Menschen zuwendet und mit ihnen redet, ist für meinen Geschmack etwas zu soft, aber durchaus typisch für einen in Klinischer Seelsorge (Gesprächsführung) geschulten jungen Pastor. Dass er nicht nur sanft kann, zeigt er in einer Szene, wo er dem alten Pfarrer die Leviten liest.

Die Regisseurin Lone Scherfig lässt im Verlauf der Erzählung geschickt alle drei Liebespaare in einem von der Kommune durchgeführten Italienisch-Kurs für Anfänger aufeinander treffen. Es kommt zu Verwicklungen und komischen Szenen, bis sich jedes Paar gefunden hat. Auch der junge Pastor Andreas findet eine neue Liebe. Die Paare jedoch wissen noch nicht voneinander. Als der Italienisch-Kurs zu Ende geht, beschließen alle den Kurs mit einer Abschlussfahrt nach Venedig zu beenden. In Venedig kommt es zum Höhepunkt, da sich bei einem Abendessen in einem romantischen Restaurant  eindeutig zeigt, wer zu wem gehört.

Auch wenn der Schluss mir zu süßlich ist, schafft es Lone Scherfig, einen Kunstfilm nach den Regeln von Dogma 95 zu drehen, der facettenreich ist und die Liebessehnsucht heutiger Menschen mit allen Regeln einer Komödie in den Blick nimmt.

Gott existiert, ihr Name ist Petrunya (2019)

Tragikomödie

Die 32jährige studierte Historikerin Petrunya lebt bei ihren alten Eltern in einem nordmazedonischen Dorf. Petrunya ist arbeits- und antriebslos und wird von ihrer Mutter völlig beherrscht. Mit einem intuitiven Sprung in den Fluss beim traditionell auf Männer beschränkten Kreuz-Fischen beginnt ihre Selbstwerdung. Petrunya fischt das Kreuz aus dem Wasser. Dieses soll nach alter Tradition vom orthodoxen Priester geweiht und in den Fluss geworfen ein Jahr lang Glück bringen. Die jungen Männer des Dorfes reagieren wutentbrannt und entreißen Petrunya das Kreuz. Im Gerangel ergreift sie es wieder und flieht. Die Aufregung ist groß, die Polizei fahndet nach ihr. Jetzt beginnt ein Kammerspiel in einer heruntergekommenen Polizeistation. Patrunya erwehrt sich aller Einschüchterungen, sei es vom Kommandanten, dem Priester, dem Staatsanwalt, dem wütenden Mob und auch der Journalistin, die die Story groß herausbringen will. Petrunya entdeckt ihre eigene Stärke und innere Freiheit. Auch von der Mutter, die sie besorgt in der Polizeistation besucht, grenzt sie sich entschieden ab und kann danach die leicht verwirrte Mutter in den Arm nehmen. Als der ereignisreiche Tag sich neigt und sie zuletzt gemeinsam mit dem Priester die Polizeistation verlässt, gibt sie überraschend das von allen begehrte Kreuz dem Priester mit den Worten zurück: Ich brauche es nicht. Ein Hilfsmittel zu ihrem Glück braucht Petrunya nicht länger. Widerstandskraft und Freiheit liegen in ihr selbst. Ein wunderbarer Film. Völlig zurecht hat dieser Film im Rahmen der Berlinale 2019 den Ökumenischen Jurypreis gewonnen. Regie führt: Teona Strugar Mitevska. Petrunya wird gespielt von Zorica Nusehva.

Corpus Christi (2019)

 

