„Todtnauberg“ – das Gedicht, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2020

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Hans-Peter Kunisch: Todtnauberg, Die Geschichte von Paul Celan, Martin Heidegger und ihrer unmöglichen Begegnung, dtv Verlagsgesellschaft, München 2020, gebunden mit Lesebändchen, 350 Seiten, ISBN: 978-3-423-28229-1, Preis: 24,00 Euro

Link: https://www.dtv.de/buch/hans-peter-kunisch-todtnauberg-28229/

 

Durch Zufall finde ich in einem öffentlichen Bücherschrank einen kleinen Reiseführer über den Schwarzwald, erschienen bei Bertelsmann, Gütersloh 1972, also in etwa der Zeit, in die das Buch von Hans-Peter Kunisch die Leserinnen und Leser führt. Der Eintrag Todtnauberg besteht nur aus drei kurzen Sätzen: „Todtnauberg (1021m, 900 Einwohner), das 3 km abseits der Talstraße liegt. Das hübsche Bergdorf mit seiner unverkennbaren Schwarzwaldszenerie am Südhang des Feldbergs liegt nebelfrei und ruhig über ein weites Wiesengelände verstreut. Bis zu den Schweizer Alpen reicht die Sicht.“ Die Landschaft auf dem Buchcover passt zu dieser Beschreibung.

Sieht man zusätzlich kurz ins Internet, muss man das hier genannte „Wiesengelände“ als Ski- und Wintersportgebiet bezeichnen, mit Loipen und Liften durchzogen, heute eher vom Tourismus geprägt, als von der Landwirtschaft. Es gibt z. B. einen Wanderweg, der nach Martin Heidegger benannt ist. Obwohl von Freiburg aus recht gut erreichbar, ist die Lage am Südhang des Feldbergs schon recht abgelegen.

Nun zur Lektüre: Im Mittelpunkt der Erzählung von Hans-Peter Kunisch steht ein Ausflug zur Hütte Heideggers, wobei der Weg hin mit zwei VW-Käfern zurückgelegt worden ist. Er bedient sich was den Ausflug angeht bei diversen Aufzeichnungen zweier Augenzeugen. Die Literatur ist im Literaturverzeichnis des Buches belegt.

Dabei soll es auf der Rückbank zwischen Heidegger und Celan recht schweigsam zugegangen sein. Stellt man sich dann aber den recht steilen und in zahlreichenden Serpentinen verlaufenden Fahrweg vor, der zudem an einigen Stellen ein beachtliches Panorama bietet, so ist es schonverständlich, dass die Zeit für tiefgehende philosophische Gespräche hier noch nicht gekommen ist.

Wann sollte aber das von Celan im Gedicht anvisierte Gespräch stattfinden, bei dem das „auf eines Denkenden kommendes Wort im Herzen“ ausgesprochen worden wäre (Gedicht „Todtnauberg“, hier S. 172)?

Bezeichnend ist allerdings an der Erzählung von immerhin 350 Seiten, dass die Biographie Paul Celans in etlichen Facetten geschildert wird. Bei seiner Lesung am 24. Juli 1967 in Freiburg sollen an die tausend Besucherinnen und Besucher anwesend gewesen sein und der prominente Philosoph Heidegger habe in der ersten Reihe gesessen. Im Vorfeld habe Heidegger den Dichter und Übersetzer Celan regelrecht protegiert, indem er die Buchhandlungen der Stadt gebeten hat, im Schaufenster Bücher von Celan zu dekorieren.

Das Gedicht „Todtnauberg“ entstand quasi in Auswertung des auf die Lesung folgenden Ausflugs in den Schwarzwald. Der kurze Besuch in Heideggers Hütte, der aber nicht ohne einen kleinen Fußmarsch zu haben war, hatte wohl den Hintergrund, seitens Heidegger Celan um den bereits genannten Eintrag ins Gästebuch zu bitten. Der anschließende Besuch ins Moor musste wegen eintretenden Regens und unpassenden Schuhwerkes abgebrochen werden.

Das Buch ist hier sehr ausführlich und schildert auch einige Details der Ausflüge, auch des zweiten Besuchs im Moor, das dann aber nahe der B 500 im Südschwarzwald lag und mit Heideggers Hütte und Todtnauberg nichts mehr zu tun hatte.

