Skepsis und Verantwortung, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2015

Zu: Scheidewege, Jahresschrift für skeptisches Denken, Herausgegeben von der Max Himmelheber-Stiftung, Jahrgang 43, 2013/2014, S. Hirzel-Verlag, Stuttgart 2013, 412 Seiten, ISBN 978-3-7776-2363-4, Preis: 36,90 Euro, im Abo 32,50 Euro zuzüglich je 3,90 Euro Versandkosten, Homepage mit der Übersicht über lieferbare Ausgaben und deren Inhalt: www.scheidewege.de

Scheidewege CoverDie Jahresschrift Scheidewege, die im Verlag S. Hirzel erscheint, ist ein Forum für zeitgenössische Philosophie, die sich in der Bearbeitung verschiedener gesellschaftlicher Fragen äußert.

„Scheidewege“ ist ein interessantes Projekt, dass der Vermittlung von Theorie und Praxis dienen kann und den Stand der aktuellen und zeitgenössischen Diskussion aufzeigt. Die fehlende thematische Vorgabe ist Vorteil und Nachteil zugleich, denn eine inhaltliche Strukturierung hätte gewiss redaktionelle Vorteile. Das Projekt „Scheidewege“ hingegen gibt sie bewusst nicht vor und bleibt damit dem skeptischen Ansatz verbunden. „Skeptisches Denken erbringt Einwände und Einsichten, die nicht immer Weg und Ziel, aber doch eine Richtung anzeigen.“ (Umschlag)

Die Skepsis, die im Bereich von Soziologie und Philosophie um sich greift, ist kein Grund zu Lethargie und Passivität, eher im Gegenteil. Nicht blinder Fortschrittsfanatismus, sondern Verantwortungsethik um der Zukunft willen ist angebracht.

„Das Gestern ist nicht zu wiederholen, aber das Morgen kann auch nicht einfach eine verbesserte Form des Heute sein. In die Tradition zu retirieren ist so aussichtslos wie die Hoffnung, daß dem Fortschritt, so wie er zur Zeit betrieben wird, ein zweckmäßiger Mechanismus der Selbstregulierung innewohne, der letztlich alles zum Guten wende.“ (Umschlag)

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Der „Fall“ Heidegger, erster Kommentar, Fragen, Markus Chmielorz, Dortmund 2015

Auf Wittgenstein geht der Satz zurück: „Die Welt ist alles, was der Fall ist.“ (Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus. URL: http://tractatus-online.appspot.com/Tractatus/jonathan/D.html – abgerufen am 23.05.2015)

Die Schriftstellerin Sabine Scho hat einmal darauf geantwortet: „Ich zähle noch an den Blessuren.“ (Sabine Scho, ohne Titel, in: Katalog Zeta-Ausbildungsgruppe, hg. v. L. Kossolapow, Münster/Lengerich 1995, S. 76)

1945 lag Deutschland in Schutt und Asche, nicht nur buchstäblich. Noch heute zählen Menschen an dem, was während der nationalsozialistischen Diktatur der Fall war: Dass Menschen Menschen, nur weil sie Jüdinnen und Juden, Kommunist_innen, Sozialdemokrat_innen, Zeugen Jehovas, Lesben oder Schwule waren, aus der Gesellschaft ausgeschlossen, an den Rand gedrängt, verfolgt und umgebracht haben.

Heideggers „Schwarze Hefte“ also. Eine aktuelle Debatte, nicht zufällig 70 Jahre nach dem Ende der Schreckensherrschaft, die Grund genug ist für eine Selbstreflexion. Ein Anlass zu erhellen, worauf die Diskussion zielt und worauf sie sich begründet.

Meine Beschäftigung mit Heidegger geht zurück auf Vattimo und den „schwachen Glauben“. Worauf also sich berufen, wenn es darum geht, nach Religionskritik und Aufklärung gute Gründe für einen post-metaphysischen Glauben zu finden. Der erste Gedanke: Worauf ließe sich ein „schwacher Glaube“ alternativ begründen, wenn nicht auf Heidegger? Doch langsam, denn es wollen die vielen Stränge der Erzählung vom „schwachen Glauben“ einzeln aufgenommen werden.