Drama

„Leib Christ. Empfangt, was ihr seid, damit ihr werdet, was ihr seid: Leib Christi“ sagt der Priester in der Messe vor der Kommunion. „Ihr alle seid Priester“, damit eröffnet Pfarrer Thomasz seine Messfeier im polnischen Jugendknast. Sein eifriger Knast-Messdiener Daniel (Bartosz Bielenia) saugt jedes Wort des Priesters auf und hat den Wunsch, sein Abitur nachzumachen, um eine Priesterausbildung anzustreben. Priester werden das ist sein größter Wunsch. Das komme nicht in Frage, die Kirche würde nie einen schuldig Verurteilten zum Priester ausbilden, antwortet brüsk Pfarrer Thomasz. Aus dem Gefängnis entlassen stolpert der fromme ehemalige Sträfling in einem Dorf in die Priesterrolle: Er gibt sich als junger Pater auf Wanderschaft aus. Der sichtlich gezeichnete Dorfpriester vor Ort bittet ihn, ihn während er selbst auf Kur ist zu vertreten. Nun steht Daniel vor dem Dilemma, was nun? Eine Beichte abnehmen, eine Messe feiern, eine letzte Ölung spenden, eine Predigt halten, wie geht das? Pater Thomasz – wie er sich ab da selbst nennt – vertraut ganz seiner Intuition und findet einen unverstellten Zugang zu den Menschen im Dorf. Seine Gebete sind echt, einfache Worte, die die Situation aufnehmen und Gott ins Leben der Menschen bringen. Seinem Gerechtigkeitssinn folgend lässt er nicht locker, bevor er erfährt, was für ein Unfall im Dorf sechs junge Menschen und einen Ehemann getötet hat. Die alte Sündenbockgeschichte offenbart ihre Aktualität, da für die Eltern der sechs umgekommenen Jugendlichen ein ehemaliger alkoholsüchtiger Mann eindeutig der Schuldige ist. Er, der selbst beim Unfall ums Leben kam, wird als Mörder beschimpft, seine seitdem zurückgezogen im Dorf lebende Frau als Hure. Der Ausschluss aus der Gemeinschaft wird daran deutlich, dass sein Bild nicht an der großen Dorf-Gedenktafel hängt und seine Urne nach einem Jahr immer noch nicht auf dem Gemeindefriedhof beigesetzt wurde. Das will die Gemeinde und der mächtige Bürgermeister, der das örtliche Sägewerk besitzt, nicht. Jetzt findet der falsche, aber wahre Priester seine eigentliche Rolle und lebt trotz der hartnäckigen Widerstände auf. Wahrhaft seelsorglich und an Christus orientiert lebt er das Evangelium, auch wo es scheidet und weh tut. Wo sich langsam im Dorf etwas in Bewegung setzt, läuft auf Daniel die Katastrophe zu. Auf dem Höhepunkt seines Niedergangs kann er nur noch entblößt Mensch sein. Das priesterliche Gewand ist abgestreift, schutzlos und machtlos begibt er sich in die Hände der Polizei. Seine bleibende Botschaft: vergeben und lieben.

Das auf eine wahre Geschichte zurückgehende Drehbuch von Jan Komasa, der selbst auch Regie geführt hat, führt eindrücklich katholisch-polnische Provinzfrömmigkeit, die Verlogenheit der Institution Kirche und das wahre Priestertum in der gebrochenen und doch hoffnungsstiftenden Figur eines Straffälligen vor Augen. Jan Komasa hält allen Geistlichen einen Spiegel vor.  Genial!

Joachim Leberecht, Sehnsucht – Lust – Anbetung, Predigt zur Fastenzeit, Herzogenrath 2024

Predigt Invocavit Mt 4,1-11                                                         18. Februar 2024

Liebe Gemeinde,

„Und siehe da traten Engel herzu und dienten ihm“ (Mt 4,11) – oft läuft mir, wenn ich den Schlusssatz der Versuchungsgeschichte Jesu bei Matthäus höre, ein wohliger Schauer über den Rücken. Die Versuchung ist bestanden nach 40 Tagen Einsamkeit, Fasten und Kampf mit den (eigenen) Dämonen in der Wüste. Die himmlische Welt dient Jesus, richtet ihn auf und lässt ihn erste Schritte seiner Mission gehen.

Wenn wir auf die gegenwärtige Situation unserer Kirche schauen, könnten wir zu dem Schluss kommen, die Kirche selbst sei mitten in der Wüste und muss sich erodierenden Prozessen, Versuchungen und Ängsten erwehren. Im Bild gesprochen: Ab und an blüht dann mal ein kleines Pflänzchen Hoffnung mitten in der Wüste auf. Alle freuen sich darüber und klammern sich daran. Doch am nächsten Tag ist das Pflänzchen schon wieder weg. Mal im Ernst, abgesehen davon, dass das Bild der Wüste zu allen Zeiten der Kirchengeschichte passt – der Versuchung sind wir als Gemeinde und als einzelne immer ausgesetzt – möchte ich das Bild der Wüste nicht länger für unser Erleben von Kirche strapazieren, aber ich möchte die drei Versuchungen Jesu auf die gegenwärtige Situation der Kirche und unserer Lydia-Gemeinde beziehen.

Sehnsucht

Wir sollen uns von unserer Sehnsucht leiten lassen, heißt es. Das sei ein guter Kompass und in der Sehnsucht liege eine ungeheure Kraft, gesteckte Ziele zu erreichen.  Jesus überkommt in der Wüste der Hunger. Hunger ist mehr als Appetit oder Heißhunger. Auf dem Höhepunkt seines Fastens schreit alles in ihm nach Brot. Hier setzt der Satan an, er solle doch als Sohn Gottes Steine in Brot verwandeln.

