Raffael (1483 – 1520), Hinweis 2, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2021

Zur weiteren Vorarbeit zum Ausstellungsbesuch in Hamburg habe ich mir etwas Lesestoff unter medimops.de besorgt, u. a. auch ein gut erhaltene Buch aus dem Jahr 1983:

Konrad Oberhuber: Polarität und Synthese in Raphaels ‚Schule von Athen‘, Urachhaus Verlag, Stuttgart 1983, broschiert, 128 Seiten im Großformat, Glanzpapier, 77 Abbildungen, zumeist Schwarz-Weiß, wenige in Farbe, ISBN: 3878383797, Preis: antiquarisch zu erwerben.

Ich beginne mit einem Zitat:

„Noch in den wenige Jahre früher entstandenen Fresken mit den Darstellungen der freien Künste im Appartamento Borgia im Vatikan, die, wie wir noch sehen werden, sicher eine der Voraussetzungen für Raphaels Werk waren, können wir außer durch Bücher, Aufschriften und Attribute die einzelnen Philosophen, Wissenschaftler, Gelehrten oder Künstler nicht voneinander unterscheiden. Auch bei Raphael bieten im Fresko (d. i. „Die Schule von Athen“, der Rez.) Aufschriften und sonstige Attribute wesentliche Hinweise, aber die einzelnen Gestalten sind zum lebendigen Ausdruck ihrer Gedanken geworden, ihre Handlungen kennzeichnen sie auch ohne Bücher als Menschen, deren Leben in der denkenden und einfühlenden Auseinandersetzung mit der Welt und ihren Problemen besteht. Dieses vollkommene Durchdrungensein von der eigenen Idee gibt den Gestalten die Freiheit, die wesentlich zum polyphonen Reichtum der großen Symphonie der Komposition beiträgt. Es ist dies die neugewonnene Freiheit und Individualität des Menschen der Renaissance, der sich in den freien Menschen der Antike wiedererkannte.“ (Ds. S 39)

Die Arbeit von Konrad Oberhuber ist zeitlos aktuell. In der eher unbedeutenden Industrie- und Wirtschaftsmetropole Mailand findet sich neben dem „Abendmahl“ von Leonardo da Vinci kaum ein bedeutendes Werk der frühen Neuzeit. Eine Ausnahme ist da der sogenannte „Karton“, eine gigantische Vorzeichnung für das og. Fresko.

Der Karton „misst 2745 = 7950 mm und ist aus etwa 210 Papierstücken zusammengesetzt“. Diese Vorlage des Freskos ist schmaler als das Originalfresko, da sie auf die Figuren fokussiert, die sich insgesamt im Mittelteil des (gemalten) Gebäudes befinden. Gebäudeskizzen sind zwar auch enthalten, aber nicht als geschlossene Abbildung.

Die Bilder wurden vom Karton mit einer Durchstechmethode auf das Original übertragen, aber auch in einer gewissen Freiheit. Die Vorlage ist nicht immer mit dem Original identisch.

Im gesamten Buch wird das oben beschriebene Ergebnis detailliert dargestellt und dabei immer wieder der Karton mit dem Original und anderen Werken verglichen. Dazu zählen neben Vorentwürfen auch das zuvor entstandene Fresko, die sogenannte „Disputa“, ein ebenso großes Wandgemälde, das in den vatikanischen Museen der „Schule von Athen“ genau korrespondiert.

Es soll eine theologische Diskussion über das Abendmahl darstellen und zeigt die christliche Religion aufgeteilt in Himmel und Erde.

Mich wundert ja immer, wieso die Diskussionen um Luthers Reformation und gerade der Streit zwischen dem Vatikan und den Fürsten in der Kunst der Renaissance kaum Widerhall findet, doch taucht ganz am Ende der Ausführungen Oberhubers ein Motiv auf, zu dem Luther später Stellung beziehen wird: Im Jahr 1512 (gerade 5 Jahre vor der reformatorischen Entdeckung) wird in Rom ein Dogma beschlossen, die „Unsterblichkeit der Seele“, basierend auf der platonischen Philosophie.

Während bei Raffael noch Platonismus und Aristotelismus zur Einheit zu finden scheint, überwiegen in der damaligen Gegenwart die Gegensätze. Der Aristoteliker Pomponazzi „Über die Unsterblichkeit der Seele“, widerlegte die päpstliche Doktrin, und zeigte so schon den Weg in die Neuzeit auf in ihrer „Herauslösung aus dem einheitlichen religiösen Weltbild des Mittelalters.“ (S. 114).