Die Gespräche der Teilnehmenden und die Zusammensetzung der Gruppe werden sehr detailliert geschildert, nicht aber aus der Phantasie des Erzählers, sondern den Quellentexten einiger Teilnehmer. Dass darauf Paul Celan ein oder mehrere Gedichte machen würde, war wohl auch erwartetet worden. Es war wohl üblich, dass Celan Reiseerfahrungen und Begegnungen in lyrischer Gestalt aufzeichnete, so hat er auch eine recht bald folgende Israelreise dokumentiert.

Immer wieder geht es im Buch darum, dass Celan eine mündliche oder vielleicht sogar eher schriftliche Stellungnahme Heideggers erwartet habe, die aber so wie erwartet nicht eintraf. Einen vorhandenen Brief Heideggers, in dem dieser sich für den Einzeldruck des Gedichts „Todtnauberg“ bedankte, ließ allerdings Celan sogar unbeantwortet.

Auch wenn das Buch von Hans-Peter Kunisch auf die Person Martin Heideggers eingeht und seine fragwürdige Verflechtung in den Nationalsozialismus thematisiert, liegt die Perspektive der Erzählung übe weite Züge hinweg bei Celan, für den der Termin des ersten Schwarzwaldausflugs eine Art „Freigang“ während einer längere psychiatrischen Behandlung war, der sich Celan in Paris auch auf Wunsch seiner Familie immer öfter unterziehen musste.

Die Frage, auf welches Wort Heideggers Celan wirklich gewartet hat, muss bis zuletzt offenbleiben. Hätte er wirklich über die eigene Verflechtung reden sollen oder wäre es eher eine Art allgemeines Schuldbekenntnis geworden, das dann wohl auch die Anteilnahme am Schicksal von Pauls Celans Eltern einbezogen hätte, die im KZ umkamen?

Doch die biografische Tiefe des Buches im Blick auf Paul Celan lässt auch hierbei einen Charakter erscheinen, der nicht nur allgemein historisch oder politische, sondern auch persönliche Schwierigkeiten offenbart. Celan hatte immer wieder Kontakt zu Überlebenden aus Czernowitz und war bemüht, dabei auch seine eigene Geschichte aufzuarbeiten.

Am Ende des Buches stirbt Celan im Jahr 1970 in den Fluten der Seine, was eher auf einen Suizid als einen Unfall deutet, da er als guter Schwimmer galt.

Die Verzweiflung Celans ist allerdings keine Reaktion auf das fehlende Wort Heideggers. Welche dunkle Seite lag in der eigenen Biografie? Was ist daran, dass inzwischen Belege dafür aufgetaucht sind, dass das bekannte Gedicht „Todesfuge“ ein Plagiat gewesen sein könnte? (Die Quellentexte dazu sind im Buch belegt. Paul Celan lagen Texte eines damaligen rumänischen Freundes vor, die Formulierungen der Todesfuge wörtlich vorwegnehmen.)

Klar ist, dass das Buch selbst hier auf der erzählerischen Ebene keine Antworten geben kann. Obwohl die Quellen gut belegt sind, die Hans-Peter Kunisch heranzieht, so muss man das Buch insgesamt doch eher als historisch-biografische Erzählung bezeichnen.

„Todtnauberg“ ist ein sehr gründlich recherchiertes und zugleich einfühlsam erzähltes Buch. Ein bedeutender Dichter und ebenso bedeutender wie zugleich zweideutiger Denker haben eine denkwürdige Begegnung am Südhang des Feldbergs erlebt, ohne sich bis zuletzt darüber auszutauschen.

Die Antwort auf die immer wieder thematisierte Frage, ob mehr möglich gewesen wäre, muss bis zuletzt offenbleiben. Aber offensichtlich hat Pauls Celans Dichtung eine Sprache gefunden, die Gefühle und Gedanken offenlegte und anzusprechen vermochte. Diese wieder mehr zu lesen, lädt Hans-Peter Kunisch ein.

