Gelassenheit, Philosophie und Politik, Rezension Christoph Fleischer, Welver 2019

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Philosophie Magazin Nr. 5/2019, Philosophiemagazin Verlag Berlin, Preis: 6,90 Euro

„Gelassenheit“ – mit diesem Leitbegriff scheint das neue Heft des Philo-Magazin (5/2019) einer eher unpolitischen Haltung das Wort zu reden, die nicht gerade gleichgültig, aber vielleicht besonnen und gleichmütig auf die Probleme dieser Welt reagiert. Was in diesem Heft hingegen auffällt, ist die hohe Anzahl großer und kleiner Artikel mit mehr oder weniger politischen Themen.

Nehmen wir schon einmal den Artikel zum Stichwort „Gelassenheit“ über Martin Heidegger, der zu diesem Stichwort ein kleines Heft veröffentlicht hat. Auch wenn dessen Zielrichtung zunächst individuell zu sein scheint, ist Heideggers Votum eher politisch inspiriert, indem er unser Verhältnis zur Technik reflektiert.

Heidegger verdeutlicht den Wert menschlicher Souveränität am Verhältnis zu technischen Errungenschaften. Ich kann und will Heidegger Einstellung zur Atombombe nicht als reinen Antiamerikanismus abtun. Geht es wirklich nur um die Frage des Smartphones in der Tasche, und nicht auch doch um die Atomenergie, Braun- und Steinkohle, Gentechnik und vieles mehr? (D. Rez.)

Heidegger wird zitiert: „Ich möchte diese Haltung des gleichzeitigen Ja und Nein zur technischen Welt mit einem alten Wort nennen: die Gelassenheit zu den Dingen.“ (S. 49)

Ein weiterer Artikel dokumentiert eine Podiumsdiskussion zwischen dem Theologen Peter Dabrock und dem (Rechts-)Philosophen Reinhard Merkel auf der PhilCologne 2019, geleitet von Barbara Bielsch. Ein Hauptthema des Gespräch ist die gentechnische Methode namens CRISPR, mit der Gene gezielt verändert werden können. Die Methode kann zur Heilung von Krankheiten eingesetzt werden.  Erst am Ende der Diskussion wird deutlich, dass auch hier die Philosophie auf die Politik einwirken will: „Hier sehe ich den Staat in der Pflicht. Es ist seine Aufgabe, eine solche freiheitsfeindliche soziale Dynamik zu verhindern.“ (Reinhard Merkel, S. 29)

Eine andere Verbindung zwischen. Politik und Philosophie ist die alte Disziplin der Rhetorik. Hier setzt „Hübls Aufklärung“ an (S. 16). Das Thema,  das er aufgreift, zeigt, dass die Philosophie auf politische Diskurse einwirken sollte. Sie ruft die Politik zur Sachlichkeit, indem sie „fragwürdige Argumentationsstrategien“ entlarvt. Einfach gesagt: Wenn Politiker und Politikerinnen die sachlichen Argumente ausgehen, greifen sie zum „Ad-Hominem-Argument“, zum Angriff gegen die Person. Es tut gut zu lesen, wie politische Hetzkampagnen philosophisch zu entlarven sind.

Ein anderer kurzer Artikel geht auf das Thema des Humors ein, am Beispiel von Jan Böhmermann und anderen. Nils Markwardt geht auf Hannah Arendt zurück und stellt eine philosophische Referenz her: „Ich bin der Meinung, dass man lachen können muss, weil das Souveränität ist.“ (S. 12)

Auch in der Rubrik der Rezensionen taucht das Thema der Politik erneut auf: „Machtspiele der Demokratie“. Der hier besprohene Buchtitel von Michael Pauen lautet: „Macht und soziale Intelligenz. Warum moderne Gesellschaften zu scheitern drohen.“ (Rezension von Ronald Düker, S. 82). Michel Pauen, so der Rezensent, appelliert an sozialpsychologische Fähigkeiten, mit denen der Hang zur Gewalt zurückzudrängen ist.

Beim erneuten Durchblättern finde ich in weiteren Artikeln  Bezüge zur Politik, die jetzt der Vollständigkeit halber nur einfach genannt werden:

Paul Mason: „Linke müssen für die Aufklärung kämpfen.“ Gespräch des britischen (nehme ich an, d. Rez.) Publizisten und Wirtschaftstheoretikers mit Dominik Erhard (S. 18f)

Artikel im Dossier „Gelassen Sein“: Soldaten des Gleichmuts, von Nils Markwardt (S.54 – 57).

