„Luther gegen Luther“, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2015

Zu: Folker Siegert: LUTHER und das Recht, mit einem Beitrag von Frieder Lötzsch, Studienreihe Luther 3, Hrsg. von Dieter Beese, Günter Brakelmann, Arno Lohmann, Luther Verlag Bielefeld 2014, ISBN: 978-3-7858-0651-7, 202 Seiten, Preis: 12,95 Euro

SiegertEin Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt, dass dieses Buch eine Sammlung unterschiedlicher Beiträge ist. Liest man es vom Ende her, so findet man zuletzt auf zwei Seiten eine „Erklärung der Evangelischen Lutherischen Kirche in Amerika gegenüber der jüdischen Gemeinschaft“, die in dem Satz gipfelt: „Im Einverständnis mit dem Lutherischen Weltbund missbilligen wir insbesondere die Aneignung der Worte Luthers seitens moderner Antisemiten zur Verbreitung des Hasses gegenüber dem Judentum bzw. jüdischer Menschen von heute.“ (S. 200)

Von hier aus gesehen wird deutlich, dass das Anliegen beider Autoren auch als (ehemalige) Mitarbeiter des Institutum Judaicum an der Uni in Münster darin besteht, einen angemessenen Umgang mit den Schmähschriften Luthers gegen die Juden (seiner Zeit?) zu finden. Der bekannte Weg mit „Luther gegen Luther“ wird hier empfohlen. Allerdings nicht dadurch, dass die judenfreundlichen Frühschriften Luthers in die Waagschale gegen die späten Schmähschriften geworfen werden, sondern dem Titel „Luther und das Recht“ entsprechend, indem Beispiele aus der Rechtsgeschichte Luthers und des Luthertums allgemein als Gegengewicht gegen zeitbedingte Aussagen gesehen werden. Folglich behandelt der Artikel von Folker Siegert, dem man den Vortragsstil noch deutlich anmerkt, Fragen des Rechts ausgehend vom römischen Recht, über das Naturrecht im lutherischen Sinn, bis hin zum Verständnis der Tora (S. 7 – 71). Nicht zufällig in der Mitte des Bandes findet sich die Quellensammlung mit dem ursprünglichen Titel „Luther und das Recht“ von Wolfgang Beyer aus dem Jahr 1935, sprachlich überarbeitet und mit Anmerkungen versehen (S. 75 – 158). Während der Artikel von Folker Siegert erst am Ende zum Thema der Behandlung antijudaistischer Texte überleitet, ist der abschließende Text von Frieder Lötzsch diesem Thema gänzlich gewidmet: „Luthers späte Judenschriften: ein Politikum mit Fehlern“ (S. 159 – 198). „„Luther gegen Luther“, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2015“ weiterlesen

Der „Fall“ Heidegger, zweiter Kommentar, Das „geistige“ Programm Heideggers und seine Verwicklung in den Nationalsozialismus, Christoph Fleischer, Welver 2015

Was wiegt mehr, antisemitische Gedanken in den „schwarzen Heften“, Tagebuchnotizen Martin Heideggers aus der Zeit um 1942, oder bereinigte Manuskripte, herausgegeben im Band „Holzwege“ 1950 kurz vor dem Ende des Lehrverbots mit dem Eintritt in die Pensionierung (Informationen dazu: Sidonie Kellerer: Heideggers verbogene Wahrheiten und die „schwarzen Hefte“, Philosophiemagazin Sonderausgabe 03, S. 71)? Differenziertere Urteile bezogen auf biografische Daten Heideggers wären da schon interessanter.

Was wiegt mehr, der Kontaktabbruch zu seinem Lehrer Edmund Husserl, wie Heidegger selbst wohnhaft in Freiburg und das Löschen der Widmung in Heideggers Werk „Sein und Zeit“ einerseits oder der Rücktritt vom Rektorat 1934 schon nach einem Jahr andererseits? Was wiegt mehr, die Parteimitgliedschaft Heideggers in der NSDAP bis 1945 einerseits und Beginn der Vorlesungen ohne Hitlergruß andererseits?