Nun, wir sollen zwar nicht Steine in Brot verwandeln, aber möglichst viele kaum mehr benutzte Kirchen stilllegen, fallen lassen, entwidmen oder verwandeln in CO 2 abgasneutrale Orte. Wobei hier – anders als bei Jesus – die Finanzen und der Klimawandel die ausschlaggebenden Faktoren sind. Wäre es nicht einfacher Kirchen abzustoßen und sie nicht als Steine der Verkündigung in einem säkularen Umfeld zu bewahren?

Der Einwand Jesu eben nicht Steine in Brot zu verwandeln beeindruckt. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Wovon aber dann? Der Mensch lebt von Worten – die von Gott ausgehen.

Das unmittelbare Bedürfnis Jesu nach Brot wird in seiner Replik auf die Versuchung des Satans noch einmal von Jesus selbst geprüft und er kommt zu dem Ergebnis: Nicht mein bedürftiger Körper ist jetzt gefragt, sondern mein Geist und mein Verhältnis zum göttlichen Vater. Jesus gewinnt Klarheit und weist die Versuchung ab.

Es gilt Sehnsucht von Sehnsucht zu unterscheiden. Die Sehnsucht nach schneller Veränderung, Anpassung an gesellschaftliche Trends ist verständlich, aber ich verstehe nicht, warum unsere rheinische Kirche mit der vereinbarten CO 2 Neutralität aller ihrer Gebäude – einschließlich der Kirchen – bis zum Jahr 2035 besser dastehen will als der Gesetzgeber es vorsieht. Damit werde den Gemeinden Auflagen aufgebürdet an denen sie nur scheitern können. Die Sehnsucht danach Primus zu sein und es besser machen zu wollen als andere ist eine gefährliche Versuchung.

Etwas mehr Abstand, Zeit zum Austausch, ruhiges Abwägen würde uns als Kirche guttun. Das tut uns auch als Gemeinde gut. Auch im Presbyterium. Die Frage aus der ersten Versuchung Jesu, was nährt uns wirklich, kann uns helfen zu Entscheidungen zu kommen, Gemeinde vor Ort zu gestalten.  Jesus hat sich entschieden, der Versuchung nicht nachzugeben. Wo liegen unsere Versuchungen in der Frage, wie gestalten wir die Lydia-Gemeinde für die nächsten zehn Jahre? Neben all dem was wichtig ist: Lasst uns auf Gott und aufeinander hören. Gott spricht zu uns.

Lust

Liebe Gemeinde,

verbreitet ist die Schadenfreude, wenn etwas oder jemand fällt. Weniger verbreitet ist die Lust am eigenen Untergang. In der Kirche ist der unheimliche Genuss daran, den eigenen Niedergang zu beklagen, sich schlecht zu machen und sich gleichzeitig wohlig um sich selbst zu drehen, epidemiehaft verbreitet. Ja, Trauer darüber, dass wir uns von vielem Liebgewordenen und Gewissheiten m wahrsten Sinne des Wortes verabschieden müssen gehört zu Veränderungsprozessen dazu und darf sein, aber die Trauer ist zu unterscheiden von einem krampfhaften Festhalten-Wollen nach dem Motto: Augen zu und durch! Nach mir die Sintflut! Gerade weil die gesellschaftlichen und kirchlichen Veränderungen uns Schwindel bereiten und wir gar nicht mehr hinterherkommen, ist es gut, einen festen Stand zu haben, um nicht in den wilden, zerstörerischen und lähmenden dunklen Abgrund hineingezogen zu werden.

Jesus springt nicht von der Zinne, obgleich es ihm der Durcheinanderbringer schmackhaft macht. „Du wirst aufgefangen. Die Engel werden dich sanft in ihren Händen tragen.“

Liebe Gemeinde,

es gibt ein geistliches Geschwätz, das zum Himmel stinkt. Es suggeriert in allem: Gott wird dich auffangen – in Gottes Händen bist du geborgen! Ich kann diese Anmaßung, wie sehr diese Rede über Gott verfügt, immer schlechter ertragen – da sie Passivität und Verdrängung fördert. Jesus ist nicht bequem. Er lässt sich nicht verlocken zu springen, da er weiß, dass die Verheißungen Gottes kein Wunschkonzert sind, sondern Zuversicht schenken in höchster Not. Das ist kein Spiel. Gottes Verheißungen eröffnen Zukunft, schenken Freiheit trotz Verstrickungen, machen reich trotz Mangel, ermächtigen trotz Ohnmacht.

Jesus bleibt einfach stehen. Trotz des Schwindels der uns ergreift einen festen Stand haben oder immer wieder zu einem guten Stand kommen, trotz der Ohnmacht und der Angst vor den Herausforderungen ermächtigt sein und sich der Versuchung erwehren über den Zustand der Lydia-Gemeinde und den einschneidenden Veränderungen nur zu jammern, das wünsche ich mir. Dass wir uns dazu verhelfen. Dass wir miteinander die Freude am Glauben wecken und leben – gleich ob Mitglieder und Finanzen schwinden – und wir als Kirche rein soziologisch gesehen auf den absteigenden Ast sitzen. Das können wir auch. Jammern ist ansteckend, Freude auch. Das Schöne ist: Im Glauben müssen wir unseren Stand nicht selbst erkämpfen. Freude über Freude.