An einem Sonntagmorgen sendet der Deutschlandfunk einen katholischen Gottesdienst: „Ich glaube an Gott, den Vater, den allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde …“ Wie ist das möglich, diese Sätze heute auszusprechen und vernunftbegabt gute Gründe dafür zu finden?

Ich gebe Auskunft darüber, wozu es gut ist, dass kenosis (Leerwerden, Entäußerung) für mich im Hinblick auf postmetaphysische Religion so bedeutsam ist. und weshalb ich anstelle dieses Glaubensbekenntnisses eine Zeichenfolge [ ] ins Spiel gebracht habe, als einen Hinweis auf einen unbegrifflichen Zwischen-Raum des Nicht-Kontingenten und Un-verfügbaren.

Ist also dieses Glaubensbekenntnis nur etwas für Narren? Für die Toren unter uns, die noch an die Allmacht Gottes glauben angesichts der Schrecken? Oder: Wenn denn des Narren Mund Wahrheit kundtun würde, welche Wahrheit genau wäre das dann?

Wie also geht postmetaphysisches Denken? Vattimo hat Heidegger befragt (der hat Nietzsche befragt), Derrida hat ebenfalls Heidegger befragt: eine Frage der geistigen Väter also, die ebenso eine Frage der Religionen ist. Ein Blick zurück in die Geschichte der Religionsphilosophie, um eine Antwort darauf zu finden, wem die Elternschaft für den „schwachen Glauben“ zugeschrieben werden kann. Wie genau lassen sich die Bedingungen der Möglichkeit des „schwachen Glaubens“ erzählen? Die Bedingungen der Möglichkeit einer postmetaphysischen Religion, die sich auf die Schriften beruft, die von Jesus Christus erzählen? Die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrungen, die anders sind, als unsere Alltagserfahrungen? Die Bedingungen der Möglichkeit einer anastasis (Aufstehen, Erwachen), ohne den Tod zu leugnen?

Auch 70 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewalt, die immer noch eingeschrieben ist in die Körper der Nachfahren, wird mir zu viel über die Täter_innen gesprochen und zu wenig über die Opfer. Das wäre schon so etwas, wie ein Programm:

  • Welche alternativen Begründungen postmetaphysischen Denkens sind möglich ohne Heidegger?
  • Wie setze ich einen Autor und sein Werk ins Verhältnis? (Argumentieren ad hominem und/oder Michel Foucaults Ansatz des „maskierten Philosophen“.)
  • Wie geht Dekonstruktion von Texten, deren Autor Martin Heidegger ist?
  • Welche Tiefenstruktur ließe sich herausarbeiten? Und inwieweit affirmiert oder kritisiert diese Tiefenstruktur seinen Antisemitismus?

Der „Fall“ Heidegger, zweiter Kommentar

Buber-Biographie für den interreligiösen Dialog, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2015

Zu: Karl-Josef Kuschel, Martin Buber – seine Herausforderung an das Christentum, Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 2015, ISBN 978-3-579-07086-5, Preis: 24,99 Euro

Martin Buber - seine Herausforderung an das Christentum von Karl-Josef Kuschel
Martin Buber – seine Herausforderung an das Christentum von Karl-Josef Kuschel