Die Beobachtungen von Jacques Taminiaux, Übersetzer Heideggers ins Französische scheinen weiterführender. Er sagt in Bezug auf Heideggers Fundamentalontologie in „Sein und Zeit“: „Die Blindheit bestand nicht nur in der Übertragung dessen, was in der Fundamentalontologie auf das einzelne Seiende begrenzt war, auf das Dasein eines Volkes.“ (Ebd. S. 67) Die Frage, wie eine solche Übertragung überhaupt möglich wäre, sollte beantwortet werden. War „Sein und Zeit“ mit seinem Fokus auf das Existenzielle nicht gerade die Immunisierung gegen jede erneute Metaphysik? Jacques Derrida hat in seinem Buch „Vom Geist, Heidegger und die Frage“ die Entwicklung der Lehre Heideggers ein wenig unter die Lupe genommen, was im Weiteren noch zur Sprache kommen wird. Vorab schon einmal ein Zitat zum Zusammenhang von Metaphysik, Nationalsozialismus und „Geist“: „Man kann nicht einfach sagen, dass Heidegger in der Rektoratsrede ein Risiko eingeht. Wenn deren Programm diabolische Züge annimmt, so deshalb, weil es – nichts dabei ist dem Zufall zuzuschreiben – das Schlimmste in sich vereint, kapitalisiert, zwei Übel zugleich: es bürgt für den Nazismus und enthält einen Gestus, der noch ein metaphysischer Gestus ist. … die Metaphysik kehrt stets zurück, wie ein Gespenst, wie ein wiederkehrender Geist…“ (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 995, Suhrkamp Verlag Frankfurt/Main 1992, S. 50) „Der „Fall“ Heidegger, zweiter Kommentar, Das „geistige“ Programm Heideggers und seine Verwicklung in den Nationalsozialismus, Christoph Fleischer, Welver 2015“ weiterlesen

Der „Fall“ Heidegger, erster Kommentar, Fragen, Markus Chmielorz, Dortmund 2015

Auf Wittgenstein geht der Satz zurück: „Die Welt ist alles, was der Fall ist.“ (Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus. URL: http://tractatus-online.appspot.com/Tractatus/jonathan/D.html – abgerufen am 23.05.2015)

Die Schriftstellerin Sabine Scho hat einmal darauf geantwortet: „Ich zähle noch an den Blessuren.“ (Sabine Scho, ohne Titel, in: Katalog Zeta-Ausbildungsgruppe, hg. v. L. Kossolapow, Münster/Lengerich 1995, S. 76)

1945 lag Deutschland in Schutt und Asche, nicht nur buchstäblich. Noch heute zählen Menschen an dem, was während der nationalsozialistischen Diktatur der Fall war: Dass Menschen Menschen, nur weil sie Jüdinnen und Juden, Kommunist_innen, Sozialdemokrat_innen, Zeugen Jehovas, Lesben oder Schwule waren, aus der Gesellschaft ausgeschlossen, an den Rand gedrängt, verfolgt und umgebracht haben.

Heideggers „Schwarze Hefte“ also. Eine aktuelle Debatte, nicht zufällig 70 Jahre nach dem Ende der Schreckensherrschaft, die Grund genug ist für eine Selbstreflexion. Ein Anlass zu erhellen, worauf die Diskussion zielt und worauf sie sich begründet.

Meine Beschäftigung mit Heidegger geht zurück auf Vattimo und den „schwachen Glauben“. Worauf also sich berufen, wenn es darum geht, nach Religionskritik und Aufklärung gute Gründe für einen post-metaphysischen Glauben zu finden. Der erste Gedanke: Worauf ließe sich ein „schwacher Glaube“ alternativ begründen, wenn nicht auf Heidegger? Doch langsam, denn es wollen die vielen Stränge der Erzählung vom „schwachen Glauben“ einzeln aufgenommen werden.