Gespräch mit Hélène Cixous über weibliches Schreiben: „Beim Schreiben muss man dem Körper alles abverlangen“ (S. 66 – 71).

Das Beiheft stellt Jeremy Bentham vor, dem Begründer des Utilitarismus.

 

Manipulation statt Schicksal? Recherche mit einem Artikel von Lars Jaeger, Christoph Fleischer, Welver 2019

In der Rubrik „Horizonte“ des Philosophie-Magazins 03/2019 reflektiert der emeritierte Schriftsteller und Rechtsphilosoph Bernhard Schlink den „Abschied vom Schicksal“. Das Verschwinden des „Schicksals“ sei ein schleichender Prozess, der sich schon früh in die Entwicklung moderner Naturwissenschaft und ihrer Anwendung in Medizin und Technik eingewoben hat. Gerade die Medizin hat es ja geradezu zur Aufgabe gemacht, die „Macht des Schicksals“ zu überwinden. Die Menschen wollen heute nicht mehr vom Tod überrascht werden, sondern können sich damit abfinden, wenn sie mit einem „Sanften Tod“ rechnen dürfen. Für die Kirchen scheint der Rückzug des Schicksals ein besonderes Problem zu sein, so Bernhard Schlink, da sie das Wirken Gottes hinter der Unverfügbarkeit der Natur vermuten. Je berechenbarer die Natur, umso weniger wirkt dann Gott, jedenfalls in der Form einer Schicksalsgöttin.

Passend ist dann natürlich auch das Fazit: „Wir nehmen Abschied vom Schicksal, und sein Erbe sind nicht Ängste und Gottesglauben und Tabus. Das Erbe des Schicksals ist Freiheit. Die Freiheit, in die das Schicksal entlässt, muss verantwortet werden, und sie kann mehr verantwortet werden, als sie gegenwärtig wird, vom Beginn des Lebens bis zum Ende, von der Reproduktionsmedizin bis zum selbstbestimmten Tod.“ (PhM 3/19, S. 37).

Das hier von der Theologie ein Veto erklingen muss ist, klar, aber es sollte nicht gegen Freiheit und Verantwortung eines selbstbestimmten Lebens sprechen, sondern darauf hinweisen, dass ein Schicksalsglaube nichts mit dem lebendigen Gott nach der Verkündigung der Bibel zu tun hat, sondern eher ein antikes Erbe ist. Der lebendige Gott, so wie ihn etwa der Theologe Jürgen Moltmann versteht, geht mit den Menschen in eine durchaus offene und ungewisse Zukunft.

Die Argumente Bernhard Schlinks stoßen m. E. an eine andere Grenze, nämlich die trotz der Verdrängung des Schicksals durchaus begrenzten Verfügbarkeit des Menschen über Leben und Tod. Das hat nichts mit den schicksalhaften Eintreten zu tun, sondern mit dem Respekt über Leben und Tod. Ein guter Tod ist kein gewaltsam herbeigeführter, auch nicht auf eigenen Wunsch, aber auch kein aus Profitgier künstlich verlängertes Siechtum. Dietrich Bonhoeffer schrieb 1943: „Ich glaube, daß Gott kein zeitloses Fatum (Schicksal, C.F.) ist, sondern daß er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“

Dass die Beschäftigung mit Naturwissenschaft selbst in die Frage der Verantwortung führt, zeigt der philosophisch-naturwissenschaftliche Autor Lars Jäger („Supermacht Wissenschaft, 2017) im folgenden Text am Beispiel der Genmanipulation. Wenn ich Zukunft alles möglich gemacht wird, was theoretisch möglich ist, wird sich der Begriff des Schicksals anders neu stellen, nämlich so, dass sich Menschen zum Schicksal machen werden. Dann wird es Gerichte geben müssen , die wir am heuten Tag (20.03.2019) ein Gericht in San Francisco, dass eine Verbindung hergestellt hat mit der Krebserkrankung eines Menschen und der Anwendung von Glyphosat in der Landwirtschaft (https://www.tagesschau.de/wirtschaft/boerse/bayer-glyphosat-101.html, eingesehen am 20.03.2019).