Anbetung

Macht ist und bleibt eine Versuchung. Nicht nur im großen Stil des Herrschens über ganze Länder und Kontinente, um eigene Interessen und das Erweitern seiner Einflusssphäre zu sichern, notfalls mit Gewalt und Krieg. Es ist noch nicht ausgemacht, ob das autoritäre oder demokratisch kapitalistische System dominieren wird, der global geführte Kampf darum ist entbrannt. Schon jetzt wissen wir, er hat stattgefunden und findet statt auf Kosten der Armen und unter Missachtung der Menschenrechte, von Tier- und Schöpfungsrechten ganz zu schweigen. Ganz anders die Absage Jesu an das Herrschen mit Gewalt über andere. Diese Versuchung ist für Jesus vielleicht die geringste, für die Welt und die Kirche in der Welt aber die größte. Hieße das doch, Gott zu lieben und die Wahrheit und die Gerechtigkeit und nicht dem Mammon zu dienen, dem Kapital zu folgen, das vermeintlich eigene Recht auf Teufel komm raus kriegerisch durchzusetzen. Angeblich für Werte in Wahrheit für Interessen werden die Opfer übersehen, zählt nicht das Leben eines Menschen, sondern allein das Ziel. „Die Herren dieser Welt kommen und gehen – unser Herr kommt“ hat der Kämpfer der Bekennenden Kirche der ersten Stunde Martin Niemöller gesagt. Es passt dieses Wort, dass dem Glauben eine grundsätzliche subversive und kritische Haltung gegenüber den Mächtigen – und auch gegenüber den Wortführern in den eigenen Reihen – in die DNA schreibt. Bleiben wir kritisch. Bleiben wir wachsam. Bleiben wir nüchtern. Es ist gut, dass die Zeiten der Pfarrherrlichkeiten ausklingen. Der Nährboden für falsche Abhängigkeiten und sexuelle Übergriffe wird den Pfarrern entzogen, wenn die Gemeinde sie nicht länger mit einem Heiligenschein versieht. Es gibt in der evangelischen Gemeinde geistlich gesehen kein oben und unten, nur – aber auch das muss kritisch begleitet werden – verschiedene Aufgaben und Funktionen.

Jesus wehrt den Versuch der Macht ohne Liebe und Gerechtigkeit ab. Wer Gott anbetet, der betet nicht eine weltliche Macht an, sondern eine geistige Macht, Gott selbst. Diese Anbetung führt nicht in die Isolation, sondern in die Gemeinschaft. Macht wird hier durch Gerechtigkeit und Liebe bestimmt.

Liebe Gemeinde,

das sind die drei Versuchungen Jesu und der Kirche: der Sehnsucht und nicht dem Geist zu folgen, die Lust sich in die Arme Gottes fallen zu lassen und nicht für das eigene Tun und Handeln gerade zu stehen, und die Anbetung der Macht, das über Andere herrschen und bestimmen wollen – und sei es nur durch eine fiese Mail – und sich der Liebe und Gerechtigkeit zu entziehen.

Jesus hat den Teufel besiegt, wir werden immer wieder schwach werden, den Versuchungen erliegen, aber wir dürfen immer wieder aufstehen, uns an Jesus ausrichten, Gott und den Menschen dienen. Und ohne unser Zutun treten dann die Engel zu uns und helfen uns zu leben.

Amen

Predigt Heruntergekommener Gott, Heilig Abend, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2023

Predigt Heruntergekommener Gott                                             Heilig Abend 2023

„Er war von göttlicher Gestalt.“ „Er wurde in allem den Menschen gleich. In jeder Hinsicht war er wie ein Mensch.“ (Phil 2,6a u.7b; Basis-Bibel)

Liebe Festgemeinde,

kürzlich sagte ein Freund zu mir: „Gott ist ganz schön heruntergekommen. In meinem Umfeld glaubt eigentlich niemand mehr so richtig an Gott, eher wird gesagt, irgendwas zwischen Himmel und Erde muss es schon geben, aber was das genauer sein soll, weiß niemand. Ab und zu höre ich, dass jemand sagt, er sei spirituell und wenn ich dann Frage, was er damit meint, sagt die Person, ich empfinde ein intensives Gefühl der Kleinheit angesichts eines mächtigen Berges, mein Herz ist zum Zerreißen gespannt vor Freude, wenn ich durch den Wald gehe und die Vögel zwitschern höre, und Trost erfahre ich, wenn Musik meine Seele erreicht.“

„Ja, Gott ist ganz schön heruntergekommen“, wiederhole ich.

