Predigt über Titus 3, 4-7, 1. Weihnachtstag, Christoph Fleischer, Welver 2015

Predigt am 1. Weihnachtstag über Titus 3,4-7 / Günne und Meiningsen

4 Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands,

5 machte er uns selig – nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit – durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im heiligen Geist,

6 den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland,

7 damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben des ewigen Lebens würden nach unsrer Hoffnung.

 

Liebe Gemeinde,

 

manche mögen zum Weihnachtsfest andere Worte und Botschaften erwartet haben. Andere sind vielleicht erstaunt über diese Worte, empfinden es aber wohltuend, das nach all dem Rummel mit seinen vielen Farben nun wieder das eine Licht des christlichen Glaubens erstrahlen kann – auch wenn es an diesem Tag in der Kirche nur diejenigen hören, die dieses auch hauptsächlich erwarten.

Und alle möchte ich zunächst fragen: Sind Gedanken und Bilder dabei wach geworden? Haben diese Sätze bestimmte Glaubensbilder wachgerufen?

An diesem Text sind abgesehen von seinen starken Aussagen, vielleicht schon zwei Dinge aufgefallen. Zum einen scheint es sich nur um einen einzigen ganzen Satz zu handeln, mit verschiedenen Nebensätzen und Einfügungen und zum anderen ist dieser Satz dann von der handelnden Person her im Wir gehalten. Der Text appelliert nicht an das Wir-Gefühl, er setzt es voraus. Hier spricht eine ganze Gruppe, sagen wir es deutlich: Das sind die Worte einer christlichen Gemeinde. Ich erinnere mich da sofort an bestimmte Teile des Gottesdienstes, in denen die Gemeinde als Ganze spricht, an die Psalmen vielleicht, an das Glaubensbekenntnis und an das Vater Unser, das ebenfalls ein Bekenntnis ist. Bevor ich näher in die Entdeckungsreise an diesem Text einsteige, möchte ich dies gern mit ihnen einmal gemeinsam erproben. Daher habe ich Textblätter kopiert. Ich möchte ihnen vorschlagen, dass wir den Text einmal gemeinsam als Gemeinde lesen, um so zu erfahren, was wir sagen und meinen, wenn wir diese urchristliche Botschaft nachsprechen.

LESEN DES TEXTBLATTES MIT DER GEMEINDE (siehe Anhang)

Eine kleine Änderung ist vielleicht nur dann aufgefallen, wenn sie schon bei der anfänglichen Verlesung des Predigttextes das Textblatt verfolgt haben. Anstelle “machte uns selig” übersetzte ich “machte er uns heil”. Es steht hier nämlich das gleiche Wort, das auch in dem Wort Heiland gegeben ist, genauso passen würden die Begriffe: Retter und retten oder Erlöser und erlösen. Es geht nicht nur um unser Heil, sondern es geht um unser persönliches heil Werden, gerettet Werden und erlöst Werden, womit immer irgendwie dasselbe gemeint ist.

Hier gibt es schon die erste Möglichkeit auf Weihnachten als Grund und Anlass dieser Predigt hinzuweisen: In diesem Kind Jesus, das menschlich geboren wird, geschieht unser Heil. Jesus bringt Heil in unser Leben.

Daher möchte ich versuchen drei weitere Worte einzuführen, die hier nur am Rand oder gar nicht vorkommen. Es sind die Begriffe: “Glaube, Hoffnung, Liebe.” Sie wissen es, ich erinnere an den auch als Trauspruch bekannten Satz:

1.Kor 13,13 ”Nun aber bleiben  Glaube, Hoffnung,  Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.”

Nur die Reihenfolge und die Gewichtung ist hier etwas anders.

Zunächst geht es um die Liebe.

“Gott macht uns heil nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit.” Der Gegensatz ist also nicht Sünde und Glaube, sondern die menschliche Liebe und die Liebe Gottes.

Manche meinen vielleicht, dass Gerechtigkeit und Liebe nicht so viel miteinander zu tun haben, doch das sehe ich anders. Ich glaube, dass es in der Liebe um nichts anderes geht, als um sich selbst, dem anderen, den Partner, den Kindern, den Freunden und Verwandten und letztlich dem Leben selbst gerecht zu werden. Gerechtigkeit ist im Sinn des Glaubens nichts anderes als die Verwirklichung des Satzes: “Du sollst Gott den Herrn von ganzem Herzen lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.” Jesus sagt zu Recht: „Tue dies, so wirst du leben“. Doch wie ist die Erfahrung? Werden wir Menschen einander gerecht? Fangen wir in der Kindheit an: Haben wir uns von unseren Eltern immer gerecht behandelt gefühlt? Ok, natürlich nicht, jedenfalls nicht durchgehend. Und in der Ehe, in Zusammensein mit dem Partner? Was ist mit den Kindern? Waren wir auch schon von Freunden enttäuscht? Diese Liste könnte man jetzt so weit durchgehen und immer ist klar: auch wenn die Liebe sicherlich die tragende Kraft des Lebens ist, selbst das Vertrauen in uns selbst, so können wir doch nur feststellen: Wir werden einander nicht gerecht. Oder anders gesagt: Selbst bei optimaler Gerechtigkeit gibt es die Erfahrung des Scheiterns, der Enttäuschungen.