Lars Jaeger schreibt:

Durchbruch zum Editieren des menschlichen Genoms? – Ein neues, noch mächtigeres CRISPR-Tool

Von Lars Jaeger

Anders als noch vor zwei Jahren assoziieren heute nicht mehr viele Menschen mit dem Begriff „CRISPR“ so etwas wie einen Müsliriegel. Auch wenn wenige wissen, dass sich dahinter der schwierig verständliche Fachbegriff „clustered regularly interspaced short palindromic repeats“ verbirgt, was zunächst nichts anderes beschreibt als bestimmte Abschnitte sich wiederholender DNA-Stücke im Erbgut von Bakterien, so muss nicht mehr erklärt werden, dass es sich dabei auch um ein mächtiges Tool für das Editieren von Genen verbirgt. Was vor wenigen Jahren noch ein kaum Aufmerksamkeit erregendes Randgebiet der Bakteriophagen-Forschung war und nur einen sehr kleinen Zirkel von hoch spezialisierten Biologen bewegte, hat sich längst zu einem der bedeutendsten wissenschaftlichen und technologischen Durchbrüche dieses Jahrhunderts entwickelt, mit einem gewaltigen revolutionären Potential für Anwendungen in Medizin und Humangenetik. Und unlängst hat die neue Gentechnologie einmal mehr gezeigt, dass sie noch für einige weitere Überraschungen gut ist.

Die Entdeckung von CRISPR geht auf die Erforschung von Phagen in den 1980er Jahren zurück. Phagen sind Viren, die Bakterien anfallen. Einmal mit ihnen infiziert, ist es den Bakterien möglich, Teile der viralen Fremd-DNA in ihre eigene DNA zu integrieren, und zwar in Form wiederkehrender kurzer Palindrome, die von anderen Sequenzen unterbrochen wurden (ein Palindrom ist eine Zeichensequenz, die sich von vorne genauso liest wie von hinten, wie beispielsweise der Name „Anna“). Den Namen „CRISPR“ schlugen die Phagenforscher Francisco Mojica und Ruud Jansen im Jahr 2001 vor, als sie nach weiteren unterbrochenen palindromischen Wiederholungen in Gensequenzen suchten, wie sie bei zahlreichen Phagen bereits entdeckt worden waren. Der eingegliederte DNA-Teil dient den Bakterien zur Wiedererkennung: Sobald es Viren mit dieser DNA erneut angreifen, identifizierten die Bakterienzellen diese DNA und können so Strategien zum Schutz entwickeln. Zu diesem Zweck gesellt sich zur CRISPR-DNA ein weiteres Enzym, ein so genanntes „Cas“ („CRISPR-associated“) – Protein. Mit diesem lässt sich die erkannte Gensequenz aufschneiden und damit der Virus unschädlich machen. Von solchen Cas-Proteinen hat Mutter Natur eine ganze Reihe entwickelt, mit jeweils sehr verschiedenen Graden von Effizienz, wenn es darum geht, den Genstrang aufzutrennen. Als besonders nützlich hat sich eine Version erwiesen, die als „Cas9“ bezeichnet wird.

Um das Jahr 2012 herum erkannten die Geningenieure, dass sich der zusammengesetzte CRISPR/Cas9-Komplex auch jenseits der Bakterienwelt sehr gut zum Zwecke der Manipulation von Genen (etwas harmloser auch als „Editieren“ von Genen bezeichnet) eignet. Dabei funktioniert er wie Legobaustein-Finder und Schere zugleich: Man stattet ihn einfach mit einer Sequenz aus, die genau komplementär zu der gewünschten DNA-Zielsequenz ist, woraufhin der Enzymkomplex die gewünschte Zielsequenz in der DNA findet und genau dort aufschneidet. Damit lässt sich an dieser Stelle eine beliebige gewünschte Gensequenz einbauen oder eine andere ersatzlos entfernen. Diese Methode lässt sich so bei nahezu allen Lebewesen zum schnellen und genauen Schneiden und Spleissen ihrer DNA einsetzen, bei Pflanzen, Tieren, Bakterien sowie zuletzt auch beim Menschen. Innerhalb von kürzester Zeit hat CRISPR die Biologie transformiert und ganz neue Wege zur Behandlung von Krankheiten eröffnet.