Hier tritt nach Rudolf Oberhuber Rudolf Steiner auf den Plan und erinnert an eine die Vielzahl einzelner Bestrebungen vereinende philosophische Debatte, wobei Steiner m. W. einen interreligiösen Dialog verfolgt, der auch den Buddhismus und den Hinduismus einbezieht und damit die Debatte eher weitet als neu christlich verengt.

Implizit wird hier also schon der Blick auf die Wirkungsgeschichte Raffaels frei, obwohl es ja zunächst um die Entstehung gehen sollte. Aber diese Entstehung war eben nicht nur die Meisterleistung eines künstlerischen Genies, sondern auch eine gute inhaltliche-philosophische Zeitansage. Im Gegensatz zur „Disputa“ ist der Himmel in der „Schule von Athen“ offen, soweit man es aus dem Gebäude heraus sehen kann. Hier ist eine lebendige Diskussion im Gang, in der dogmatische Festlegungen kaum nützlich zu sein scheinen. Aber ob dieser Hinweis von Papst Julius dem II. und Leo X., seinem Nachfolger, verstanden wurde, müssen wir nicht beurteilen.

 

Ausstellung in Hamburg: Raffael (1483-1520), Hinweis 1, Christoph Fleischer, Welver 2021

Julius II. in der Werkstatt Raffaels / ‚Le pape Jules II venant voir les cartons des fresques destinées à la ‚Stanza della Segnatura‘ (Vatican) – 1508′, 1910

Hiermit möchte ich auf eine andere interessante Ausstellung hinweisen, die nur noch bis zum 3. Oktober in der Hamburger Kunsthalle gezeigt wird: „Raffael, Wirkungen eines Genies“. In der Zeitschrift „Magazin , Freunde der Kunsthalle“ (Frühjahr 2021) wird auf einer Doppelseite ein Bild des bekannten Gemäldes Raffaels gezeigt „Schule von Athen“. Doch das ist kein Foto, sondern die Abbildung einer Gouache von Louis Jacoby (1828 – 1918), der das Wandgemälde des Vatikans auf 64,5 bis 91,5 cm malerisch kopiert hat. Eine Fotografie könnte kaum genauer sein als dieses Bild. Dieses Bild ist jedoch lediglich die Vorlage für einen Kupferstich, der dann allerdings wohl in schwarz-weiß veröffentlicht worden ist.

Kupferstich 1882

Wer ein bisschen im Internet stöbert, findet eine Fotografie des Originals aus dem Vatikan auf zeno.org, das hier ergänzt werden kann, da es gemeinfrei ist:

 

http://www.zeno.org/Kunstwerke/B/Raffael%3A+Stanza+della+Segnatura%3A+Die+Schule+von+Athen

Ein kleiner Einblick in das Leben Raffaels ist das Reclam-Büchlein: Georgio Vasari: Das Leben des Raffael von Urbino.

Vasari, Giorgio: Das Leben des Raffael von Urbino, Hrsg.: Kanz, Roland, Reclam Verlag, Stuttgart 2020, 144 S. 22 Farbabb., ISBN: 978-3-15-019653-3, Preis: 7,00 Euro

Dieser Text stammt aus einer regelrechten Sammlung von Biografien, die Georgio Vasari im Jahr 1568 herausgegeben hat. Dieses Werk wurde im 19. Jahrhundert von Adeline Seebeck (1799 – 1874) anonym übersetzt und in sechs Bänden herausgegeben. Der Text des Reclam-Buches ist mit zahlreichen farbigen Abbildungen der Werke Raffaels illustriert, mit der Angabe des Aufbewahrungsortes der jeweiligen Werke. Über die berühmte sixtinische Madonna aus der Gemäldegalerie Dresden, auch hier abgebildet, verliert Vasari nur einen Satz, während er die Ausgestaltung der Stanza im Vatikan ausführlich kommentiert, nicht nur die oben gezeigte „Schule von Athen“ sondern derer genau gegenüber das ebenso monumentale Werk „Disput über das Sakrament“.

Interessant ist im Fortgang der Darstellung zu lesen, wie Raffael nicht nur immer bekannter und angesehener, sondern auch schlicht reicher wurde. Leider starb er mit nur 37 Jahren vermutlich an Syphilis, Vasari meinte jedenfalls, er hätte sich bei einer seiner zahlreichen Geliebten angesteckt. Ich würde mich mal fragen, ob Raffael Bildnisse seiner Geliebten auch in den zahlreichen Gemälden untergebracht hat, auch da, wo es sich eigentlich nur um Männer handeln kann, wie bei der „Schule von Athen“. Zur Hochzeit kam es jedenfalls nicht mehr, obwohl er inzwischen verlobt war. Seine Verlobte wurde, wie es bei Vasari heißt, reichlich abgefunden.