„Sag ich doch! Und schau dir nur die nicht abreißenden Austrittswellen in den Kirchen an. Das ist glaube ich erst die Spitze des Eisbergs. Jetzt, wo soziologisch gesehen weniger als die Hälfte der Bevölkerung noch Kirchenmitglied ist, gibt es immer weniger Grund in der Kirche zu bleiben, da der Mensch nun Mal ein Herdentier ist und zur Mehrheit dazugehören will… Ich schäme mich ja schon, wenn ich in einer Runde gefragt werde, ob ich noch in der Kirche bin und es bejahe, gerate unter Rechtfertigungsdruck. Mein Gegenüber lächelt dann und sagt: ´Tritt doch aus. Glauben kannst du auch ohne Kirche.´“

Um ihn zu irritieren werfe ich ein: „Erstens: Es stimmt. Gott ist heruntergekommen. Zweitens: Der Glaube an Gott ist heruntergekommen.“

„Wie meinst du das?“ fragt er erstaunt.

„Ich fange mal mit dem zweiten an. Immer weniger Menschen leben einen Glauben. Das heißt z.B., sie beten nicht regelmäßig. Das Beten ist verlernt worden. Überhaupt verschwindet religiöse Sprache im Alltag. Menschen sagen nicht mehr, wenn jemand schwer erkrankt ist oder einen hohen runden Geburtstag hat: Ich wünsche dir den Segen Gottes, sie sagen einfach: Ich wünsche dir viel Kraft. Damit ist das Gleiche gemeint und doch weniger gesagt. In die Gottesdienste der Markuskirche kommt auch keine Kern-Gemeinde mehr. Mit den treuen Älteren, die regelmäßig zum Gottesdienst kamen, ist nicht mehr zu rechnen. Ich sage nicht, dass unsere Kirchenmitglieder ablehnend sind oder die Menschen überhaupt nicht mehr religiös ansprechbar sind, im Gegenteil: Die Frage nach dem Sinn stellen sich viele, was aber nicht bedeutet, dass daraus eine religiöse Praxis wird, also z.B. ein regelmäßiges Beten oder ab und an ein Gottesdienstbesuch. Auch wenn es immer wieder existentielles Fragen und ein ernsthaftes Suchen nach einem gelingenden und guten Leben gibt, ist der Glaube an Gott – im Sinne einer Praxis – heruntergekommen. Es gibt auch weiterhin Übergänge im Leben und besondere Zeiten, wo bewusst oder diffus Berührung mit dem Heiligen gesucht wird.“

„Ja, wie Heilig Abend – wenn sich die Kirchen einmal füllen,“ resümiert mein Freund lächelnd.

„Das hat auch seine guten Gründe“, erwidere ich. „Der eine ist, dass sich das Weihnachtsfest von den Kirchen gelöst hat und super als Lichterfest, Weihnachtsmarktromantik und vor allem als Familienfest funktioniert. Der Konsum ist auch eine Weihnachtstriebfeder und das Gefühl, wie es das WDR-Radio treffend auf den Punkt bringt: Wir sind Weihnachten. Wärme und Licht in der dunkelsten Zeit des Jahres. Niemand kann in unserem Land vor Weihnachten fliehen. Innerlich emigrieren kann man/frau, aber fliehen nicht.

Der andere Grund liegt in der Weihnachtsgeschichte, wie sie die Bibel überliefert, am besten nach dem Lukasevangelium – natürlich für Evangelische und Bildungsbürger in der Übersetzung der vertrauten Worte Martin Luthers…“

Mein Freund wirft spöttisch ein: „Also eine andere Form von Romantik, Weltflucht, dem Gefühl von Zusammengehörigkeit der Gutmenschen, die auch an die Armen denken und ein bisschen vom Frieden singen?“

„Na, sei mal nicht so ironisch,“ zwinkere ich meinem Freund zu. „Dahinter steckt mehr. Kurz gesagt: Die Frage nach Gott, die Sehnsucht nach einem gelingenden Leben und ja, die Verheißung von Frieden auf Erden. Den wir so bitter nötig haben.“

„Jedes Jahr aufs Neue – wie mir scheint. Und du meinst wirklich, dass die Weihnachtsgeschichte, die ja eher eine Weihnachtslegende ist, wie wir historisch wissen – viele Menschen in die Kirche zieht? Also Heilig Abend als literarisches Ereignis?“