Nun ist in den letzten Monaten auch in der populären Presse sehr viel geschrieben worden zu CRISPR, oft verknüpft mit der Sorge, dass die Gentechnologie mit dieser Technologie einen mächtigen Hebel erhält, der ihre Möglichkeiten wie Probleme noch einmal enorm vergrössern wird, da es mit ihr sehr viel einfacher wird, Gene von Lebewesen zu verändern, modifizierte DNA in die Keimbahn von Lebewesen einzubringen und damit deren Eigenschaften dauerhaft zu beeinflussen. Die internationalen Schlagzeilen bestimmte die neue Methode schliesslich im November 2018, als die Geburt der ersten mit CRISPR genmanipulierten Babys in China gemeldet wurde.

Was sich allerdings noch gar nicht auf dem Radarschirm der meisten Menschen befindet ist, dass die Möglichkeiten dieser neuen Gentechnologie noch bei weitem nicht ausgereizt zu sein scheinen. So ist im Februar 2019 im renommierten Wissenschaftsmagazin Natureein Artikel erschienen, der einen neuen Enzymkomplex vorstellt, der sehr ähnlich wie Cas9 funktioniert, aber etwa 40% kleiner ist, (E. Nogales, J. Doudna et al., CasX enzymes comprise a distinct family of RNA-guided genome editors, Nature, 4 Februar). Geringere Grösse ist ein gewaltiger Vorteil, wenn man versucht, einen entsprechenden Gen-Editor in eine Zelle zu bringen. Und CasX, wie der neue Komplex getauft wurde, könnte sich gerade für den Einsatz beim Menschen als besonders mächtig herausstellen, da das menschliche Immunsystem es leichter akzeptieren sollte. So befürchten Ärzte, dass Cas9 bei Patienten, die mit CRISPR-Therapien behandelt werden, eine Immunreaktion auslösen kann. Bei CasX sollten solche Problem nicht auftreten, da die Bakterien, bei denen es entdeckt wurde, im menschlichen Körper nicht vorkommen.

Die Geningenieure sind längst auf den Zug aufgesprungen. „Wir wollen nicht nur die nächste molekulare Schere entdecken. Wir wollen das nächste Schweizer Taschenmesser bauen.“, sagt Jennifer Doudna, eine der Entdeckerinnen von Cas9 und Pionierin der CRISPR-Technologie, die auch massgeblich an der Entdeckung von CasX beteiligt war (und Co-Autorin der Nature-Studie ist). CasX könnte ein entscheidender Schritt hin zum sicheren Editieren des menschlichen Genoms sein. Ein kleiner, kaum beachteter Schritt in der Forschung könnte sich als gewaltiger Schritt für die Menschheit erweisen, und zwar in eine sehr unheimliche Richtung.

 

Lars Jaeger hat Physik, Mathematik, Philosophie und Geschichte studiert und mehrere Jahre in der Quantenphysik sowie Chaostheorie geforscht. Er lebt in der Nähe von Zürich, wo er – als umtriebiger Querdenker – zwei eigene Unternehmen aufgebaut hat, die institutionelle Finanzanleger beraten, und zugleich regelmäßige Blogs zum Thema Wissenschaft und Zeitgeschehen unterhält. Überdies unterrichtet er unter anderem an der European Business School im Rheingau. Die Begeisterung für die Naturwissenschaften und die Philosophie hat ihn nie losgelassen. Sein Denken und Schreiben kreist immer wieder um die Einflüsse der Naturwissenschaften auf unser Denken und Leben. Seine letzten Bücher „DieNaturwissenschaften. Eine Biographie“ (2015) und „Wissenschaft und Spiritualität“ (2016) sind bei Springer Spektrum erschienen. Im August 2017 erschien „Supermacht Wissenschaft“ beim Gütersloher Verlagshaus und sein neuestes Buch „Die zweite Quantenrevolution“ erschien im August 2018 bei Springer.
Mit Erlaubnis des Autors und

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Unsterblichkeit – Siegt die Wissenschaft über den Tod? Von Lars Jaeger, Zürich 2017

 

Sie lebt im Mittelmeer, trägt den Namen Turritopsis nutricula, ist nicht viel mehr als eine schwebende Glibberscheibe im Wasser. Doch sie hat eine erstaunliche Eigenschaft: Sie ist (solange sie nicht gefressen wird) unsterblich. Denn diese besondere Qualle besitzt ein Zellprogramm, das die übliche Umwandlung von jungen in differenzierte Zellen wieder umkehrt. Sie „verjüngt“ also ihre Zellen permanent.