Zum gleichen Thema:

Werner Hamacher zu Celan, Rezension, Christoph Fleischer, Welver 2019

Predigt Matthäus 7, Christoph Fleischer, Welver 2017

Predigt über Matthäus 7,24 – 27, gehalten am 12.8.2017 in Bad Sassendorf-Neuengeseke und am 13.8.2017 in Möhnsee-Völlinghausen.

24 Vom Hausbau

Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute.

25 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet.

26 Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute.

27 Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein, und sein Fall war groß.

Foto: Niklas Fleischer (c)

Liebe Gemeinde!

 

Warum nicht zu Beginn dieser Predigt mal vom Wetter reden?

Nicht selten hatten wir in diesem Jahr gerade im Sommer ein Unwetter. Es gießt wie aus Kannen. Schwarze Wolken haben den Himmel verdunkelt. Der Wind böt hin und wieder stark auf, wird stürmisch oder sogar zum Orkan. Im Wald und unter Bäumen kann man von herunterfallenden Ästen getroffen werden. Wenn ein Blumentopf nicht sicher steht, fliegt er schon mal vom Balkon.

Natürlich sind diese Naturerscheinungen einigermaßen normal, und wenn wir zu Hause sind, macht es uns nicht viel aus. Es gibt aber Stürme und Unwetter die das normale Maß überschreiten. Da kommt es durchaus schon einmal zu Überschwemmungen. Nach einem Starkregen laufen die Keller voll, oder durch den Sturm werden Dachziegel von den Dächern herabgeworfen.

Kinder haben sicher in einer solchen Situation noch mehr Angst als Erwachsene, weil sie untergründig die Bedrohung des Unwetters wahrnehmen. Wir Erwachsene erleben es im Grunde ähnlich, wissen aber durch unseren Verstand, dass die Bauweise unserer Häuser in der Regel ausreicht, um größere Zerstörungen zu vermeiden. Uns genügt es, nicht nass zu werden und im Trockenen zu sitzen.

 

Jesus greift in seinem kleinen Gleichnis die Geschichte eines großen Unwetters auf. Es muss wohl durchaus vorgekommen sein, dass Häuser, die auf Sand errichtet worden waren durch einen plötzlichen Regen regelrecht weggespült worden sind. Wir kennen die Bilder dazu aus dem Fernsehen.

Jesus war bekanntlich im Erstberuf Zimmermann, wie sein Vater. Beispiele aus dem Bauwesen lagen ihm keinesfalls fern. Außerdem konnte er mit solchen Beispielen die Zuhörer sehr gut erreichen, weil sie sich darin ebenso auskannten.

Wer nun dieses Gleichnis hört, wird Jesus natürlich zustimmen, denn das ist ja wirklich einleuchtend. Wenn ein Haus auf Fels gebaut worden ist, kann es sicherlich nicht so schnell einstürzen, als ein Haus, dass nur in den Sand gesetzt worden ist.

Es geht Jesus im Gleichnis um das Leben, das vom Glauben bestimmt ist. Jesus redet religiös, bezieht aber dass ganze Leben in die Religion ein. Dafür steht in diesem Gleichnis das Symbol „Haus“. „Predigt Matthäus 7, Christoph Fleischer, Welver 2017“ weiterlesen

Predigt über Johannes 7, Christoph Fleischer, Welver 2017

Johannes 7, 37 – 39 (Predigt am Sonntag Exaudi in Neuengeseke und Möhnesee-Völlinghausen)

37 Aber am letzten, dem höchsten Tag des Festes trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! 38 Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen. 39 Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.

Foto: Niklas Fleischer (c)
Liebe Gemeinde,

dieser kurze Abschnitt ist doch wohl ganz schön aus dem Zusammenhang herausgetrennt. Ich habe mir für heute vorgenommen, diesen Vorgang rückgängig zu machen. Das siebente Kapitel des Johannesevangeliums ist dem Laubhüttenfest gewidmet, genannt Sukkot. Das passt zwar vom Kalender her nicht zwischen Ostern und Pfingsten, ist aber insofern auch eine sinnvolle Vorbereitung auf Pfingsten, da es sich dabei auch um ein großes jüdisches Fest handelte, das Wochenfest, das eben genau 49 Tage nach dem Passah gefeiert wurde. „Predigt über Johannes 7, Christoph Fleischer, Welver 2017“ weiterlesen