„Mmh, wieso nicht? Interessanter Gedanke. Der in diesem Jahr verstorbene Martin Walserdachte über das Verhältnis von Literatur und Religion ähnlich (1). Religion und Literatur sind wie Geschwister, die untrennbar zusammengehören. Und für mich ist auch ein neuer Gedanke seit der Lesung von Simon Strauß aus seiner Novelle Zu zweit im November im Markus-Gemeindehaus: Religion und Literatur halten das Wunder wach (2). Und Heilig Abend geht es um das Wunder aller Wunder im christlichen Glauben.“

„Du meinst, dass Jesus geboren wird?“

„Ja.“

„Was ist denn an dieser Geburt das Wunder? Das mit der Jungfrau kannst du ja wohl vergessen – oder?“

„Dass Gott heruntergekommen ist – ganz wörtlich. Gott kommt zur Welt, um die Welt zu erlösen, um das vergängliche und bedrohte Leben mit den Menschen zu teilen, die Entfremdung zu überwinden, die Einsamkeit zu heilen, zu versöhnen und Frieden zu stiften. Dafür legen sich die Engel ins Zeug loben und preisen Gott: ´Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.´ (Lk 2,14). Und der Heilig Abend-Gottesdienst ist nichts anderes – wie übrigens jeder Gottesdienst – als das Einstimmen in den Lobpreis der Engel. Also: Nicht nur das Hören der Weihnachtsgeschichte – gerade das Antworten, das Einstimmen in den Lobpreis macht Weihnachten zu Weihnachten. Angelus Silesius (1624-1677) dichtet treffend: „Und wäre Christus tausendmal in Bethlehem geboren und nicht in dir, du wärest doch ewiglich verloren.“ (3) 

Häh, was hat das jetzt mit dem Lobpreis, dem Singen und Beten zu tun? Erst recht mit der Weihnachtsgeschichte nach Lukas?“, grätscht mein Freund dazwischen.

Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen…“ ( Lk 2,19) oder wie Dostojewskij sagt: „Die menschliche Natur verlangt nach Anbetung.“(4). Gerade das spüren viele Menschen an Heilig Abend.

Wir können uns streiten, ob Jesus in einem Stall in Bethlehem geboren wurde oder nicht, ob Herodes alle männliche Neugeburten nach Jesu Geburt töten ließ oder nicht. Ob Jesus in mir oder in dir geboren ist oder nicht, darüber können wir nicht streiten. Davon können wir nur erzählen. Das ist eine Glaubenswahrheit, die nicht weniger wahr ist als das 1+1 = 2 ergibt. Der bekannte Dirigent Daniel Barenboim kann sagen: Musik ist alles und alles ist Musik. In mir ist Musik. (5) Wie könnte dann nicht in einem Gläubigen Christus geboren werden und leben?“

„Aber wenn das so ist, dann müsste die Welt doch anders aussehen?“

„Allerdings!“

„Aber dann ist doch das ganze Heilig-Abend-Feiern in der Kirche nutzlos?“

„Nein, weil ein Gottesdienst sich nicht funktionalisieren lässt. Oder anders gesagt: weil Weihnachten auf Verwandlung, Veränderung und Neuwerden abzielt und das Wunder der Menschwerdung Gottes wachhält. Und weil wir uns selbst nicht sagen können, dass Gott gekommen ist, uns und diese Welt zu erlösen. Weihnachten in seiner Tiefe bedeutet: „Der heruntergekommene Gott ist jetzt einer von uns. ((Gott)) rührt zu Tränen von Freude und Leid“ und ist selbst davon berührt. „Diesem Gott begegne ich nicht mehr zuerst in Tempeln und Kirchen, sondern in den Höhen und Tiefen des Alltags, in der Stille und im Lärm, und vor allem im Antlitz meiner Nächsten.“ (6)

Sieh mal, mir hat ein Wort des Tübinger Theologen Eberhard Jüngel geholfen, meinen Glauben mit meinem Erleben zu verbinden und nicht an eine extra heilige Welt zu glauben. Jüngel sagt: Wer glaubt, macht eine „Erfahrung mit seiner Erfahrung“ (7) – erlebt sich in allem, was ihm widerfährt mit dem Urgrund des Lebens verbunden. Daher reißt seine Verbindung zu Gott nicht ab. Und wo sie abreißt, mache ich die Erfahrung, dass Gottes Gnade größer ist als meine vermeintlich guten oder schlechten Absichten und Taten. Auch das ist Weihnachten: Ein Fest der Annahme, der Umarmungen und des Gesegnet-Werdens mit neuen Lebensenergien.“