Auch so manche Einzeller wie das Pantoffeltierchen haben die Chance, Milliarden Jahre zu leben, weil sie sich immer wieder teilen. Viele Lebewesen sind also potenziell unsterblich. Der Mensch jedoch altert, bis er schließlich stirbt, und dies spätestens mit etwas mehr als 120 Jahren. Doch können nicht vielleicht auch wir in der Zukunft unsterblich werden?

Höher als 64 Jahre und 9 Monate kann die Lebenserwartung des Menschen niemals werden – dies hatte der US-amerikanische Demograf und Statistiker der Versicherungsgesellschaft Metropolitan Life, Louis Dublin, Ende der 1920er-Jahre berechnet. Doch entgegen Dublins Vorhersage ist die durchschnittliche menschliche Lebensdauer in den meisten hoch entwickelten Ländern auf mehr als 80 Jahre angestiegen. Und mit 2,5 Jahren pro Jahrzehnt steigt sie munter weiter. Ihre Verdopplung in den letzten 150 Jahren ist nahezu ausschließlich auf Fortschritte unseres medizinisch-naturwissenschaftlichen Wissens zurückzuführen, worunter auch bessere Hygienestandards, angemessenere Ernährung und umfassendere medizinische Notversorgung zu zählen sind. Wie weit lässt sich die Lebensverlängerung beim Menschen treiben?

Doch warum werden wir überhaupt älter und sterben zwangsläufig irgendwann? Eine genaue Antwort auf diese Frage kann die Wissenschaft überraschenderweise noch immer nicht geben. Keine der verschiedenen Theorien des Alterns ist allgemein anerkannt. Vereinfacht ließe sich sagen, dass mit der Zeit unsere Zellen und Organe einfach ihre Funktionsfähigkeit verlieren. So mancher Genforscher geht heute davon aus, dass sich dieser Prozess aufhalten oder gar umkehren lässt.

Sie glauben, die Möglichkeiten genetischer Manipulationen könnte einen menschlichen Ur-Traum in Erfüllung gehen lassen: der Jungbrunnen ewigen Lebens. Bereits eine der ältesten Dichtungen der Menschheitsgeschichte beschäftigt sich mit dieser Hoffnung: das Gilgamesch-Epos aus dem 3. Jahrtausend v.u.Z. Darin macht sich der sumerische König Gilgamesch auf die Suche nach dem ewigen Leben. Er findet das Geheimnis der Unsterblichkeit schließlich in Form einer Pflanze, lässt sie sich aber, als er sich an einem Brunnen ausruht, im letzten Moment von einer Schlange stehlen. Bekommt der Mensch nun, 4500 Jahre später, diese Pflanze noch einmal in die Hände?

Viele Mediziner und Biologen sind der Auffassung, dass es keine unüberwindbare biologische Grenze für das menschliche Alter gibt. Denn das Altern ist zuletzt nichts anderes als die Folge von Fehlern bei der Zellteilung und -reparatur – verursacht durch mit zunehmendem Alter immer häufiger auftretende Kopierfehler in den Genen. Wenn sich die schadhaften Gene durch Geneditierungs-Techniken wie CRISPR/Cas9 „heilen“ lassen, könnte das der entscheidende Durchbruch im menschlichen Kampf gegen das Altern oder gar den Tod sein. Der Internet-Gigant Google investiert bereits mehr als ein Drittel seines Investment-Budgets für Bio-Technologie („life science“) in verschiedene Firmen, die sich der Verlängerung der menschlichen Lebensspanne widmen.