An einem Sonntagmorgen sendet der Deutschlandfunk einen katholischen Gottesdienst: „Ich glaube an Gott, den Vater, den allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde …“ Wie ist das möglich, diese Sätze heute auszusprechen und vernunftbegabt gute Gründe dafür zu finden?

Ich gebe Auskunft darüber, wozu es gut ist, dass kenosis (Leerwerden, Entäußerung) für mich im Hinblick auf postmetaphysische Religion so bedeutsam ist. und weshalb ich anstelle dieses Glaubensbekenntnisses eine Zeichenfolge [ ] ins Spiel gebracht habe, als einen Hinweis auf einen unbegrifflichen Zwischen-Raum des Nicht-Kontingenten und Un-verfügbaren.

Ist also dieses Glaubensbekenntnis nur etwas für Narren? Für die Toren unter uns, die noch an die Allmacht Gottes glauben angesichts der Schrecken? Oder: Wenn denn des Narren Mund Wahrheit kundtun würde, welche Wahrheit genau wäre das dann?

Wie also geht postmetaphysisches Denken? Vattimo hat Heidegger befragt (der hat Nietzsche befragt), Derrida hat ebenfalls Heidegger befragt: eine Frage der geistigen Väter also, die ebenso eine Frage der Religionen ist. Ein Blick zurück in die Geschichte der Religionsphilosophie, um eine Antwort darauf zu finden, wem die Elternschaft für den „schwachen Glauben“ zugeschrieben werden kann. Wie genau lassen sich die Bedingungen der Möglichkeit des „schwachen Glaubens“ erzählen? Die Bedingungen der Möglichkeit einer postmetaphysischen Religion, die sich auf die Schriften beruft, die von Jesus Christus erzählen? Die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrungen, die anders sind, als unsere Alltagserfahrungen? Die Bedingungen der Möglichkeit einer anastasis (Aufstehen, Erwachen), ohne den Tod zu leugnen?

Auch 70 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewalt, die immer noch eingeschrieben ist in die Körper der Nachfahren, wird mir zu viel über die Täter_innen gesprochen und zu wenig über die Opfer. Das wäre schon so etwas, wie ein Programm:

  • Welche alternativen Begründungen postmetaphysischen Denkens sind möglich ohne Heidegger?
  • Wie setze ich einen Autor und sein Werk ins Verhältnis? (Argumentieren ad hominem und/oder Michel Foucaults Ansatz des „maskierten Philosophen“.)
  • Wie geht Dekonstruktion von Texten, deren Autor Martin Heidegger ist?
  • Welche Tiefenstruktur ließe sich herausarbeiten? Und inwieweit affirmiert oder kritisiert diese Tiefenstruktur seinen Antisemitismus?

Der „Fall“ Heidegger, zweiter Kommentar

Bücher kurz vor Weihnachten kaufen, Christoph Fleischer, Welver 2014

Bei meiner Rezensionsarbeit sind einige Bücher zusammengekommen, die ich nicht ganz gelesen habe und zu denen ich zunächst keine Rezension schreiben wollte. Wer jedoch kurz vor Weihnachten ein Buch sucht als Geschenk, könnte auf eines aus dieser Sammlung zurückgreifen wollen. Die angegebenen Preise beziehen sich allesamt auf die Printausgaben.

Ich schreibe diese Sammelrezension, während russisches Erdgas für die angenehme Wärme in unserer Wohnung sorgt und hoffe, dass das auch so bleibt. Vielleicht sind ja einige der genannten Titel noch für den Gabentisch zu besorgen.
Wer einen dieser Titel von mir bekommen möchte, sollte diesen Beitrag mit einem begründenden Satz kommentieren z. B.: „Mich interessiert das Buch …, weil…“. Ich zahle das Porto und Ihr spendet dafür auf das Konto der Johanniter Unfallhilfe DE02370205004102686294 Betreff Hospiz Soest. Danke.

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