„Mmh. Schön und gut. Ich muss jetzt los. Danke für das Gespräch.!“

Mein Freund war schneller weg, als ich gucken konnte. Wenn ich es mir recht überlege, habe ich jetzt Stoff für die Heilig-Abend-Predigt. Ich weiß auch schon meinen Schlusssatz. Weihnachten kommt Gott auf uns zu. Also geht auch aufeinander zu: umarmt euch, berührt euch, beschenkt euch, versöhnt euch, segnet euch – dann wird es ganz von selbst Heilige Nacht. (8)

Anmerkungen:

1 Martin Walser/Jakob Augstein: Das Leben wortwörtlich. Ein Gespräch, Kapitel       11 Ohne Gott fehlt mir etwas, Rowohlt Verlag, Hamburg 2017

2 Siehe Lesung und Gespräch Simon Strauss/Joachim Leberecht unter dem Link:https://www.erwachsenenbildung-aachen.de/infos/mediathek

3 Angelus Silesius: Cherubinischer Wandersmann, 1675

4 Fjodor M. Dostojewskij: Böse Geister. In der Übersetzung von Svetlana Geier, Fischer-Verlag, Frankfurt am Main, 2010

5 Daniel Barenboim: Musik ist alles und alles ist Musik. Erinnerungen und Einsichten, Piper Verlag, Berlin 2014

6 Johann Pock: Adventspoesie Teil 4, Der heruntergekommene Gott, in: feinschwarz.net, 24.12.2017

7 Eberhard Jüngel: Erfahrungen mit der Erfahrung. Unterwegs bemerkt, Radius Verlag, Stuttgart 2008

8 Predigtidee aus einer Andacht im Dezember-Pfarrkonvent 2023 von Pfarrer Uwe Loeper, der auf das Gedicht von Hans Dieter Hüsch Du bist ein heruntergekommener Gott verweist. Erschienen in Hans Dieter Hüsch/Uwe Seidel: Das kleine Buch zum Glück, tvd, Düsseldorf 2012

Predigt: „Denn alles Fleisch ist wie Gras.“ über 1. Petrus 1,24, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2023          

Zum Ewigkeitssonntag 2023

          

Liebe Gemeinde,

kennen Sie das Deutsche Requiem von Johannes Brahms? Johannes Brahms hat in seinem Requiem Verse zu Sterben und Tod aus der Bibel vertont und sie kunstvoll aneinandergefügt. Das Requiem beginnt mit dem mehrstimmigen Chorsatz zur Seligpreisung: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“(Mt.5,4) Die Melodie ist sehr getragen. Dann folgt eine kurze Pause und es wird dramatisch. Langsames, marschmäßiges Trommeln eröffnet den nächsten Satz in Moll, erst instrumental und dann setzen die tiefen Bassstimmen ein: „Denn alles Fleisch ist wie Gras.“ In der Wiederholung wird die Dramatik musikalisch noch gesteigert: „Denn alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blumen.“ Der Satz wird minutenlang wiederholt bis die Musik auf einen Höhepunkt zustrebt, kippt und der Chor laut ruft: „Aber des HERRN Wort bleibet in Ewigkeit.“ (1. Petr.1,24-25)

 

Was ist der Mensch?

Was ist der Mensch? Die Bibel hält fest, der Mensch ist vergänglich. Alles Leben ist vergänglich und gleicht – ob kurz oder lang – einem Grashalm. Der Psalmist dichtet: „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde; wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da.“ (Ps. 103,15)

Nimmer da. Das ist der Verlust. Das ist die schmerzliche Wahrheit. Wir wussten es eigentlich immer: unsere Lieben werden sterben. Aber dann, wenn wir es erleben, fühlt es sich doch ganz anders an. Wir trösten uns damit, dass der Tod eine Erlösung war von den Schmerzen – und, dass ist er auch gewiss, wenn das Weiterleben eines Menschen nur eine Verlängerung seines Leidens wäre – und dennoch widerhallt das Nimmer da in uns. Saß er nicht dort immer in seinem Sessel und hat seine Kreuzworträtsel gelöst? Hat sie nicht immer alles schön dekoriert?  Wir hatten erst wieder seit kurzem Kontakt, jetzt ist es als würden wir unser Kind ein zweites Mal verlieren! Nimmer da. Das ist keine Kategorie für unser Denken, aber wir erfahren es. Es gibt viele Arten von Trauer. Eine davon ist der unwiederbringliche Verlust. Der Tod erschüttert, wir aber müssen funktionieren. Das federt den Schrecken ab und zeigt gleichzeitig wie sehr wir der modernen Arbeitsteilung unterworfen sind und für die Trauer gesellschaftlich kein Platz ist. Die Beerdigung muss geplant werden. Wie geht das? Was ist der Wunsch des Verstorbenen, was die Vorstellungen der einzelnen Familienmitglieder? Der Tod setzt in der Familie eine Zäsur, führt zusammen, relativiert Meinungsverschiedenheiten, lässt uns bestenfalls gnädiger miteinander umgehen. Eltern spüren die Nähe und Unterstützung ihrer Kinder, Kinder begreifen, wie viel sie miteinander als Geschwister verbindet oder auch trennt.