Wie würde das genau funktionieren? Die wohl populärste Theorie des Alterns lautet, dass unser Älterwerden mit den Enden eines jeden DNA-Stranges zu tun hat. Diese Gen-Bereiche nennen Genetiker „Telomere“. Sie lassen sich mit den Kunststoffhülsen an Schnürsenkelenden vergleichen, die diese vor dem Ausfransen bewahren sollen. Biologen beobachten, dass sich die Telomere jedes Mal, wenn sich Zelle teilt, verkürzen. Dies geschieht so lange, bis eine Chromosomen- und damit Zellteilung nicht mehr möglich ist. Damit stirbt die Zelle. Verfügt die Zelle jedoch über ein bestimmtes Enzym, so verkürzen sich die Telomere nicht mehr. Für die Gerontologen (Wissenschaftler, die sich mit dem Prozess des biologischen Alterns beschäftigen) passt es wunderbar, dass sie mit CRISPR/Cas9 Gene wie Buchstabentexte in Word-Dokumenten editieren können. Das könnte die Zellen in die Lage versetzen, dieses besondere Enzym zu erzeugen und sich so beliebig weiter zu teilen.

Auch die Erforschung der Gerontogene (Gene, welche Alterungsprozesse steuern) hat das Ziel vor Augen, unser Leben zu verlängern. Die Genetiker kennen bereits einige Gene, die den Alterungsprozess bei niederen Organismen direkt steuern, wie beispielsweise das „age-1“, das „2daf-2“, das „bcat-1“ und das „clk-1“ Gen. Auch das in der Öffentlichkeit als Methusalem-Gen bekannte „FoxO3“-Gen gehört in diese Gruppe. Durch gezieltes Einfügen, Verändern oder Blockieren dieser Gene konnte die Lebensdauer von Tieren im Labor bereits massiv gesteigert werden.

Parallel zu den Forschungen auf Zellebene arbeiten Biologen und Mediziner auch daran, gleich ganze Ersatzorgane zu züchten. Sobald bestehende Organe in unserem Körper ihre Funktionsfähigkeit verlieren, könnten die entsprechenden Ersatzorgane implantiert werden. So ist das Kultivieren von Organen in Tieren ist längst auf der Agenda der Forscher. Bereits vor über hundert Jahren brachte der Zoologe Ross Harrison außerhalb des Körpers kultivierte Nervenzellen dazu, sich zu teilen. 1972 ließen Richard Knazek und sein Team Leberzellen von Mäusen auf Hohlfasern wachsen. Und nur zehn Jahre später wurde Brandopfern Haut transplantiert, die zuvor aus körpereigenen Zellen gezüchtet worden waren. Ein letztes Beispiel: Im Jahr 1999 gelang es dann das erste Mal, aus embryonalen Stammzellen von Mäusen Nervenzellen zu züchten. Als diese in anderen Mäusen eingefügt wurden, die an einer Art Multipler Sklerose erkrankt waren, wurden die Tiere wieder gesund.

Auch können wir Organe bereits drucken. Dies geschieht auf der Grundlage einer kleinen Gewebeprobe und einer 3D-Aufnahme des entsprechenden Organs. Mit körpereigenen „Tinte-Zellen“, die aus Stammzellenkulturen produziert werden, wird das Organ schichtweise aufgebaut (in der 3D-Druck-Terminlogie spricht man auch vom „Rapid-Prototyping-Verfahren“). Bereits heute werden Hüftknochen- und Fußknochen-Transplantate in 3D-Druckern mit einer noch vor wenigen Jahren unvorstellbaren Detailtreue gedruckt.

Mit diesem „tissue engineering“ (Gewebe-Herstellung) steht den Medizinern eine weitere mächtige Methode zur Verfügung: Bisher wurden Spender-Organismen ausdifferenzierte Zellen entnommen und im Labor vermehrt, um damit krankes Gewebe bei einem anderen Patienten zu ersetzen. Das Problem waren bisher jedoch die unvermeidbar auftretenden Abstoßungsreaktionen. Hier kommen die Stammzellen ins Spiel. Ihr Vorteil: Mit ihnen gezüchtetes Gewebe wird vom Immunsystem des Patienten nicht als Fremdkörper eingestuft und daher nicht abgestoßen. Adulte Stammzellen sind multipotent, zum Beispiel kann eine adulte Stammzelle aus der Haut alle Zelltypen generieren, eine Leberzelle oder Blutzelle vermag dies nicht.