Jetzt scheiden sich die Geister: Die einen sagen: „Gib dich damit ab. Nobody is perfect. Unser Leben ist nicht heil und wird es auch nicht. Und wenn es nicht klappt, dann liegt es zumindest zum Teil an dir selbst.“ Die anderen, wie unser Text sagen dagegen: „Gib die Erwartung des sinnvollen Lebens nicht auf.  Erwarte sie allerdings eher von Gott, als von den Mitmenschen. Lebe mit Enttäuschungen und vertraue auf gute Erfahrungen in der Zukunft. Wer auf Gott vertrauet, den oder die verlässt er auch nicht.“

Dabei darf man sicherlich den Glauben an Gott und das menschliche Vertrauen nicht so sehr voneinander trennen.

Hier geht es auch um Werte. Es geht aber auch darum, woher wir das Heil unseres Lebens erwarten. Ja, es ist uns zugesagt: Gott ist Heiland, hat uns heil gemacht durch seine Barmherzigkeit.

Wir haben auch hier das Weihnachtsthema herausgehört. Gottes Liebe, Gottes Nähe ist die menschliche Nähe Jesu. In Jesus ist Gott selbst da und macht uns heil. Daher passt das Wort „Heiland“ in diesem Text sowohl auf Gott als auch auf Jesus. Gott ist uns gegenüber als Liebe erfahrbar, in dem er aus unserer Unfähigkeit vollkommen zu lieben durch seine Barmherzigkeit neues Leben und Zukunft schafft.

Das führt schon direkt zum Begriff des Glaubens, der hier doch eher in der Mitte steht und den Vorrang innehat.

In Jesus ist uns erschienen, so möchte ich den Anfang ergänzen, Gottes Freundlichkeit und Menschenliebe. Gott ist uns gegenüber also der Heiland, der Retter, der Erlöser. Was das eigentlich bedeutet, können wir uns klarmachen, wenn wir daran denken, wem denn sonst Freundlichkeit und Menschenliebe zugesprochen wird. Hier ist von der Politik die Rede, aus damaliger Sicht vom Königtum. Der römische Kaiser ließ sich als Heiland bezeichnen und wurde wegen seiner Menschenliebe gerühmt. Seine Herrschaft war universell. Selbst der jüdische Dichter Josephus rühmt die Wohltaten der römischen Zentralpolitik.

Der Titusbrief wendet sich gegen diese staatlichen Lobhudeleien und sagt zugleich: Diese Attribute sind uns zu wichtig, als sie an irdische Könige zu geben. Sie gelten allein für Gott selbst. Das ist der eine Aspekt des Glaubens: Soli Deo Gloria: Gott allein gebührt die Ehre.

Der andere Aspekt wird hier mit den Worten Wiedergeburt und Erneuerung angezeigt: Das Bad, womit die Taufe gemeint ist, erneuert unser Leben durch die Gabe des Geistes. Damit wird die genannte Gottesvorstellung nun ganz konkret und persönlich. Wer den König preist, geht in der Masse des Volkes auf. Wer dagegen Gottes Menschenliebe kennt, weiß sich selbst angesprochen und gerettet. Der Glaube hebt uns aus der Masse und macht aus uns Persönlichkeiten.

Natürlich ist der Geist der Erneuerung auch ein Geist der Gemeinschaft, aber diese Gemeinschaft ist nicht an die Stelle Gottes zu setzen. Bitte hüten sie sich davor, nur an die Kirche zu glauben! Hüten sie sich davor, dem Friedensschluss und der Friedensbeteuerung von Menschen im Letzen zu vertrauen. Der Geist Gottes wird uns unverfügbar und persönlich gegeben. Gott verändert uns durch den Geist. Dass kann man doch bei aller Globalität und Universalität nur persönlich erfahren. Jeder Mensch, der aus der Kirche ausgetreten ist, kann nur persönlich zurückgewonnen werden. Solange wir die Menschen nur als Masse, als Öffentlichkeit ansprechen, ist nichts gewonnen. Im 19. Jahrhundert hat ein Philosoph die entscheidende Entdeckung gemacht, dass es eine Weiterentwicklung der Menschheit durch die Verbesserung des menschlichen Geistes gegeben hat. Er hat darin das Wirken des göttlichen Geistes gesehen. Dieser Philosoph hieß Friedrich Hegel. Er hat das Geschichtsdenken bis in unsere Zeit geprägt. Ich glaube, dass wir an seiner Erkenntnis nicht ernstlich vorbeikommen. Das ist kein gleichmäßiger und einliniger Vorgang. Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte des Scheiterns. Ich nehme kein Wort von dem zurück, was ich unter dem Wort Liebe gesagt habe. Aber Gott wird Mensch durch Jesus. Die Person Jesus von Nazareth wird unser Leben nur erneuern, wenn wir uns nach seinen Worten richten und an seine Auferstehung glauben. Gott gibt uns durch die Gegenwart Jesu im Glauben seinen neuen Geist. Dazu gibt es ein gutes Beispiel, das sehr viel mit Weihnachten zu tun hat.