Karl-Josef Kuschel (geb. 1948), emeritierter Professor für Kultur und interreligiösen Dialog der Fakultät für Katholische Theologie in Tübingen, legt zum 50. Todestag des jüdischen Religionsphilosophen und Bibelübersetzers Martin Buber (1878-1965) eine Biographie vor, die zugleich eine anschauliche Einführung in dessen umfangreiches publizistisches Werk darstellt. Dabei ist das Buch spannend und gut lesbar. Die Lebensdaten stellen uns einen Menschen vor Augen, dessen Lebenslauf religiöse, philosophische, psychologische und politische Themen und Ereignisse des 20. Jahrhunderts verbindet. Die Rezension muss darauf verzichten, hieraus eine Essenz herzustellen, sondern muss einfach dazu auffordern, dieses Buch zu lesen. Es ist wissenschaftlich rezipierbar, ohne dabei ständig in ein Lexikon blicken zu müssen, anrührend und verständlich von der ersten bis zur letzten Seite. Die  Werkausgaben sind angeführt genauso wie die zahlreiche Sekundärliteratur. Zeitgenössische Quellen werden belegt, der historische Kontext erläutert. Es gibt nichts zu kritisieren.  „Buber-Biographie für den interreligiösen Dialog, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2015“ weiterlesen

Wie Theismus denkbar ist, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2015

Zu: Holm Tetens: Gott denken; Ein Versuch über rationale Theologie, Philipp Reclam Jun., Stuttgart 2015, ISBN 978-3-15-019295-5, Preis: 5,00 Euro

Tetens ReclamWenn ein langgedienter Philosophieprofessor wie Holm Tetens (geb. 1948, FU Berlin), der  „Philosophisches Argumentieren“ (2010) und „Wissenschaftstheorie“ (2013) beschreibt und sich mit Immanuel Kant und Ludwig Wittgenstein beschäftigt hat, mit der Metaphysik des Theismus nicht nur befasst, sondern auch im Gegenüber zum Naturalismus sich für jenen entscheidet, ist das schon erstaunlich.

Holm Tetens wird noch im aktuellen Wikipedia Artikel (04.04.2015) als Naturalist bezeichnet, hat nun aber eine „theistische Wende“ vollzogen (S. 94). Er schreibt: „Nur der Theist vermag in der Hoffnung zu leben, dass die Welt gut wird, ohne dass er die Übel und Leiden in der Welt mit Resignation, tragischer Auflehnung, zynischem egoistischen Hedonismus oder illusionären Selbsterlösungswahn quittieren muss.“ (S. 77). „Wie Theismus denkbar ist, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2015“ weiterlesen

Keine Angst vor dem Sterben, Rezension von Emanuel Behnert, Lippetal 2014

Zu: Herwig Oberlechner / Gerald Heschl (Hg.), „Dem Menschen nahe sein“ – „Vom Umgang mit Leiden, Würde und dem Sterben“ Styria Premium 2014, ISBN 978-3-222-13483-8, gebunden 19,99€

Die deutschsprachige jüdische Schriftstellerin Mascha Kaleko (*1907  +1975) schrieb 1973 in ihrem Gedicht „Memento“ die Zeilen: „Vor meinem eigenen Tod ist mir nicht bang“… und „… bedenkt, den eignen Tod, den stirbt man nur…“. Ein Gedicht, in dem sie sich aus persönlichen Erfahrungen heraus sehr intensiv und einfühlsam mit dem Sterben und dem Tod von nahestehenden Menschen beschäftigt, der sie selbst intensiv an die Begrenztheit des eigenen Lebens heranführt und ihr diese in die Gegenwart ihrer Gedanken ruft.

9783222134838_Cover_300dpiEine Wirklichkeit, die uns auch heute Tag für Tag vor Augen steht, von vielen aber, die mitten im Leben zu stehen scheinen, oft verdrängt wird. Wenngleich durchaus betont werden muss, dass m.E. hier ein Umdenken eingesetzt hat, wenn man daran denkt, wie viele Menschen heute schon frühzeitig eine Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung verfassen. Der Tod geht uns alle an, und wird uns eines unbekannten Tages einfach so nur erreichen, ereilen. „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden!“ betete schon vor über 2500 Jahren der Psalmbeter, beten auch wir mitunter noch heute. „Keine Angst vor dem Sterben, Rezension von Emanuel Behnert, Lippetal 2014“ weiterlesen