Die Kombination aus Gentechnologie, Stammzellenforschung und Nanotechnologie (3D-Druck) könnte unser physisches und mentales Wohlergehen und nicht zuletzt auch unsere Lebenserwartung in bislang unvorstellbare Dimensionen steigern. Wenn wir die Gene, die das Altern der Zellen steuern, gezielt editieren und programmieren, im Labor (oder in Tieren) Ersatz-Organe züchten oder Stammzellen zur Heilung krankhafter Zellen oder Organe einsetzen, so erscheint der Traum von einer weiteren Lebensverlängerung oder gar der Unsterblichkeit des Menschen gar nicht mehr so utopisch. Auch wenn wir die menschliche Unsterblichkeit wohl so bald noch nicht realisieren werden, so wird dieses Projekt sicher auf dem Radarschirm unserer wissenschaftlichen Bemühungen bleiben.

 

Supermacht Wissenschaft von Lars Jaeger

Lars Jaeger hat Physik, Mathematik, Philosophie und Geschichte studiert und mehrere Jahre in der Quantenphysik sowie Chaostheorie geforscht. Er lebt in der Nähe von Zürich, wo er – als umtriebiger Querdenker – zwei eigene Unternehmen aufgebaut hat, die institutionelle Finanzanleger beraten, und zugleich regelmäßige Blogs zum Thema Wissenschaft und Zeitgeschehen unterhält. Überdies unterrichtet er unter anderem an der European Business School im Rheingau. Die Begeisterung für die Naturwissenschaften und die Philosophie hat ihn nie losgelassen. Sein Denken und Schreiben kreist immer wieder um die Einflüsse der Naturwissenschaften auf unser Denken und Leben. Seine letzten Bücher „Die Naturwissenschaften. Eine Biographie“ (2015) und „Wissenschaft und Spiritualität“ (2016) sind bei Springer Spektrum erschienen. Im August 2017 erschien sein neustes Buch „Supermacht Wissenschaft“ beim Gütersloher Verlagshaus.

 

 

Nun also doch – Gentechniker überschreiten eine neue Hemmschwelle auf dem Weg zu CRISPR Babys, Lars Jaeger

Vor mehr als zwei Jahren, im Mai 2015, stellte das Wissenschafts-Fachmagazin Nature in einem Artikel unter dem gleichnamigen Titel eine wichtige Frage: „Wo in der Welt könnte das erste CRISPR-Baby geboren werden?“ („Where in the world could the first CRISPR baby
be born?”). Indem es Experten und Regierungsstellen in 12 Ländern, die jeweils über eine gut finanzierte biologischer Forschungslandschaft verfügen, befragte, versuchte das Magazin, einen Quervergleich der verschiedenen Rechtslandschaft bzgl. Gene-Editing-Verfahren zu erfassen.
Die Antworten zeigten eine Vielzahl von Ansätzen. In einigen Ländern wäre bereits das Experimentieren mit menschlichen Embryonen eine Straftat, während in anderen fast alles zulässig ist.
Dabei wurde aber auch klar: In den meisten Ländern sind die staatlichen Entscheidungsträger der Geschwindigkeit der wissenschaftlichen Forschungsdynamik und des damit einhergehenden technologischen Wandels nicht gewachsen (und CRISPR ist nur ein Beispiel). Während gesetzgebende Instanzen Jahre für die Gestaltung der Rahmenbedingungen von neuen Technologien brauchen, entwickeln sich die Technologien längst weiter und machen diese Rahmen dann oft schon wieder überflüssig.
Wie CRISPR oder mit vollem Namen „Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats“ funktioniert, war bereits ausgiebig Thema in diesem Blog (http://larsjaeger.ch/?lang=de). Der regelmäßige Leser weiß, dass sich Gensequenzen mit Hilfe dieser neuen Technik punktgenau ersetzen, verändern oder entfernen lassen, und dies schnell, präzise und sehr billig. Das hat unter Wissenschaftlern, Ethikern und Patienten – leider weniger unter Politikern – zu breiter Besorgnis und heftiger Diskussion geführt. Es ist zu befürchten, dass, wenn derart präzise Genom-Bearbeitung in der klinischen Arbeit akzeptabel wird, um Krankheiten zu entlasten, es unweigerlich dazu kommen wird, dass diese Technologie auch dazu verwendet wird, menschliche Eigenschaften aus nicht-medizinischen Gründen zu verändern, bis hin zu Verbesserung der Intelligenz oder äußerlicheren Attraktivität eines Menschen. „Nun also doch – Gentechniker überschreiten eine neue Hemmschwelle auf dem Weg zu CRISPR Babys, Lars Jaeger“ weiterlesen