Der Heilige Franz von Assisi, ich nenne ihn bewusst heilig, war gebeten, in der Stadt Greccio Weihnachten zu feiern. Um dieser Stadt die Weihnachtsbotschaft so genau und gegenständlich wie möglich vor Augen zu führen, ließ er einen Ochsen und einen Esel in die Kirche bringen. Vor diese beiden Tiere wurde eine Holzkrippe gestellt, die mit Stroh gefüllt war. Im Beisein dieser Krippe feierte er dann mit den Bürgern von Greccio zu Weihnachten die heilige Messe. Das ist eigentlich noch mehr als nur Menschwerdung: Das heißt: nur dort, wo wir arm und auf Barmherzigkeit angewiesen sind, kann uns Gottes Nähe sicher sein.

So heißt es in einem Weihnachtslied: “So lass uns deine Krippe sein, komm, komm und lege bei mir ein, dich und all deine Freuden.”

Wenn wir symbolisch eine Krippe werden, beginnt in uns die Gegenwart Gottes.

Zum Schluss ist von Hoffnung die Rede. Dieser Begriff klappt nicht nach, denn ohne Zukunftsbezug ist diese Botschaft, dieser Glaube an Gott nicht denkbar.   Durch Christi Gnade gerecht geworden, sind wir die Erben des ewigen Lebens geworden, nach unserer Hoffnung. Wir erwarten noch etwas von Gott, auch jenseits von Gott, auch jenseits jedes Abschieds. Gott wird immer leben. Diese ewige leben ist auch unser ewiges Leben. Unser Leben ist bruchstückhaft, unvollkommen, fehlerhaft, es ist auch glücklich, und auch voller Freude. Aber Glück und Freude auch dieses Weihnachtsfestes werden zu Ende gehen. Gottes Güte macht unser Leben vollkommen. Gott spricht zu uns sein ewiges Ja. Und so sprechen wir nun den Predigttext noch einmal gemeinsam:

Brief des Paulus an Titus, Kapitel  3, Verse 4-7 (Textblatt, s.o.)

4 Als aber  erschien

die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes,

unseres Heilands,

5  machte er uns heil

nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen,

die wir getan hatten,

sondern nach seiner Barmherzigkeit

durch das  Bad der Wiedergeburt und Erneuerung

im heiligen Geist,

6 den er über uns reichlich ausgegossen hat

durch Jesus Christus, unsern Heiland,

7 damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden,

Erben des ewigen Lebens würden

nach unsrer Hoffnung.

Amen.

 

 

Franziskus als Vorbild für das kirchliche Amt, Sammelrezension zu Papst Franziskus, Christoph Fleischer, Welver 2014

Leonardo Boff, Franziskus aus Rom und Franz von Assisi, ein neuer Frühling für die Kirche, aus dem Portugiesischen übersetzt von Bruno Kern, Butzon und Bercker, Kevelaer 2014, ISBN 9783766618375, Preis: 12,95 Euro

Leonardo Boff (geb. 1938, Theologe der Befreiung und ehemaliger katholischer Priester aus Brasilien) stellt in der Einleitung dieses Buches fest:

„Für die Päpste früherer Zeiten wäre es ein unerträglicher Widerspruch gewesen, sich selbst Franziskus zu nennen. […] Wenn ein Papst von der Peripherie der Welt und nicht aus der alten europäischen Christenheit kommt, zur Überraschung aller den Namen Franziskus wählt, dann will er damit etwas sagen. […] Der Papst wird auf Titel und Symbole der Macht verzichten und versuchen, den Nachdruck auf eine Kirche zu legen, die vom Leben und Beispiel des heiligen Franziskus inspiriert ist: in Armut, in Einfachheit, in Demut, in Geschwisterlichkeit mit allen, auch mit anderen Lebewesen und der Schwester und Mutter Erde selbst.“ (S. 7f)
Leonardo Boff blickt zurück auf das Auftreten des Papstes beim Weltjugendtag in Braslilien im Jahr 2013 und sieht diesen Anspruch bestätigt. „Franziskus als Vorbild für das kirchliche Amt, Sammelrezension zu Papst Franziskus, Christoph Fleischer, Welver 2014“ weiterlesen