Schönes und Schmerzhaftes

Schönes und Schmerzhaftes führt der Tod zu Tage. Dankbarkeit über die Erziehung und für die Liebe der Eltern. Auch für die Ehe oder Partnerschaft gilt das. Von einem Tag auf den anderen Tag geht all das Vertraute verloren. Die Einsicht, es war vielleicht nicht alles gut, aber ich sehe, dass der oder die Verstorbene auch ein Kind seiner Familie und seiner Zeit, seines Wesens war und es gut mit mir meinte – selbst wenn die Wirkung eine andere war. Der Verlust bringt uns unweigerlich mit uns selbst ins Gespräch. Es ist jetzt die Zeit noch einmal auf die Beziehung und wie sie sich gestaltet hat zu schauen, was mir die und der Verstorbene bedeutet hat und auch über seinen Tod hinaus bedeutet. Kann ich ihn in Frieden gehen lassen? Gibt es noch etwas zu klären, etwas zu sagen, sich zu versöhnen? Selbst, wo ich weiß, dass es keinen sinnlichen Austausch mehr mit dem Verstorbenen gibt, ist ein Zwiegespräch sinnvoll. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie allein sind und ganz selbstverständlich mit dem Toten sprechen oder auf einmal mit Gewissheit sagen können, dass sie sich von ihr oder von ihm auf eine gute Weise umgeben fühlen. Der Friede mit dem Verstorbenen stiftet Geborgenheit, Kraft und Mut den eigenen Weg als Ehepartner, Sohn oder Tochter weiter zu gehen. Es ist mehr als ein sich erinnern. Es ist ein Verbunden-Sein über den Tod hinaus. Es ist auch ein Annehmen der eigenen Sterblichkeit. Der andere ist vorausgegangen, ich werde hinterhergehen.

Vergänglichkeit

Mi der Vergänglichkeit haben wir es alle zu tun. Für den Sterbenden vergeht die Welt, bricht der Kontakt zu allen ab, die er liebt und auch zu allem, was ihn wichtig war. Und für die, die weiterleben, fährt die Erkenntnis der eigenen Vergänglichkeit wie ein Blitz durch Mark und Bein. Manchmal sind es nur scheinbar ewig langandauernde Sekunden des Überwältigt-Werdens der eigenen Sterblichkeit, bei anderen nistet sich eine Melancholie über die eigene Vergänglichkeit und über das Vergehen aller Dinge ein. Die Grenzen zur Resignation und zum nicht mehr Leben wollen sind dabei fließend. Es gibt einen Lebensüberdruss und auch ein sehnliches Erwarten des Todes.

Das Rätsel um den Tod ist das Rätsel des Menschen. Der Mensch ist (sich selbst) ein Geheimnis (Dostojewskij). Die Wissenschaft kann das Geheimnis um den Tod nicht lösen. Kein Mensch kann das, und wer das behauptet, lügt. Gewissheit bringt hier allein der Glaube, aber nicht im Sinne eines Wissens, das überprüft werden kann, sondern in einem Grundvertrauen auf einen Gott, der da hilft – auch durch den Tod und über den Tod hinaus.

 

Unvergänglichkeit Gottes

Der Vergänglichkeit allen Lebens stellt die Bibel die Unvergänglichkeit Gottes gegenüber. „Denn alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blumen.“ „Aber des HERRN Wort bleibet in Ewigkeit.“ (1. Petr. 1,24-25)

Der Ewige, der alles vergängliche Leben durch sein Wort geschaffen hat, der einen ewigen Bund mit den Menschen geschlossen hat, wie sollte Gott nicht treu sein, seine geliebten Geschöpfe ins ewige Leben zu rufen? Oder, wie der Apostel Paulus schreibt: „Was soll uns trennen von der Liebe Gottes? Etwa der Tod? Nein, nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes.“ (nach Römer 8,38f)

Eine konkrete Vorstellung, was das genau heißt, gibt es nicht. Es übersteigt auch unsere Erkenntnismöglichkeiten, selbst die Bibel malt den Himmel nicht konkret aus, gewährt nur Einzelnen visionäre Bilder, etwa vom himmlischen Jerusalem, wo Gott und die Menschen in Frieden und Gerechtigkeit zusammenleben (Offb. 21,3).

Von daher dürfen wir glauben: Unsere Toten und wir selbst sind und werden in Gottes Hand geborgen sein.

In Brahms Requiem kommt die christliche Hoffnung deutlich zum Ausdruck, wo Brahms 1. Kor. 15,54 unübertroffen vertont: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“