 

Nietzsches Archiv, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2019

Zu:

Nietzsches Nachlass, Schätze aus dem Goethe- und Schiller-Archiv, Band 2, Bearbeitet von Martina Fischer, Thomas Föhl und Bernhard Fischer, Weimarer Verlagsgesellschaft im Verlagshaus Römerweg, Wiesbaden 2014 (Neuauflage 2020 in Vorbereitung), Französische Broschur, farbig illustriert, 88 Seiten, ISBN: 978-3-7374-0215-6, Preis: 14,90 Euro (ab Februar 2020)

Link:

https://www.verlagshaus-roemerweg.de/Weimarer_Verlagsgesellschaft/Martina_Fischer-Thomas_Foehl-Bernhard_Fischer-Nietzsches_Nachlass-EAN:9783737402156.html

Das Buch begleitet(e) eine Kabinettausstellung der im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar verwahrten Teile des Friedrich-Nietzsche-Archivs. Das Archiv wurde noch zu Lebzeiten Friedrich Nietzsches in der Phase seiner schweren Gehirnerkrankung aufgebaut und nach einem Anfang im Haus der Mutter in Naumburg nach Weimar gebracht. Es blieb bis 1945 im dafür erworbenen „Haus Silberblick“ in dem seine Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche, inzwischen verwitwet aus Paraguay zurückgekehrt, nicht nur den kranken Philosophen pflegte, sondern auch mit einigen Mitarbeitern die Schriften herausgab und den Nachlass erforschte. „Nietzsches Archiv, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2019“ weiterlesen

Existenzialisten mit/ohne Heidegger? Christoph Fleischer, Welver 2017

Notiz zur Sonderausgabe des Philosophie Magazins „Die Existenzialisten“, erschienen am 9.11.2017

Ich verzichte auf den Blick das Inhaltsverzeichnis, da dieses auch schnell über die Internetseite des Philosophie Magazins zu erhalten ist (http://philomag.de/die-existenzialisten-lebe-deine-freiheit/), und werde ich Folgenden meine Notizen zu den Artikeln von Hannah Arendt und Peter Trawny veröffentlichen.

Der hier abgedruckte Aufsatz von Hannah Arendt (1906 – 1975) „Französischer Existenzialismus“ ist bereits 1946 erschienen und bietet so ein zeitnahes Bild des Existenzialismus. Der Aufsatz befasst sich besonders mit Jean-Paul Sartre und Albert Camus. Dieser Aufsatz erscheint in diesem Heft erstmals in deutscher Sprache. Interessant ist, dass eine philosophische Richtung in Gestalt von Literatur erscheint, indem beide als Schriftsteller bzw. Schauspielautoren hervortraten und nicht als wissenschaftliche Philosophen. „Existenzialisten mit/ohne Heidegger? Christoph Fleischer, Welver 2017“ weiterlesen

„Die Bibel und die Philosophen“ – Presseankündigung von Sabine Schaub, Pressesprecherin Philosophie Magazin

Wie soll der Mensch seinen Platz in einer überaus gewalttätigen Welt finden? Wie nicht verzweifeln an der Ungerechtigkeit auf Erden? Und was tun, wenn sich der Glaube an Gott und die menschliche Ethik zu widersprechen scheinen? Das sind Fragen, die nicht nur die Philosophie stellt, sondern auch das Alte Testament. Dazu kann ich das höchst lesenswerte Sonderheft des Philosophie Magazins zur Besprechung empfehlen. „DIE BIBEL UND DIE PHILOSOPHEN – DAS ALTE TESTAMENT“. Es erscheint am Donnerstag, den24.11.2016.

Das Sonderheft vereint bekannte und weniger bekannte Texte aus der Bibel sowie Interpretationen historischer und zeitgenössischer Denker – von Kant bis Arendt, von Spinoza bis Lévinas. Dazu exklusive Interviews mit prominenten Philosophen und Theologen. Catherine Newmark hat als Chefredakteurin die Beiträge zusammengestellt und die Gespräche geführt.

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Die Kapitel:

GLAUBEN UND WISSEN
Mit Chronologien der Jahre seit der Erschaffung der Welt – und der Geschichte Israels und der Entstehung des biblischen Textes.

In einem Interview mit Susan Neiman: „WARUM SOLLTEN PHILOSOPHEN DIE BIBEL LESEN?
Neiman ist der Meinung, dass Papst Franziskus eine eminent wichtige philosophische Unterscheidung eingeführt hat:
Zitat:
„Das wäre in jeder Religion befreiend. Wenn jemand wie der Papst sagt: Ich verstehe, dass euch Sex und die Fragen darum herum wichtig sind, aber der Kern der Religion ist ein anderer.“ „„Die Bibel und die Philosophen“ – Presseankündigung von Sabine Schaub, Pressesprecherin Philosophie Magazin“ weiterlesen